Direkte Demokratie auf der Abschussliste

Funktionäre, die sich gerne in abgehobenen internationalen Politzirkeln tummeln,

schätzen die Direkte Demokratie überhaupt nicht. Die Möglichkeit, jemand könnte mit einem verbindlichen Nein ihre bürokratieaufblähenden Pläne und Aktivitäten durchkreuzen, verursacht ihnen schlaflose Nächte. 

Nationen gibt es auf dieser Welt seit Jahrhunderten. Nationen, die im Lauf der Zeit jeweils ihren eigenen Charakter zur Entfaltung gebracht haben und die, wenn auch oft auf von Gewalt begleiteten Umwegen, mit der Zeit Kräfte des Mit- oder Nebeineinanderauskommens entwickelt haben, die heute wesentlich zur Stabilität ganzer Weltregionen und Erdteile beitragen. Viele Nationen schwören  - nicht immer ganz freiwillig -  auf einen zentralistischen Staatsaufbau mit mehr oder weniger straffer Verwaltung von oben nach unten. Andere haben eine dezentralisierte Entscheidfindung durchgesetzt und möchten von ihrem System nicht mehr abweichen. In verschiedenen Staaten hat man sich an Zweiparteien-Systeme mit klarer Abgrenzung zweier weltanschaulich unterschiedlicher Parteien gewöhnt. Andere Staaten ziehen Koalitionen aus Vertretern mehrerer Parteien für die Regierungstätigkeit vor. Jedenfalls herrscht eine Vielfalt, wobei jedes System seine Anhänger und seine Gegner hat. Gegensätze werden indessen nicht gewalttätig, sondern in Wahlkämpfen ausgetragen; Entwicklungen und Veränderungen sind möglich, nichts ist in Erz gegossen. Daneben gibt es ein Land, einen Kleinstaat, der für sich das System der Direkten Demokratie entwickelt und ausgestaltet hat. Tatsächlich liegt in diesem Kleinstaat das letzte verbindliche Wort zu allen wichtigen politischen Fragen bei den Bürgern selbst, was die Volkssouveränität aufzeigt. Insgesamt existiert diese Vielfalt von Staatsformen friedlich mit- und nebeneinander, was den  freien Wettbewerb der Ideen gestattet, eine nicht unwesentliche Voraussetzung dafür, dass gewählte Systeme nicht erstarren.  

Widerstand  
Aber es gibt Kreise  - genauer, es gibt eine rasch wachsende Kaste -  der diese Vielfalt, dieses Nebeneinander unterschiedlicher Systeme überhaupt nicht in den Kram passt. Diese hat sich das nation building als Aufgabe auf die Fahne geschrieben, so, als würden Nationen noch gar nicht existieren; und social engineering sei, sagen sie, ihr Geschäft - als wären diese Staaten vom konstruktiven Miteinander ihrer Bürger noch Lichtjahre entfernt. Hinter dem Hang zu geschwollener Wortwahl mit programmatischem Charakter verbirgt sich freilich Entscheidendes: Diese Kaste, die Internationale der Staatsfunktionäre, hat sich dem Dogma unbedingter Gleichschaltung aller Systeme und der darin lebenden Menschen verschrieben. Wobei das Teilwort Staat in diesem Zusammenhang lediglich darauf hinweist, aus wessen Kassen sich diese Staatsfunktionäre reichlich und rücksichtslos zu bedienen pflegen ….  

Verbissen arbeiten sie an der Beseitigung jeglicher Vielfalt 
Harmonisierung heisst ihr Gleichschaltungsevangelium. Einige Erfolge können sie bereits vorweisen: Der Euro, die Vereinheitlichung der Währung über halb Europa ist ihr Werk, und mit Hilfe der Einheitsmeinungen verbreitenden Medien ist es ihnen auch gelungen, die alles umfassende  - teilweise bereits alles erwürgende -  Hochbesteuerung zur europäischen Tugend zu erklären, auf dass die Kassen, aus denen sich besagte Funktionäre ein luxuriöses Dasein leisten, ja nie ihren Boden sichtbar werden lassen. Unbeirrbar arbeiten sie an der Ausmerzung aller Sonderfälle, denn diese sind des Teufels, weil sie die Eigenverantwortlichkeit der Bürger zulassen, was den Bedarf an weiteren Funktionären begrenzt. Die Direkte Demokratie, die auf der Selbstverantwortung der Bürger, die die Explosion der Steuerlasten verhindert hat und sich der Gleichschaltung in Europa entzieht, aufbaut, sie steht ganz oben auf der Liste der schleunigst abzuschiessenden Relikte aus den Zeiten der Vielfalt. Dies umso dringender, als dieses direktdemokratische Land blüht wie kein zweites in Europa. Nicht Wohlstand ist das Ziel der Funktionäre: ihr Programm heisst Gleichschaltung, egal, welche Konsequenzen daraus auch immer hervorwuchern…..

