Syrien: Notizen zu Aleppo - Von Doris Auerbach

d. a. Mitte Dezember letzten Jahres hatte der syrische Präsident Baschar al-Assad

dem Westen völlig zu Recht die Schuld für das Andauern des Bürgerkriegs in seinem Land gegeben: Der Konflikt könnte in weniger als einem Jahr beendet sein, wenn die verantwortlichen Länder Schritte gegen die Flut ausländischer Kämpfer unternehmen würden. »Doch das Problem ist, dass sie sie weiterhin täglich unterstützen.« Und da diese das Ziel verfolgten, dass »eine politische Lösung mit der Änderung dieses Staates endet«, werde sich der Krieg weiter hinschleppen.  [1]  Zudem machte er den westlichen Regierungen den ebenfalls berechtigten Vorwurf, den Terroristen in Syrien Vorschub geleistet und Syrien mit einem Embargo belegt zu haben.

Was die inzwischen eingetretene Lage angeht, so hat sich durch das Eingreifen Russlands endlich eine entscheidende Schwächung des Islamischen Staats und der al-Nusra-Front vollzogen. Das syrische Regime hat die russischen Luftschläge gegen den IS im Vergleich zum Engagement der von der USA angeführten Koalition als fünfmal so effektiv bezeichnet. Auch Assads Stellvertreter, Aussenminister Walid Muallem, hatte Europa im Dezember eine falsche Haltung zum Syrien-Konflikt vorgeworfen und die EU  - die Türkei eingeschlossen -  für die aktuelle Flüchtlingssituation verantwortlich gemacht.  

Am 3. Februar erzielte die syrische Armee mit Hilfe der Russen einen strategisch wichtigen Durchbruch bei Aleppo, wodurch die Hauptnachschub-Verbindung der Terror-Miliz IS in die Türkei gekappt wurde. Hieran anschliessend hatte das russische Militär erklärt, dass »wir weitermachen, bis wir Terrororganisationen wie die al-Nusra-Front besiegt haben.« Das Hauptziel der Offensive der Regierungstruppen in Aleppo im Norden Syriens ist nicht die Einnahme der Stadt selbst, sondern die Durchtrennung der Versorgungswege für die Terroristen gewesen. »Wichtig ist«, betonte al-Assad, »der Versorgung der Terroristen durch die Türkei ein Ende zu setzen.«

Am 4. Februar gab die US-Regierung ihr Kriegsziel in Syrien auf und erklärte sich bereit, mit der syrischen Armee unter ihrem Oberbefehlshaber al-Assad zu kooperieren. Damit hat sich die russische Sicht durchgesetzt, die eine Befriedung der Region nur dann für möglich hält, wenn der syrische Staatschef mit einbezogen wird. 

Am 11. Februar ist die 55. Brigade der vierten mechanisierten Division der syrischen Armee (SAA) mit russischer Luftunterstützung weiter in Richtung der IS-Hochburg Rakka und des Luftstützpunkts Tabaqa vorgerückt. Die SAA eroberte eine strategisch wichtige Anhöhe entlang der Itriyah-Rakka-Autobahn und befindet sich derzeit 40 km vor Rakka.

In der nordsyrischen Provinz Aleppo haben Kurden-Milizen der YPG, die sowohl mit Russland als auch mit der USA kooperieren, Angaben zufolge einen unweit der türkischen Grenze angelegten strategisch wichtigen Luftwaffenstützpunkt eingenommen. Die kurdischen Volksverteidigungseinheiten hätten gemeinsam mit ihren arabischen Verbündeten der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) die Rebellen der al-Nusra-Front, der Ahrar al-Scham und der Freien Syrischen Armee (FSA) vom Stützpunkt Minnigh und aus drei angrenzenden Dörfern vertrieben.  

Die durch die Kämpfe bei Aleppo ausgelöste Flüchtlingswelle ist unmittelbar nach dem erzielten Durchbruch ausgerechnet vom Westen, der den Bürgerkrieg in Syrien auf dem Gewissen hat, mit Anklagen bedacht worden, die erneut aufzeigen, dass bei nicht wenigen Parlamentariern, wohlwollend gesprochen, keinerlei Durchblick bestehen dürfte, oder dass sich ihr Denken, was der Wahrheit vermutlich wesentlich näher kommt, durch eine schwere Heuchelei charakterisiert. 

