Anhaltender Widerstand gegen die TTIP

In der gesamten EU haben am Wochenende Zehntausende gegen das umstrittene Freihandelsabkommen mit der USA protestiert.

Allein in München fanden sich 23.000 Demonstranten zusammen; in Leipzig waren es 2000 und in Stuttgart gingen 1000 Demonstranten auf die Strasse. In Berlin bildeten mehrere tausend Teilnehmer eine Menschenkette. Die Europäische Bürgerinitiative Stop TTIP, die sich gegen die Handelsabkommen der EU mit Kanada (CETA) und der USA (TTIP) wendet, hat mittlerweile in Deutschland eine Million Unterschriften gesammelt, teilte die Initiative am 19. April mit. Fakt ist indessen, dass die EU-Kommission dazu neigt, Proteste dieser Art, wozu auch ein bereits in Brüssel vorliegendes, den Vorschriften entsprechend unterzeichnetes Bürgerbegehren gehört, kalt zu übergehen. 

Unter dem Stichwort Freihandel resp. TTIP / CETA haben wir eine ganze Reihe von Artikeln eingestellt. Diesen fügen wir ein von der jungen Welt am 15. April veröffentlichtes Interview hinzu, das die Zeitung mit dem an der Universität Bremen lehrenden Professor Andreas Fischer-Lescano geführt hat; dessen Forschungsschwerpunkte schliessen Öffentliches Recht und Europarecht ein. Aus dem Gespräch geht Folgendes hervor:  

»Fischer-Lescano hatte bereits vor einiger Zeit in einem Gutachten darauf hingewiesen, dass mit den Handelsabkommen CETA und TTIP sowohl gegen das Grundgesetz als auch gegen EU-Recht verstossen wird: »Politische Entscheidungen müssen demokratisch rückgebunden sein. Das ist bei den in CETA und TTIP geplanten Gremien nicht im Ansatz realisiert. Sie sind nur mit Exekutiv-Vertretern besetzt; die Mitgliedstaaten der EU sind in ihnen nicht vertreten, können also nicht mitbestimmen.  

Dennoch sollen sie weitreichende Entscheidungen treffen, teilweise sogar in Bereichen, in denen die EU gar nicht tätig werden darf. Sie können zum Beispiel den Geltungsumfang der Abkommen erweitern. Von diesen Gremien wird es auch abhängen, welches Niveau im Hinblick auf  die Verbraucherrechte und den Arbeitsschutz realisiert werden kann. Das ist so etwas wie eine Generalermächtigung, die es so nicht geben darf. Die Gefahr ist, dass auf diese Weise soziale Rechte ausgehöhlt werden.

Sie vertreten die Ansicht, dass das in CETA und TTIP vorgesehene Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS) dem richterlichen Rechtsprechungsmonopol widerspricht und sowohl das Grundgesetz als auch das EU-Recht verletzt. Laufen die ISDS-Schiedsverfahren tatsächlich auf eine private Paralleljustiz hinaus? 

Das Stichwort private Paralleljustiz verharmlost die Probleme des ISDS deutlich. Wenn dort das Problem läge, könnte man es in der Tat so beheben, wie es Sigmar Gabriel nun vorgeschlagen hat, nämlich indem man einen mit Berufsrichtern besetzten Investitionsschiedsgerichtshof gründet. Das wäre aber ein Schritt in die falsche Richtung: Es gibt mit den Menschenrechtsgerichtshöfen bereits Institutionen, die überstaatlich auch das Eigentumsgrundrecht schützen. Sie tun das in einer ausgewogenen Weise unter Einbeziehung von Gemeinwohlbelangen. Daneben spezielle Investitionsgerichte zu etablieren, schwächt den allgemeinen Menschenrechtsschutz und verstärkt die Institutionen der Freihandelsideologie. Das setzt sich nicht nur mit dem richterlichen Rechtsprechungsmonopol des Grundgesetzes, sondern auch mit dem Grundsatz der Autonomie des Unionsrechts in Widerspruch. Der grundrechtliche Kerngedanke, dass Eigentum verpflichtet, wird durch diese ISDS-Verfahren ausgehebelt.

