Die Türkei und die Frage eines EU-Beitritts

Infolge der Geschehnisse in der Ukraine ist das Thema Türkei eher in den Hintergrund gerückt.

Noch vor dem Besuch Erdogans Anfang Februar hatte Berthold Köhler in der Frankfurter Allgemeinen Zeitungfestgehalten, dass die Türkei, wie sie sich unter Erdogan präsentiert, den Europäern jedenfalls kein Vorbild sein kann. »Schon lange gebe es Zweifel am Zustand des türkischen Rechtsstaats und der Gewaltenteilung. Deren Berechtigung bestätigte Erdogan nun selbst, als er sagte, es habe im Dezember einen Angriff organisierter Strukturen in Polizei und Justiz auf die Demokratie und die Stabilität des Landes gegeben. Nach Darstellung der AKP existiert in der Türkei ein von der Gülen-Bewegung gebildeter Staat im Staate, der Teile des Justizapparats kontrolliere und diese in einem Kampf um die politische Macht gegen gewählte Politiker einsetze. Erdogans Regierung schlug zurück, indem sie Hunderte Ermittlungsbeamte und Staatsanwälte versetzte, die gegen Regierungsmitglieder und deren Angehörige wegen Korruptionsverdachts ermittelten. Erdogans Kritiker behaupten, diese Säuberungswellen dienten dazu, die Aufdeckung von Käuflichkeit und Vetternwirtschaft bis in die höchsten Kreise hinauf zu verhindern. Vermutlich sind beide Darstellungen nicht vollkommen falsch. In jedem Fall aber ist das Gesamtbild verheerend, das der türkische Staat unter Erdogan abgibt.«  [1]  Bei seinem Besuch hatte Erdogan deutlich um eine deutsche Unterstützung für den EU-Beitritt seines Landes geworben. Indessen war die Antwort, die er von Frau Merkel erhielt, kühl: Die Regierung betrachte die Verhandlungen nach wie vor als einen ergebnisoffenen Prozess; einer EU-Vollmitgliedschaft stehe sie weiterhin skeptisch gegenüber.

Hierzu ein Artikel von F. William Engdahl:  

Der wirkliche Korruptionsskandal in der Türkei  
Seit Dezember 2013 erlebt die Türkei eine Serie von Festnahmen. Der Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan von der AK-Partei wird Korruption vorgeworfen. Erdogan, bei all seinen Exzentrizitäten ein kampflustiger Politiker, kämpft zurück und erklärt, ausländische Mächte stünden hinter seinem heutigen Gegner, dem ehemaligen Imam Fetullah Gülen, den die US-Botschaft in Ankara als mächtigsten Mann der Türkei betrachtet. Was sich zurzeit in der Türkei abspielt, ist viel interessanter als ein normaler Bestechungsskandal. Es ist offene Kriegsführung, aber nicht für die Zukunft der Demokratie in der Türkei – davon gibt es kaum eine Spur.   Vielmehr ist es ein Stellvertreterkrieg zwischen Ost und West um die Zukunft eines  Schlüssellandes an der geopolitischen Wegscheide zwischen Asien, Europa und dem Nahen und Mittleren Osten. Der interne Konflikt in der Türkei besteht zwischen Justiz und Polizei auf der einen und Familienmitgliedern und Kumpanen Erdogans auf der anderen Seite. In Wirklichkeit ist es eine Art Stellvertreterkrieg zwischen einer Washingtoner Fraktion aus CIA und einem harten Kern von Dick-Cheney-Neokonservativen, deren Mann in der Türkei Fetullah Gülen ist. Diesem mächtigen Team gegenüber steht Erdogan, der entschlossen ist, zu überleben, und ein sich abzeichnendes Bündnis aus dem Iran, China und sogar Putins Rußland. Fetullah Gülen, dessen Bewegung sich über die gesamte Welt erstreckt, hat auch in Deutschland erheblichen Einfluß. Die renommierte deutsche Islamwissenschaftlerin Professor Ursula Spuler-Stegemann von der Universität Marburg nennt die Gülen-Bewegung die wichtigste und gefährlichste islamistische Bewegung in Deutschland. … Sie sind überall. Im Dezember 2013 verhaftete die türkische Polizei Süleyman Aslan, den Direktor der staatlichen Halkbank. Ihm wird vorgeworfen, ein 10 Milliarden Dollar schweres Geschäft Gold gegen Erdöl vermittelt zu haben. Tatsächlich sind es die Neokonservativen und ihre AIPAC-Lobby [American Israel Public Affairs Committee, amerikanisch-israelischer Ausschuß für öffentliche Angelegenheiten] im US-Kongreß, die sich darüber ereifern, daß Erdogan die US-Sanktionen gegen den Iran, die sie vor über einem Jahr im US-Kongreß durchgesetzt haben, umgeht. 