»Das Vorgehen Russlands ist Ausdruck eines brutalen Zynismus der Moskauer Politik«, erklärte beispielsweise der ehemalige Bundesumweltminister Norbert Röttgen, heute Aussenpolitik-Experte der Union und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Russland wolle die Opposition zum syrischen Machthaber al-Assad wegbomben, so Röttgen. Er hat es erfasst; allerdings sicherlich ungewollt. Denn jeder, der sich in dem Syrien-Inferno noch ein Quentchen an Verstand bewahrt hat, wartet darauf, dass Russland die vom Westen, Saudi-Arabien und Katar aufgebaute Opposition beseitigt. Nach dieser Anschuldigung wartet Röttgen mit einer faustdicken Verdrehung der Tatbestände auf, indem er erklärt, dass Moskau anschliessend das Angebot machen werde, gemeinsam gegen den Islamischen Staat vorzugehen. »So will sich Moskau für die Lösung eines Konflikts anbieten, den es selbst mitgeschaffen hat«, sagte Röttgen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung  [F.A.S.].  Wo wäre Moskau auch nur der geringste Anteil an dem in Syrien tobenden Dschihad zuzuschreiben? Und gegen was sonst kämpft Russland, wenn nicht gegen eben diese Rebellen sowie gegen das US-geschaffene ISIS-Monster?  

Hierzu ein kurzer Rückblick auf Volker Perthes, wie ihn Thierry Meyssan aufgezeichnet hat; aus diesem geht hervor, in welche Weise Röttgens eigene Bundesrepublik impliziert ist: Seit 2005 beteiligte sich der deutsche Akademiker Volker Perthes mit der CIA an der Vorbereitung des Krieges gegen Syrien. Perthes leitet den mächtigsten europäischen Think Tank, die Stiftung  Wissenschaft und Politik SWP, die über 130 Spezialisten beschäftigt. Im selben Jahr, als Jeffrey Feltman, damals US-Botschafter in Beirut, die Ermordung von Rafiq Hariri überwachte, stützte er sich auf Deutschland, sowohl für den Mord selbst  [Berlin lieferte die Waffe]  als auch für die UNO-Kommission, die die Präsidenten al-Assad und Lahoud anklagen sollte  [Staatsanwalt Detlev Mehlis, Polizeikommissar Gerhard Lehmann und ihr Team].  Die internationale Kampagne gegen die beiden Präsidenten wurde vor allem von Perthes betrieben. Dieser hatte im Rahmen eines deutschen Forschungsstipendiums 1986/87 in Damaskus über Syrien geforscht. Danach machte er als Professor für Politikwissenschaften in Deutschland Karriere, ausser in den Jahren 1991–1993, als er an der American University in Beirut lehrte. Als Feltman 2006 den israelischen Angriff auf den Libanon organisierte, war allein die USA beteiligt, in der Hoffnung, dass Syrien nach der Niederlage der Hizbullah Beirut zur Hilfe kommen würde, woraus sich ein Vorwand für die Intervention der USA ergäbe. Berlin begnügte sich in der Folge damit, Kriegsschiffe als Unterstützung der UN-Interimstruppe im Libanon (Unifil) beizusteuern. Während des Jahrestreffens der Bilderberger vom 5. bis 8. Juni 2008 in Vouliagmeni bei Athen, 5 Jahre vor dem Krieg, begründete US-Aussenministerin Condoleezza Rice die Notwendigkeit, die syrische Regierung zu stürzen. Begleitet wurde sie dabei von der Leiterin der Arabischen Reforminitiative, Bassma Kodmani, die zukünftige Gründerin des Syrischen Nationalrates, sowie von Volker Perthes. Laut einem von Wikileaks veröffentlichten Dokument beriet Perthes Rice auch in bezug auf den Iran. Ihm zufolge war es gefährlich, eine militärische Operation mit unvorhersehbaren regionalen Folgen zu starten. Es wäre viel effizienter, Irans Wirtschaft zu sabotieren. Perthes Ratschläge wurden befolgt, und 2010 wurden die Computerprogramme der iranischen Atomkraftwerke durch das Stuxnet-Virus zerstört.   

