Streit um Jean-Claude Juncker

d.a. Dieser zieht sich ganz offensichtlich in die Länge. Englands Premier David Cameron

hatte beim EU-Gipfel am  27. 5. sogar mit einem Austritt seines Landes aus der EU gedroht, sollte Juncker Kommissionschef werden; gleichzeitig hatte er deutlich gemacht, dass ein solches Ergebnis seine Regierung derart destabilisieren könnte, dass ein Austrittsreferendum vorgezogen werden müsste. Und bei einem solchen, steht zu fürchten, ergäbe sich mit grosser Wahrscheinlichkeit ein Nein der Briten zum Verbleib in der EU. »Ein Gesicht der achtziger Jahre«, so Cameron, »kann nicht die Probleme der nächsten fünf Jahre lösen.« Was hierunter konkret zu verstehen ist, hat der deutsche Publizist und Sachbuchautor Dr. Werner Rügemer, der Juncker einen gnadenlosen Opportunisten nennt, in dessen unvergleichlich aufschlussreichem Portrait zusammengefasst, das wir in unserem Aufsatz Die Europawahl 2014 auszugsweise wiedergegeben haben.  [1]  Juncker, der 18 Jahre lang Premierminister von Luxemburg war, hatte auch den, man kann ruhig sagen, umstrittenen Maastricht-Vertrag entscheidend mit ausgearbeitet. Auch wenn, wie Rügemer ausführt, »Luxemburg mit Junckers stiller Hilfe zur größten Finanzoase in Europa wurde, global gesehen die zweitgrößte nach dem US-Ministaat Delaware und weit vor den Cayman Islands, so hinterliess dieser nach seiner Abwahl als Premierminister dennoch ein Defizit in Millionenhöhe, so dass das kleine Land nun 230 Millionen Euro einsparen muß, um das derzeitige Haushaltsdefizit von 545 Millionen Euro zu reduzieren.« »Am Bruttoinlandsprodukt gemessen«, vermerken hierzu die Deutschen Wirtschafts Nachrichten, »gilt Luxemburg zwar als reichstes Land der EU. Doch das verdankt das Land der starken Finanzindustrie, die sich nur deshalb dort ansiedelte, weil sie dort so geringe Steuersätze genießt. Dementsprechend klamm sind die Kassen des Staatshaushaltes, der von der Finanzindustrie nur statistisch profitiert. Denn trotz seines Reichtums ist Luxemburg Nettoempfänger in der EU.« Bedenkt man die Steuerhatz auf den Bürger, ein geradezu unglaublicher Tatbestand; noch weitaus unglaublicher allerdings ist der Fakt, dass sich kaum einer der Politspitzen je an Gegebenheiten dieser Art stören würde. 

Gerhard Wisnewski [2] bezeichnete Juncker Anfang dieses Jahres als »einen ganz alten Hasen und als die große Spinne im Netz der europäischen Nomenklatura. Wenn man jemanden als europäischen, ja globalen Insider bezeichnen kann, dann wohl ihn. Als Karlspreisträger hat er höchste europäische Weihen erhalten und gehört zur obersten Elite der europäischen Zirkel. Damit ist er auch eine zentrale Figur des internationalen diplomatischen Parketts und kungelte mit sämtlichen Mächtigen dieser Welt.« Wie Wisnewski des weiteren darlegt, ist Junckers Neujahrsansprache, die dieser am 7. Januar 2013 vor der luxemburgischen Presse hielt, also zwei Wochen vor seinem Abtritt als Euro-Gruppen-Chef am 21. Januar 14, an unseren Medien interessanterweise glatt vorbei gegangen. Bemüht man die Google News, findet man keine einzige Fundstelle in den Mainstreammedien – was eigentlich nur eine Deutung zulässt: Die Rede wurde totgeschwiegen. In dieser hält Juncker fest, dass »er überrascht sei, daß man sich in der Luxemburger Publizistik mit der Bedeutung des Jahres 1913 und mit dem, was seither geschehen ist, nicht mehr beschäftigt hat. Ein Jahr, in dem die Menschen meinten, der Friede sei für ewige Zeiten gesichert. So finde man in der Literatur des Jahres 1913 eine Friedensgläubigkeit, die unbändig war. Und die in keinerlei Hinsicht den Sturm verraten hat, der bereits im Jahr 1914 über Europa hereingebrochen ist – zunächst im Ersten und dann im Zweiten Weltkrieg. Ja, das Jahr 1913 weise unendlich viele Parallelen zum Jahr 2013 auf. Oder das Jahr 2013 zeigt unendlich viele Parallelen zum Jahr 1913.« »Weiß der scheidende Euro-Gruppen-Boss etwas«, fragt Wisnewski, »das wir nicht wissen? Hängt es vielleicht mit der Schulden- und Wirtschaftskrise zusammen und damit, daß derartige Probleme bisher immer mit einem Krieg einhergingen? Denn die Währungs- und Schuldenprobleme der Union dürften dem obersten Euro-Chef vertraut sein wie sonst niemandem. Und wenn sich Wirtschafts- und Schuldenkrisen nicht anders lösen ließen, war ein Krieg bisher noch immer die letzte Option.«

