Eidgenössische Volksabstimmung vom 28. Februar: »Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!« Von Dr. iur. Marianne Wüthrich

Diese Volksinitiative wurde am 24. März 2014 mit 115?.942 gültigen

Unterschriften eingereicht. Dahinter stehen neben politischen Parteien (SP, JuSo, EVP, Junge CVP, Grüne Partei) verschiedene Hilfswerke und kirchliche Organisationen. Die Initiative verlangt, dass Banken, Versicherungen, Effektenhändler, Fonds usw., nicht in Finanzinstrumente investieren dürfen, welche sich auf Nahrungsmittel beziehen. Ausgenommen von diesem Verbot wären alle Händler und Produzenten von Nahrungsmitteln, welche sich durch Termingeschäfte absichern. Das heisst, die Bauern oder ihre Verbände, zum Beispiel Volg, und ihre Abnehmer, zum Beispiel Getreide- oder Fleischhändler, aber auch die Verarbeitungsbetriebe der landwirtschaftlichen Produkte wie Apfelsaft- oder Konservenfabriken, dürften weiterhin Termingeschäfte tätigen. 

Dass Spekulationen mit dem Elend anderer eine unschöne Angelegenheit sind, äusserten in der Parlamentsdebatte auch viele Gegner der Initiative; doch sind sie der Meinung, eine wirksame Regelung müsste international, also zum Beispiel über die WTO getroffen werden: Dafür sollte sich die Schweiz aktiv einsetzen. Andernfalls werden grössere Schäden für den Dienstleistungsplatz Schweiz befürchtet. Schliesslich gehen in der Frage, ob und wie weit Preisschwankungen auf dem Getreidemarkt wirklich durch Spekulationsgeschäfte beeinflusst werden, die Meinungen auseinander.

Aber über allen Diskussionen und Debatten bleibt das dringliche humanitäre Anliegen der Initianten im Raum stehen: Dürfen wir allfällige finanzielle Gewinne von Unternehmungen in die Waagschale legen, wenn es auf der anderen Seite möglicherweise um Hunderttausende von Menschenleben geht? «Nein», sagt die Geschäftsleiterin von Swissaid, Caroline Morel, «das dürfen wir nicht».  Allerdings brachte manch einer der National- oder Ständeräte in den Parlamentsdebatten zum Ausdruck, dass er sich mit der Entscheidung für oder gegen die Initiative nicht leicht tat.

Am 28. Februar 2016 wird nun das Schweizervolk an der Urne seinen Entscheid fällen. 

Aus dem Interview, das Zeit-Fragen mit Caroline Morel geführt hat, geht hervor, dass die unberechenbare Preisentwicklung für Kleinbauernfamilien verheerend ist. So sagte Bundesrat Johann Schneider-Ammann in seiner Stellungnahme im Nationalrat am 17. September 2015: «Die Spekulation hat durchaus positive und nützliche Funktionen. Sie erhöht die Liquidität auf den Märkten. Das ermöglicht den Produzenten und den Verarbeitern, sich zu vernünftigen Konditionen abzusichern. Es geht um Planungssicherheit, es geht um Kosteneffizienz. Wenn die Erträge aus der Kosteneffizienz in einem funktionierenden Markt letztlich an den Konsumenten weitergegeben werden, kann das nicht nur schlecht sein.» 

Die Frage ist hier: Vermischt der Bundesrat die Spekulation mit der Geschäftsabsicherung, die gemäss Initiativtext auseinandergehalten werden müssen? Oder anders gefragt: Was will die Initiative Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln! verbieten, und was wäre weiterhin erlaubt? 

Caroline Morel: Ja, der Bundesrat vermischt hier die beiden Sachverhalte. Weil Ernteerträge schwierig vorauszusehen sind, sichern sich Produzenten und Händler ab. An sogenannten Terminmärkten schliessen sie Verträge über den Handel mit einem Agrar-Rohstoff ab, wobei Menge, Fälligkeit und Preis im voraus festgelegt werden. Diese Verträge haben eine Versicherungsfunktion und werden durch die Spekulationsstopp-Initiative nicht in Frage gestellt. Die vom Bundesrat erwähnten positiven Funktionen werden also weiterhin möglich sein. Seit dem Jahr 2000 treten jedoch vermehrt Finanzinvestoren, Banken, Hedgefonds und institutionelle Anleger als Akteure auf den Terminmärkten auf. Sie setzen auf langfristig steigende Preise oder spekulieren auf kurzfristige Preisveränderungen. Die Spekulation dieser Gruppe, die vom physischen Handel abgekoppelt ist, ist schädlich und sie soll daher reguliert werden. Beängstigend ist das Volumen an Spekulation: Bis 2000 waren 20 % der Verträge spekulativer Natur. Seit der Finanzkrise liegt ihr Anteil wegen neuer Finanzinvestoren bei 80 % und mehr. 

Das Hauptargument der Gegner der Initiative ist, dass die Spekulation gar nicht die Ursache der wuchtigen Preiserhöhungen für Getreide auf dem Weltmarkt in den Jahren 2007/2008 und 2011 gewesen sei. Wie ist das zu sehen? 