Im März 2011 veröffentlichte Perthes eine Gastkolumne in der New York Times und machte sich über die Rede von Präsident al-Assad in der Volkskammer  lustig; in dieser prangerte er eine Verschwörung gegen Syrien an. Nach  Perthes’ Meinung war die Revolution in Syrien im Vormarsch, und der Präsident sollte gehen. Mitte 2011 ermöglichte die deutsche Regierung den Durchbruch der Muslimbruderschaft in Tunesien und Ägypten; auf Wunsch der CIA beherbergte die BRD die internationale Koordinationsstelle der Bruderschaft in Aachen. Berlin beschloss daraufhin, die Muslimbrüder überall dort zu unterstützen, wo sie an die Macht kommen konnten, mit Ausnahme der Hamas in Palästina, um Israel nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Unter dem Einfluss von Volker Perthes liess sich das deutsche Auswärtige Amt, damals unter der Leitung von Guido Westerwelle, davon überzeugen, dass die Muslimbrüder keine ›Islamisten‹ seien, sondern dass sie ›sich am Islam orientierten‹. Das Auswärtige Amt schuf daraufhin eine Kontaktstelle für Gespräche mit den moderaten islamistischen Bewegungen sowie eine Task-Force für Syrien. Perthes seinerseits organisierte im Juli 2011 den Empfang einer von Muslimbruder Radwan Ziadeh angeführten Delegation der syrischen Opposition im Ministerium. Am 6. Oktober 2011 nahm Perthes auf Vorschlag des US-Aussenministeriums an einer unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgehaltenen Konferenz teil, die von der Turkish Industry & Business Association [Tusiad] und dem privaten US-Geheimdienstunternehmen Stratfor organisiert worden war, um die Energie-Optionen der Türkei und die möglichen Reaktionen von acht anderen Ländern, darunter Deutschland, zu simulieren. Anwesend waren die 10 grössten türkischen Vermögenden sowie der damalige Energieminister Taner Yildiz, der Mann, welcher der Erdogan-Familie helfen sollte, die Finanzierung des Krieges mit dem vom IS gestohlenen Öl zu organisieren. Im Januar 2012 bat Jeffrey Feltman als damaliger Nahost-Verantwortlicher Perthes, die Leitung des Programms The Day After, das die Zusammensetzung der zukünftigen syrischen Regierung vorbereiten sollte, zu übernehmen.  Rund 6 Monate lang fanden Sitzungen statt, welche in einen Bericht mündeten, der nach der Genfer Konferenz von Juni 2012 veröffentlicht wurde. The Day Aftermobilisierte 45 syrische Oppositionelle, einschliesslich Bassma Kodmani und einigen Muslimbrüdern. Es wurde durch das im Verteidigungsministerium angesiedelte US Institute of Peace finanziert, einer Schwesterorganisation der National Endowment for Democracy. Auch Deutschland, Frankreich, Norwegen, die Niederlande und die Schweiz beteiligten sich daran. Beim offiziellen Amtsantritt als Nummer 2 der UNO am 2. Juli 2012 legt Jeffrey D. Feltman vor dem Generalsekretär Ban Ki-Moon den Eid ab. Von nun an befand sich die Organisation, die eigentlich den Frieden fördern sollte, unter der Kontrolle der Falken. Nachfolgend sind die Grundsätze des Perthes-Feltman Plans zusammengefasst:

-  Die Souveränität des syrischen Volkes wird abgeschafft;

-  die Verfassung wird aufgehoben;

- der Präsident wird abgesetzt, aber ein Vize-Präsident wird für die Protokollfunktionen im Amt bleiben;

-  die Volksversammlung wird aufgelöst;

-  mindestens 120 Führungspersönlichkeiten werden als schuldig befunden und von jeglicher politischen Funktion ausgeschlossen, anschliessend vor Gericht gestellt und durch ein internationales Gericht verurteilt;

-  die Direktionen des militärischen Nachrichtendienstes, der politischen Sicherheit und der allgemeinen Sicherheit werden abgesetzt oder aufgelöst;

-  politische Gefangene werden freigelassen und die Antiterror-Gerichte aufgehoben;

-  die Hizbullah und die Wächter der Revolution müssen sich zurückziehen; dann und erst dann wird die internationale Gemeinschaft gegen den Terrorismus kämpfen. 

Gleichzeitig organisierte Perthes die Working Group on Economic Recovery and Development [Arbeitsgruppe für wirtschaftliche Erholung und Entwicklung] der Die »Freunde« Syriens  -  die die USA bereits Ende 2011 um sich geschart hatte, um den Sturz des syrischen Präsidenten und dessen säkularer Regierung zu betreiben. Im Juni 2012 hat diese Gruppe unter dem gemeinsamen Vorsitz Deutschlands und der Vereinigten Arabischen Emirate den Mitgliedsstaaten der Freunde SyriensBetriebsbewilligungen für die Förderung von syrischem Erdgas als Gegenleistung für ihre Unterstützung beim Sturz der Regierung zugesprochen. Perthes organisierte auch die Working Group on Transition Planning der Arabischen Liga und schliesslich installierte er auch das Syrian Transition Support Network in Istanbul. Seit der ersten Genfer Konferenz vom 30. Juni 2012 und dem Treffen der Freunde Syriens in Paris am 6. Juli 2012 gibt es keine öffentliche Spur mehr, die auf Volker Perthes’ Rolle hindeutet, abgesehen von seinen Publikationen, mit denen er auf die weitere Unterstützung der Muslimbruderschaft durch Deutschland drängt.  [2] 

