»Zwischen NATO und Pakistan herrscht Krieg« - Von Jürgen Rose 25.02.2014 20:48
Das nachfolgende Interview hatte Jürgen Rose mit dem ehemaligen Generalleutnant der
pakistanischen
Streitkräfte, Asad M. Durrani, zwar schon letztes Jahr geführt; indessen hat dieses nichts von seiner Aktualität verloren. Durrani war von 1980 bis 1984 Verteidigungsattaché in
Bonn, von 1989 bis 1992 Chef des pakistanischen Geheimdienstes ISI [Inter
Services Intelligence] sowie von 1994 bis 1997 Botschafter Pakistans in der
BRD. Gegenstand des Gesprächs waren der unerklärte Krieg der USA gegen
Pakistan, die NATO-Niederlage in Afghanistan, die ›Shanghai Cooperation Organization‹ sowie die potentielle Nuklearmacht Iran.
Herr General, wie schätzen Sie aus
Ihrer Sicht die Lage nach 10 Jahren Krieg der NATO in Afghanistan ein?
Asad M.
Durrani: Inzwischen gibt es einen Krieg zwischen der NATO und Pakistan. Wir
waren an und für sich anfangs deren Alliierte, aber das war natürlich eine
Illusion. Wir hatten
nicht dieselben Ziele, insbesondere die USA hatte etwas anderes vor. Vielleicht
haben wir das nicht richtig eingeschätzt, aber nach ein paar Jahren haben wir
festgestellt, es geht nicht um Osama bin Laden und seine Kameraden, es geht
vielmehr darum, den Charakter des Landes Afghanistan zu verändern, um hier für
längere Zeit entweder Stützpunkte zu errichten oder ein Regime zu etablieren,
das der USA gegenüber loyal bleibt, damit das ›New Great Game‹ gespielt
werden kann. Das brachte für Pakistan viele Schwierigkeiten. Zunächst
betraf das die Flüchtlinge aus Afghanistan,
die über unsere Grenze gekommen sind. Von Anfang an bestand zudem eine heftige
Aversion gegen die Invasion der USA, die die Taleban, Mujaheddin und
Widerstandskämpfer zwang, über die Grenze zu uns zu kommen. Anfänglich versuchte Pakistan, dies
zu verhindern, aber das war unmöglich, da es wegen des Geländes und wegen des
Charakters der Menschen auf beiden Seiten der Grenze nicht funktionieren konnte. Das
Resultat war dann, daß viele unserer eigenen Leute und der Stammesangehörigen
ihre Gewehre auf uns gerichtet haben, nach dem Motto: Wenn ihr Freunde der USA
seid und die sind gegen uns, dann seid auch ihr Feinde. Es hat dann ein paar
Jahre gedauert, bevor wir soweit waren, diese Kämpfe einzustellen. Wir konnten
das nicht weitermachen, denn die Implikationen für das Land
waren zu gravierend. Der
Effekt war, daß wir dann der USA gegenüberstanden, da wir in deren Wahrnehmung
den Widerstandskämpfern entweder Asyl gewährten oder diese sogar unterstützten.
Seit zwei oder drei Jahren haben wir jetzt eine Situation, die man tatsächlich
als »Low Intensity War« zwischen der USA und Pakistan bzw. auch zwischen der
NATO und Pakistan bezeichnen kann.
Jürgen Rose: Das Verhältnis
Pakistans zur USA ist also, gelinde ausgedrückt, ambivalent. Einerseits braucht
die USA Pakistan als Verbündeten, andererseits rückt das Land immer mehr ins
Fadenkreuz von Aktionen US-amerikanischer Streitkräfte, so erst neulich, als
Dutzende pakistanischer Soldaten bei einem US-Angriff starben. Wie beurteilen Sie das Verhältnis
der beiden Staaten und wie wird es sich weiterentwickeln?
A. M. D.: Ambivalenz
gibt es da keine mehr, mit feindselig ist das Verhältnis viel besser
beschrieben. Was ist passiert? Gut, auf der einen Seite könnte man sagen, unsere
Hilfe wird gebraucht, um Frieden zu schaffen oder wenn es darum geht, die
Taleban niederzukämpfen. Aber letzteres kann Pakistan nicht leisten. Die
Afghanen sind unsere Nachbarn, sie sind hier und sie bleiben immer
hier. Die USA und die
NATO gehen aber irgendwann mal weg, so hoffen wir jedenfalls, und daran
arbeiten wir auch, denn wenn sie bleiben, gibt es Aufruhr im Land, Unruhe und
keine Stabilität. Daraus folgt, daß Pakistan
die Hilfe, die Washington
benötigt, nicht leisten kann. Immer noch interessant bleibt vielleicht die
logistische Kooperation. Erheblich
größer könnte die Rolle Pakistans sein, wenn es vernünftig in die Verhandlungen
einbezogen würde. Doch von solcher Hilfe ist keine Rede, sondern
immer nur davon, daß wir gegen die Taleban vorgehen und logistische
Unterstützung leisten.
J. R.: Als souveräner Staat hat
Pakistan nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, seinen Luftraum und
sein Territorium zu schützen. Warum
also geht die pakistanische Luftwaffe nicht entschlossen gegen die
US-Drohnenangriffe vor? Warum nimmt Pakistan es hin, daß immer wieder Soldaten
Aktionen der US-Streitkräfte zum Opfer fallen?
