»Groß-Israel« und das »Verschwinden« von Palästina - Von Timothy Alexander Guzman

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu hat angekündigt,

Israel werde möglicherweise die West Bank annektieren, weil er dafür – wenn der Friedensprozeß scheitere – die Unterstützung beider Seiten des politischen Spektrums habe. Außerdem bestritt er entschieden, daß es irgendwelche Pläne für einen freiwilligen Rückzug aus den israelisch besetzten Gebieten der West Bank gebe. Einer Meldung der Jerusalem Post zufolge sagte Netanjahu in einem  Interview mit Bloomberg Views: »Die Idee, einseitige Schritte zu ergreifen, gewinnt von der linken Mitte bis zur rechten Mitte immer mehr Anhänger.« Im Dezember letzten Jahres hat Arutz Sheva, eine israelische Nachrichtenagentur, gemeldet, Wirtschaftsminister Naftali Bennett habe vorgeschlagen, Israel solle Schlüsselregionen wie Judäa im Süden der West Bank und Samaria im Norden der West Bank annektieren; Israel hat den beiden Regionen biblische Namen gegeben, um seinen Anspruch auf die West Bank religiös begründen zu können. Weil dort die Juden dominieren, sollten diese Gebiete unter die Kontrolle der israelischen Streitkräfte gestellt werden. Benett erklärte: »Ich fordere den Anschluß dieser Regionen an Israel, weil in Judäa und Samaria 400.000 Juden, aber nur 70.000 Araber leben.« Die israelische Regierung könnte die insgesamt nur 70.000 Araber in andere arabische Staaten ausweisen, würde damit aber ein neues Flüchtlingsproblem schaffen. Die Idee der israelischen Regierung, sie könnte bestimmte Gebiete der West Bank einfach annektieren, weil die Bevölkerung dort bereits überwiegend aus Juden besteht, ist absurd. Der Bericht in der Jerusalem Post über Netanjahus Bemerkung, er schließe einen freiwilligen  Rückzug aus, nimmt Bezug auf eine Idee der [israelischen] Linken, die damit die Palästinensische Autonomiebehörde beruhigen wollte: »Viele Israelis fragen sich, ob gewisse einseitige Schritte [Israels] nicht sinnvoll sein könnten«, sagte Netanjahu. Die von israelischen Linken entwickelte einseitige Option, Teile der West Bank aufzugeben [und sie den Palästinensern zu überlassen], lehne er aber ab. Er erklärte, als sich Israel 2005 aus dem Gaza-Streifen zurückgezogen habe, um mit dieser einseitigen Maßnahme den eingefrorenen Friedensprozeß wieder in Gang zu setzen, habe das nur die Angriffe terroristischer Gruppen auf Israel verstärkt und keinen Frieden gebracht. »Auch die israelische Bevölkerung hat erkannt, daß der einseitige Rückzug aus Gaza die Situation nicht verbessert und keinen Frieden gebracht hat. Damals ist nur Hamastan, ein Kleinstaat der Hamas entstanden [1], und zum Dank hat die Hamas Tausende von Raketen auf unsere Städte abgefeuert«, ergänzte Netanjahu. Der Premierminister sprach auch über die Zwei-Staaten-Lösung und die Beziehung des Irans zu den Palästinensern; er sagte: »Erstens besteht Einigkeit darüber, daß wir keinen Staat mit zwei Nationalitäten wollen. Außerdem sind wir uns einig, daß wir keinen iranischen Marionettenstaat auf einem Territorium haben möchten, das wir räumen.« Netanjahu lehnt die Zwei-Staaten-Lösung ab, strebt einen einheitlichen jüdischen Staat an und will sich wegen der angeblichen iranischen Bedrohung auch nicht von der West Bank zurückziehen. Er fügte hinzu: »Wir wollen einen entmilitarisierten palästinensischen Staat, der einen jüdischen Nationalstaat anerkennt. Wie sollen wir den erreichen, wenn er durch Verhandlungen nicht zu erreichen ist? Die Palästinenser wollen Israel nicht als jüdischen Nationalstaat anerkennen, und ich weiß auch nicht, ob sie bereit sind, sich auf eine fortschreitende Entmilitarisierung einzulassen, auf der wir bestehen müssen.« Bisher hat es keine Fortschritte in dem Friedensprozeß zwischen den Israelis und den Palästinensern gegeben, weil die Palästinenser beschlossen haben, Israel niemals als jüdischen Staat anzuerkennen. Wenn sie das täten, würden sie damit gleichzeitig anerkennen, daß ihre  Anwesenheit in Palästina illegitim ist, und damit der Auffassung Israels zustimmen, daß nur Juden das Recht haben, in Palästina zu leben. Der jüdische Staatßte ihnen dann erlauben, weiter in Palästina zu leben, weil sie kein angeborenes Recht mehr dazu hätten. 

