Wie Afrikas politische Elite ihren Kontinent ausbeutet - Von Volker Seitz 06.11.2016 23:07
Der Autor des nachfolgenden Artikels war von 1965 bis 2008 in
verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige
Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen
Republik und in Äquatorialguinea. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner
Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe. Das von Seitz veröffentlichte Buch ›Afrika wird armregiert‹ ist im dtv Verlag erschienen.
»Von dem
früheren Präsidenten Sambias, Levy Mwanawasa ist der Satz überliefert: »Es ist
weder Aids noch Armut, sondern Korruption, die die größte Gefahr für das Volk
birgt«, ein
Zitat, das leider weiterhin Gültigkeit hat. Selbst im ›Land der Unbestechlichen‹, wie Burkina Faso in deutscher Übersetzung
heißt, hat die Korruption in den letzten Jahren um sich gegriffen. Wie überall
in Afrika ist Bestechung beim Zoll, den Steuerbehörden, der Polizei, sowie den
Gesundheits- und Bildungseinrichtungen verbreitet. Die Presse in Burkina
beklagt eine ›Kultur der
Straffreiheit‹ und wird
nicht müde, im Villenviertel der Hauptstadt Ouagadougou die Reichen, die dort
im Überfluß und Verschwendung leben und keinen Blick für die Armut des Landes
haben, anzuprangern. Leider ohne Folgen. Wer bestechlich ist, hat selten
Konsequenzen zu fürchten. Deshalb ist Korruption oft flächendeckend. Das war zu
Zeiten von Thomas Sankara (1949 - 1987; ermordet) anders. Er machte u.a. Burkina
durch eine Landreform von Lebensmittelimporten unabhängig. Er förderte die
Stellung der Frau [wie heute erfolgreich auch in Ruanda]. Seine Regierung hatte
die höchste Frauenquote in Afrika. Erfolgreich wurden Korruption, Armut und
Hunger bekämpft. Es gab verbesserte Bildungsmöglichkeiten und eine
Gesundheitsversorgung, die den Namen verdiente. Er selbst, Minister und
Staatsbedienstete hatten keine Privilegien.
Die herrschende Klasse heute Die heute in vielen afrikanischen Ländern herrschende
Klasse hat sich in ihrem Egoismus eingerichtet und genießt zynisch die
Privilegien der Macht. Sie verteilt die Posten in der staatlichen Verwaltung
auf allen Ebenen an ihre Anhänger. Autoritäre Staatschefs hemmen die demokratische
Entwicklung. Die Dauerpräsidenten haben ihren Ländern viel geschadet, da ihre
Politik zu Vetternwirtschaft, Ineffizienz, Intransparenz und Korruption neigt.
Seit Jahrzehnten ist diese opake
Führungsriege gegen eine Wahrnehmung der Realität immun. Die Bevölkerung sieht
sich ohne Zukunftsperspektive, weit weg von Arbeitsplätzen und wirtschaftlicher
und sozialer Entwicklung. Es gibt keine Orientierungspunkte, keinen Horizont,
der den Menschen ein Gefühl von Sicherheit vermitteln und sie in eine Aufbruchsstimmung
versetzen könnte. Wirklich entscheidend für das Wohlergehen der Bürger ist
jedoch der Umstand, ob sich die jeweiligen Verantwortlichen auch tatsächlich
verantwortlich fühlen. Regieren sie nur, oder kümmern sie sich wirklich? Halten
sie Audienzen ab oder hören sie ihren Bürgern zu? Noch gibt es viele
Entscheidungsträger in Afrika, die Handeln simulieren, aber das karge Leben
ihrer Mitmenschen gar nicht kennen. Dieses ist von Erniedrigung, Entbehrung und
harter Arbeit gekennzeichnet. Eliten handeln eher im Eigeninteresse, statt das
Gemeinwohl zu fördern. Deshalb fließt das Geld aus Rohstoffen weder in gute
Straßen, noch in die Strom- und Wasserversorgung oder in die Landwirtschaft und
saubere Städte.
Anfang der 90er Jahre erfolgte der Wechsel zur formalen Demokratie Die Teilhabe an demokratischen Entscheidungsprozessen
beschränkt sich in der Regel darauf, Repräsentanten zu wählen. Freie und
allgemeine Wahlen sind aber nur dann demokratisch wirkungsvoll, wenn sie in
gesicherte Bürgerrechte und in eine Gewaltenkontrolle eingebettet sind.
Demokratie erzeugt nicht automatisch fairen sozialen Ausgleich und Wohlstand,
das leisten nur soziale Demokratien. Entscheidend ist die Achtung der
Verfassung des Landes. Alle afrikanischen Verfassungen sind auf dem Papier
demokratisch und sehen Respekt vor den staatlichen Institutionen,
Gewaltenteilung, ein Wahlsystem, Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der
Menschenrechte vor. Die Wirklichkeit sieht jedoch ganz anders aus. Wenn sich
der Kongo ›Demokratische
Republik‹ nennt,
ist dies eine kühne Behauptung. Die Demokratisierung wurde nie abgeschlossen
und ist deshalb bedroht. In einigen Ländern behindert die Staatsmacht einen
fairen politischen Wettbewerb durch ungleichen Zugang zu Medien und Logistik
sowie durch Einschüchterung. Demokratie lebt vom Disput, vom Streit um das
bessere Argument, von der Suche nach Mehrheiten und Kompromissen. Der Respekt
vor der anderen Meinung und auch wieder abtreten zu können sind Grundprinzipien
der Demokratie.