Durch die Bombardements, so Röttgen ferner, steige die Zahl der Flüchtlinge nach Europa weiter, »ein Nebeneffekt, der Moskau nicht unwillkommen ist.« Nun trifft ersteres effektiv zu, mit dem Unterschied, dass der Hauptharst der Flüchtlinge, die seit Beginn des Syrienkriegs bei uns eingetroffenen sind, Berlin selbst und allen Mitbeteiligten zuzuschreiben ist, denn ohne den bereits unter George W. Bush konzipierten Krieg gegen dieses Land wären wir nie mit dieser Situation konfrontiert worden. Es ist geradezu unglaublich, zu welch fernab jeglicher Realität angesiedelten Behauptungen sich Politiker versteigen. Wo wäre ein Interesse Russlands an der u.a. von George Soros aktiv geförderten Überflutung der EU gegeben? Und letztlich dürfte die Wiederherstellung geordneter Verhältnisse in Syrien den russischen Steuerzahler gigantische Summen kosten. Dass sich eine Zeitung wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitungnicht zu schade ist, derartig unsinnige Aussagen abzudrucken, erstaunt, es sei denn, man betrachte dies als die übliche Gehirnwäsche für die Leser. 

Indessen lautete die Stellungnahme Röttgens auf der NATO-Sicherheitskonferenz in München etwas differenzierter; wie er dort jetzt öffentlich bekundet hat, »betrachtet er es als Versäumnis, keine Schutzzone in Syrien eingerichtet und nicht eher mit den Russen verhandelt zu haben, auch weil man sich lange Zeit zu sehr auf die Probleme in der Ukraine konzentriert habe.« Dagegen dürfte seine Forderung »Wir brauchen die USA im Nahen Osten, auch militärisch! Wir brauchen eine neue Definition westlicher Einheit, wenn wir Einfluss in Welt haben wollen« auf wenig Verständnis in der Öffentlichkeit stossen. Ist es doch gerade die Präsenz der USA im Nahen Osten, die diesen in einen einzigen Brandherd verwandelt hat. Völlig unverständlich ist ferner, dass Röttgen einen Rückzug der USA aus Europa und dem Nahen Osten sehr, sehr skeptisch sieht. »So würden wir den Einfluss in dieser Region verlieren und diese sich selbst überlassen«, sagte der CDU-Mann. Er fordert daher eine Kursumkehr Washingtons, die Rückkehr zur starken transatlantischen Brücke. Ich wüsste gar nicht, wo sich die USA dem transatlantischen Bündnis entzogen hätte. Im Gegenteil; Washington hat doch über die NATO die gesamte EU in der Hand, von den gegen Russland zwangsverhängten Sanktionen bis hin zu der ebenfalls gegen Russland gerichteten Aufrüstung der NATO. Insofern ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass nicht nur die europäische Bevölkerung, sondern auch die des Nahen Ostens geradezu aufatmen würde, wenn die USA aufhörte, in ihrer bekannten nefasten Art in ihre Politik einzugreifen. Damit, allerdings, ist kaum zu rechnen ist, wie das Willy Wimmer dargelegt hat: Die strategische Neuausrichtung der USA hat sich seit Kriegsausbruch 1999 gegen Jugoslawien etabliert und gipfelt in den veröffentlichten US-Dokumenten, die Welt jederzeit mit Krieg überziehen zu können, wenn es im amerikanischen Interesse ist. Die USA hat sich in der ersten Hälfte der 90er Jahre offensichtlich genötigt gesehen, das politisch-militärisch-völkerrechtliche Faustrecht zu ihren Gunsten wieder einzuführen, weil sie ein Europa der Kooperation offensichtlich fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Die Vereinigten Staaten, und ich bedauere das sehr wegen der engen Kooperation, die es über Jahrzehnte hinweg gegeben hat, haben sich entschieden, den Krieg nach Europa zurückzubringen. Wimmer legt ferner dar, dass die USA in einem Gürtel von China bis nach Algerien versucht, Staaten zu destabilisieren. »Wenn man sich heute die Ukraine ansieht, wenn man sich ansieht, was in Syrien gemacht worden ist, um die russische Föderation vom Süden her aufzurollen, dann kann man in Moskau den Eindruck haben, dass es demnächst auf Moskauer Strassen so losgehen soll, wie derzeit auf den Kiewer Strassen.. Und ich sage das vor dem Hintergrund der Umstände, dass immer viele Gründe zu einer solchen Entwicklung führen, aber dass die USA und Grossbritannien immer die Finger darin haben.«  [3]  So hatte Röttgen im Februar letzten Jahres kurz vor dem Vierer-Gipfel zum Ukraine-Konflikt in Minsk davor gewarnt, Russland zu sehr entgegenzukommen; mit Blick auf die Sanktionen gegen Moskau sah er noch viel Raum zur Verschärfung.  

