Krieg um den Ölpreis 20.11.2014 21:14
Wie Präsident Putin Mitte Oktober der russischen Agentur Tass gegenüber erklärte,
stelle
sich Russland auf einen ›katastrophalen‹ Verfall des Ölpreises ein, da ein
solches Szenarium im Bereich des Möglichen liege. Auf dem G-20-Gipfel in
Brisbane warnte er darüber hinaus vor einer neuen Blockbildung. Einem Bericht
der ›FAZ‹ vom 16. 10. [1] zufolge beschuldigt die russische Führung die
USA, den Ölpreis künstlich zu senken, um Russland in den Bankrott zu treiben.
Der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats, Nikolaj Patruschew, der zu
Präsident Putins unmittelbarem Umfeld gehört, sprach in einem am 15. 10.
veröffentlichten Interview mit der Regierungszeitung ›Rossijskaja Gaseta‹ ausführlich
über den Verfall des Ölpreises in den achtziger Jahren; dieser war von der USA
mit dem Ziel herbeigeführt worden, die von Rohstoffeinnahmen abhängige
Sowjetunion in den Bankrott zu treiben. Gleichzeitig hatten die Vereinigten
Staaten Moskau damals zu wachsenden Ausgaben gezwungen, indem sie in Polen und
in anderen sozialistischen Ländern Unruhen anstifteten und so Russland in einen
Rüstungswettlauf getrieben, was letztlich zum Zusammenbruch der Sowjetunion
führte. »Indessen ging
Patruschew nicht so weit, den Preisverfall der vergangenen Tage als Werk der
Amerikaner zu bezeichnen, legte jedoch dar, dass in der Ukraine mit
amerikanischer Unterstützung ein Staatsstreich stattgefunden hat, »der dem klassischen Schema folgt,
das in Lateinamerika, Afrika und im Nahen Osten entwickelt wurde. ….. Die Analyse zeigt, dass die
Amerikaner, indem sie Russland zu Gegenmassnahmen provozieren, die gleichen
Ziele verfolgen wie in den achtziger Jahren in Bezug auf die Sowjetunion.« In der Lesart Patruschews, der für
die Formulierung der russischen Sicherheitspolitik verantwortlich ist, ist die
Ukrainekrise die vorgreifende Reaktion auf eine Annäherung Russlands an China.
In einem am 14. 10. vom russischen ›Institut
für Strategische Studien‹ [›RISS‹] veröffentlichten Bericht heisst es, es gebe wie in den achtziger
Jahren Abmachungen zwischen den Vereinigten Staaten und Saudi-Arabien, den
Ölpreis durch Überproduktion zu drücken. Die Sanktionen, der sinkende Ölpreis
und der seit Anfang Oktober stark fallende Rubelkurs bezeichnet das ›RISS‹, dessen Hauptaufgabe es ist, politische Analysen für den Kreml zu
erstellen, als Instrumente einer grossangelegten Strategie zum Sturz Putins.
Die Sanktionen würden nicht als Reaktion des Westens auf das russische Vorgehen
in der Ukraine verstanden, sondern als Teil der westlichen Strategie gegen
Russland. Inzwischen machen die geringeren Einnahmen durch den stetig fallenden
Öl-Preis auch den erdölexportierenden Schwellenländern zu schaffen; betroffen
sind vor allem Brasilien, Nigeria und Algerien.
Den
eigentlichen Hintergrund beleuchtet F. William Engdahl in seinem
nachfolgenden Artikel
Hat Washington ein
fettes Eigentor geschossen? Mittlerweile
berichtet sogar die ›New York Times‹ über die geheime Strategie der Obama-
Regierung, Russland in den Bankrott zu treiben, indem man den Busenfreund
Saudi-Arabien dazu bringt, den Ölpreis weltweit in den Keller zu treiben.
Allerdings sieht es immer mehr so aus, als hätten die konservativen
Russlandhasser und Möchtegern-Kalten-Krieger um Barack Obama damit ein fettes
Eigentor geschossen. Wie ich schon früher dargelegt habe [2], ist diese Ölpreis-Strategie einfach dumm. Dumm
deswegen, weil nicht alle Konsequenzen berücksichtigt wurden. Dabei bräuchte
man doch nur einmal darüber nachzudenken, wie sich sinkende Ölpreise auf die
Ölförderung in der USA selbst auswirken. Der Kollaps der US-Ölpreise seit
September könnte schon bald die gesamte Schieferöl-Blase zum Platzen bringen.
