Griechenland - Wie gehabt

d.a. Es dürfte sicherlich kaum jemand Zweifel daran hegen, dass die Fortsetzung der

griechischen Rettungsaktion auf Druck der USA hin erfolgt ist, gleich was in der Tagespresse an endlosen Diskussionen zu Schuldenschnitt, Grexit oder sonstigen, für den Steuerzahler mehrheitlich undurchsichtigen Manövern in den Raum gestellt wurde. Fakt ist, dass US-Finanzminister Jacob Lew am 16. 7. persönlich bei Schäuble intervenierte und die Position Washingtons, dass Griechenland unter allen Umständen in der Euro-Zone verbleiben muss und als Südflanke der NATO nicht aufgegeben werden kann, erfolgreich verankerte. Wie German Foreign Policy am 16. Juli schrieb, fand die von Lew terminierte Aussprache 24 Stunden vor der Sondersitzung des Bundestags am darauffolgenden Tag statt »und stellt eine unverhohlene Warnung an die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien dar.«  [1] 

In diesem Zusammenhang ist es durchaus angebracht, dem Kommentar des Historikers und Journalisten Paulwitz die folgende Beurteilung voranzustellen: Das Gefährliche hierbei ist, daß Deutschlands Systempolitiker, die fast ausnahmslos eine Außenstelle der US-Politik darstellen, sich vor den Karren spannen lassen - mit unabsehbaren Folgen für die Bürger.  [2] 

Was für ein absurdes Theater!  -  Von Michael Paulwitz
Nächster Akt in der Griechenland-Groteske: Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben wieder mal ein Rettungspaket für den Pleitestaat an der Ägäis ausgehandelt, von dem alle wissen, daß es genausowenig funktionieren wird wie alle vorangegangenen in den vergangenen fünf Jahren. Das griechische Parlament hat unter massivem Druck Reformauflagen beschlossen, an die Regierungschef Tsipras selbst nicht glaubt, weil er vor zwei Wochen noch das Gegenteil vertreten hat, und die daher ebensowenig umgesetzt werden wie die bisher versprochenen, weil sie ohne Euro-Ausstieg, Schuldenschnitt und neue Währung ohnedies sinnlos sind.

Angela Alternativlos und die traurigen Figuren 
Und trotzdem gibt der Bundestag nun grünes Licht für Verhandlungen über weitere Milliardenzahlungen an Athen, die genauso verloren sein werden wie die bisher geleisteten; auch mäßig begabten Abgeordneten müßte das klar sein, und trotzdem halten fast alle brav den Mund. Das Ergebnis der Sondersitzung des Bundestags ist der Einstieg in die Transferunion, in die dauerhafte Alimentierung Griechenlands durch die deutschen und europäischen Steuerzahler. Die geplanten Finanzhilfen sind rechtswidrig, ökonomisch sinnlos und Untreue am deutschen Bürger. Jedem der 439 Abgeordneten, der dafür die Hand gehoben hat, müßte diese verdorren. Trotzdem gab es an der deutlichen Mehrheit für weitere Rettungspakete von Anfang an keinen Zweifel.

Traurige Figuren: Aus Partei-, Fraktions-, Koalitionsraison, um ihr Pöstchen zu behalten und die Aussicht auf Wiederaufstellung in ihrem Wahlkreis oder einen guten Listenplatz nicht zu gefährden, stimmen sie  - von wenigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen -  folgsam ab, was Angela Alternativlos ihnen vorsetzt. Eine Demokratie-Farce, bei dem der Ausgang von vornherein feststeht und bei dem jeder Mitspieler weiß, daß er sich selbst und das Publikum belügt. Nur daß dieses um viel mehr betrogen wird als nur um den Preis einer Eintrittskarte. 