Juncker oder nicht Juncker?  -   Europa ist mehr als der Euro
Und mehr als die Europäische Union! Ein
weiter so darf es nicht geben! »Soviel Verblendung war selten«, kommentiert Holger Steltzner die Wahl zum Europaparlament in faz.net. »Wie wäre es, wenn die Berufseuropäer für einen Moment das Wahlergebnis als das zur Kenntnis nähmen, was es ist? Eine dramatische Warnung vor dem, was Europas Elite dem EU-Bürger wieder verordnen möchte……«  Also weiter wie bisher? Aber Schönreden hilft nicht mehr. Und ob es helfen wird, weiter auf Jean-Claude Juncker als neuem EU-Präsidenten zu bestehen, das ist längst nicht ausgemacht. Der Mann ist ein Politiker von gestern, auch er hat – in einer Spitzenposition – das Desaster zu verantworten, unter dem die Bürger Europas heute leiden.

Juncker ist der Inbegriff des Eurokraten 
Juncker hat mit seinen Aussagen oft genug seine Verachtung gegenüber den Wählern artikuliert. Hier seine wohl bekanntesten Sprüche: »Nichts sollte in der Öffentlichkeit geschehen. Wir sollten in der Euro-Gruppe im Geheimen diskutieren. Die Dinge müssen geheim und im Dunkeln getan werden. Wenn es ernst wird, müssen wir lügen.« »Wir beschließen etwas, stellen es dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter, Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.« Ausgerechnet ein Mann mit dieser Einstellung will nun EU-Präsident werden! Ein Mann, der an einem Europa der Illusionen, Versprechungen und Rechtsbeugungen gearbeitet hat, der uns Milliarden-Risiken aufgebürdet hat. Schämt er sich nicht? Zeigt er etwa Reue? Auf eine Entschuldigung werden wir vergeblich warten können…… Nein, Herr Juncker. Sie können kein EU-Präsident werden. Sie wären untragbar. Auch Martin Schulz, dem der Begriff des häßlichen Deutschen anhängt, kann es nicht. Sie beide stehen für das Europa von gestern. Sie beide haben versagt. Hans Heckel schreibt in der Preußischen Allgemeinen Zeitung: »Junckers Europa ist eines, das man hinter dem Rücken und auch gegen den Willen der Völker herbeimogelt. Er will den europäischen Superstaat, den er über eine Art schleichenden Staatsstreich zu erreichen trachtet, auf daß die Völker jeden neuen Stand der Integrationimmer erst dann bemerken, wenn sie ihn nicht mehr rückgängig machen können. Wer so vorgeht, der vernichtet die Idee der europäischen Einheit, die nur gedeihen kann, wenn sie dem freien Willensakt der Völker entspringt, nicht ihrer Überlistung.«

Auf keinen Fall Juncker!  
Europa braucht an seiner Spitze ein neues, ein unverbrauchtes frisches Gesicht. Der Europäische Rat sollte einen Osteuropäer zum Kommissionspräsidenten nominieren, schlägt Alexander Gauland für die Alternative für Deutschland vor. Wirtschaftlich und politisch liegt in den nächsten Jahren ein massiver Handlungsbedarf in Osteuropa vor. Angesichts der krisenhaften Entwicklung am östlichen Rand der EU darf kein Zweifel aufkommen, daß die osteuropäischen Staaten Teil der EU und Teil der westlichen Wertegemeinschaft sind und bleiben. Die EU muß die wirtschaftliche Entwicklung und politische Integration ihrer östlichen Mitgliedstaaten energisch vorantreiben und deren Sicherheit gewährleisten. Dazu ist ein angeschlagener Politiker, dem die Unterstützung wesentlicher Mitgliedstaaten fehlt, gar nicht in der Lage.

Prof. Dr. Rainer Gladisch und Lutz Radtke
Initiative Deutschland jetzt  -  6. Juni 2014

 