Natürlich musste auch Aussenminister Frank-Walter Steinmeier das russische Vorgehen am 6. Februar einer Kritik unterziehen: »Die Chance für eine politische Lösung darf jetzt nicht wieder kurzsichtigem militärischen Taktieren zum Opfer fallen«, sagte Steinmeier der F.A.S.Die russischen Luftangriffe hätten »die militärischen Kräfteverhältnisse für den Moment verschoben.« Soll das heissen, dass Steinmeier bedauert, dass Russland erste wirkliche Ansätze geleistet hat, um den Dschihad resp. den IS zurückzudrängen? Und logischerweise ist ein Niederwerfen beider nicht zu erzielen, ohne die militärischen Kräfteverhältnisse zugunsten der Russen und der syrischen Armee zu verschieben, ganz abgesehen davon, dass man bei einem solchen statement Steinmeiers aussenpolitisches Beurteilungsvermögen doch etwas sehr in Zweifel ziehen muss. Oder wird etwa bedauert, dass das NATO-Mitglied Türkei durch die Erfolge des russischen Militärs von seinem lukrativen Ölhandel mit dem IS abgeschnitten ist? 

So meinte Steinmeier letzten Dezember, Assads Regierung könne jetzt zeigen, ob sie wirklich zum Kampf gegen die IS-Terroristen bereit sei oder ob sie »weiter Fassbomben oder Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung einsetzt.«  [4]  Selbstredend ist es für einen Aussenminister nicht erforderlich, einen Beweis für eine derartige Anschuldigung zu erbringen; er kann das einfach in den Raum stellen. Dass Assad keine Chemiewaffen eingesetzt hat, ist längst erwiesen, und zu den Fassbomben vermerkt Joachim Guilliard: »Belege für deren Einsatz gibt es kaum. Die tausendfache Wiederholung der Behauptung begründet aber für den Westen die Notwendigkeit des Sturzes Assads. Nachdem auf Grund unabhängiger Untersuchungen und Recherchen die Behauptung, die syrische Armee habe Giftgas gegen Aufständische eingesetzt, unhaltbar wurde, sind nun Asssads Fassbomben das wichtigste Argument, mit dem das Festhalten am Umsturzziel begründet und jeglicher Zusammenarbeit mit der Regierung eine Absage erteilt wird.«  [5]  Mittels derartiger Unterstellungen lässt sich natürlich das Bild Assads als verwerflicher Verbrecher mühelos aufrechterhalten.  

Nun muss Steinmeier nicht nur darüber im Bild sein, wie der IS aufgebaut wurde, sondern auch darüber, dass Berlin die Entscheidung Obamas, die syrischen Rebellen mit Waffen zu versorgen, im Juni 2013 begrüsste; ferner muss ihm der von der EU im März 2013 getroffene Entschluss, die syrischen Regierungsgegner militärisch zu unterstützen, bekannt sein, ebenso die von der USA angestrebten Umbaupläne für Syrien. Man lese nun hierzu den nachfolgenden Ausschnitt aus seiner Rede vor der UNO Ende Oktober 2014.  [6]  Mit Blick auf den islamistischen Terror sagte Steinmeier: »Dämonen plagen die Welt im Jahr 2014.« Bei den Kämpfen im Irak und in Syrien handle es sich um mehr als einen regionalen Konflikt: »Diese Barbarei richtet sich gegen uns alle – gegen alles, wofür die Vereinten Nationen stehen.« Die Brutalität der Terroristen, die den Namen Gottes missbrauchten, schockiere, sagte Steinmeier, und schlug sogleich nachdenkliche Töne an: »Muss es uns nicht besonders beunruhigen, wenn die Prediger des Hasses junge Menschen in ihren Bann ziehen, die mitten in unseren eigenen Gesellschaften aufgewachsen sind?« Weil dies so sei, müsse die Reaktion auf den Terror »über die unmittelbar notwendige humanitäre und militärische Antwort hinausgehen.«  Ist doch phantastisch! 

Und nicht, dass ersichtlich wäre, dass die UNO wirklich dafür stünde, einen Krieg zu verhindern….. 

Auf der NATO-Tagung in München tönte es jetzt etwas anders: »Es sind nicht mehr die alten Konflikte zwischen Staaten«, so Steinmeier; »was uns heute mehr beschäftigt sind Konflikte zwischen Staaten und gesellschaftlichen, fundamentalistischen, terroristischen Gruppierungen, häufig überlagert durch ethnische und religiöse Konflikte. Die alten Kategorien greifen nicht mehr. Es sind komplexe Konflikte, denen wir anders begegnen müssen. Syrien ist ein Beispiel dafür.« Man darf gespannt sein, wie den vom Westen heraufbeschworenen Konflikten in Zukunft begegnetwird.  