A. M. D.:
Also das sieht man hierzulande pragmatisch. Was den Einsatz der Luftwaffe betrifft, so würde
der wahrscheinlich fehlschlagen, denn die andere Seite ist einfach zu stark. Angesichts der neuartigen elektronischen Mittel
heutzutage kann ich gut nachvollziehen, daß die pakistanische Luftwaffe im
Kampf gegen die NATO-Luftstreitkräfte in Schwierigkeiten geriete. Es gibt jedoch noch
andere Möglichkeiten: Zum Beispiel haben wir die Logistik gekappt und die USA
aufgefordert, bestimmte Stützpunkte zu räumen. Die beste Option besteht jedoch
darin, die Taleban zu unterstützen, entweder von Seiten des Staates Pakistan –
wobei ich nicht weiß, inwieweit das tatsächlich der Fall ist – oder wenigstens
durch nichtstaatliche Akteure. Das ist eine gute Option. Eine weitere besteht darin, die Taleban in einer
so guten Verfassung zu bewahren, daß es der USA und der NATO schwer wird, ihre
Ziele zu erreichen, sowie abzuwarten und Tee zu trinken und auf Zeit zu
spielen.
J. R.: Welche
Beziehungen pflegt denn Pakistan genau zum afghanischen Widerstand,
insbesondere zu den Taleban?
A. M. D.: Wir haben nichts gegen sie, zumindest die
Öffentlichkeit in Pakistan hat viel Sympathie für die Taleban. Denn man glaubt,
daß sie gegen die fremde Besatzung in Afghanistan kämpfen. Das ist ein
Freiheitskampf, so wird das Verhältnis beurteilt.
J. R.:
Stichwort ›Terrormanagement‹: Sie selbst haben in unserem Gespräch
vor zwei Jahren von ›Rogue Groups‹, also ›Schurkengruppen‹
gesprochen, die für Terroranschläge benutzt werden; Jürgen Todenhöfer
berichtete von ›amerikanischen
Taleban‹, der investigative
US-Journalist Wayne Madsen und auch die
britische BBC liefern zahlreiche Berichte über geheimdienstlich gelenkte
Terroraktionen. Existiert Ihrer Kenntnis nach weiterhin ein solch staatlich
inszenierter Terrorismus, um den sogenannten ›Krieg gegen den Terror‹
propagandistisch zu flankieren und eine Rechtfertigung für die dauerhafte
Präsenz von Besatzungstruppen in Afghanistan zu liefern?
A. M. D.: Es existieren sogenannte ›Counter Terrorism Pursuit Teams‹, das sind 3.000 von der CIA ausgebildete afghanische Soldaten,
die angeblich zur Bekämpfung des Terrorismus dienen. In Wirklichkeit handelt es
sich um Verbände, die ich als ›Rogue
Groups‹ bezeichnen würde. Diese führen auf beiden Seiten der AFPAK-Grenze Aktionen
durch. Die Idee besteht darin, daß sie genug Unruhe stiften und dabei den
Eindruck erwecken, daß es in Wirklichkeit die Taleban in Pakistan bzw.
diejenigen, die die Taleban unterstützen, sind, die diese Terrorakte
durchführen. Damit man dann sagen kann: Na ja, ihr Pakistanis, ihr seid ja nicht
bereit, gegen die Taleban oder diese Gruppen vorzugehen, die in Peshawar, in
Quetta und anderswo Terroranschläge gegen Zivilisten verüben. Es gibt auch
anderes, wozu diese ›Rogue Groups‹ benutzt werden, aber das ist die
Philosophie und das ist auch der Beweis für ihre Existenz. Das ist auch sehr
attraktiv in Bezug das Publikum, denn die meisten Leute haben keine Möglichkeit
festzustellen, wer diese Anschläge durchgeführt hat: die ›echten‹ Taleban oder
die ›Counter Terrorism Pursuit Teams‹, die sich aus Afghanen rekrutieren. Zumindest
in den letzten sechs Monaten hat der Einsatz dieser Gruppen entlang der Grenze
viele Schwierigkeiten verursacht. Unsere Truppen sind daran beteiligt gewesen
und das Schlimme bei diesem Kampf war, daß am Salala-Checkpost 28 oder 24
pakistanische Soldaten umgebracht wurden; als Grund wurde angegeben, die
Taleban, die gegen die USA kämpften,
hätten auf die reguläre pakistanische Armee bzw. auf die NATO-Truppen
geschossen. So wird dieses Spiel gespielt und auf diese Tour kann man
inzwischen immer das, was man gemacht hat, damit rechtfertigen. Die Philosophie
heißt, die Atmosphäre so zu vergiften, daß man nicht mehr weiß, wer Freund und
wer Feind ist. Die Fachleute jedoch verstehen das gut, denn sie haben andere
Mittel, um herauszufinden, wer die ›Rogue
Groups‹ und wer die Taleban sind. So
gibt es in den Stammesgebieten eine ganz große ›Rogue Group‹, die TTP,
die Tehreek-e-Taleban Pakistan. Als wir vor zwei Jahren in Süd-Waziristan eine
Operation durchgeführt haben, haben wir lediglich gegen diese von uns
lokalisierte Gruppe gekämpft. Die übrigen Gruppen dort haben uns davon
überzeugt, daß sie nichts gegen Pakistan haben und sie nur diejenigen sind, die
mit den afghanischen Taleban kooperieren und wie auch immer versuchen, ihnen,
also den dortigen Widerstandskämpfern, Hilfe zu leisten. Diese Gruppen haben
wir an unserer Seite gehabt. Das hat gut geklappt, und sie haben sich auch
nicht in die Kämpfe eingemischt. Auf diese Weise wurde nach einer gewissen Zeit
klar, welche Gruppen bekämpft werden und welche nicht. Das Problem für die
andere Seite sind jedoch die Gruppen, die die Amerikaner nicht in Ruhe lassen:
genau die sollen getötet werden. Darin besteht natürlich das Problem, denn das
führt zu jener Lage, die ich beschrieben habe, nämlich die, daß zwischen
Pakistan und USA Krieg herrscht.