Einen Frontalangriff auf die Direkte Demokratie wagen allerdings selbst diese Funktionäre noch nicht; so beschränken sie sich vorerst aufs sorgenvolle Stirnrunzeln, wobei sie einräumen, dass die Direkte Demokratie ja durchaus ordentlich funktioniert hätte, solange es ums lokale Schützenhaus, um die Trottoirbreite auf Nebenstrassen, um die Entschädigung lokaler Behörden, um die Bestellung örtlich amtierender Friedensrichter, gegangen sei. Indessen seien die Mitbestimmer über ortsübliche Angelegenheiten im Zeitalter der Globalisierung im Hinblick auf die sich zunehmend global auftürmenden Probleme hoffnungslos überfordert. Möge man es auch bedauern, so müsse man dennoch einräumen, dass Regieren unter der Fuchtel von Schwarmintelligenz  - so der Tages-Anzeiger vom 22. November -   heutzutage undenkbar und »für die Gesellschaft unzumutbar« geworden sei. Heute sei Fachkompetenz gefordert, welche man sich nur auf speziellen Hochschulen für moderne Verwaltungstechnik aneignen könne. Wer dort nicht bestanden habe, wer im engen Horizont lokaler Bagatell-Auseinandersetzungen stehen bleibe und sich tatsächlich noch dem Glauben hingebe, im Zeitalter der Globalisierung sei eine allumfassende Personenfreizügigkeit noch zu verhindern, der sei zum Mitentscheiden im Grossen durch und durch untauglich. Auf diese Weise polemisieren sie munter gegen die als Schwarmintelligenz-Staatsform diffamierte Direkte Demokratie und glauben, damit vergessen zu machen, dass sie es waren und sind, die Europa mit dem Euro in den Ruin treiben, die die Goldreserven der Schweiz verspielt haben, die den Völkern die ungehinderte Masseneinwanderung und eine daraus resultierende Explosion aller Sozialkosten bescheren, was allen Staaten, die sich ihrer Fuchtel unterworfen haben, nicht mehr auffüllbare Schuldenlöcher hinterlassen hat, usw.  

Der neue Absolutismus   
Dass ihr Aktivismus laufend neue Metastasen hinterlässt, schert die Kaste dieser Funktionäre nicht im geringsten. Denn längst haben sie durchgesetzt, dass man sie als angeblich unentbehrlich auch für die Administration von Niedergang und Ruin heranzieht - selbstverständlich mit Spitzensalären. Sie kämpfen um die Macht, und ihr Machtanspruch ist absolut. Das Zeitalter des Absolutismus erlebt eine Renaissance. Es ruht allerdings nicht wie im 17. und 18. Jahrhundert auf dem Gottesgnadentum. Zur Rechtfertigung ihres absoluten Herrschaftsanspruchs hat die Kaste der Funktionäre neue Religionen geschaffen. Es ist die Abfall-Religion, die Energiewende-Religion, die Sozial- und die Einwanderungs-Religion, aus denen sie ihren Anspruch auf eine Herrschaft jenseits jeglicher demokratischer Kontrolle herleiten und an (zu) vielen Stellen auch durchsetzen.  [1]

An diese Ausführungen schliesst sich sozusagen nahtlos der folgende Artikel an:

Wem dient die Mannschaft im Bundeshaus?  -  Von Dr. iur. Marianne Wüthrich  
In der Schweizer Polit- und Medienlandschaft werden in den letzten Jahren merkwürdige Töne laut: Immer mehr Volksinitiativen seien «völkerrechtswidrig», und überhaupt würden zu viele Initiativen ergriffen. Deshalb müsse das Initiativrecht eingeschränkt werden. Die Vorschläge des Bundesrates, die Initiativtexte einer inhaltlichen Vorprüfung durch die Bundesverwaltung zu unterziehen oder die Ungültigkeitsgründe nach Einreichung der Initiative auszudehnen, wurden bereits in der Vernehmlassung deutlich abgelehnt.  [2]  Dies zeigt, dass die Mehrheit der Kantonsregierungen sowie der antwortenden Parteien und Verbände erfreulicherweise gegen alle Sturmangriffe auf die direkte Demokratie standhaft bleiben, wenn es darauf ankommt.