Korruption und Bürokratie blockieren alles Korruption, Bürokratie und Seilschaften: Die
Verwaltung ist wenig transparent und selten leistungsorientiert. Bürger leiden
unter einem bürokratischen, oft unfreundlichem und langsamen Service. Die
Verfahren sind zudem meist kompliziert. Dadurch wird das ganze Leben
kompliziert, weil vieles, was nicht oder schlecht funktioniert, nicht geändert
werden kann, da es durch Korruption und Bürokratie blockiert wird.
Wo Korruption herrscht, ist sie flächendeckend, denn,
wie es der Frankfurter Professor Dr. Michael Stolleis dargelegt hat: »Wo die
Bürger beobachten, daß die regierenden Cliquen sich schamlos bereichern, frißt sich die
Korruption wie von selbst nach unten fort«. Die Ungleichheit in den Ländern vergrößert
sich stetig, weil die Einnahmen aus nationalen Ressourcen wie Holz, Mineralien,
Öl nur einen winzigen Bevölkerungsteil begünstigen. Den Bürgern werden Bildung, ein
gesundes Leben und ein halbwegs annehmbarer Lebensstandard verweigert.
Den gesamten Veredelungsprozess ihrer Rohstoffe
- und damit einen Großteil der Wertschöpfungskette - überlassen die Länder, oder genauer: die
einflußreichen
Clans weitgehend Konzernen aus den Industriestaaten oder China, weil ihnen
selbst die Technik und das technische Knowhow fehlen. Damit für beide Seiten
möglichst viel herausspringt, gibt es für einen Deal auch noch möglichst wenige
Auflagen, etwa beim Umweltschutz.
Unterschiede in den Ländern -
Stadt-Land-Gefälle Gebildete Städter demütigen die dörfliche Bevölkerung
und beuten sie aus - ihre eigenen Landsleute. Auch Mißachtung und Unterdrückung
setzen sich, wie die Korruption, von oben nach unten fort. Freundlichkeit,
Friedfertigkeit, Gelassenheit täuschen über die Resignation hinweg. Es gibt
keine Entwürfe für eine bessere Lebensqualität, soziale Sicherheit und
Entfaltungsrechte. Die Unterentwicklung in vielen Ländern Afrikas ist ein
Konglomerat aus politischer Gleichgültigkeit und administrativer
Nachlässigkeit, Armut, starken Bildungsdefiziten und dem Fehlen von
Rechtssicherheit.
Die Herausgeberin der Zeitschrift ›AFRICA POSITIVE‹, Veye Tatah, besuchte 2016 zum ersten Mal die
Länder Ruanda, Uganda und Kenia, wobei sie von der Entwicklung in Ruanda positiv
überrascht war. »Infrastruktur,
Sicherheit und Sauberkeit werden groß geschrieben. Die Gesetze werden befolgt
und es gibt hinsichtlich der Beschleunigung der wirtschaftlichen und sozialen
Entwicklung eine große Vision. Uganda war eine reine Enttäuschung. In großen
Teilen der Hauptstadt Kampala gab es kaum Straßenlaternen. Überall saßen Frauen,
Männer und Kinder mit Taschenlampen und Kerzen und wollten Waren verkaufen, um
über die Runden zu kommen.«
Hochbezahlte Politiker Die ugandische Zeitung ›Observer‹ berichtet über die Gehälter der
Parlamentarier in der Region. Pro Monat bekommen die Abgeordneten in Kenia 13.740
US-$, in Uganda 8.715, in Tansania 7.266 und in Ruanda 1.271 US-$. Die Zahl der
jeweiligen Parlamentarier beträgt in Uganda 432, dies bei einer Bevölkerung von
34 Millionen und einem BIP von 26 Milliarden US$; in Kenia 349 bei einer Bevölkerung
von 46,44 Mio. und einem BIP von 60 Mrd. US-$; in Tansania 356, bei einer Bevölkerung von 49,25
Mio. und einem BIP von 48 Mrd. US-$; in Ruanda 80, sowie 26 Senatoren, bei
einer Bevölkerung von 12 Mio. und einem BIP von 8.10 Mrd. US-$. Neben
Südafrika, Nigeria und Kenia gehören Ghana und Namibia zu den Top Five auf der
Liste der höchstbezahlten afrikanischen Politiker. Im Mittelfeld finden sich
unter anderen Liberia, Angola und Mosambik. Benin liegt am Ende der Skala.
Selbst der Präsident verdient dort nur etwas über 2.000 US-$ pro Monat.