J. R.:
US-Präsident Obama kündigt den Abzug seiner Kampftruppen vom Hindukusch bis zum
Jahr 2014 an, zugleich aber spricht der britische Generalstabschef General Sir
David Richards davon, daß man sich auf eine Präsenz von 30 bis 40 Jahren
einstellen muß, während das Pentagon seine Militärbasen in Afghanistan
gleichzeitig mit Milliardenaufwand enorm ausbaut. Für wie aussichtsreich
schätzen Sie die Chancen der Angloamerikaner ein, sich auf Dauer erfolgreich in
dem Land festzusetzen?
A. M. D.: Den Krieg haben sie schon verloren, die NATO
hat den Krieg in Afghanistan verloren. Der sogenannte asymmetrische Krieg ist
so zu verstehen: Wenn die Taleban nicht vernichtet werden, haben sie gewonnen,
die Sicherheitskräfte dagegen haben verloren, wenn sie nicht gewinnen. Es ist
sehr nachvollziehbar, daß Henry Kissinger das schon so ähnlich formuliert hat.
Wie lange aber werden die Besatzer bleiben? Zunächst einmal sprechen wir jetzt
nicht mehr von einem Rückzug. Was bedeutet das Rückzugsdatum 2014? Nach 2014
bleiben mindestens drei große Stützpunkte. Man kann das daran erkennen, wie
diese konstruiert worden sind und wie sie weiter befestigt werden. Daher muß
man davon ausgehen, daß Bagram, Mazar-i-Sharif und Shindand, allesamt im
nicht-paschtunischen Teil Afghanistans gelegen, 2014 nicht geräumt werden.
Mittlerweile wurde auch schon offiziell zugegeben, daß dort nicht nur
Kampfflugzeuge und Drohnen, sondern auch Special Forces stationiert bleiben.
Das heißt, man kann faktisch nicht von einem Rückzug sprechen. Wenn sie aber
nicht abziehen, sind Gespräche und Vereinbarungen mit den Taleban gescheitert,
das kann man dann vergessen. Wenn die NATO jedoch ganz klar erklärt hätte, daß
sie im Zeitraum 2014 bis 2016 abzieht, dann wären die Taleban bereit gewesen,
mit den anderen Volksgruppen in Afghanistan zu verhandeln, um einen Konsens zu
erzielen. Denn ohne eine solche Einigung kann es in Afghanistan keine Ruhe,
keinen Frieden und keine Stabilität geben. Aber eine solche Strategie kann man
jetzt vergessen, und das heißt: der Krieg geht weiter. Die große Frage lautet:
wie lange, wer gibt als erster auf? Diesbezüglich gilt: Die Afghanen leben im
Land, sie können daher den Kampf, wenn auch vielleicht nicht für immer, so doch
noch für sehr lange Zeit durchhalten. Ein Taleban-Kommandeur sagte einmal: Ihr
Westler habt eure Uhren, aber wir Taleban haben Zeit. Historisch gesehen zeigen
das auch die jahrzehntelangen Kämpfe der Afghanen mit ihren Feinden und auch
untereinander. Daran erkennt man auch heute noch, daß die Widerstandskämpfer in
der Lage sein werden, den Kampf durchzuhalten. Dazu kommt, daß sie von den
Ländern in der Region, aktiv unterstützt werden: insbesondere von Pakistan, aber
auch vom Iran und von China, daran erkennt man, wo die Sympathien Chinas
liegen; ferner inzwischen auch von Rußland, entweder, um sich zu revanchieren
oder, um dort zukünftig Einfluß zu gewinnen; hinzu kommt Indien, allerdings mit
großem Fragezeichen, wobei sich freilich die Stimmung dort einigermaßen genau
einschätzen läßt. Wir alle sind dabei, um wenigstens
zu versuchen, Hilfe zu leisten, um den Aufenthalt der ausländischen Truppen in
Afghanistan langfristig zu beenden. Wenn wir zudem noch die politische und
wirtschaftliche Lage im Westen berücksichtigen, dann ist es nur eine Frage der
Zeit – und die haben die Taleban eben. Wie lange das aber ganz genau dauert,
kann ich nur schwer beurteilen.
