Warum braucht es eine Strategie für die Berggebiete und ländlichen Räume?

Theo Maissen, ehemaliger Präsident der SAB,

der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete, und Alt-Ständerat des Kantons Graubünden, reichte 2011 eine Motion zur Strategie des Bundes für die Berggebiete und ländlichen Räume ein, an der jetzt eine Arbeitsgruppe arbeitet, um zuhanden des Bundesrats entsprechende Vorschläge dieser Strategie zu konzipieren. In Artikel 2 der Bundesverfassung, erklärt Maissen, ist der Zweck der Schweizerischen Eidgenossenschaft definiert. Dabei wird in Absatz 2 festgelegt, dass der Bund die gemeinsame Wohlfahrt, die nachhaltige Entwicklung, den inneren Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt fördert. Wenn dieser Zweck nicht zur leeren Worthülse verkommen soll, bedarf es steter Anstrengungen, damit diese hehren Werte in der Realität nicht nur für Teile der Schweiz erkennbar sind. Diese Werte müssen auch für die Berggebiete und die ländlichen Räume, die im heutigen Wirtschaftsumfeld standortbedingt benachteiligt sind, ihre ungeteilte Gültigkeit haben. Damit diese Gebiete nicht zur Residualfunktion degradiert werden, bedarf es deshalb von Zeit zu Zeit intellektueller und politischer Anstrengungen zur Erarbeitung von Grundlagen für die künftigen Aktivitäten. Dies auf Grund der Überzeugung, dass die Schweiz als staatliche Gemeinschaft um Vieles ärmer wäre, wenn diese Regionen keine attraktive Lebens- und Wirtschaftsräume mehr wären. 

In dem nachfolgenden Interview erklärt der Alt-Ständerat, was die Beweggründe für die Lancierung der Motion waren und was er damit erreichen will.

Im Text Ihrer Motion (11.3927) steht unter anderem: Spätestens seit Inkrafttreten der neuen Regionalpolitik im Jahre 2008 hat die Regionalpolitik ihren integrativen Charakter weitgehend verloren. Sind Sie der Meinung, dass die Einführung der NRP zu einem Bruch in der Politik für die Berggebiete geführt hat? 

Rückblickend kann festgestellt werden, dass die auf der Basis eines gesamtwirtschaftlichen Entwicklungskonzeptes zu Beginn der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts installierte Regionalpolitik mehr war als nur ein technokratisches Vorhaben. Es war eine neue Politik mit einem staatsphilosophischen Hintergrund, indem ihr Inhalt nicht allein prosaische Entwicklungsziele umfasste, sondern auch methodische Vorgehensweisen postulierte, welche die für eine nachhaltig wirkende Entwicklungspolitik unabdingbaren Faktoren forderten und stützten. Zu erwähnen sind vorab die partizipativen und demokratisch legitimierten Arbeitsabläufe und die Initiierung der regionalen Zusammenarbeit. Mancherorts ist diese integrative Wirkung, das dadurch entwickelte Regionalbewusstsein sowie die Erfahrung mit den Erfolgen dank eines gemeinschaftlichen Handelns in den Bergregionen auf lange Sicht von entscheidenderer Bedeutung als die in Beton realisierten Werke. Die NRP wurde demgegenüber im wesentlichen auf klassische Instrumente und Methoden der Regionalökonomie reduziert.   

Ihre Motion wurde sowohl vom Ständerat (21 zu 2 Stimmen) wie auch im Nationalrat (einstimmig) angenommen. Wie erklären sie sich diesen Erfolg, obwohl die Unterstützung für die Berggebiete und ländlichen Räume im Allgemeinen geringer ist als auch schon? 

Diese erfreuliche Unterstützung zeugt von der eigenständigen Erarbeitung von einschlägigen Erkenntnissen der beiden Räte. Wie den Ratsberichten entnommen werden kann, haben sich die Kommissionen unbesehen der Beeinflussung durch den Bundesrat und Teilen der Verwaltung fundiert und kompetent mit den anstehenden Sachfragen auseinandergesetzt und sind in der Folge zu denselben Schlussfolgerungen gelangt wie die Motion. Als ehemaliges Mitglied des Parlamentes freut mich dies ausserordentlich.  

Wieso hat der Bundesrat Ihre Motion abgelehnt, obwohl er die Bedeutung einer koordinierten Ausgestaltung der verschiedenen Sektoralpolitiken anerkennt?  

Tatsächlich ist die Haltung des Bundesrates in dieser Frage erstaunlich. Denn seinerzeit hat Bundesrat Moritz Leuenberger im Ständerat die Entgegennahme einer solchen Motion zugesichert [Amtliches Bulletin SR vom 2. Juni 2010]. Des weiteren ist im Entwurf zum Raumkonzept Schweiz zu lesen [Seite 74]: »Er  – also der Bund –  entwickelt zusammen mit den Kantonen, Städten und Gemeinden eine Gesamtstrategie für die ländlichen Räume sowie eine Gesamtstrategie für den Alpenraum.« Es ist ja nicht so, dass der Bundesrat Konzepten und Strategien abgeneigt wäre. So wird zum xten Mal das sogenannte Wolfskonzept im Auftrag des Bundesrats mit erheblichen finanziellen Konsequenzen überarbeitet, damit die Wölfe weiterhin Schafe reissen und sich in unseren Bergtälern wohl fühlen können. Eine Strategie für die Sicherstellung günstiger Lebensumstände für die Menschen in den Berggebieten und in den ländlichen Räumen findet der gleiche Bundesrat hingegen als unnötig. Das ist erklärungsbedürftig. Möglicherweise ist der Bundesrat über die Bedeutung der Motion durch die Verwaltung sachlich nicht zutreffend beraten worden. 

Beabsichtigen Sie mit der Motion auf indirektem Weg eine Organisation zu schaffen, die mit der Tripartiten Agglomerationskonferenz (TAK) vergleichbar wäre, oder die Berggebiete und ländlichen Räume in die bereits bestehende TAK zu integrieren? 

Explizit ist diese bedeutende Frage der Zusammenarbeit mit der Motion nicht angesprochen. Die Erkenntnisse aus den bevorstehenden Strategiediskussionen können freilich die Bestrebungen unterstützen, eine Umwandlung der TAK in eine Tripartite Konferenz (TK) der Städte, Berggebiete sowie der ländlichen Räume vorzunehmen. Denn es stehen viele Themen und Probleme an, welche die Vertreter der urbanen und der ländlichen Räume zum Vorteil der Bewältigung gemeinsamer Anliegen miteinander bearbeiten sollten. Die SAB wäre für eine solche institutionelle Einbindung in eine erweiterte TK prädestiniert zur Wahrnehmung des Parts der Berggebiete und der ländlichen Räume.

 

Quelle: Montagna 4 / 2014 – die offizielle Zeitschrift der SAB für das Berggebiet 
Interview mit Vincent Gillioz, SAB, 3001 Bern
http://www.alpwirtschaft.ch/sav/montagna.html resp. http://www.sab.ch/Montagna.730.0.html