Wie Afrikas politische Elite ihren Kontinent ausbeutet - Von Volker Seitz

Der Autor des nachfolgenden Artikels war von 1965 bis 2008 in

verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und in Äquatorialguinea. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe. Das von Seitz veröffentlichte Buch Afrika wird armregiert ist im dtv Verlag erschienen. 

»Von dem früheren Präsidenten Sambias, Levy Mwanawasa ist der Satz überliefert: »Es ist weder Aids noch Armut, sondern Korruption, die die größte Gefahr für das Volk birgt«, ein Zitat, das leider weiterhin Gültigkeit hat. Selbst im Land der Unbestechlichen, wie Burkina Faso in deutscher Übersetzung heißt, hat die Korruption in den letzten Jahren um sich gegriffen. Wie überall in Afrika ist Bestechung beim Zoll, den Steuerbehörden, der Polizei, sowie den Gesundheits- und Bildungseinrichtungen verbreitet. Die Presse in Burkina beklagt eine Kultur der Straffreiheit und wird nicht müde, im Villenviertel der Hauptstadt Ouagadougou die Reichen, die dort im Überfluß und Verschwendung leben und keinen Blick für die Armut des Landes haben, anzuprangern. Leider ohne Folgen. Wer bestechlich ist, hat selten Konsequenzen zu fürchten. Deshalb ist Korruption oft flächendeckend. Das war zu Zeiten von Thomas Sankara (1949 - 1987; ermordet) anders. Er machte u.a. Burkina durch eine Landreform von Lebensmittelimporten unabhängig. Er förderte die Stellung der Frau [wie heute erfolgreich auch in Ruanda]. Seine Regierung hatte die höchste Frauenquote in Afrika. Erfolgreich wurden Korruption, Armut und Hunger bekämpft. Es gab verbesserte Bildungsmöglichkeiten und eine Gesundheitsversorgung, die den Namen verdiente. Er selbst, Minister und Staatsbedienstete hatten keine Privilegien.  

Die herrschende Klasse heute 
Die heute in vielen afrikanischen Ländern herrschende Klasse hat sich in ihrem Egoismus eingerichtet und genießt zynisch die Privilegien der Macht. Sie verteilt die Posten in der staatlichen Verwaltung auf allen Ebenen an ihre Anhänger. Autoritäre Staatschefs hemmen die demokratische Entwicklung. Die Dauerpräsidenten haben ihren Ländern viel geschadet, da ihre Politik zu Vetternwirtschaft, Ineffizienz, Intransparenz und Korruption neigt. Seit  Jahrzehnten ist diese opake Führungsriege gegen eine Wahrnehmung der Realität immun. Die Bevölkerung sieht sich ohne Zukunftsperspektive, weit weg von Arbeitsplätzen und wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung. Es gibt keine Orientierungspunkte, keinen Horizont, der den Menschen ein Gefühl von Sicherheit vermitteln und sie in eine Aufbruchsstimmung versetzen könnte. Wirklich entscheidend für das Wohlergehen der Bürger ist jedoch der Umstand, ob sich die jeweiligen Verantwortlichen auch tatsächlich verantwortlich fühlen. Regieren sie nur, oder kümmern sie sich wirklich? Halten sie Audienzen ab oder hören sie ihren Bürgern zu? Noch gibt es viele Entscheidungsträger in Afrika, die Handeln simulieren, aber das karge Leben ihrer Mitmenschen gar nicht kennen. Dieses ist von Erniedrigung, Entbehrung und harter Arbeit gekennzeichnet. Eliten handeln eher im Eigeninteresse, statt das Gemeinwohl zu fördern. Deshalb fließt das Geld aus Rohstoffen weder in gute Straßen, noch in die Strom- und Wasserversorgung oder in die Landwirtschaft und saubere Städte. 

Anfang der 90er Jahre erfolgte der Wechsel zur formalen Demokratie 
Die Teilhabe an demokratischen Entscheidungsprozessen beschränkt sich in der Regel darauf, Repräsentanten zu wählen. Freie und allgemeine Wahlen sind aber nur dann demokratisch wirkungsvoll, wenn sie in gesicherte Bürgerrechte und in eine Gewaltenkontrolle eingebettet sind. Demokratie erzeugt nicht automatisch fairen sozialen Ausgleich und Wohlstand, das leisten nur soziale Demokratien. Entscheidend ist die Achtung der Verfassung des Landes. Alle afrikanischen Verfassungen sind auf dem Papier demokratisch und sehen Respekt vor den staatlichen Institutionen, Gewaltenteilung, ein Wahlsystem, Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte vor. Die Wirklichkeit sieht jedoch ganz anders aus. Wenn sich der Kongo Demokratische Republik nennt, ist dies eine kühne Behauptung. Die Demokratisierung wurde nie abgeschlossen und ist deshalb bedroht. In einigen Ländern behindert die Staatsmacht einen fairen politischen Wettbewerb durch ungleichen Zugang zu Medien und Logistik sowie durch Einschüchterung. Demokratie lebt vom Disput, vom Streit um das bessere Argument, von der Suche nach Mehrheiten und Kompromissen. Der Respekt vor der anderen Meinung und auch wieder abtreten zu können sind Grundprinzipien der Demokratie.