J. R.:
Angesichts der Erfolge der afghanischen Widerständler kamen Überlegungen auf,
daß die internationalen Truppen sich auf der Grundlage eines Waffenstillstands
aus den besonders heftig umkämpften Gebieten im Osten und Süden zurückziehen
und sich auf die Sicherung des kooperationsbereiteren Westens und Nordens
Afghanistans, wo ja auch die erwähnten Militärbasen ausgebaut werden,
konzentrieren sollten. Was halten Sie von solchen Rückfall-Planungen, dem
sogenannten ›Plan B‹?
A. M. D.: Ja, von einer Teilung Afghanistans hat man
schon immer gehört und darüber Überlegungen angestellt, und die erwähnten
Militärstützpunkte tragen natürlich verstärkt dazu bei, daß die Frage offen
bleibt. Aber schauen wir uns einmal an, wie das die Afghanen selbst sehen. Alle
Afghanen – Paschtunen, Tadschiken, Hazaras, Usbeken – sagen schon immer, daß
sie in erster Linie Afghanen sind. Von einer Teilung wurde unter den Afghanen
kaum gesprochen. Das muß jedoch nicht immer so bleiben. Es ist durchaus
denkbar, daß irgendwann die Auffassung entsteht, daß das mit den Taleban zu
schwierig wird und man daher auf absehbare Zeit keine andere Wahl hat, als mit
dieser Situation zu leben – provisorisch, für ein paar Jahre oder Dekaden. Das
ist vorstellbar. Das Problem dabei besteht jedoch darin, daß es sich immer noch
nicht um eine Lage handeln würde, die man als stabil bezeichnen könnte. Solange
die fremden Truppen in Afghanistan stehen, egal in welchem Teil, würden auf
jeden Fall die Paschtunen, aber auch andere Afghanen, danach trachten, diesen das
Leben dort so schwer wie möglich zu machen und nicht kooperieren. Vielleicht
mag es einige geben, die kooperationsbereit wären, doch handelt es sich bei
solchen um diejenigen, die entweder die Taleban oder das Volk der Paschtunen
insgesamt hassen oder, viel wichtiger noch, sich von dieser Teilung resp. von
diesem NATO-unterstützten Arrangement Vorteile versprechen. Von denen hört man
überhaupt nichts über ein vereintes Afghanistan. Bei ihnen handelt es sich um diejenigen, die von einer
Teilung nur profitieren würden. Denn in einem vereinten und befreiten
Afghanistan stünden ganz andere Leute an der Spitze, nämlich solche, die im
Konsens dorthin gelangt und nicht durch Vereinbarungen wie in Bonn an die Macht
gebracht worden wären. Solange aber die fremden Militärstützpunkte in
Afghanistan bleiben, kann es keine Ruhe in Afghanistan geben und um Afghanistan
herum kann man Stabilität dann vergessen. Eine provisorische Teilung entlang
einer Linie zwischen Paschtunen und Nicht-Paschtunen wäre denkbar, die
Wahrscheinlichkeit erscheint mir allerdings gering. Aber selbst wenn diese Situation
einträte, sie bliebe äußerst labil.
J. R.: Gibt es
denn aus der Sicht Pakistans eine Aussicht für eine Friedensregelung in
Afghanistan, solange das Karsai-Regime und die Repräsentanten der ehemaligen
Nordallianz an der Macht sind oder ist eine Rückkehr der Paschtunen an die
Macht unabdingbar?
A. M. D.: Aus der Sicht Pakistans spielt es keine Rolle,
wer in Afghanistan an der Macht ist. Für diejenigen, die Afghanistan verstehen,
handelt es sich bei Karsai, den ehemaligen Angehörigen der Nordallianz, bei den
Hazaras und allen möglichen anderen allesamt um Afghanen und um unsere
Nachbarn. Ihnen ist bewußt, welche Rolle Pakistan für Afghanistan spielt. All
diese Leute haben viel Geld in Afghanistan, Geschäfte, historische Verbindungen,
Familien. Sogar an der usbekischen Grenze gibt es Leute, die, sofern sie es
sich leisten können, wenn etwas passiert, oder auch zur medizinischen
Behandlung, nach Peshawar kommen. Selbst wenn sie Usbeken sind, wechseln sie
nicht auf die usbekische Seite. Das heißt, egal, wer an der Macht ist,
tatsächlich oder auch symbolisch, was in Afghanistan üblicherweise der Fall
ist, gilt: Solange die Afghanen die Situation akzeptieren, hat auch Pakistan
keine Probleme, egal, ob es sich um einen König wie Zahir Shah, den damals alle
als König anerkannt hatten, oder heute um Karzai oder Dostum, oder sonst irgend
jemand handelt. In Pakistan weiß man zwar, daß in Afghanistan keine Stabilität
herrscht, dennoch braucht Afghanistan einen Modus vivendi mit Pakistan, denn
ohne einen solchen hätte es Probleme.
J. R.: Warum
ist Afghanistan für Pakistan so eminent wichtig?
A. M. D.: Zunächst einmal haben Unruhe und Instabilität
in Afghanistan Überfälle in Pakistan zur Folge. Obendrein kommen die
Flüchtlinge zu uns. Zudem leben auf beiden Seiten der Grenze dieselben Völker.