Es wäre also ein politisches Desaster für die Palästinenser, der israelischen Forderung [nach Anerkennung eines jüdischen Nationalstaates] nachzugeben. Wenn die Palästinenser zuließen, daß ihnen ein jüdischer Staat übergestülpt würde, wäre das mit großen Risiken für sie verbunden. Netanjahu besteht noch immer darauf, zu seinen Bedingungen Frieden zu schließen, aber die Palästinenser werden sich nicht darauf einlassen. Netanjahu gibt sogar zu: »Die Minimalforderungen, auf denen jede israelische Regierung bestehen muß, können von den Palästinensern nicht akzeptiert werden.« Die Netanjahu-Regierung sei auch nicht glücklich darüber, daß sich die Palästinensische Autonomiebehörde dazu entschlossen habe, die Hamas in eine einheitliche Palästinenser-Regierung, die künftig mit Israel verhandeln soll, einzubeziehen. Dazu sagte Netanjahu: »Warum wird immer nur Israel kritisiert? Wie soll eine Verhandlungslösung zustande kommen, wenn Fatah-Chef Abbas jetzt die Hamas umarmt? Das ist doch äußerst unwahrscheinlich. ……« Netanjahu fuhr fort: »Die Übereinstimmung darüber, daß wir keinen Partner [auf Seiten der Palästinenser] haben, der eine geschlossene Anhängerschaft hinter sich hat und unpopuläre schwierige Dinge regeln kann, wächst. Abbas hat bisher nichts getan, um die bestehenden Forderungen der Palästinenser zu modifizieren. Tatsächlich tut er das genaue Gegenteil: Er versöhnt sich mit der Hamas und internationalisiert den Konflikt [mit Israel]; beim Rückkehrrecht der Palästinenser gibt er kein Jota nach und auch nicht bei dem von Israel geforderten jüdischen Nationalstaat. Er geht überhaupt nicht auf die Vorschläge von US-Außenminister Kerry ein.« [2]  

Dem Artikel Greater Israel: The Zionist Plan for the Middle East [Groß-Israel: Der zionistische Plan für den Mittleren Osten]  von Israel Shahak  [3]  ist zu entnehmen, daß sich Israel weiter in das Gebiet der Palästinenser und in andere Länder im Mittleren Osten hinein ausdehnen will. Dieses zionistische Projekt unterstützt die jüdische Siedlungspolitik, propagiert die Ausweisung der Palästinenser aus Palästina und die Annexion der West Bank und des Gaza-Streifens durch den Staat Israel. Zu Israel sollen auch eine Reihe von Marionettenstaaten gehören, für die Teile des Libanons, Jordaniens, Syriens, die (ägyptische) Sinai-Halbinsel und Teile des Iraks und Saudi-Arabiens annektiert werden sollen. Palästina ist bereits zu großen Teilen von der Landkarte verschwunden. Weitere Annexionen der israelischen Regierung würden international mißbilligt und zu einem totalen Ansehensverlust für Israel führen. Bereits die Annexion weiterer Gebiete auf der West Bank könnte einen neuen Konflikt auslösen. In einem Kommentar, den Gershon Baskin für die Jerusalem Post verfaßt hat, werden die Konsequenzen beschrieben, die Israel aus der Annexion bestimmter Gebiete auf der West Bank erwachsen würden: »Die Annexion weiterer Gebiete würde nicht nur den Zorn der ganzen Welt erregen und die Palästinenser in ihrem Nationalismus bestärken; wenn sie keine politische Unterstützung in ihrem Kampf fänden, würden sie die Gewalt gegen Israel massiv verstärken, und wir würden ihre Wut und ihre Verzweiflung ganz sicher noch mehr zu spüren bekommen. Die Absicht der  israelischen Regierung, sich zusätzliches Land gewaltsam anzueignen, würde die Beziehungen zu den Palästinensern und ihren arabischen Nachbarn weiter verschlechtern und in absehbarer Zukunft ganz sicher keinen Frieden bringen.«