Schäuble gibt den Harlekin 
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gibt in diesem Schmierenstück die Rolle des Harlekins. Der deutsche Tsipras mimt den harten Verhandler, der am Ende doch wieder einknickt und alles unterschreibt. Um die unzufriedene Parteibasis ruhigzustellen und den eigenen Abgeordneten etwas mitzugeben, um im Wahlkreis aufgebrachte Bürger bei der Stange zu halten, tut er auch danach weiter so, als würde er sich für einen Ausstieg Griechenlands aus dem Euro einsetzen, hat aber weder den Mut, mit Nein zu stimmen, noch aus Protest zurückzutreten. Fragt sich nur, was auf diese Weise schneller und gründlicher zerstört wird: Die Restglaubwürdigkeit einer politischen Klasse, die sich die Wirklichkeit schönlügt und diese zurechtlegt, wie es ihr gefällt – oder die Idee einer Europäischen Union, die auf Recht und Verträge gegründet sein sollte, die nach Laune und Belieben im fröhlichen Einvernehmen aber verbogen und gebrochen werden.  [3]   

»Was wir in der Eurozone heute sehen«, vermerkt Joseph Stiglitz zu den Vorgängen in Griechenland, »ist die Antithese zur Demokratie. Das Crescendo des Gezänks und der Schärfe innerhalb Europas mag Aussenstehenden als unausweichliches Resultat des bitteren Endspiels erscheinen, das sich zwischen Griechenland und seinen Geldgebern abspielt. In Wirklichkeit beginnen die europäischen Führer endlich die wahre Natur des anhaltenden Schuldendisputs offenzulegen, und die Antwort ist keine erfreuliche: Es geht um Macht und Demokratie, weit mehr als um Geld und Wirtschaft. Natürlich war die Wirtschaftslehre hinter dem Programm, das die Troika  - die EU-Kommission, die Europäische Zentralbank und der IWF -  Griechenland vor 5 Jahren aufdrängte, miserabel: Sie führte zu einem Rückgang des Bruttoinlandprodukts um 25%. Ich kenne keine Depression, die je stattfand, die so absichtlich war und solch katastrophale Konsequenzen hatte: Die Jugendarbeitslosigkeitsrate Griechenlands zum Beispiel ist heute grösser als 60%. Es ist alarmierend, dass sich die Troika weigert, für irgendetwas hiervon die Verantwortung zu übernehmen oder zuzugeben, wie schlecht ihre Vorhersagen und Modelle gewesen sind. Noch überraschender aber ist, dass Europas Führer diesbezüglich nicht einmal etwas gelernt haben. Die Troika verlangt noch immer, dass Griechenland bis 2018 einen primären Budgetüberschuss [exklusive Zinszahlungen] von 3,5% des Bruttoinlandprodukts erreichen soll. Ökonomen in aller Welt haben dieses Ziel als Strafe verurteilt, da es, wenn man es anstrebt, unausweichlich einen stärkeren Abschwung zur Folge haben wird.«  [4]  

Es ist anzunehmen, dass Schäuble selbst nach wie vor davon überzeugt ist, dass der Grexit die beste Variante für Griechenland wäre, da er schon vor 20 Jahren der Auffassung war, dass nur eine kleine Euro-Zone mit einer vollen politischen und wirtschaftlichen Integration in der Lage wäre, Amerikanern und Russen Paroli zu bieten. Er wollte die Position der EU in der NATO stärken und die Partnerschaft mit Russland im Interesse Osteuropas vertiefen. Der Journalist und Buchautor Bruno Bandulet hatte im Februar 2014 geäussert: »Wenn die Bundesregierung europäische Verantwortung übernehmen wollte, könnte sie Südeuropa aus dem Würgegriff von Euro und Depression befreien, die Einführung von nationalen Parallelwährungen ermöglichen, gleichzeitig den Euro als übernationale Recheneinheit beibehalten und damit zu dem von Helmut Schmidt erwähnten Währungssystem zurückkehren.« »Die Logik hinter der amerikanischen Europapolitik und eben auch hinter dem Bedürfnis, besonders Deutschland unter Kontrolle zu halten, hat nichts mit obskuren Verschwörungstheorien zu tun«, so Bandulet. »Anders als in Deutschland wird in der USA über Geostrategie und nationale Interessen mit großer Offenheit debattiert und geschrieben. So in dem 1999 auch in deutscher Übersetzung erschienenen Klassiker des früheren US-Sicherheitsberaters Zbigniev Brzezinski mit dem Titel Die einzige Weltmacht - Amerikas Strategie der Vorherrschaft. Die EU stuft Brzezinski darin folgendermaßen ein: Tatsache ist schlicht und einfach, daß Westeuropa und zunehmend auch Mitteleuropa weitgehend ein amerikanisches Protektorat bleiben, dessen alliierte Staaten an Vasallen und Tributpflichtige von einst erinnern  [5]  