Die Nahrungsmittelkrise 2008 schreckte die internationale Gemeinschaft auf. Die Zahl der Hungernden stieg rasch um 100 Millionen und erreichte die traurige Rekordmarke von 1 Milliarde Menschen. Die Hauptgründe: Die Preise für Grundnahrungsmittel waren wegen Ernteausfällen nach Dürren und Überschwemmungen markant gestiegen. Hinzu kamen der politisch geförderte Anbau von Agrotreibstoffen sowie die zunehmende Tierfutterproduktion wegen steigendem Fleischkonsum. Doch auch die Spekulation mit Agrarrohstoffen wie Weizen oder Reis trieb die Preise in die Höhe. Es ist klar, dass verschiedene Faktoren zu den wuchtigen Preiserhöhungen führten. Einige Faktoren sind jedoch schwer beeinflussbar [Wetterkapriolen], andere können politisch gelöst werden. Hohe Nahrungsmittelpreise führen zu Hunger, Rückschritten in der Armutsbekämpfung und sozialen Unruhen. In Entwicklungsländern geben arme Haushalte 60 bis 80 % ihres Einkommens fürs Essen aus, prozentual gesehen viel mehr als bei uns. Steigen die Preise für Grundnahrungsmittel, sind diese Familien daher in ihrer Existenz bedroht. Darum gilt es, die verschiedenen Faktoren, die zu den Preiserhöhungen führten, möglichst rasch zu minimieren. Mit der Spekulationsstopp-Initiative konzentrieren wir uns auf einen wichtigen Faktor, der zu Preiserhöhungen beiträgt. 

Wäre denn ein Spekulationsverbot dann dringend nötig, wenn bereits andere Faktoren die Getreidepreise in die Höhe treiben? 

Ja. Die Finanz- und Wirtschaftskrise war der Hauptauslöser, dass die schädliche Spekulation in Nahrungsmittel so stark zunahm, denn die Anleger und Hedgefonds suchten nach neuen Investitionsmöglichkeiten. Seit der Nahrungsmittelkrise ist weniger die Preiserhöhung das grosse Problem, sondern vielmehr die Preisschwankungen, die durch die schädlichen Spekulationen massiv verstärkt werden. Für Kleinbauernfamilien ist die unberechenbare Preisentwicklung verheerend, denn sie kann dazu führen, dass weniger in die landwirtschaftliche Produktion investiert wird oder dass in der Not Saatgut, Vieh oder Land verkauft werden. Die Gefahr wächst, dass die Menschen qualitativ und quantitativ schlechter mit Nahrungsmitteln versorgt werden. Die Bauern und Bäuerinnen verlieren an Planungssicherheit.   

Viele Gegner befürchten im Falle der Annahme der Initiative negative Auswirkungen auf den Schweizer Wirtschaftsstandort, weil vor allem Grossbanken und andere Grosskonzerne ihre Geschäfte ins Ausland verlegen könnten. Andererseits gibt es aber auch viele Anleger, die ihr Geld lieber für ethisch vertretbare Zwecke einsetzen. Könnten wir in der Schweiz da noch zulegen? 

Der Schweizer Finanzplatz kann mit der Annahme der Initiative an Ansehen gewinnen, denn er setzt damit ein klares Zeichen gegen Spekulationspraktiken. Dabei geht es auch um eine Prävention vor Reputationsrisiken, was gerade dem Schweizer Finanzplatz nur zugute kommen kann. In der USA und der EU gibt es bereits Bestrebungen, den Spekulationspraktiken etwas entgegenzusetzen; sie gehen aber weniger weit als die vorliegende Schweizer Volksinitiative. Anstatt anschliessend übernehmen zu müssen, was andere beschlossen haben, könnte die Schweiz proaktiv einen Schritt vorangehen. 

Gibt es in der Schweiz bereits so etwas wie fair trade für Finanz-Unternehmungen, also eine Bescheinigung durch Swissaid und andere Hilfswerke, dass eine Bank oder eine Pensionskasse nur saubere Anlagen vermittelt, zum Beispiel keine Fonds mit Waffen- oder Nahrungsmittelaktien? 

Nein, das gibt es meines Wissens nicht. Swissaid ist nicht auf dieses Thema spezialisiert. Es gibt verschiedene ethische und nachhaltige Fonds, in die mit gutem Gewissen investiert werden kann. Seit der Diskussion über die Spekulation mit Nahrungsmitteln gab es aber als positive Auswirkung bereits Banken, die sich von den Investitionen in Agrarrohstoffe zurückgezogen haben. Wichtig ist es hier, sich als Kunde oder Kundin bei der eigenen Bank oder Pensionskasse genau darüber zu informieren.

Können Sie uns Stimmberechtigten zum Schluss kurz sagen, warum wir am 28. Februar ja zur Initiative Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln! sagen sollen? 

Angesichts der 800 Millionen Menschen, die heute unter Hunger leiden, ist die Spekulation mit Nahrungsmitteln ein Skandal. Es muss alles unternommen werden, um exzessive Spekulationen zu unterbinden. Darum unterstützt Swissaid die Spekulationsstopp-Initiative. Gerade in der Schweiz, einem der wichtigsten globalen Handelsplätze für Agrarrohstoffe, braucht es einen mutigen politischen Schritt zum Schutz des Rechts auf Nahrung für alle.

 

Quelle:  
http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=2356 
Zeit-Fragen
  >  2016  >  Nr. 2, 19. Januar 2016