Wenn also dort etwas passiert, gehen unsere Leute, das heißt die Stammesleute,
nach Afghanistan. Das ist nur ein Faktor. Zweitens, wenn man, wobei die
Globalisierung wenig damit zu tun hat, heute die Lage im Iran und besonders in
Zentralasien analysiert, wo viele regionale und überregionale Mächte engagiert
sind, wo es um Rohstoffe und Einfluß geht, wo historische Beziehungen,
kulturelle und religiöse Faktoren eine Rolle spielen, wo China sehr aktiv
ist - wenn man also die Situation insgesamt
betrachtet, dann hat auch Pakistan dort eine kleine Rolle zu spielen und möchte
das auch. Selbst wenn man einem Land wie Pakistan, obwohl es nicht gerade klein
und unwichtig ist, diesbezüglich keine Bedeutung beimißt, sollte man bedenken,
was beispielsweise die Chinesen machen, etwa im Hinblick auf die Pipelines vom
Iran über Afghanistan. Wenn einmal der Hafen von Gwadar betriebsbereit sein
wird und von dort aus einmal die Pipelines sowie die Straßen und Verkehrswege
über den Hindukush mit dem Karakorum Highway nach China führen, dann wird das
in der Zukunft von großer Bedeutung sein. Wenn man also diese Gesamtsituation
berücksichtigt, versteht man auch, welche Bedeutung Afghanistan für Pakistan
besitzt. Und vergessen wir zuletzt auch nicht, daß - auch wenn die Beziehungen zwischen Indien
und Pakistan in den letzten paar Jahren, besonders jedoch in den letzten 5 bis
6 Monaten, viel besser geworden sind, besser als je vorher! - doch eine gewisse, auch historisch begründete
Rivalität existiert, aus der heraus wir miteinander in Afghanistan
konkurrieren. Wir haben einige Vorteile, sowohl unter geographischen als auch
unter ethnischen und religiösen Aspekten. Aber auch Indien hat viele Vorteile:
es ist ein großes Land, hat mehr Geld und auf Grund seiner Distanz wenig
historische Belastungen. Auch wenn man die Vorstellung von einem New Great Game
nicht übertreiben darf, so befindet sich doch Afghanistan schon unter einer
ganz normalen geopolitischen Perspektive in einer zentralen Lage: als ›Crossroad of History‹ wie Arnold Toynbee einst gesagt hat.
Das gilt besonders für Afghanistan, aber teilweise auch für Pakistan und andere
Länder.
J. R.: Wenn
man auf die Gründungsgeschichte Pakistans zurückblickt, dann gab es mehrere Kriege
zwischen Indien und Pakistan, Indien gilt quasi als Erzfeind Pakistans. Auch
wenn sich, wie Sie angemerkt haben, das Verhältnis zwischen beiden Ländern nun
verbessert hat, baut Indien doch seinen Einfluß in Afghanistan aus. In der
Wahrnehmung der pakistanischen Führung könnte dies, insbesondere in Anbetracht
des schwelenden Kashmir-Konflikts, als Versuch der Inder gedeutet werden,
sozusagen im Rücken Pakistans eine zweite Front im Westen aufzubauen. Ist dies
als eine reale Gefahr einzuschätzen und beeinflußt diese Entwicklung die
Politik Pakistans gegenüber Afghanistan oder messen Sie dem eher eine geringere
Bedeutung bei?
A. M. D.: Die Beziehungen zwischen den Nachbarn in der
Region gestalten sich teilweise schwierig, aber man kann mit Indien durchaus
sprechen. Daher gehen wir nicht davon aus, daß die Inder als sogenannte
Erzfeinde versuchen, uns in den Rücken zu schießen. Das haben die nie gemacht.
Als es 1962 Probleme zwischen Indien und China gegeben hat, wurde gesagt, das
wäre nun eine gute Gelegenheit für Pakistan, den Kashmir-Konflikt zu seinen Gunsten
zu lösen. Aber das hat man nicht getan. Während unserer beiden Kriege gegen
Indien 1965 und 1971 stand kein einziger pakistanischer Soldat an der
Westgrenze. Wir haben sogar die Grenztruppen von der Grenze zu Afghanistan nach
Osten verlegt, weil in der pakistanischen Führung keinerlei Besorgnisse
hinsichtlich der Westgrenze existierten und man alle verfügbaren Kräfte im
Osten brauchte. Seit 10 Jahren haben wir Probleme im Westen, wobei die Inder kein
einziges Mal versucht haben, die Lage auszunutzen. Das heißt, in der Region
denkt man anders, weil man nicht nur untereinander Probleme hat, sondern
insbesondere auch deshalb, weil fremde Mächte wie die USA dort ihre eigenen
Interessen verfolgen. Indien hat keine Hintergedanken, denn es weiß, egal, was
es tut, daß die Amerikaner irgendwann einmal weg sein werden. Und dann würde
man in der Region sagen: Die Inder sind die Leute, die, als Pakistan in
Schwierigkeiten war, dem Land in den Rücken fielen. Deshalb tun die das nicht.
Und daher nennen die Pakistanis, wenn sie gefragt werden, wer denn der einzige
Feind sei, derzeit Indien nicht mehr an erster, sondern vielleicht erst an
dritter oder vierter Stelle, zuallererst kommt die USA. Wir sind vielmehr der Auffassung,
daß die USA Indien als Gegenmacht zu China instrumentalisiert. Doch Indien ist
viel zu groß und zu klug, um sich auf dieses Spiel einzulassen, jedenfalls was
die Interessen der USA betrifft. Natürlich verfolgt Indien gegenüber dem
Konkurrenten China legitime eigene Interessen, aber nicht nach Maßgabe der USA.