Neueren Meldungen zufolge hat Cameron zwar an Irland, Frankreich und Deutschland appelliert, sich für einen Kandidaten zu verwenden, der die Art und Weise, wie Brüssel funktioniert, d.h. wie dort die Politik gemacht wird, ändert, erlitt jedoch insofern einen Rückschlag, als sich linke und rechte Gruppen im EP zusammengeschlossen haben, um Juncker, den Spitzenkandidaten der europäischen Christdemokraten und Christsozialen  [EVP], die bei der Europawahl am 25. Mai die stärkste Kraft im Parlament geworden sind, weiterhin zu unterstützen. Dem  Fraktionsvorsitzenden der EVP, Manfred Weber zufolge ist für Juncker auf allen Ebenen ein zunehmender Rückhalt zu verzeichnen. Die Wahl eines anderen Kandidaten würde laut Weber eine konstitutionelle Kriseauslösen. Laut ihm ist die EU, wie es in den Verträgen steht, auf eine immer engere Union der europäischen Völker angelegt. »Das ist für uns nicht verhandelbar. Wir können nicht die Seele Europas verkaufen.« So hat Weber auch Camerons Ansinnen, nationale Parlamente sollten europäische Gesetze stoppen können, widersprochen und sich hinsichtlich des vielfach ausgesprochenen Wunsches, die Mitgliedstaaten müssten wieder mehr entscheiden, reserviert geäussert. Indessen räumt er immerhin ein, »dass das Zusammenleben richtig gestaltet werden müsse.« Gerade hier liegt für zahlreiche Beobachter, die den Mangel an Demokratie verfolgen, vieles im Argen.

Für Cameron geht es bei der Frage nach der Besetzung des Amtes zudem um die Notwendigkeit, sich an die Regeln zu halten  - die sich Brüssel ja nicht scheut, im Bedarfsfall ohne grösseres Zögern zu ändern -  sowie um das richtige Verhältnis zwischen den europäischen Nationalstaaten und den Institutionen der EU. Einer der Gründe, die Cameron dazu veranlasst haben, Juncker abzulehnen, liegt auch darin, dass ihm der Ex-Chef der Eurogruppe als zu integrationsfreundlich gilt. So hatte Cameron im März gefordert, das Ziel der fortschreitenden Integration aus den Verträgen zu streichen. Wie Cameron ferner betont hat, müsse der Kommissionspräsident akzeptieren, »dass die Dinge in Europa manchmal am besten auf nationaler Ebene geregelt werden.« Gerade letzteres liegt nicht im Sinne Brüssels, verfolgt man die Aussagen hinsichtlich der Forderung, weitere Souveränitätsrechte an Brüssel abzutreten. Derzeit, so Cameron, stehe die Zukunft der EU auf dem Spiel. »Entweder sie reformiert sich, oder es geht weiter abwärts mit ihr.« Grossbritanniens Position dabei sei klar: »Wir wünschen uns, daß die Union Erfolg hat.«

Das Tauziehen produziert unausgesetzt Für und Wider. So warnte Thomas Oppermann, der Fraktionschef der SPD, Merkel, die von Anfang an für Juncker eingetreten ist, diesen als Kandidaten fallenzulassen. Hingegen ging nach den Briten und den Ungarn auch Italiens sozialdemokratischer  Premier Matteo Renzi auf Distanz zu Juncker und hat eine rasche Ernennung Junckers in Frage gestellt. »Juncker ist ein Name für die Kommission, aber er ist nicht der Name«, sagte Renzi am 1. 6. im norditalienischen Trento; der langjährige Eurogruppen-Chef sei nicht der einzige Kandidat und habe kein automatisches Recht auf den EU-Spitzenposten. Am Donnerstag, 12. 6., haben nun die Sondierungsgespräche zwischen EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und den politischen Parteien im Europaparlament sowie in den nationalen Hauptstädten begonnen. Er ist von den 28 Staats- und Regierungschefs, die das Vorschlagsrecht für den Kommissionsvorsitz besitzen, dazu beauftragt, sowohl geeignete Personen für die zu besetzenden Spitzenjobs als auch die wichtigsten Inhalte für die Europapolitik der kommenden fünf Jahre zu sondieren. 

Abschliessend Worte von Jürgen Habermas. Dieser hat sich am 13. Juni für eine Gleichberechtigung zwischen dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat ausgesprochen. »Im aktuellen Konflikt um die Besetzung des Kommissionspräsidenten rächt es sich, daß wir kein System von selbstbewußt handelnden europäischen Parteien haben«, sagte Habermas dem Kölner Stadt-Anzeiger vom 14. 6. 14. Angesichts der Machtfülle des Europäischen Rats beklagte der Philosoph ein »zum Himmel schreiendes demokratisches Defizit« innerhalb der Europäischen Union.  [3]

   

[1]  http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2268  12. 5. 14 
Den ungekürzten Originalartikel finden Sie auf
http://www.jungewelt.de/2014/05-08/042.php
  8. 5. 14 
Meister der Hintertreppe  -  Von Werner Rügemer

[2]   http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/deutschland/gerhard-wisnewski/1913-2-13-scheidender-euro-gruppen-chef-juncker-warnt-vor-krieg.html;jsessionid=703B116D2D948175EDF70DC9B3A87AC7   25. 1. 13

[3]  http://www.berliner-umschau.de/news.php?id=33962&title=Philosoph+Habermas+f%FCr+%C4nderung+der+EU-Vertr%E4ge&storyid=1402685479467    13. 6. 14