Ebenfalls am 6. 2., also direkt nach Russlands Erfolg in Aleppo, meinte der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler: »Einen Friedensprozess anzustreben ist mit fortgesetzten Bombardements nicht vereinbar.« Russland könne nicht die Friedensbereitschaft anderer Akteure in Syrien testen und selbst auf die militärische Karte setzen. »Das kann nicht gutgehen.« Erstens haben die Freunde Syriens bislang nichts anderes als einen konstanten Bombenkrieg gegen Assad geführt, zweitens kann ich bei den hinter dem Syrienkrieg stehenden Akteuren kaum eine Friedensbereitschaft ausfindig machen.   

Die Bundeskanzlerin vertritt offenbar nach wie vor ihre eigene Linie. Während sich die US-Regierung inzwischen mit den Russen darauf geeinigt hat, mit dem syrischen Präsidenten temporär zusammenzuarbeiten, fordert Merkel unverändert und kompromisslos den Sturz von al-Assad. Am 8. 2. hat sie sowohl Russland als auch das syrische Regime für die Luftangriffe auf Aleppo scharf kritisiert. »Wir sind entsetzt über das menschliche Leid durch die Bombenangriffe - auch von russischer Seite«, so Merkel nach dem Treffen mit Davutoglu. Man möge mich korrigieren, aber es liegt mir keine Aussage vor, die aufzeigte, dass Merkel die zahllosen Toten, die der vom Westen gegen Assad entfesselte Dschihad verursacht hat, auch nur ein einziges Mal bemitleidet hätte. Seit Beginn des bewusst entfachten blutigen Bürgerkriegs im März 2011 sind in dem arabischen Land UNO-Angaben zufolge rund 220.000 Menschen ums Leben gekommen. Auch die Zahl der toten und verletzten Zivilisten in Afghanistan hat einen neuen Höchststand erreicht; 2015 sind 11.000 Fälle verzeichnet worden, mehr als 3.500 Tote und knapp 7.500 Verletzte. Auch hierzu liegt mir keine, eine Anteilnahme der Kanzlerin bekundende Aussage vor. Im übrigen hat der russische Premier Dmitri Medwedew soeben in München erklärt, dass keinerlei Beweise für Bombenangriffe der russischen Luftwaffe auf die Zivilbevölkerung in Syrien vorliegen. »Niemand hat uns Beweise für Bombenangriffe auf die Zivilbevölkerung vorgelegt, obwohl man uns immer wieder vorwirft, falsche Ziele getroffen zu haben«, sagte er am 13. 2. auf der NATO-Sicherheitskonferenz.  Er merkte ferner an, dass die Partner nicht dazu bereit seien, Informationen auszutauschen. Nach dem Beginn der Operation der russischen Streitkräfte in Syrien sind gegen Moskau durch keinerlei Beweise gestützte Anschuldigungen erhoben worden, denen zufolge die russische Luftwaffe statt der IS-Stellungen die gemässigte Opposition und zivile Objekte angegriffen hätte; Moskau hat jedoch wiederholt erklärt, dass Ziel der Angriffe ausschliesslich die Stellungen von Terrormilizen seien, aber keine Objekte der zivilen Infrastruktur. 

Wie Merkel am 11. Februar darzulegen beliebte, müssten jetzt in erster Linie die Fluchtursachen im Ausland bekämpft werden; die Hilfe in der Heimat der Menschen müsse in den Vordergrund rücken. Um das zu gewährleisten müsste sie an erster Stelle ihre Forderung nach einem Sturz Assads aufgeben, ferner ihre Kritik an den Russen, deren Willen zur Befriedung Syriens nicht zu verkennen ist, einstellen und zusätzlich ihr ganzes Gewicht in die Waagschale werfen, um all die Kriegsgurgeln, denen der Syrienkonflikt anzulasten ist, auf die Seite Russlands zu bringen. Dies konträr zu ihrer auch am 5. 2. an Russland und Syrien ergangenen Forderung, die Angriffe auf syrische Rebellen einzustellen, obwohl es auf der Hand liegt, dass eine grosse Mehrheit derselben nicht gewillt erscheint, das syrische Regime anzuerkennen.  