Damit wäre die Illusion dahin, die Vereinigten Staaten könnten Saudi-Arabien
und Russland als grösste Ölproduzenten der Welt ablösen. Aber genau diese
Illusion, die durch eine vom Energieministerium veröffentlichte getürkte
Reserven-Einschätzung genährt wurde, war eine wichtige Stütze von Obamas
geopolitischer Strategie. Schon bald wird sich das finanzielle Schneeballsystem
hinter der in den letzten Jahren gestiegenen Ölförderung in der USA in Nichts
auflösen. Der Absturz des Ölpreises um 23 % seit dem Geheimtreffen zwischen John
Kerry und König Abdullah von Saudi-Arabien entzieht der Schieferöl-Förderung
die wirtschaftliche Grundlage. Kerry und König Abdullah hatten sich Anfang
September auf einen Ölpreis-Krieg gegen Russland geeinigt. Gerade haben
Wall-Street-Analysten bei Goldman Sachs ihre Prognose für 2015 für die
Preisentwicklung US-amerikanischen Erdöls veröffentlicht. Danach wird der
Richtwert, der so genannte WTI (West Texas Immediate), auf 70 $ für das Barrel
sinken. Im September 2013 lag der WTI bei über 106 $ pro Barrel. Das bedeutet
einen Preiseinbruch von 34 % innerhalb weniger Monate.
Warum ist
das für die Schieferölproduktion in den USA so wichtig? Weil sich Schieferöl
oder ›Tight Oil‹, wie es die Industrie nennt, sehr viel schneller erschöpft. Der
kanadische Erdölgeologe David Hughes, der seit 30 Jahren für den ›Geological Survey of Canada‹ tätig ist, präsentiert jetzt eine
umfassende neue Analyse. Die darin verwendeten Daten aus der bestehenden
Schieferölförderung, die zum ersten Mal veröffentlicht werden [Schieferöl wird
ja noch nicht sehr lange gefördert], zeigen einen dramatischen Rückgang des
Fördervolumens aus amerikanischen
Schieferölvorkommen. Die Dreijahres-Erschöpfungsrate der 7
Schieferölbecken, die für den Bericht erfasst wurde, reicht von 60 % bis 91 %.
Das heisst, um diesen Prozentsatz ist die Menge des aus diesen Lagerstätten
geförderten Schieferöls in den letzten drei Jahren zurückgegangen. Also wurden
in den ersten drei Jahren auf der Anlage nur 43 bis 64 % des Gesamtpotentials
[Estimated Ultimate Recovery] gewonnen. Die Produktivität von 4 der 7
Schiefergasbecken ist bereits ins Endstadium der Erschöpfung getreten, das gilt
für den Haynesville-Schiefer, den Fayetteville-Schiefer, den Woodford-Schiefer
und den Barnett-Schiefer.
Ein
Rückgang der täglichen Ölförderung von 60 bis 91 % in diesen besten
Schieferölregionen bedeutet, dass die Fördergesellschaften tiefer bohren
müssen, um die Förderung aufrecht zu erhalten, von einer Steigerung gar nicht
zu reden. Das kostet Geld, und zwar sehr viel Geld. Laut Hughes hat Obamas
Energieministerium völlig unkritisch viel zu optimistische Zahlen übernommen,
die ihm von den Unternehmen übermittelt wurden, die das Märchen vom Schieferöl
in Amerika verbreiten. Hughes eigene Berechnungen ergeben für 2040 eine
Schieferölförderung von lediglich 10 % des Werts, den das Energieministerium
zugrunde legt. Hughes beschreibt das Dilemma der Schieferölgesellschaften als
»Bohr-Tretmühle«. Sie müssen immer mehr Löcher bohren, nur um die Produktion
auf dem gegenwärtigen Stand zu halten. Bisher haben sich die Ölgesellschaften
zur Maximierung der Produktion die aussichtsreichsten Regionen, die sogenannten
»sweet spots«, vorgenommen. Aber jetzt, wo die Förderung endgültig zurückgeht,
sind sie gezwungen, auch an Stellen mit geringerem Potential zu bohren. Hughes:
»Wenn die Zukunft der Erdöl- und Erdgasförderung in der USA von Vorkommen in
den tiefen Schieferlagern abhängt, … steht uns eine grosse Enttäuschung bevor.«
Einbrechender Ölpreis Hughes
beschreibt den Zustand der Schieferölförderung vor dem Beginn des von
Kerry und Abdullah eingeleiteten Ölpreiskriegs. Seither sind die amerikanischen
WIT-Preise in nur sechs Wochen um 25 % gefallen, und der Absturz setzt sich
fort. Andere grosse Ölförderländer wie Russland und der Iran überschwemmen den