Für Wolfgang Ischinger, den Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz, der Südosteuropa bis heute als Unsicherheitsfaktor betrachtet, ist ein Verbleib Griechenlands in der EU die Voraussetzung dafür, »den Einflußkampf gegen Rußland in Südosteuropa gewinnen zu können. Der Wegfall Griechenlands aus dem EU-Verbund wäre eine Tragödie für unsere Bestrebungen, den Südosten Europas endgültig zu stabilisieren. Die größte Befürchtung sei dabei, daß im Falle einer Entfremdung zwischen Griechenland und der EU die russische Politik in diese Lücke hineinstoßen würde.« Hier unterschlägt Ischinger, dass die Aggression nicht etwa von Russland, sondern von der USA im Verbund mit dem Westen ausgeht, und dass angesichts des Vorrückens der NATO an die russischen Grenzen von einer Stabiliserung nicht die Rede sein kann. Jedenfalls hat EU-Kommissionspräsident Juncker diesen April einen Austritt Griechenlands zu 100 % ausgeschlossen. Zwar sei die EU auf alle Arten von Ereignissen vorbereitet, ein Grexit allerdings komme nicht in Frage, betonte er.  

»Während mit einer Konsequenz von seltener Stupidität gutes Geld schlechtem hinterhergeworfen wurde«, schreibt Bandulet in seinem Artikel An der Realität vorbei, »wuchs der griechische Schuldenberg unkontrolliert weiter. Zuletzt auf gut 320 Milliarden €, dies bei einer jährlichen Wirtschaftsleistung von lediglich 182 Milliarden und einer Einwohnerzahl von knapp 11 Millionen. Hinzu kommen die normalen Subventionen, die Athen seit Eintritt in die EU auch noch kassiert hat und weiterhin kassiert; diese summieren sich inzwischen auf 180 Milliarden €. Auch davon spendierte der deutsche Steuerzahler den größten Anteil. Schwachsinn ist, immer wieder dasselbe zu tun und jedesmal ein anderes Ergebnis zu erwarten. Trotz allem besteht immer noch eine Chance, daß die zur Schmierenkomödie verkommene griechische Tragödie 2015 in einem letzten hochspannenden Akt endet. Nicht etwa in Paris und Brüssel, aber in den nord- und südeuropäischen Regierungszentralen; dort ist die Bereitschaft, weiterhin das Faß ohne Boden zu bedienen, deutlich begrenzt. In Berlin fürchtet das Parteienkartell den Vormarsch der AfD. Und in Griechenland selbst haben sich Banken und Unternehmen bereits auf Kapitalverkehrskontrollen und auf die Einführung einer Neuen Drachme als Parallelwährung vorbereitet. In Athen war seit den Wahlen vom 25. Januar viel von der Würde des griechischen Volkes die Rede gewesen. Wenn das ernst gemeint ist, sollten die Griechen das Währungsgefängnis verlassen und den unrühmlichen Status eines Euro-Protektorats aus eigenem Entschluß beenden. Dann könnten sie ihr Geld selbst drucken und ihre Volkswirtschaft sowie ihre Gesellschaft so organisieren, wie sie es für richtig halten. Ob die Drachme dann nach der anfänglichen Abwertung mehr oder weniger schwach bliebe, hätten sie selbst in der Hand. Modernisiert werden kann das Land nur von den Griechen selbst, vorhersehbar jedoch nicht von einer Regierung, in der Linksextremisten, Kommunisten und wirre Nationalisten sitzen - mit einem talentierten Demagogen an der Spitze. Die Vorstellung, daß die Tsipras-Regierung ihre Reformzusagen an die Geldgeber nicht unterläuft und daß sie die Voraussetzungen mitbringt, das Land zu sanieren, ist äußerst naiv. Für den Euro selbst wäre der Bruch eine gute Nachricht. Mit dem Grexit würde er an den Devisenmärkten steigen; auf ein Ende mit Schrecken haben sich die Finanzmärkte längst eingestellt.  