Zustimmung  
zu Russlands Vorgehen kommt von dem früheren Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat. Den Deutschen Wirtschafts Nachrichtenzufolge hat dieser die Rolle Russlands im Syrienkonflikt gelobt: Erst die Russen haben den Friedensprozess mit ihrem militärischen Eingreifen ermöglicht. Bis September 2015 habe diesbezüglich ein Stillstand geherrscht. »Weder die Amerikaner noch die Europäer hatten eine Strategie für ein friedliches Syrien und waren auch nicht bereit, sich massiv zu engagieren. Die Russen haben es gemacht und damit ein Fenster für eine politische Lösung aufgestossen«, sagte Kujat. Vor dem russischen Eingreifen hätte die syrische Armee vor ihrem Ende gestanden. »Ich hätte ihr nur noch wenige Wochen gegeben. Dann wäre Syrien kollabiert und der IS hätte das Land übernommen.« Kujat widersprach auch der Vermutung, Putin hätte mit den Bombardements in Aleppo gezielt versucht, die Lage zu verschärfen, denn Russland gehe in Syrien nach einem strategischen Plan vor: »Putins Ziel lautet, den Vormarsch der syrischen Truppen in Richtung IS-Gebiet zu unterstützen. Aleppo ist auf diesem Weg bisher wie ein Sperrriegel gewesen, weil die Stadt von der syrischen Opposition gehalten wurde.« Der bekannte investigative US-Journalist und Autor Seymour Hersh sagte im Gespräch mit den DWN, dass das Pentagon die Kriegsführung Russlands in Syrien für professionell und erfolgreich hält. Die Amerikaner soll vor allem beeindruckt haben, dass es den Russen gelungen sei, die Kampfkraft der syrischen Armee wieder herzustellen.  [7]  

In einem mit dem US-Generalleutnant Frederick Hodges geführten Interview erklärte dieser: »Wir, womit ich den Westen meine, brauchen Russland im Kampf gegen den IS. Und Russland braucht uns.« Unter anderem legte Hodges, Oberbefehlshaber der US-Landstreitkräfte in Europa, folgendes dar: Die Russen wollen sicherstellen, dass sie einen Fuss im Nahen Osten behalten, bevor das Regime fällt. Ich glaube nicht, dass sie gefühlsduselig sind, was Präsident Assad betrifft, aber sie sind ganz sicher empfindlich, wenn es darum geht, was sie dort behalten wollen, nämlich den Zugang zur Region. ……  Ich denke, Präsident Putin musste seinen Wählern und dem Rest der Welt zeigen, dass Russland eine Weltmacht ist. Das ist auch der Grund, warum er Marschflugkörper vom Kaspischen Meer aus verschossen hat; nicht, weil es die beste Waffe für so eine Operation ist, sondern um zu zeigen, dass er es kann. Auf die Frage, ob es nicht  unmöglich sei, den IS ausschliesslich mit Luftschlägen zu besiegen, antwortete Hodges: »US-Verteidigungsminister Carter hat die Notwendigkeit betont, dass sich andere Länder in diesem Kampf stärker beteiligen müssen, besonders die Länder der Region. Diese müssen einen grösseren Teil der Kampfhandlungen schultern. Denn der IS ist nicht nur ein Problem für die USA oder die Europäer, es ist vor allem ein Problem für die Region. Wir sprechen über politischen Druck, diplomatischen Druck, wirtschaftlichen Druck, der Nachschub für den IS muss ausgetrocknet werden und natürlich muss die Rekrutierung erschwert werden. Ich denke, die Antwort ist viel komplizierter als nur zu sagen: Bodentruppen.«  [8]  

Die ehemalige Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs, Carla del Ponte, hat die russischen Militärschläge in Syrien ausdrücklich gutgeheissen; sie ist Mitglied der UNO-Kommission zur Menschenrechtslage in Syrien, eine angesehene unabhängige Juristin und über jeden Verdacht erhaben, russische Propaganda zu betreiben. Del Ponte sagte: »Generell finde ich, dass Russlands Intervention gut war. Denn endlich attackiert jemand all diese terroristischen Gruppen wie den Islamischer Staat und al-Nusra«, sagte sie am 8. 2. in einem Interview mit dem französischsprachigen Schweizer Rundfunk und Fernsehen. Sie sprach sich ausserdem dafür aus, dass der syrische Präsident in die Friedensverhandlungen mit einbezogen werden sollte: »Wenn man einen Waffenstillstand anstrebt, wenn man Frieden will, dann muss man zuerst mit der Regierung verhandeln.« Russland hat dazu einen konkreten Vorschlag für einen Waffenstillstand an Washington gerichtet. Die TASS zitiert den russischen Aussenminister Sergej Lawrow, der sagte, der Vorschlag liege bei der US-Regierung zur Überprüfung. Er sei einfach und schnell umzusetzen. Allerdings müssten die US-Verbündeten in der Region aufhören, den Sturz von Assad zu fordern, bevor man über einen Waffenstillstand sprechen könne. Lawrow nannte zwar keinen konkreten Staat, seine Aussage dürfte sich aber im Grunde genommen vor allem auf Saudi-Arabien beziehen.  [9]    

Wie es ferner heisst, will sich die syrische Regierung nicht auf Provokationen der von Saudi-Arabien gegründeten Opposition, die die Genfer Friedensgespräche desavouiert hatte, einlassen; die Saudis hatten am 8. 2. ihre Bereitschaft erklärt, mit einer Elite-Truppe in Syrien einzumarschieren.  