Die jüngste Attacke auf unsere Volksrechte stammt von Annemarie Huber-Hotz. Die Dame ist nicht irgend jemand: Sie war von 2000 bis 2007 Bundeskanzlerin. Die Funktion des Schweizer Bundeskanzlers ist ähnlich wie diejenige eines Gemeindeschreibers auf Gemeindeebene: Er unterstützt und berät die Exekutivmitglieder und nimmt an deren Sitzungen teil; oft hat er den besten Überblick über die Geschäfte. Der Bundeskanzler bekleidet also das wichtige Amt des Stabschefs des Bundesrates, oft nennt man ihn deshalb den achten Bundesrat. Und mit welcher Botschaft tritt die ehemalige Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz an die Öffentlichkeit? Die Dame tut in der Tagespresse kund, welche Bürgergruppen ihrer Meinung nach künftig das Initiativrecht nutzen dürften und welche nicht. Die Volksinitiative sei nämlich nicht für die Profilierung der Parteieneingeführt worden, sondern für Minderheiten ohne Stimme in Regierung und Parlament [Quelle: «Neue Luzerner Zeitung» vom 5. November 2014]. Heute finde eine Übernutzung der Volksrechte statt, deshalb müsse man den grossen politischen Parteien ein Initiativverbot verpassen. Erstaunliche Worte aus dem Mund einer ehemaligen Schweizer Chefbeamtin, von der wir Bürger eigentlich erwarten könnten, dass sie hinter den direktdemokratischen Rechten der Bürger steht und dass sie die grundlegenden Prinzipien des Rechtsstaates kennt. Die Behauptung, das Initiativrecht sei für die eine oder andere Sorte von Schweizern eingeführt worden, ist ein starkes Stück. In der Bundesverfassung ist das in einer Volksabstimmung angenommene Initiativrecht seit dem Jahr 1891 das festgeschrieben. Selbstverständlich gilt es für alle Schweizer Stimmberechtigten gleichermassen. 

Ein Initiativverbot für bestimmte Bürgergruppen wäre nun wirklich einmal ein klarer Fall für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), aber natürlich auch für das Schweizerische Bundesgericht. Wenn das nicht gegen die Rechtsgleichheit verstösst, können sich die Staats- und Menschenrechtsexperten pensionieren lassen. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, bestimmt Artikel 8 Absatz 1 der Bundesverfassung. Das gilt auch für diejenigen Bürger, die Mitglied einer politischen Partei sind. So weit wie A. Huber-Hotz will der Direktor des Bundesamtes für Justiz (BJ), Martin Dumermuth, nicht gehen. Von ihm stammen die denkwürdigen Worte: »Politisch starke Gruppierungen, die im Parlament vertreten sind, setzen das Initiativrecht als Mittel der Mobilisierung ein.« Zu diesem Zweck würden Initiativen pointierter formuliert und häufiger angenommen – und seien damit schwieriger umzusetzen [Quelle: Neue Luzerner Zeitung vom 5. November 2014]. Über derlei Äusserungen heutiger und früherer Chefbeamter kann man nur den Kopf schütteln: Selbstverständlich nutzen die politischen Parteien, aber auch Verbände wie zum Beispiel eine Gewerkschaft oder eine Konsumenten- oder Umweltorganisation das Inititativrecht oder das Ergreifen des Referendums – neben dem Sachanliegen, das den dahinter stehenden Bürgern nicht abgesprochen werden darf! – zur Profilierung und zur Mobilisierung. Das gehört zum Politik-Alltag und war auch vor 100 Jahren schon so. 

Dass einige der neuesten eidgenössischen Volksinitiativen, wie die Ausschaffungs-, die Verwahrungs- oder die Massenzuwanderungs-Initiativen, schwieriger umzusetzen sind, wie der Direktor des BJ feststellt, ist Teil der Arbeit der Exekutive: Bundesrat und Bundesverwaltung haben den verfassungsmässigen Auftrag, den Volkswillen umzusetzen, ob dies nun schwierig ist oder nicht. Die Umsetzung kann mit der Kündigung und der Neuverhandlung von Verträgen der Schweiz mit anderen Staaten verbunden sein, was sicher nicht einfach ist. Aber, wie gesagt, das gehört zum Job eines hochbezahlten Bundesrates oder Direktors eines Bundesamtes. Noch ein Wort zum Fauxpas von Frau Huber-Hotz. Ihr Ärger ist nur allzu verständlich: In den letzten Jahren wurden vom Souverän erstaunlich viele eidgenössische Volksinitiativen angenommen, zum Teil solche, die von grossen Parteien lanciert wurden, aber zum Beispiel auch die Abzockerinitiative, die praktisch von einem einzigen Bürger ergriffen wurde. Im Gegensatz dazu hat die Partei, deren Mitglied die Dame ist, meines Wissens noch nie eine eidgenössische Volksinitiative zustande gebracht. Beim einzigen Versuch in neuester Zeit, auch einmal direktdemokratisch aktiv zu werden, hat sie kläglich versagt: Die Initiative Bürokratie-Stopp, im April 2012 mit der sehr knappen Unterschriftenzahl von 100649 eingereicht, wurde am 2. August 2012 von der heutigen Bundeskanzlerin, Corina Casanova, als nicht zustande gekommen erklärt, weil sie nur 97537 gültige Stimmen erzielte.

Weil die einen nichts hinkriegen, sollen die anderen büssen?   [3]   

 

[1]  Qsuelle: http://www.schweizerzeit.ch/cms/index.php?page=/news/schwarmintelligenz-2028   Der aktuelle Freitags-Kommentar der «Schweizerzeit» vom 28. November 2014
Von Ulrich Schlüer, Chefredaktor «Schweizerzeit»

[2]  Massnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Völkerrecht und Landesrecht (Änderung der Bundesverfassung und des Bundesgesetzes über die ­politischen Rechte): (…) Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung November 2013

[3]  Quelle: http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=1955 
Zeit-Fragen Nr. 28 vom 18. 11. 2014