Weltmarkt ebenfalls mit Öl, um ihre Staatseinnahmen zu erhöhen. Die Folge ist eine globale
Ölschwemme, die die Preise weiter ins Wanken bringt. Laut Philip Verleger,
ehemals Direktor von Präsident Carters ›Office
of Energy Policy‹ und heute Berater
in Energiefragen, würde die Produktion in der wichtigen Bakken-Formation in
North Dakota bei einem Ölpreis von 70 $ pro Barrel um 28 % auf 800 000 Barrel
täglich zurückgehen; im Juli waren es noch 1,1 Millionen Barrel pro Tag
gewesen. »In dem Masse, wie die Preise sinken, sinkt auch der Cash Flow, das
Geld für weitere Bohrungen wird völlig versiegen; wir werden also einen
deutlichen Rückgang der Bohrungen erleben«, sagte Verleger. Für die
Erdöl-Geopolitik der USA würde ein Ende der Schieferölblase einen vernichtenden
Schlag bedeuten. Schätzungen zufolge stammen heute 55 % des geförderten Erdöls
in der USA und der gesamte Zuwachs der Förderung der letzten paar Jahre aus dem
Fracking von Schieferöl. Stockt die Finanzierung wegen wirtschaftlicher Risiken
inmitten fallender Ölpreise, werden die Betreiber gezwungen, neue Bohrungen,
ohne die sich das Förderniveau nicht aufrechterhalten lässt, einzustellen. Die
aggressive US-Aussenpolitik im Nahen und Mittleren Osten - der Krieg gegen das Assad-Regime in Syrien,
die strikten Öl-Sanktionen gegen den Iran, die Sanktionen gegen russische
Ölprojekte, das zynische Tolerieren des ISIS in irakischen Erdölregionen, die
Weigerung, zugunsten einer Stabilisierung der Erdölwirtschaft in Libyen
einzugreifen und stattdessen eine Un-Ordnung hinzunehmen - all dies beruht auf Washingtons grosspuriger
Fehleinschätzung, die USA sei wieder der König des Erdöls in der Welt und
könnte sich hochriskante geopolitische Spielereien leisten.
Das
Wachstum der Schieferölförderung, das vom US-Energieministerium, das die CIA,
das Verteidigungs- und Aussenministerium sowie das Weisse Haus in Energiefragen
berät, prognostiziert wurde, beruhte auf Mythen und Lügen. Und genau diese Mythen und Lügen
über die rosigen Aussichten der Schieferölförderung veranlassten das Weisse
Haus unter Obama zu neuen Ölkriegen. Deutlich wurde diese ölige
Arroganz bei einer Rede von Obamas früherem Nationalen
Sicherheitsberater Tom Donilon im April 2013 an der Columbia University.
Donilon, damals noch im Amt, sagte öffentlich: »Amerikas neue Stellung in der
Energieversorgung gestattet uns, aus einer Position grösserer Stärke heraus zu
agieren. Die bessere Versorgung wirkt als Puffer, der dazu beiträgt, unsere
Verletzlichkeit durch globale Lieferunterbrechungen und Preisschocks zu
reduzieren. Und sie verleiht uns eine stärkere Hand bei der Durchsetzung
unserer internationalen Sicherheitsziele.«
In einem
können wir uns sicher sein, hatte F. William Engdahl in seinem Artikel ›Plant
Obama mit den Saudis einen neuen Ölkrieg gegen Russland?‹ am 15. April erklärt:
»Nach
Washingtons blutigem Putsch in der Ukraine, der unter dem verlogenen Mantra von
Demokratie Neonazis und Freimarkt-Plünderer an die Macht brachte, plant man
jetzt in Washington, Russland als Opposition zur globalen Hegemonie der USA
auszuschalten. Es ist eindeutig, dass die USA nach neuen Wegen sucht, um Russland
aufs Kreuz zu legen. Eine Waffe, die dabei in Erwägung gezogen wird, ist so neu
nicht: die Ölwaffe.
Quelle: Hat
Washington ein fettes Eigentor geschossen?
- Von F. William Engdahl http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/geostrategie/f-william-engdahl/hat-washington-ein-fettes-eigentor-geschossen-.html 30. 10. 14
[1] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/moskau-attackiert-amerika-wegen-niedrigem-oelpreis-13212757.html 16. 10. 14
- Provozierter Zusammenbruch
[2] http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2250 6. 4. 14 Zusammenarbeit
mit Russland und China statt Untergang mit dem Empire
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