Korruption und Bürokratie blockieren alles  
Korruption, Bürokratie und Seilschaften: Die Verwaltung ist wenig transparent und selten leistungsorientiert. Bürger leiden unter einem bürokratischen, oft unfreundlichem und langsamen Service. Die Verfahren sind zudem meist kompliziert. Dadurch wird das ganze Leben kompliziert, weil vieles, was nicht oder schlecht funktioniert, nicht geändert werden kann, da es durch Korruption und Bürokratie blockiert wird. 

Wo Korruption herrscht, ist sie flächendeckend, denn, wie es der Frankfurter Professor Dr. Michael Stolleis dargelegt hat: »Wo die Bürger beobachten, daß die regierenden Cliquen sich schamlos bereichern, frißt sich die Korruption wie von selbst nach unten fort«. Die Ungleichheit in den Ländern vergrößert sich stetig, weil die Einnahmen aus nationalen Ressourcen wie Holz, Mineralien, Öl nur einen winzigen Bevölkerungsteil begünstigen. Den Bürgern werden Bildung, ein gesundes Leben und ein halbwegs annehmbarer Lebensstandard verweigert. Den gesamten Veredelungsprozess ihrer Rohstoffe  - und damit einen Großteil der Wertschöpfungskette -  überlassen die Länder, oder genauer: die einflußreichen Clans weitgehend Konzernen aus den Industriestaaten oder China, weil ihnen selbst die Technik und das technische Knowhow fehlen. Damit für beide Seiten möglichst viel herausspringt, gibt es für einen Deal auch noch möglichst wenige Auflagen, etwa beim Umweltschutz.  

Unterschiede in den Ländern  -  Stadt-Land-Gefälle  
Gebildete Städter demütigen die dörfliche Bevölkerung und beuten sie aus - ihre eigenen Landsleute. Auch Mißachtung und Unterdrückung setzen sich, wie die Korruption, von oben nach unten fort. Freundlichkeit, Friedfertigkeit, Gelassenheit täuschen über die Resignation hinweg. Es gibt keine Entwürfe für eine bessere Lebensqualität, soziale Sicherheit und Entfaltungsrechte. Die Unterentwicklung in vielen Ländern Afrikas ist ein Konglomerat aus politischer Gleichgültigkeit und administrativer Nachlässigkeit, Armut, starken Bildungsdefiziten und dem Fehlen von Rechtssicherheit.

Die Herausgeberin der Zeitschrift AFRICA POSITIVE, Veye Tatah, besuchte 2016 zum ersten Mal die Länder Ruanda, Uganda und Kenia, wobei sie von der Entwicklung in Ruanda positiv überrascht war. »Infrastruktur, Sicherheit und Sauberkeit werden groß geschrieben. Die Gesetze werden befolgt und es gibt hinsichtlich der Beschleunigung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung eine große Vision. Uganda war eine reine Enttäuschung. In großen Teilen der Hauptstadt Kampala gab es kaum Straßenlaternen. Überall saßen Frauen, Männer und Kinder mit Taschenlampen und Kerzen und wollten Waren verkaufen, um über die Runden zu kommen.«   

Hochbezahlte Politiker 
Die ugandische Zeitung Observer berichtet über die Gehälter der Parlamentarier in der Region. Pro Monat bekommen die Abgeordneten in Kenia 13.740 US-$, in Uganda 8.715, in Tansania 7.266 und in Ruanda 1.271 US-$. Die Zahl der jeweiligen Parlamentarier beträgt in Uganda 432, dies bei einer Bevölkerung von 34 Millionen und einem BIP von 26 Milliarden US$; in Kenia 349 bei einer Bevölkerung von 46,44 Mio. und einem BIP von 60 Mrd. US-$; in  Tansania 356, bei einer Bevölkerung von 49,25 Mio. und einem BIP von 48 Mrd. US-$; in Ruanda 80, sowie 26 Senatoren, bei einer Bevölkerung von 12 Mio. und einem BIP von 8.10 Mrd. US-$. Neben Südafrika, Nigeria und Kenia gehören Ghana und Namibia zu den Top Five auf der Liste der höchstbezahlten afrikanischen Politiker. Im Mittelfeld finden sich unter anderen Liberia, Angola und Mosambik. Benin liegt am Ende der Skala. Selbst der Präsident verdient dort nur etwas über 2.000 US-$ pro Monat.