Ausblick    
Wie Markus Wehner in seinem Bericht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 13. Februar schreibt, sind sich deutsche Sicherheitsfachleute einig, dass ein Sieg des syrischen Regimes nicht mehr aufzuhalten ist. »Das Eingreifen Russlands bedeutet eine Trendwende zugunsten des Regimes in Damaskus, die unumkehrbar ist«, heisst es dort. »Der bewaffnete Widerstand zersplittere immer mehr, sein Niedergang lasse sich nicht mehr aufhalten. Durch die voraussehbare Einnahme von Aleppo werde die Legitimität des Assad-Regimes wieder hergestellt, der bewaffnete Widerstand werde dann zusammenbrechen. Ein direktes militärisches Eingreifen Saudi-Arabiens oder der Türkei auf Seiten der Anti-Assad-Kräfte gilt als unwahrscheinlich. Russland verfolgt nach Angaben der Sicherheitskreise eine langfristige Strategie in Syrien. Nach der Stabilisierung des Assad-Regimes in den westlichen Kerngebieten Syriens und dem Niederringen der bewaffneten Opposition binnen eines Jahres soll in einer zweiten Phase die Bekämpfung des Islamischen Staates im Osten Syriens beginnen. Nach Informationen der F.A.S. plant Russland, seine Angriffe in Syrien weiter zu intensivieren. Das Moskauer Verteidigungsministerium setzt sich deshalb für die Errichtung einer zweiten russischen Luftwaffenbasis in Syrien ein. Die Zahl der russischen Kampfflugzeuge soll von derzeit 40 auf 120 verdreifacht werden.  Bisher hat der Kreml über diese Pläne noch nicht abschliessend entschieden. 

Laut obigen Sicherheitsfachleuten sieht sich der Kreml vor einer globalen Herausforderung. Diese geht davon aus, dass sich der Islamische Staat von Syrien aus nach Nordafrika, Zentralasien und Afghanistan ausbreiten wird. Der jetzige Militäreinsatz Moskaus gilt auch als Training für spätere Anti-Terror-Einsätze Russlands.  [10]   

US-Verteidigungsminister Ashton Carter hat im Kampf gegen den IS mehr Anstrengungen von den internationalen Partnern gefordert. »Der Kampf gegen den IS ist von enormer Bedeutung für uns alle, und jede Unterstützung ist wichtig für diesen Kampf« hatte er zum Auftakt des Treffens der US-geführten Anti-IS-Koalition am 11. Februar in Brüssel erklärt.   

 

[1]  http://bazonline.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/Buergerkrieg--Assad-gibt-dem-Westen-die-Schuld/story/22012090     18. 12. 15

[2]  http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=2368   2. 2. 16  
Strippenzieher des Krieges in Syrien - Von Thierry Meyssan

[3]  http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=1877 
Zeit-Fragen
  >  2014  >  Nr. 20/21, 26.8.2014  
Deutschland soll nur noch Vasallendienste leisten  -  Von Willy Wimmer 

[4]  http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2476  
7. 12. 15  Syrien – Eine weitere Kriegsbeteiligung

[5]  https://www.jungewelt.de/2016/01-26/001.php   Joachim Guilliard

[6]  http://www.welt.de/politik/ausland/article132690395/Steinmeier-rechnet-vor-UN-mit-Russland-ab.html   28. 10. 14  Steinmeier rechnet vor UN mit Russland ab

[7]  http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2016/02/12/syrien-ehemaliger-bundeswehr-general-lobt-russlands-militaer-einsatz/   12. 2. 16

[8]  http://www.tagesschau.de/inland/oberbefehlshaber-hodges-sicherheitskonferenz-101.html   11. 2. 16  

[9]  http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2016/02/10/merkel-und-nato-im-abseits-un-kommissarin-lobt-russlands-einsatz-in-syrien/  10. 2. 16

[10]   http://www.faz.net/aktuell/politik/sicherheitskonferenz/russische-militaerhilfe-assads-sieg-ist-nicht-mehr-aufzuhalten-14068394.html    13. 2. 16  
Markus Wehner