Was ich damit sagen will: Wenn fremde Mächte glauben, daß sie die Afghanen, die
Iraner, die Pakistanis oder auch die Inder für ihre eigenen Zwecke ausnutzen
können, dann haben sie falsch gedacht.
J. R.: Wenn
ich Sie richtig verstanden habe, sind Sie also der Auffassung, daß Indien viel
eher an einer Friedensregelung mit Pakistan interessiert ist, als zu versuchen,
die Lage in Afghanistan auszunutzen, um Pakistan unter Druck zu setzen?
A. M. D.: In der Tat hat Indien meiner Einschätzung nach
schon seit 10 Jahren keinerlei Absicht mehr, Pakistan unter Druck zu setzen. Für
letzteres gibt es auch keinerlei Beweise. Vielleicht hat man dort erkannt, daß
die Auswirkungen, sollte Pakistan wegen eines Bürgerkrieges implodieren oder
auseinanderfallen, sehr gravierend wären, denn dann hätte Indien selbst eine
sehr instabile Situation an seiner Westgrenze. Und diese wiederum hätte ernste
Konsequenzen für Indien selbst, nicht allein im Hinblick auf die religiöse
Dimension, weil dort so viele Muslime leben.
J. R.:
Angesichts des globalen militärischen Interventionismus hat sich seit geraumer
Zeit die SCO, die Shanghai Cooperation Organization formiert, ein Zusammenschluß
Rußlands, Chinas und der zentralasiatischen Republiken, bei der auch der Iran,
Indien und Pakistan bereits einen offiziellen Beobachterstatus besitzen.
A. M. D.: Ja, Indien und Pakistan besitzen bei der SCO
Beobachterstatus und werden irgendwann, vielleicht schon in den nächsten Monaten,
reguläre Mitglieder werden und anschließend wird versucht, Afghanistan und
vielleicht auch dem NATO-Staat Türkei einen Beobachterstatus einzuräumen.
J. R.: Welche
strategische Bedeutung besitzt die SCO aus Ihrer Sicht, formiert sich da etwas,
was man als ›Brzezinskis Albtraum‹ apostrophieren könnte?
A. M. D.: Ja, in dem Sinne ja, denn die SCO hat sich nach
dem 11. September formiert, als die fremden Truppen schon in Afghanistan waren
und versuchten, von den zentralasiatischen Staaten Unterstützung zu erlangen,
und dort Militärstützpunkte einzurichten: zu dieser Zeit hörte man erstmals von
der SCO. Zum einen habe ich ungeachtet all jenem, was geschrieben wurde, die
Gründung der SCO so verstanden, daß sie der Bekämpfung des Terrorismus dienen
sollte. Zum anderen ging es in meinen Augen darum, in überschaubarer Zeit eine
Vereinigung zu bilden, die versucht, gegen die fremden Einflüsse etwas zu
unternehmen, damit die fremden Truppen abziehen, oder die zumindest
militärische Präsenz zeigt. Dabei ist es typisch, daß sich sowohl Rußland als auch China Zeit lassen und kein
Militärbündnis nach dem Muster NATO oder Warschauer Pakt gründen, nach dem
Motto: Jetzt führen wir in Zentralasien Krieg gegen die NATO. Wie sich das in der Zukunft weiter entwickeln
wird, bleibt abzuwarten. Für viel bedeutsamer noch als die SCO halte ich die
intensive Zusammenarbeit zwischen einzelnen Ländern, vor allem Rußland und
Pakistan, aber auch Iran und China, die auf unterschiedliche Weise versuchen,
das Ziel zu erreichen. In Istanbul konnten wir beobachten, wie diese Länder den
Plan der USA und der NATO, in Zentralasien ein Sicherheitsarrangement nach dem
Vorbild der OSZE zu schaffen, zum Scheitern brachten. Indien übrigens hat sich
in Istanbul zu den NATO-Vorschlägen nicht geäußert, nur aus Kabul kam ganz
verhaltener Beifall. Wenn man diese Entwicklung betrachtet, wird klar, in
welcher Richtung diese Länder und vielleicht auch die SCO weiter
zusammenarbeiten wollen.
J. R.: Sie
erwähnten ja bereits, daß demnächst auch Pakistan bei der SCO mit dabei sein
soll – heißt das, Pakistan verabschiedet sich endgültig als Alliierter der USA
und wechselt das Bündnis?
A. M. D.: Wie ich schon sagte, war Pakistan nie
Alliierter der USA, allenfalls in den ersten fünf, sechs Monaten nach dem 11.