Erdogans Schachzug mit dem Iran und China 
Weit davon entfernt zu versuchen, sich vom Iran und den Geschäften der Halkbank zu distanzieren, hat Erdogan den Fehdehandschuh hingeworfen und ist nach Teheran gereist, um dort ein engeres strategisches Bündnis mit dem Iran zu schließen. Wie das türkische Fernsehen berichtete, verfolgte er mit dieser Reise die Absicht, die Handelsbeziehungen, insbesondere im Bereich Energie, zu stärken. In dem Fernsehbericht wurde erwähnt, Erdogan wolle die Spannungen in den türkisch-iranischen Beziehungen, die durch die türkische Unterstützung für die Angriffe auf Baschar al-Assad, den Alliierten des Irans, in den vergangenen zwei Jahren entstanden sind, beilegen. Nach seinen Gesprächen mit Chamenei und Präsident Rohani betonte Erdogan vor Pressevertretern: »Es ist offensichtlich, daß wir Rohöl und Erdgas aus dem Iran importieren. Es sind strategische Energiequellen und wir werden den Umfang dieser Importe erhöhen können.«  Rohani wird in den nächsten Monaten nach Ankara reisen. Der Iran war 2012 mit 16 Milliarden € der drittgrößte Handelspartner der Türkei, bevor die jüngsten US-Sanktionen den Handel mit Erdöl lahmlegten. Die dem israelischen Geheimdienst nahestehende Website Debkafile berichtet, der wahre Grund für Erdogans Gespräche in Teheran sei, »die Regierung Obama zu spalten, weil er eine US-Verschwörung vermutet, ihn durch Präsident Abdullah Gül zu ersetzen und durch  Korruptionsskandale, wonach Mitglieder seiner Familie über die staatliche türkische Halkbank in Geschäfte verwickelt seien, mit denen die Sanktionen unterlaufen würden, zu diskreditieren.« Die engeren Beziehungen zwischen Teheran und der Regierung Erdogan überschneiden sich mit einer engeren iranisch-russischen Kooperation. Am 17. Januar lud der iranische Präsident Rohani den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu einem Besuch nach Teheran ein. Putin: »Ich hoffe, Sie sehr bald in Teheran zu besuchen.« Die Annäherung zwischen Erdogan und dem Iran folgt auf eine wichtige Initiative zum Aufbau engerer Beziehungen mit China und der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO), bei der die Türkei Beobachterstatus genießt. Im Oktober 2013 verhandelte Erdogan mit dem chinesischen Rüstungskonzern China Precision Machinery Import and Export Corp [CPMIEC, chinesische Import- und Exportgesellschaft für Präzisionsgeräte] über den Kauf eines Langstrecken-Luft- und Raketenabwehr-Systems; Gebote russischer, US-amerikanischer und europäischer Firmen zogen den kürzeren. Vorausgegangen war ein Pekingbesuch im April 2012 – der erste eines türkischen Ministerpräsidenten in 27 Jahren –  bei dem Handelsverträge in Milliardenumfang unterzeichnet wurden. Darüber hinaus hat Erdogan die Vollmitgliedschaft in der SCO beantragt. 

