Der Weg in die totale Kontrolle

Ein Interview mit Norbert Häring, dem Wirtschaftsjournalisten und Autor zahlreicher Wirtschaftsbücher

Herr Häring, die Bundesregierung will eine europaweite Obergrenze für Barzahlungen, die Europäische Zentralbank will den 500-Euro-Schein abschaffen. Als hätten Sie das geahnt, schrieben Sie das Buch mit dem Titel 

Die Abschaffung des Bargelds und die Folgen: Der Weg in die totale Kontrolle

Wie kam es dazu?

Norbert Häring: Vor 9 Monaten fand in London eine halbgeheime Konferenz der Schweizerischen Nationalbank zur Abschaffung des Bargelds aus geldpolitischen Gründen statt. Ich beschäftigte mich als Journalist mit den Hintergründen. Dabei wurde mir klar, daß es eine abgestimmte, weltweite Kampagne zur Verdrängung des Bargelds gibt, die mit Sicherheit auch Deutschland erreichen würde. Davor wollte und will ich warnen.

Was war das für eine Konferenz? Und warum machen die Schweizer eine Konferenz in London?

Norbert Häring: Ich nehme an, damit es nicht so auffällt. Vielleicht auch, weil der zurückgetretene Zentralbankchef Hildebrand in London für die Finanzbranche arbeitet. Von ihm vermute ich, daß er anders als der jetzige Chef zum inneren Kreis des Anti-Bargeld-Netzwerkes gehört. Auf jeden Fall wurde die Konferenz nicht bekanntgegeben. Als eine Website darüber schrieb, daß sie stattfinden wird, wollte sich das Handelsblatt anmelden, was mit?Verweis auf Platzmangel abgelehnt wurde. Hauptredner waren Ken Rogoff und Willem Buiter, die beide mit Forderungen nach Bargeldabschaffung an die Öffentlichkeit getreten waren. Es waren auch Vertreter der EZB unter den Vortragenden und Teilnehmenden.

Und wovor genau wollen Sie warnen?  

Das vorgeschobene Hauptargument ist, daß Bargeld von Kriminellen, Terroristen und Geldwäschern genutzt würde, weil man sich durch Bargeld der allumfassenden Überwachung entziehen kann. Aber es haben eben auch gesetzestreue Bürger ein Interesse daran, nicht völlig gläsern zu werden, sich der illegalen Massenüberwachung zu entziehen und sich einen Rest an Privatsphäre zu bewahren. Wenn das Bargeld weg ist, geht das nicht mehr.  Außerdem ist das Argument offenkundig ein Vorwand. Unser oberster Finanzbeamter  [gemeint ist natürlich Herr Schäuble; Anm. der Redaktion]  mußte einmal von seinen politischen Ämtern zurücktreten, weil er heimlich 100.000 D-Mark in bar von einem Waffenhändler angenommen hatte. Banken, die sich immer wieder als Hausbanken der Drogenmafia, Geldwäscher und Steuerhinterzieher im Milliardenvolumen betätigt haben, wollen ihren Kunden nun plötzlich keine paar tausend Euro in bar mehr aushändigen, weil die ja in die Schattenwirtschaft fließen könnten. Da muß man schon ziemlich naiv sein, um zu glauben, daß es diesen Leuten wirklich um die Durchsetzung des Steuerrechts ginge. 

Wolfgang Schäuble hat zwar betont, daß es ihm nicht um die Abschaffung des Bargelds gehe, und daß die Grenze von 5.000 Euro so hoch sei, daß sie keinen rechtschaffenen Bürger stören müsse. Das ist aber völlig unglaubwürdig: Eine Grenze bei 5.000 Euro behindert Terrorfinanzierung nicht im geringsten: Chemikalien im Baumarkt kosten weniger. Und wer Maschinengewehre im Dutzend kauft oder verkauft, wird sich nicht davon abhalten lassen, dies in bar abzuwickeln, nur weil es verboten ist. Einen gewissen Effekt kann die Maßnahme nur haben, wenn sie bald so verschärft wird, daß man mit Bargeld kaum noch etwas anfangen kann. Und dann besteht der Verkäufer eben auf Gold, Bitcoin oder anderes……

Handelt es sich dann um Behelfsargumente, die den Menschen einen Plan, bei dem es um ganz andere Ziele geht, sozusagen schmackhaft machen sollen? Die Privatisierung der Bildung im Land wird ja etwa auch unter dem Deckmantel eines Gewinnes an Autonomie geführt, während die Zerschlagung des Sozialstaates unter dem Label der Freiheit firmiert.