September konnte davon die Rede sein, und da auch nur im Hinblick darauf, daß
wir logistische Hilfe leisteten und Stützpunkte bereitstellten, um das Regime
von Mullah Omar in Kabul zu stürzen. Im Zeitraum danach beruhte die
weitergehende Unterstützung seitens Pakistans auf der einsamen Entscheidung
Musharrafs. Zwar hat man in den folgenden Jahren stets von einer Allianz
gesprochen, doch haben sich beide Länder nicht wie Alliierte verhalten. Sie
haben keine miteinander abgestimmten Entscheidungen getroffen, keine
gemeinsamen Rules of Engagement beschlossen. Schon seit langem also ist
Pakistan nicht mehr mit der USA verbündet; im Gegenteil, man muß von einer
feindlichen Beziehung sprechen. Ja, Sie haben Recht, Pakistan befindet sich
jetzt in einem anderen Lager. Allerdings arbeitet dieses Lager nicht offen
gegen die USA und die NATO, sondern versucht deren Ziele mit
nicht-militärischen Mitteln zu durchkreuzen.
J. R.:
Pakistan ist seit langem mit der aufstrebenden Supermacht China verbündet, die
auch das pakistanische Nuklearprogramm unterstützt hat und sich immer stärker –
Stichwort Kupferminen von Aynak – auch in
Afghanistan engagiert. Trifft diese Politik in Pakistan auf uneingeschränkte
Zustimmung?
A. M. D.: Ich habe weder in Pakistan noch in anderen Ländern
der Region, auch nicht in Indien, etwas von Kritik an der chinesischen Politik
bemerkt. Rußland und China etwa kooperieren im Hinblick auf die geplanten
Pipelines in Zentralasien eng miteinander, neulich erst haben sie ein
milliardenschweres Projekt miteinander vereinbart. In Afghanistan hat China in
der Tat mit dem Kupferprojekt begonnen und auch Indien zeigt Interesse an den
dortigen Rohstoffvorkommen. Zu Konfrontationen hat das meines Wissens bislang
nicht geführt. Überhaupt ist es China gelungen, sich einen Status und eine
Position zu schaffen, in der es von anderen Staaten nicht beeinträchtigt wird,
auch nicht von der USA, wie sich dies z.B. am ungestörten Ölhandel mit dem Iran
zeigt. Auch von den Irritationen mit Indien im südchinesischen Meer hört man
nichts mehr. Aus verschiedenen Gründen unterstützt Pakistan nachdrücklich die
chinesische Politik, auch wenn Pakistan davon nicht nur Vorteile hat, was
beispielsweise die Überflutung der pakistanischen Märkte mit chinesischen
Billigprodukten angeht, wodurch die pakistanische Wirtschaft teilweise
erhebliche Einbußen erlitten hat.
J. R.: Sie
haben den Iran schon mehrfach erwähnt. Nun spitzt sich der Konflikt zwischen
Iran und dem Westen in der Atomfrage immer mehr zu. Wie stellt sich aus der
Sicht Pakistans die Möglichkeit dar, in Zukunft einen nuklear bewaffneten Staat
Iran als westlichen Nachbarn zu haben?
A. M. D.: Wir sehen das sehr gelassen. Es gibt viele
Nuklearmächte, nicht nur in der Region, sondern auch weltweit, und nicht alle
stehen Pakistan eben freundlich gegenüber. Das betrifft Indien, in jedem Fall
die USA sowie im multilateralen Kontext auch Frankreich und Großbritannien: warum
sollte uns also ein befreundetes Land an unserer Westgrenze, das Atomwaffen
besitzt, beunruhigen. In der Regel
betreiben Länder, sobald sie Nuklearmächte sind, eine vorsichtigere Politik,
wie es sich gerade am Beispiel Indiens und Pakistans zeigt. In Pakistan hat man
allerdings erstens die Sorge, daß es im Falle eines Angriffs von Seiten der
USA, von Seiten Europas oder insbesondere von Seiten Israels auf den Iran einen
großen Knall in der Region gäbe. Eine Destabilisierung der gesamten Region wäre
die Folge. Nicht nur der schiitische Bevölkerungsteil, sondern ganz Pakistan
wäre bereit, egal wo, an der Seite des Irans zu kämpfen. Zweitens würde im
Falle eines Krieges der Ölpreis durch die Decke gehen. Was würde, drittens, mit
den alliierten Truppen in Afghanistan geschehen? Während derzeit vor allem die
Afghanen selbst, von einigen Pakistanis unterstützt, kämpfen, befänden sich
dann alle im Kampf. Dies wären die Hauptsorgen, wenn mit militärischer Gewalt
gegen das potentielle Nuklearwaffenprogramm des Irans vorgegangen würde. Davon
abgesehen macht uns eine Handvoll Atomwaffen in iranischen Händen nicht
unglücklich. Wenn man zudem die iranische Zivilisation insgesamt betrachtet und
berücksichtigt, wie raffiniert die Iraner sind, bleibt festzuhalten, daß sie
sich, egal, wie sie sich in den letzten 10 oder 15 Jahren benommen haben mögen,
in den letzten 200 Jahren gegenüber ihren Nachbarn niemals aggressiv verhalten
haben. Zwar gab es den Krieg mit dem Irak, doch jeder weiß, daß dieser nicht vom
Iran begonnen wurde. Es mag sein, daß der Iran wegen der Schiiten im Irak
vielleicht bestimmte Interessen verfolgte und den Irak eventuell provoziert
hat, aber davon ist mir nichts bekannt. Insgesamt gesehen stellt der Iran
keinesfalls eine aggressive Macht dar und deshalb bleibt man in Pakistan auch
sehr gelassen.