Ausländische Verschwörung? 
Es scheint alles andere als übertrieben. Ende Dezember nahm Erdogan den Kampf gegen die aus dem Gülen-Lager erhobenen Korruptionsvorwürfe auf. Er entließ bestimmte Gülen-loyale Richter und ordnete Entlassungen bei der Polizei an. In den ersten Tagen der Bestechungsermittlungen berichtete der amerikanische Botschafter in Ankara, Francis Ricciardone, europäischen Diplomaten, sein Land habe die Türkei aufgefordert, die Beziehungen der Halkbank zum Iran zu kappen: »Wir haben ein Ende der finanziellen Verbindungen der Halkbank zum Iran gefordert. Aber sie haben nicht zugehört. Sie erleben den Kollaps eines Imperiums Türkei«, erklärte Ricciardone gegenüber der türkischen Zeitung Yeni ?afak. Am folgenden Tag drohte Erdogan bei einer  Wahlkampfveranstaltung vor Unterstützern mit der Ausweisung des US-Botschafters wegen Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Türkei. Später erschien in der Washington Post ein ungewöhnlicher Gastkommentar mit der Überschrift: Die Vereinigten Staaten müssen die Türkei auffordern, ihren Kurs zu ändern. Darin erklärten die drei Autoren: »Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zerstört die gefährdete Demokratie seines Landes.« Und weiter: »Erdogan versucht, seine Gegner zu vernichten, anstatt Kompromisse einzugehen.  Nachdem er den politischen Einfluß des Militärs beiseite geschoben hat, ging Erdogan gegen andere Machtzentren vor: Medien, Unternehmen, Unternehmer und die Zivilgesellschaft; jetzt sind die Gülenisten, eine starke, politisch effektive Gemeinschaft, an der Reihe.« Unterzeichnet war der Gastkommentar von Morton Abramowitz, Eric Edelman und Blaise Misztal. Abramowitz gilt als CIA-Agent, der US-Botschafter in der Türkei wurde. Daß sie die Gülenisten, eine starke, politisch effektive Gemeinschaft, erwähnen, ist kein Zufall. 1998 war Gülen vor der türkischen Militärregierung ins politische Exil geflohen, nachdem ihm wegen des Versuchs des Aufbaus eines islamisch-religiösen Staats in der Türkei Hochverrat vorgeworfen worden war. Er landete ausgerechnet in den Pocono-Bergen im US-Bundesstaat Pennsylvania auf einem abgelegenen Anwesen, das von Anhängern streng bewacht wird. 2008 schaffte es Gülen gegen den Einspruch von FBI, US-Außenministerium und US-Heimatschutzministerium, eine permanente Aufenthaltsgenehmigung, die berühmte Green Card, zu erhalten. Morton Abramowitz und Graham E. Fuller, der ehemalige CIA-Agent in Istanbul und Gülen-Unterstützer, hatten sich für ihn verwendet. Laut der ehemaligen FBI-Übersetzerin und Whistleblowerin Sibel Edmonds »gehört Abramowitz, ein bekannter Neokonservativer, Israel-Lobbyist, Agent von CIA und US-Außenministerium und Unterzeichner der Erklärung für ein Neues Amerikanisches Jahrhundert,  zu den wichtigsten Betreuern und Unterstützern von Fetullah Gülen«. Tatsächlich ist dieses Netz aus Abramowitz, CIA, Neokonservativen und Gülen genau das aus dem Ausland gesteuerte Netzwerk, dem Erdogan vorwirft, ihn aus dem Amt jagen zu wollen. Ein politischer Witzbold hat mir einmal gesagt: »Nur weil du paranoid bist, heißt das noch lange nicht, daß sie nicht hinter dir her sind..…« Erdogan verweist auf die Quelle der Destabilisierung, und seine neuen Feinde in Washington wissen das nur allzu gut. Seine Reaktion wird sein, sich an die erbitterten Gegner der Washingtoner Neokonservativen zu wenden. Das politische Drama in der Türkei ist ganz anders, als es in der Berichterstattung der westlichen Mainstream-Medien dargestellt wird, und es ist angesichts der laufenden grundlegenden Veränderung in den globalen Machtbeziehungen auch viel faszinierender. Erdogan ist offenkundig dabei, die Beziehungen zum Iran, zu Assads Syrien, zu Rußland und China zu stärken. Das sind genau die Mächte, die er noch vor zwei Jahren, als er Washington noch hörig war, wegen der Lage in Syrien scharf attackierte.  Die Politik schafft in der Tat manchmal seltsame Bettgenossen. Wenn Erdogan das Machtspiel der Gülen-US-Neokonservativen überlebt, könnten die Umrisse einer neuen Machtkonstellation Türkei-Iran-Syrien-Irak-Rußland-China erkennbar werden. Daraus könnte ein neues eurasisches Einflußzentrum entstehen, das sich der von Netanjahus Likud-Partei und Elementen der israelischen Geheimdienste unterstützten NATO-Kriegsfraktion widersetzt.  [2]   

 

[1]  http://www.faz.net/aktuell/politik/erdogan-in-deutschland-nicht-mit-dieser-tuerkei-12785161.html  4. 2. 14  Berthold Kohler  Nicht mit dieser Türkei  
[2]  http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/europa/f-william-engdahl/der-wirkliche-korruptionsskandal-in-der-tuerkei.html   4. 2. 14  
Der wirkliche Korruptionsskandal in der Türkei  -  VonF. William Engdahl