In Ländern wie Kenia, Nigeria, Südafrika, Namibia und Ghana wird die Kluft zwischen Parlamentsabgeordneten und einfachen Bürgern immer größer. Denn die Mandatsträger erhalten z.B. in Kenia zusätzlich zu einem steuerfreien Gehalt noch weitere Leistungen. Dazu gehört eine Pauschale für Unterhaltskosten von monatlich 6.500 US-$, kostenloses Wohnen, eine Telefon-Flatrate und vieles mehr. Das klingt gerade in Afrika wie blanker Hohn. Eine extrem kleine Kaste bereichert sich, während in dem Land bittere Armut herrscht. Die Abgeordneten verwenden die extrem hohen Gehälter zunächst für ihr eigenes privilegiertes Leben, für ihre Verwandten und für die Menschen aus ihren Wahlkreisen. 

Die Entwicklungshilfe-Lobby  
Im Weltbild vieler Entwicklungspolitiker kommen Machteliten, die sich Einkünfte in Millionenhöhe ergattern, nicht vor. Die in manchem durchaus kritikwürdige Politik etwa Frankreichs oder der USA wird zu einer gigantischen Verschwörung umgedeutet, in der den afrikanischen Eliten die ewige Opferrolle zugedacht ist. Der Staatschef des Tschad hat 2012 nochmals geheiratet. Die Kosten dieser Heirat beliefen sich auf 18 Millionen Euro. Zum Vergleich: Deutschland gewährt den CEMAC Ländern  - Tschad, Kamerun, Zentralafrika, Kongo, Gabun und Äquatorialguinea -  zur Aidsbekämpfung für 4 Jahre 23 Millionen €. Wenn sich die Frau des kamerunischen Präsidenten Biya unwohl fühlt, zieht sie sich in ihre Residenz in Neuilly-sur-Seine zurück, einem schicken Vorort von Paris. All diese Länder haben hohe Einnahmen aus Öl und/oder Mineralien und sollten zumindest einen Teil für eine bessere Gesundheitsversorgung nutzen. 

Wer in Afrika gelebt hat, der wird eher die schlaffe Haltung westlicher Regierungen gegenüber Menschenrechtsverletzungen, Korruption und dem Fehlen von Rechtssicherheit in vielen afrikanischen Staaten beklagen. Blutige Auseinandersetzungen nach Wahlen  - z.B. in Kenia und der Elfenbeinküste -  sowie die Herrschaft von Clans und Autokraten schließen Länder vom Wirtschaftsaufschwung und Wohlstandsmehrung aus. Der Graben zwischen den wenigen ganz Reichen und den vielen Bedürftigen hat sich in den letzten Jahren skandalös vertieft. Das fördert die Politikerverdrossenheit und trägt auch sicher nicht zu einem friedlichen Afrika bei. Es ist schade, daß Entwicklungshilfe-Lobbyisten immer noch die Meinungsbildung im Bundestag beeinflussen können. Mehr kritische Nachfragen würden den Bedürftigen in Afrika wirklich weiterhelfen.

Es ist fast unmöglich zu überprüfen, wie EU Hilfen, vor allem wenn es sich um Budgethilfe handelt, ausgegeben werden. Warum versorgen Europas Geberländer korrupte Länder weiter mit Geld? Karel Pinxton, der Sprecher des Europäischen Rechnungshofs, sagte in der belgischen Zeitung De Standaard über die 2011 gezahlte Entwicklungshilfe in Höhe von 1,6 Milliarden €: »Sobald das Geld überwiesen ist, verlieren wir jede Spur.« In keinem mir bekannten afrikanischen Land haben die Bürger oder Parlamente Zugang zu Dokumenten über Staatsaufträge und Verträge der Regierung. Transparenz und Rechenschaftspflicht des Regierungshandelns ist nicht gegeben. Deshalb können Bürger ihre Regierung und öffentliche Institutionen nicht zur Verantwortung ziehen.

Aber je mehr Afrikaner ihre Führer als korrupt einschätzen, desto unruhiger wird die Lage. Afrikas Bevölkerung ist empört über das Ausmaß der Bestechlichkeit und die Anhäufung großer Vermögen an der Spitze, während der Lebensstandard der nicht Privilegierten kaum steigt. Die Unzufriedenen, Frustrierten und diejenigen, die reale Veränderungen wollen, werden sich in nicht allzu großer Ferne kraftvoll zu Wort melden. Sie haben endgültig genug von Staatschefs und Regierungen, die den Ausverkauf der Landwirtschaft sowie den Niedergang des Gesundheits- und Bildungssystems zu verantworten haben. Sie werden erstmals einen echten Wettbewerb in der Politik und eine starke Kontrolle der Machthaber erzwingen, notfalls mit Gewalt.«

 

Siehe hierzu auch Ursachen des Asylantenstroms - Von Doris Auerbach

Quelle: http://www.ortneronline.at/?p=43341   1. 11. 16 resp. 
http://unser-mitteleuropa.com/2016/11/02/wie-afrikas-politische-elite-ihren-kontinent-ausbeutet/   2. 11. 16