Soweit der Artikel von Guzman. Man sollte sich in diesem Zusammenhang noch einmal den Wortlaut der Balfour Declaration vom November 2017 vor Augen halten, um sie mit dem Stand der Dinge zu vergleichen: »Die Regierung seiner Majestät [George V] betrachtet die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina mit Wohlwollen und wird sich nach besten Kräften darum bemühen, das Erreichen dieses Ziels zu erleichtern, wobei es klar ist, daß nichts erfolgen soll, was den zivilen und religiösen Rechten der existierenden nicht-jüdischen Gemeinden in Palästina oder den Rechten und dem politischen Status, deren sich Juden in irgendeinem anderen Land erfreuen, zum Nachteil gereichen könnte.« Israel hat den Ausbau seiner Siedlungen im Westjordanland offiziellen Angaben zufolge im Jahr 2013 mehr als verdoppelt. 2013 sei mit dem Bau von 2534 neuen Wohneinheiten begonnen worden, ein Anstieg von 123 % im Vergleich zum Vorjahr; 2011 war die Anzahl gewalttätiger Übergriffe israelischer Siedler auf Palästinenser laut UNO im Vergleich zu 2010 um 50 % gestiegen, verglichen mit 2009 sogar um 160 %. [4]  Hinzu kommt die Zerstörung von Wasserzugängen. So hatte Israel laut NZZ vom 27.  9. 11 seit Jahresbeginn 2011 mindestens 20 Zisternen und 12 Brunnen zerstört, was Folgen für den Wasserzugang von Zehntausender Palästinenser hat. Die Zerstörung von landwirtschaftlichen Gebäuden verschärfe zudem die Ernährungsunsicherheit der Palästinenser im Westjordanland. 

Der bekannte Autor John Pilger hatte sich zu Beginn des Jahres 2010 in der Berliner Umschau  [4]  u.a. wie folgt geäußert: Willkommen in Orwells Welt - Das ist die Theorie. Diese funktionierte in Jugoslawien, wo die Aufsplitterung nach ethnisch-religiösen Kriterien eine vormals friedliche Gesellschaft auslöschte, sie funktionierte allerdings nicht in Vietnam, wo das CIA-Programm der strategischen Dörfer die Bevölkerung des Südens einzäunen und trennen sollte, um den Vietcong zu besiegen; Vietcong war der von den Amerikanern dem Widerstand übergestülpte Überbegriff, ähnlich wie auch der der Taliban. Hinter vielen dieser Dinge stecken die Israelis, die schon lange die Amerikaner bei den Abenteuern im Irak und in Afghanistan beraten haben. Ethnische Säuberungen, Mauerbau, Kontrollpunkte, Kollektivstrafen und dauernde Überwachung, sie laufen unter israelische Innovationen, die sich beim Diebstahl eines großen Teils des palästinensischen Territoriums von seinen ursprünglichen Bewohnern als erfolgreich erwiesen haben. Doch ungeachtet aller ihrer Leiden konnten die Palästinenser nicht unwiderruflich gespalten werden und bestehen entgegen aller Erwartungen weiterhin als Nation.  

 

 

Quelle:  http://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_13/LP09114_060614.pdf  6. 6. 14   Friedenspolitische Mitteilungen aus der US-Militärregion Kaiserslautern/Ramstein LP 091/14,  denen auch die Übersetzung ins Deutsche zu verdanken ist. Originalartikel auf:  http://www.globalresearch.ca/greater-israel-and-the-disappearance-of-palestine-israel-is-considering-the-annexation-of-the-west-bank-territories/5383702  24. 5. 14  
Greater Israel and The Disappearance of Palestine: Israel is Considering the Annexation of the West Bank Territories  -  by By Timothy Alexander Guzman

[1]  http://de.wikipedia.org/wiki/Hamas  
[2]  siehe dazu auch http://www.bbc.com/news/world-middle-east-27414554
[3]  http://www.globalresearch.ca/greater-israel-the-zionist-plan-for-the-middle-east/5324815  June 13, 2014  “Greater Israel”: The Zionist Plan for the Middle East - The Infamous "Oded Yinon Plan" by  Israel Shahak - Introduction by Michel Chossudovsky 
[4]  Siehe hierzu
http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1928   1. 4. 2012 
Palästina - Der »Tag des Bodens«
 und    
http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1390   19. 12. 09  »Es ist schlimmer denn je« Der Publizist Alfred Grosser über israelische Siedlungspolitik, den Zentralrat der Juden in Deutschland und das Gedenken an den Holocaust. Das Gespräch mit Professor Grosser führte Alexander Marguier 
[5]  http://www.berlinerumschau.com/index.php?set_language=de&cccpage=04012010ArtikelPolitikAK4. 1. 2010   Willkommen in Orwells Welt - Von John Pilger