Genau. Wenn es wirklich um die genannten Motive ginge, gäbe es Bargeldverbote und ähnlich drastische Maßnahmen schon längst. Schattenwirtschaft, Steuerhinterziehung und Terror sind ja keine neuen Entwicklungen. Und zu Zeiten der RAF war der 1000-Mark-Schein noch dreimal soviel wert wie heute der 500-Euro-Schein. Kein Finanzminister hat sich daran gestört. Nein, die Kampagne zur Abschaffung des Bargelds fällt weitgehend mit der Finanzkrise zusammen. Dort sind die Motive zu suchen.

Worum geht es also eigentlich? Und um wessen Interessen im Hintergrund? 

Es geht darum, den Menschen die Alternative zum Bankengeld zu nehmen, dafür zu sorgen, daß ihr Geld das Bankensystem nicht mehr verlassen kann. Dann wird etwa eine Heranziehung der Gläubiger zur Bankensanierung viel leichter gehen. Statt als Steuerzahler werden die Menschen dann als Einleger der Banken zur Sanierung herangezogen, so wie die Griechen seit Mitte 2015 oder die Zyprer im Jahr 2013. Vielen zyprischen Einlegern und Pensionären wurde damals einfach die Hälfte ihrer Bankguthaben gestrichen. Das war Geld, für das sie gearbeitet hatten und sie hatten den Fehler gemacht, es als Bankengeld bei ihren Banken zu halten, sonst hätten sie es heute noch. Die meisten haben irgendwie die Vorstellung, ihr Geld würde auf der Bank verwahrt und gehöre ihnen. Das ist ein Irrtum. Unsere Guthaben auf dem Bankkonto sind Kredite an die Bank und gehören der Bank. Sie muß sie nur auf Wunsch zurückzahlen, in Bargeld dann. Aber wenn zu viele dieses Recht in Anspruch nehmen, können die Banken das gar nicht. Sie haben nur für einen Bruchteil der Einlagen Bargeld da oder können es besorgen. Inzwischen haben uns die Banken aber auch so gut wie abgewöhnt, überhaupt Geld in bar abheben zu wollen. In meinem Buch beschreibe ich, wie ich versucht habe, 15.000 Euro von meinem Konto abzuheben und dabei sogar der Verhaftung entging.

Sie sprechen von einer Kampagne gegen das Bargeld.
Wer steuert diese Kampagne? Oder gibt es gar keine Steuerung?

Doch, es gibt ein eng geknüpftes Netzwerk. In seinem Zentrum stehen Larry Summers, der ehemalige US-Finanzminister und Harvard-Ökonom, Ken Rogoff, Harvard-Ökonom und ehemaliger Chefvolkswirt des IWF, und Mario Draghi, der unsere Banknoten unterschreibt; er ist eine Schlüsselfigur beim Versuch der gesetzeswidrigen Abschaffung desselben. Und fast alle wichtigen Spieler im Kampf gegen das Bargeld stehen mit diesem Netzwerk in enger Verbindung. 

Warum verfolgen sie dieses Ziel? Es gibt bereits konkrete Enteignungspläne, Enteignungspläne der Mächtigen wider die Bevölkerung …..  

Ja, ein solcher Plan ist seit diesem Jahr Gesetz, die Gläubigerbeteiligung bei Bankenrettungen. Sie besagt, daß Einleger mindestens teilweise enteignet werden müssen, bevor Banken mit Steuergeld gerettet werden dürfen. Denn wenn wir Einlagen bei Banken halten, sind das rechtlich Kredite an die Bank und wir sind Gläubiger. Damit wir uns dem beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten nicht frühzeitig entziehen können, indem wir unser Geld bar  abheben, muß das Bargeld zurückgedrängt oder abgeschafft werden. Nun steht im EU-Vertrag, ebenso wie im Bundesbankgesetz, daß Euro-Bargeld ein gesetzliches Zahlungsmittel ist. Trotzdem wurden mit dem ausdrücklichen Segen von Mario Draghis EZB in vielen Ländern Gesetze erlassen, die die Bezahlung mit eben diesem gesetzlichen Zahlungsmittel verbieten, was offenkundig EU-rechtswidrig ist. Eine nationale Regierung hat nicht die Kompetenz, die Nutzung des gesetzlichen Zahlungsmittels der EU zu verbieten, so wenig wie ein Bundesland oder eine Rundfunkgesellschaft das Recht hat, die Nutzung des nationalen gesetzlichen Zahlungsmittels abzulehnen. Deshalb klage ich vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt auf das Recht, die Rundfunkgebühr in bar bezahlen zu dürfen. Ich will ein Präzedenzurteil herbeiführen.