J. R.: Es gibt
Hinweise darauf, daß es dem Iran schon in den neunziger Jahren gelungen ist,
mehrere nukleare Gefechtsköpfe aus Kasachstan zu beschaffen. Man weiß nicht
sehr viel darüber, allerdings besteht die Möglichkeit, daß ein potentieller
Krieg zwischen der USA, Israel und dem Iran auch mit nuklearen Waffen geführt
würde. Wie schätzen Sie die Gefahr eines solchen Szenarios ein?
A. M. D.: Die Wahrscheinlichkeit eines solchen halte ich
für sehr gering, denn verschiedene Gründe sprechen gegen einen nuklearen Krieg.
Zunächst einmal ist es gar nicht sicher, ob die Iraner tatsächlich über solche
Optionen verfügen. Außerdem steht bei der Erörterung von Angriffsszenarien der
Einsatz konventioneller Waffen im Vordergrund. Die konventionellen
Waffenarsenale der USA als auch Israels reichen völlig aus, um einen solchen
Angriff politisch und militärisch wirksam durchzuführen. Daher erscheint ein
Atomwaffeneinsatz in diesem Konflikt unwahrscheinlich.
J. R.: Gesetzt
den Fall, der Iran würde tatsächlich angegriffen, würde sich Pakistan dann
neutral verhalten oder würde es als Verbündeter an der Seite Irans eingreifen?
A. M. D.: Eine militärische Unterstützung des Nachbarn im
Krieg wäre schwierig, das bedürfte umfangreicher Vorbereitungen. Sicherlich
hätte man es in erster Linie mit Luftangriffen zu tun. Wenn sich der Iran nicht
selbst erfolgreich dagegen verteidigen könnte, was könnte dann Pakistan schon
zusätzlich leisten? Ein paar Luftabwehrraketen, wenn überhaupt? Also
militärisch könnten wir wohl nicht sehr viel tun. Politisch sieht das jedoch
ganz anders aus. Es gäbe sicherlich jede Menge freiwillige Kämpfer, Schiiten
ebenso wie Nicht-Schiiten, wobei Pakistan nichts gegen diese unternehmen würde, sondern sie in den Krieg
ziehen ließe. Was
würden die USA und Israel dann unternehmen: Luftangriffe auch auf
pakistanisches Territorium? Insgesamt erscheinen zwar die Risiken eines solchen
Konflikts als völlig unabsehbar, gleichwohl ist die Gefahr eines Krieges sehr
groß.
J.R.: Wir
nähern uns dem Ende unseres Gesprächs, gibt es aus Ihrer Sicht noch einen
wichtigen Punkt, den wir noch nicht erwähnt haben, aber ansprechen sollten?
A. M. D.: Sehr interessant für mich in den letzten Jahren
war, daß kaum jemand gedacht hätte, daß Rußland und Pakistan eine solche Achse
bilden würden. Rußland unterstützt Pakistan nicht nur politisch, sondern auch
wirtschaftlich. Aber auch im Hinblick auf Indien sind die Dinge in Bewegung
geraten. Zwar haben wir auch schon in der Vergangenheit viele Anläufe
unternommen, um die Beziehungen zu verbessern. Aber dieses Mal ist die Lage
anders: Pakistan hat den Meistbegünstigten-Status Indiens akzeptiert und
reagierte auch äußerst besonnen auf eine große Militärübung Indiens an seiner
Ostgrenze, obwohl es in der Vergangenheit in solchen Fällen immer großen Krach
geschlagen hat. Als es einen Zwischenfall mit einem Hubschrauber im
pakistanischen Teil Kashmirs gab, wurde dieser innerhalb weniger Stunden
geregelt. In Istanbul war Indien in diesem Jahr präsent, während Pakistan dies
noch im letzen Jahr verhindert hatte. Mit dem Iran arbeitet Pakistan eng gegen die
vermutlich von der USA unterstützte Terrorgruppe der Jundallah zusammen, die im
Iran Aufruhr stiften sollte. Auch haben sich die Beziehungen zwischen Indien
und dem Iran angenähert, was sich an der Kooperation bei dem geplanten
TAPI-Pipelineprojekt ablesen läßt. Es hat sich also die ganze politische
Atmosphäre in der Region maßgeblich verbessert. Zurückzuführen ist dies ganz
entscheidend auf das Verhalten der NATO in Afghanistan und die Politik der USA
dort. Letzteres hat nämlich dazu geführt, daß jetzt alle Länder in der Region
zusammenarbeiten, um mit allen Mitteln dafür zu sorgen, daß die NATO aus der
Region vertrieben wird, oder irgendwie davon überzeugt wird, ihre
Militärpräsenz dort aufzugeben.
Jürgen Rose: Herr General, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Quelle: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=18190 13. 9. 12
Der ehemalige General Pakistans, Asad M. Durrani, im
Interview mit Jürgen Rose, aus dem Dienst der Bundeswehr ausgeschiedener Oberstleutnant,
der in diesem Beitrag seine persönlichen Auffassungen darlegt. Rose ist seit
November 2006 Mitglied im Vorstand des Arbeitskreises ›Darmstädter Signal‹,
einer Organisation aktiver und ehemaliger Offiziere, Unteroffiziere und ziviler
Mitarbeiter der Bundeswehr, die sich der Friedensbewegung verbunden fühlen.
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