Griechenland ist so pleite, daß es niemals mehr ohne einen weiteren Schuldenschnitt auf die Beine kommt. Die Staatsverschuldung ist heute höher wie vor dem letzten Schuldenschnitt. Sollten wir weitere Gelder genehmigen, werfen wir gutes Geld schlechtem hinterher; wir werden das Geld zweifellos nie wieder sehen. Uns allen sollte klar sein, daß Griechenland seine Schulden niemals bezahlen wird, wenn selbst Deutschland als Exportweltmeister in Jahren mit Rekordsteuereinnahmen keinen Cent seiner Schulden zurückbezahlt.  [6]    

Der Stifter des Alternativen Nobelpreises, Jakob von Uexküll, hatte im Mai 2010 in einem Interview die Frage, ob er Griechenland bankrott gehen lassen hätte, mit Ja beantwortet: »Das hätte die Weltwirtschaft nicht kollabieren lassen. Ein Staatsbankrott ist ja keine Katastrophe, es gab in der Weltgeschichte schon viele.« Seit 1980 stiftet der in Uppsala geborene und in Hamburg aufgewachsene von Uexküll den auch als Alternativer Nobelpreis bekannte Right Livelihood Award. Mit ihm werden in jedem Jahr vier Personen oder Organisationen ausgezeichnet, die sich mit praktischen Ideen für ein nachhaltiges und menschenwürdiges Dasein einsetzen. Für das Preisgeld von 200 000 Euro verkaufte von Uexküll einst seine Briefmarkensammlung.  

Inzwischen haben die Griechen am 16. Juli von Draghi eine weitere Finanzhilfe in Höhe von 900 Millionen € erhalten, die sie mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut restlos abheben werden, während die EU-Häupter eine Brückenfinanzierung in Höhe von 7 Milliarden € zusagten. Über das eigentliche Endszenarium dieser Kette an Ausschüttungen macht sich offensichtlich keiner wirkliche Gedanken.  

Abschliessend ein Leserbrief von Ronny Gert Bürckholdt, der in der Ausgabe der Badischen Zeitung vom 17. 7. 2015 in der Rubrik Tagesspiegel erschien: 

Die Zentralbank als Euroretter - Mario macht's schon
Mario Draghi hat einmal gesagt, er werde tun, was nötig ist, um den Euro zu retten. Jetzt tut er, was er sagt. Mit Draghi an der Spitze überschreitet die Europäische Zentralbank eine rote Linie, um die Banken in Griechenland weiter künstlich zu beatmen. Sie liegen im Koma, werden nur von Notkrediten der EZB am Leben gehalten. Seit das zweite Hilfspaket der Geldgeber für Athen am 30. Juni ausgelaufen ist, gibt es für die Hilfe der EZB keine Grundlage mehr. Die vage Aussicht auf Verhandlungen über ein drittes Paket ist zu wenig. Die EZB müßte den Stecker ziehen, die Kredite zurückfordern, auch wenn das die Pleite der griechischen Banken und des Staates auslösen würde. Aber Draghi intensiviert die lebensverlängernden Maßnahmen noch, indem er die Notkredite für die Zombiebanken ausweitet. Nicht nur steigt dadurch das Risiko für die Steuerzahler in den Eurostaaten außerhalb Griechenlands, falls Athen am Ende doch pleitegeht, sondern Draghi beschädigt auch das Fundament, auf dem die EZB steht: Die Glaubwürdigkeit. Die Frage ist nicht mehr, ob Regeln gebrochen werden, sondern: welche? Wie soll der Ausstieg aus der Notstandspolitik gelingen, wenn eine Notverordnung die nächste jagt? Draghi betonte stets mit Recht, er könne die Krise nicht beenden, nur die Politik könne das. Doch nun ist er selbst politischer Akteur. Er hat sich die Option vergeben, glaubwürdig eine politische Lösung zu fordern. Die Politik darf jetzt annehmen: Supermario wird’s schon richten.

 

[1]  http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59161  16. 7. 15

[2]  http://www.mmnews.de/index.php/politik/19125-10000-auf-mahnwache-berlin-  17. 7. 14  

[3]  https://jungefreiheit.de/debatte/kommentar/2015/was-fuer-ein-absurdes-theater/  
17. 7. 15  Was für ein absurdes Theater!  -  Von Michael Paulwitz

[4]  http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=2185  Zeit-Fragen Nr. 18 vom 7. 7. 15 
«Was wir in der Eurozone heute sehen, ist die Antithese zur Demokratie»  -  von Joseph Stiglitz

[5]  DeutschlandBrief Nr. 140 vom Februar 2014

[6]  http://jungefreiheit.de/debatte/kommentar/2015/an-der-realitaet-vorbei/  28. 2. 15 
An der Realität vorbei  -  von Bruno Bandulet