Daß Geschäftsbanken kein Bargeld mögen, leuchtet ja noch ein. Aber warum sollte sich eine Notenbank am Kampf gegen ihre eigenen Banknoten beteiligen?  

Die Notenbanken sind integraler Bestandteil der sogenannten Banking-community. Man muß sich nur die Mitgliederliste der sogenannten Group of Thirty anschauen. Dort wurde die Anti-Bargeld-Kampagne wahrscheinlich ausgeheckt. Draghi, Summers und Rogoff sind dort Mitglieder, ebenso wie viele andere Notenbanker und Spitzenmanager großer internationaler Geschäftsbanken. Die meisten der letzteren waren früher Notenbanker, die meisten der Notenbanker werden später ihre Millionen als Manager oder Berater von Geschäftsbanken verdienen. Viele, wie etwa EZB-Chef Draghi und der Chef der Bank von England Mark Carney, sowie der Chef der Federal Reserve von New York, Bill Dudley, waren früher Bankmanager. Die drei genannten waren jeweils bei Goldman Sachs.

Ohne Bargeld, also … wenn man das einmal zu Ende denkt, wäre es dann ja möglich, politische Dissidenten sozial hinzurichten: Man schaltet ihnen einfach den Zugang zu elektronischem Geld ab: Und den Ausweg, sich mittels Bargeld durchzuschlagen, gibt es nicht mehr. Das erscheint mir eine Dystopie ganz im Sinne von 1984 und Schöne neue Welt ……… 

In der Tat. Und das passiert heute bereits mit Organisationen, die Bargeld nicht wirklich nutzen können. Nicht nur im Film, so etwa im prophetischen Staatsfeind Nummer 1: Die US-Regierung hat entschieden, daß sie es nicht mag, wenn um Geld Poker oder Backgammon online gespielt wird. Also hat sie die  Kreditkartenanbieter gebeten, den Zahlungsverkehr für entsprechende Webseiten nicht mehr abzuwickeln. Viele mußten schließen. Das Gleiche wurde mit Wikileaks gemacht, was dessen Organisatoren riesige Probleme verursachte, weil kaum noch Spenden eingeworben werden konnten. Und die Daten des gesamten weltweiten elektronischen Zahlungsverkehrs, den die in Belgien ansässige Organisation SWIFT abwickelt, werden zu Überwachungs- und Spionagezwecken in den USA gespiegelt. Das geschah lange heimlich und illegal. Als es aufflog, wurde es einfach legalisiert und die Amerikaner verpflichteten sich, die Daten nicht für Wirtschaftsspionage einzusetzen.

In Ihrem Buch bezeichnen Sie Griechenland auch als das Versuchskaninchen der Anti-Bargeld-Troika. Wie meinen Sie das?

Unter dem Druck der Troika aus EU-Kommission, IWF und EZB, allesamt Teil der Anti-Bargeld-Koalition, wurden dort die schärfsten Regeln gegen Barzahlungen eingeführt. Momentan wird sogar an einem Gesetz gearbeitet, das Bestände an Bargeld, die zu Hause aufbewahrt werden, deklarationspflichtig machen soll. Und auch in anderen Ländern gilt: Je größer der Einfluß der Troika, desto härter der Kampf gegen das Bargeld.

Die These lautet also: In der Peripherie werden Entdemokratisierung und auch Formen quasi-autoritären Herrschens bereits ausprobiert: Das Ziel ist aber Kerneuropa, wir …… 

Genau. Sowohl in den USA als auch in Europa gibt es eine klar erkennbare Strategie, in der Peripherie anzufangen, Vorhaben auszuprobieren und für Gewöhnung zu sorgen, um sich dann von dort auf die Zentren hinzuarbeiten. Das größte Labor ist übrigens Afrika.

Wie bewerten Sie diese Entwicklung? Manch einer fühlt sich ja mehr und mehr an Rosa Luxemburg erinnert, die einmal meinte, ab einer gewissen Stufe der kapitalistischen Entwicklung liefe alles auf das eine hinaus: Sozialismus oder Barbarei; grundlegender Wandel also – oder Diktatur. Sehen Sie das ähnlich? 

Ich strebe nicht den großen Systemwechsel an. Für mich funktioniert ein System, in dem der Kunde wegen des Gewinninteresses König ist und die Arbeitnehmer verbriefte Rechte haben, leidlich gut. Ich sehe aber eine übergroße Macht des Kapitals, insbesondere des Finanzkapitals, die mehr und mehr dazu führt, daß die Arbeitnehmer entrechtet werden. Eine Branche, die sich das Geld, das sie braucht, um Politiker und Regulierer für sich einzunehmen, einfach selbst drucken kann, ist kaum mehr in ihre Schranken zu weisen. 