Eine weitreichende Bestimmung bei CETA ist die sogenannte Ratchet Clause [Sperrklinkenklausel]. Im Gegensatz zu der grossen Brisanz dieser Klausel wissen die wenigsten, was sich dahinter verbirgt. Worum geht es?

Würde eine solche Ratchet-Klausel in die Verträge eingebaut, wäre das eine Ewigkeitsgarantie für die Privatisierung. Vorgenommene Privatisierungen öffentlicher Dienste können dann zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr zurückgenommen werden. 

Die Verträge führen also insgesamt zu einem Verlust staatlicher Souveränität. Wäre das rechtmässig?

Grundgesetz und Unionsrecht verlangen, dass die Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung jederzeit der demokratischen Disposition unterliegen muss, dass es jederzeit möglich sein muss, die Sozialbindung des Eigentums zu erhöhen, die Strukturen der Sicherung öffentlicher Güter anders zu gestalten. Diese Spielräume dürfen durch völkerrechtliche Verträge nicht ausgehebelt werden.

Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung und ehemaliger Richter, hat die ISDS-Schiedsverfahren vor fast einem Jahr eine Perversion rechtsstaatlichen Denkens genannt, die den Status der Normalität erhalten solle. Wie erklären Sie sich, dass die verfassungsrechtlichen Bedenken öffentlich bisher so wenig zur Kenntnis genommen werden? 

Die Debatte wird zur Zeit noch von den Investitionsschutzexperten, die mit wenigen Ausnahmen die mit der Schiedsgerichtsbarkeit verbundenen Gefahren bagatellisieren, dominiert. Die Diskussion wird aber noch an Fahrt aufnehmen, insbesondere wenn die anhängigen Verfassungsbeschwerden verhandelt werden. Schon jetzt gibt es durchaus auch prominente Verfassungsjuristen, die sich kritisch geäussert haben, so unter anderem der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Siegfried Broß. Ich bin optimistisch, dass es gelingen wird, das rechtspolitische Problembewusstsein zu schärfen.«  [1]

Die Konzerne reagieren auf die andauernden Proteste in ihrer Weise, indem  - der Frankfurter Allgmeine Sonntagszeitung vom 19. 4. zufolge -  die Vorstandsvorsitzenden führender deutscher Konzerne jetzt für das Abkommen mobil machen. Daraus erwächst dem Bürger, der ohnedies auf schwachem Boden angesiedelt ist, leider zusätzlicher Widerstand. »Wir wollen TTIP«, heisst die Aktion, für die der Bundesverband der Deutschen Industrie, BDI, Top-Manager aus Industrie wie Mittelstand zusammengetrommelt hat. Sie soll kommende Woche starten. »Die deutsche Wirtschaft sieht in TTIP grosse Chancen«, betont BDI-Präsident Ulrich Grillo gegenüber der F.A.S. »TTIP ist nicht Kür, sondern Pflicht«, erklärt Daimler-Chef Dieter Zetsche. Wenn sich Amerika in Richtung Pazifik orientiere, werde dies die Rolle Europas schwächen, warnt der Automanager. Die erste Riege deutscher Konzerne ist in dem Bündnis vertreten; zu den Unterzeichnern gehören Vorstandsvorsitzende wie Frank Appel (Deutsche Post DHL), Kurt Bock (BASF) Marijn Dekkers (Bayer), Heinrich Hiesinger (Thyssen-Krupp) Joe Kaeser (Siemens), Norbert Reithofer (BMW), Kasper Rorsted (Henkel). Sie alle beschwören die Vorteile freier Märkte und verwahren sich gegen den Verdacht, TTIP nutze nur Konzernen und gefährde das Wohl der Verbraucher.  [2] 

Inzwischen wächst auch in der USA selbst der Widerstand gegen das Abkommen. Allerdings ist bei dem unangefochtenen Einfluss, den die Konzernwelt unvermindert auf Brüssel ausüben kann, absehbar, dass sich die Auseinandersetzung noch lange hinziehen wird, mit ungewissem Ausgang.  

 

[1]  https://www.jungewelt.de/2015/04-15/003.php   15. 4. 15  
»Eine solche Generalermächtigung darf es nicht geben«  - Interviewer: Rolf-Henning Hintze

[2]  http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/ttip-und-freihandel/daimler-chef-zetsche-ttip-ist-pflicht-13546605.html  19. 4. 15