In Ländern wie Kenia, Nigeria, Südafrika, Namibia und
Ghana wird die Kluft zwischen Parlamentsabgeordneten und einfachen Bürgern
immer größer. Denn die Mandatsträger erhalten z.B. in Kenia zusätzlich zu einem
steuerfreien
Gehalt noch weitere Leistungen. Dazu gehört eine Pauschale für
Unterhaltskosten von monatlich 6.500 US-$, kostenloses Wohnen, eine
Telefon-Flatrate und vieles mehr. Das klingt gerade in Afrika wie blanker Hohn.
Eine extrem kleine Kaste bereichert sich, während in dem Land bittere Armut
herrscht. Die Abgeordneten verwenden die extrem hohen Gehälter zunächst für ihr
eigenes privilegiertes Leben, für ihre Verwandten und für die Menschen aus
ihren Wahlkreisen.
Die Entwicklungshilfe-Lobby Im Weltbild vieler Entwicklungspolitiker kommen
Machteliten, die sich Einkünfte in Millionenhöhe ergattern, nicht vor. Die in
manchem durchaus kritikwürdige Politik etwa Frankreichs oder der USA wird zu
einer gigantischen Verschwörung umgedeutet, in der den afrikanischen Eliten die
ewige Opferrolle zugedacht ist. Der Staatschef des
Tschad hat 2012 nochmals geheiratet. Die Kosten dieser Heirat beliefen
sich auf 18 Millionen Euro. Zum Vergleich: Deutschland gewährt den CEMAC
Ländern - Tschad, Kamerun, Zentralafrika,
Kongo, Gabun und Äquatorialguinea - zur
Aidsbekämpfung für 4 Jahre 23 Millionen €. Wenn sich die Frau des kamerunischen
Präsidenten Biya unwohl fühlt, zieht sie sich in ihre Residenz in
Neuilly-sur-Seine zurück, einem schicken Vorort von Paris. All diese Länder
haben hohe Einnahmen aus Öl und/oder Mineralien und sollten zumindest einen
Teil für eine bessere Gesundheitsversorgung nutzen.
Wer in Afrika gelebt hat, der wird eher die schlaffe
Haltung westlicher Regierungen gegenüber Menschenrechtsverletzungen, Korruption
und dem Fehlen von Rechtssicherheit in vielen
afrikanischen Staaten beklagen. Blutige Auseinandersetzungen nach Wahlen - z.B. in Kenia und der Elfenbeinküste - sowie die Herrschaft von Clans und Autokraten
schließen Länder vom Wirtschaftsaufschwung und Wohlstandsmehrung aus. Der
Graben zwischen den wenigen ganz Reichen und den vielen Bedürftigen hat sich in
den letzten Jahren skandalös vertieft. Das fördert die Politikerverdrossenheit
und trägt auch sicher nicht zu einem friedlichen Afrika bei. Es ist schade, daß Entwicklungshilfe-Lobbyisten
immer noch die Meinungsbildung im Bundestag beeinflussen können. Mehr kritische
Nachfragen würden den Bedürftigen in Afrika wirklich weiterhelfen.
Es ist fast unmöglich zu überprüfen, wie EU Hilfen,
vor allem wenn es sich um Budgethilfe handelt, ausgegeben werden. Warum
versorgen Europas Geberländer korrupte Länder weiter mit Geld? Karel
Pinxton, der Sprecher des Europäischen Rechnungshofs, sagte in der belgischen
Zeitung ›De
Standaard‹ über die
2011 gezahlte Entwicklungshilfe in Höhe von 1,6 Milliarden €: »Sobald das
Geld überwiesen ist, verlieren wir jede Spur.« In keinem
mir bekannten afrikanischen Land haben die Bürger oder Parlamente Zugang zu
Dokumenten über Staatsaufträge und Verträge der Regierung. Transparenz und
Rechenschaftspflicht des Regierungshandelns ist nicht gegeben. Deshalb können
Bürger ihre Regierung und öffentliche Institutionen nicht zur Verantwortung
ziehen.
Aber je mehr Afrikaner ihre Führer als korrupt
einschätzen, desto unruhiger wird die Lage. Afrikas Bevölkerung ist empört über
das Ausmaß der Bestechlichkeit und die Anhäufung großer Vermögen an der Spitze,
während der Lebensstandard der nicht Privilegierten kaum steigt. Die
Unzufriedenen, Frustrierten und diejenigen, die reale Veränderungen wollen,
werden sich in nicht allzu großer Ferne kraftvoll zu Wort melden. Sie haben
endgültig genug von Staatschefs und Regierungen, die den Ausverkauf der
Landwirtschaft sowie den Niedergang des Gesundheits- und Bildungssystems zu
verantworten haben. Sie werden erstmals einen echten Wettbewerb in der Politik
und eine starke Kontrolle der Machthaber erzwingen, notfalls mit Gewalt.«
Siehe
hierzu auch Ursachen
des Asylantenstroms - Von Doris Auerbach
Quelle: http://www.ortneronline.at/?p=43341 1. 11. 16 resp. http://unser-mitteleuropa.com/2016/11/02/wie-afrikas-politische-elite-ihren-kontinent-ausbeutet/ 2. 11. 16
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