In den USA ist das Finanzministerium an Goldman Sachs und ein paar andere Großbanken übergeben worden. Und auch unsere Bundesregierung tut alles, was die Deutsche Bank und Allianz von ihr wollen. Deshalb kämpfe ich für einen begrenzten Systemwechsel: Ich will den Banken die Macht zum Geld-Drucken wegnehmen, und damit die wichtigste Quelle ihrer Macht. Ich will mit meinen Aktionen unsere eingedösten Parlamentarier dazu nötigen, sich mit dem Geldsystem zu beschäftigen, und es grundlegend neu zu regeln. 

Die Einschätzung, daß der aktuelle Weg in die Barbarei führen könnte, teilen Sie aber? 

Barbarei klingt so nach rückständig. Dieses System bringt aber sehr hochstehende Produkte und Arrangements für diejenigen hervor, die es sich leisten können, diese zu bezahlen. Auch die griechische Sklavenhaltergesellschaft der Klassik war ja kulturell sehr hochstehend. 

Sie sind aber dennoch hoffnungsvoll? Oder ist der Weg in die bargeldlose Finanzdiktatur unaufhaltsam?  

Ich bin überzeugt, daß der einzige Grund für dieses perverse Bereicherungssystem für die Banker darin liegt, daß der Bevölkerung Märchen darüber erzählt werden, wie es funktioniert, und daß es nie umfassend gesetzlich geregelt wurde. Die schärfsten Waffen gegen dieses System sind daher das Gesetz und die Öffentlichkeit. Mit diesen beiden Waffen kämpfe ich, und ich bin recht zuversichtlich, daß sich so etwas bewegen läßt. 

Aber wie begegnen wir dieser Entwicklung, wie genau leisten wir Widerstand?  

Bargeld nutzen, wo immer es geht, hilft schon sehr viel, wenn viele es tun. Und auch vor Gericht gehen kann jeder mit ein klein bi
ßchen Geld. In meinem Buch liste ich viele rechtswidrige Bargeldbeschränkungen auf, gegen die man sich wehren und gegen die man notfalls auch klagen kann. Wenn es Schule machen sollte, die Rundfunkgebühr nur noch bar zahlen zu wollen und bei Vollstreckungsandrohung beim Amtsgericht bar zu hinterlegen, dann bräche der Beitragsservice der Rundfunkanstalten zusammen. Für Widerstand gegen gesetzwidrige Zumutungen der Obrigkeit gibt es viele Ansatzpunkte.

Eine letzte Frage: Auch Sie werden ja inzwischen als  Verschwörungstheoretiker diffamiert. Wie kam es dazu?   

Was Polemik ist und was seriöse Argumentation, was Agitation und was politisches Engagement, dafür gibt es ja keinen objektiven Maßstab. Es gibt sicher einige, die mich der Polemik mehr als verdächtigen. Ich teile aus und ich stecke ein, das ist okay.

Daß ich mich mit dem Vorwurf, ein Verschwörungstheoretiker zu sein, etwas ausführlicher beschäftigt habe, liegt daran, daß es so viele Menschen gibt, die einfach aus Bequemlichkeit und Unachtsamkeit diese Keule schwingen und damit das Geschäft von Mächtigen erledigen, die nicht das gemeine Wohl im Sinn haben. Dafür wollte ich die Wahrnehmung schärfen. Mein verschwörungstheoretisches Vergehen war, daß ich per Twitter kommentarlos die Sponsoren eines Londoner Think Tanks aufgelistet habe, nachdem dessen Chefvolkswirt gegen das Bargeld Stellung bezogen hatte. Das kam dort nicht gut an.

 

Norbert Häring schreibt für Deutschlands führende Wirtschaftstageszeitung, das   Handelsblatt und betreibt den Blog Geld und mehr. Der Bestseller Ökonomie 2.0, den er gemeinsam mit Olaf Storbeck schrieb, gewann den Wirtschaftsbuchpreis 2007. 2014 wurde er mit dem Preis der Keynes-Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik ausgezeichnet. Die von ihm 2011 mitbegründete internationale Ökonomenvereinigung World Economics Association hat über 12.000 Mitglieder.

 

 

Quelle:  http://www.nachdenkseiten.de/?p=32030    11. 3. 16
Das Gespräch führte Jens Wernicke.

Die Abschaffung des Bargelds und die Folgen: Der Weg in die totale Kontrolle