»Gelebter politischer Schwachsinn!« - Willy Wimmer zu europäischen Zukunftsplänen

Mit Sorge erfüllt Willy Wimmer die zunehmende Militarisierung Europas unter dem Einfluß der NATO.

Die Bundesregierung habe mit ihrer Politik das Projekt Europa vor die Wand gefahren und die europäischen Nachbarn brüskiert. Statt einer europäischen Armee wünscht sich Wimmer die Unabhängigkeit von der NATO und eine Friedenspolitik gegenüber Rußland. Verwundert zeigt er sich darüber, daß die Bundeswehr eine eigene Studie zu möglichen Zukunftsszenarien erstellen lassen hat. Denn dies sei seiner Ansicht nach die Aufgabe der Bundesregierung und der Kanzlerin. Außerdem fällt dem Ex-Staatssekretär die zeitliche Nähe zur   Herbsttagung der NATO-Verteidigungsminister auf. 

»Die Bundeswehr ist ja außerstande, eine sicherheitsmäßige oder militärische Beurteilung der Situation zu erstellen, ohne die Dinge aus der NATO übernehmen zu müssen. Ein eigenständiges Denken ist mir bei der Bundeswehr in den letzten Jahrzehnten eigentlich überhaupt nicht untergekommen; mich wundert das in hohem Maße.« Die düsteren Prognosen der Strategischen Vorausschau 2040 zielen nach Meinung des Politprofis darauf ab, das eigene Tun zu verschleiern. 

»Die Situation, in der wir uns heute befinden, ist ja von der NATO im Wesentlichen selbst hergestellt worden. Ich muß ja nur daran erinnern, daß die verhängnisvolle Entwicklung in Europa erstens mit dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien begonnen hat und zweitens damit, daß sich der Westen außerstande gesehen hat, der Russischen Föderation gegenüber das einzuhalten, was bei der deutschen Wiedervereinigung Grundlage des 2+4-Vertrags und aller internationalen Übereinkommen gewesen ist. Vor diesem Hintergrund ist es ganz merkwürdig: Man beklagt Umstände, für die man selbst die Ursache gewesen ist. Das ist inzwischen offensichtlich Methode in der NATO.«

Für das im Strategiepapier skizzierte Worst-Case-Szenario eines   Auseinanderbrechens der EU sieht Wimmer bereits Anzeichen. Das europäische Projekt sei bisher nur deswegen erfolgreich gewesen, weil Deutschland seine Nachbarn pfleglich behandelt und nicht vor vollendete Tatsachen gestellt habe. Dies habe sich seit Beginn der Flüchtlingskrise geändert: »Bei der Migrationsentwicklung im Herbst 2015 hat die Bundeskanzlerin deutlich gemacht, daß sie weder auf die europäischen Nachbarn gehört hat, noch auf den eigenen Bundestag oder gar auf das, was die deutsche Bevölkerung in diesem Zusammenhang gesagt hat. Da muß man sich natürlich nicht wundern, wenn die anderen europäischen Staaten nach dem Brexit sagen: So geht das nicht weiter. Wir sehen doch in Warschau, in Prag, in Budapest und in Bratislava, daß die Staatsführungen sich deshalb Gedanken machen, weil das nicht der europäische Weg sein kann, den die Bundeskanzlerin vorgegeben hat.«

Wie eine zerbröckelnde EU mit der Idee einer europäischen Armee, wie im Strategiepapier vorgeschlagen, zusammenpassen soll, kann Wimmer nicht nachvollziehen. »Das ist gelebter politischer Schwachsinn, wenn man auf der einen Seite den Zerfall Europas prognostiziert, und dann durch eine gemeinsame europäische Aggressionsarme gegensteuern will. Das kriegt man politisch gar nicht auf die Reihe und es macht deutlich, daß das alles verzweifelte Bemühungen sind, im Zusammenhang mit der Politik der eigenen Regierung für die Streitkräfte noch etwas übrig zu lassen. Wenn wir uns die heutigen Entscheidungsmöglichkeiten der Bundeswehr und der deutschen Verteidigungspolitik in der NATO ansehen, sind wir unter dem Zustand, den die rumänischen Streitkräfte bei der Wehrmacht hatten.«  

Sorge machen dem Experten die Militarisierung des Schengen-Raums, die mit dem derzeit diskutierten PESCO-Projekt Form anzunehmen scheint. Dieses soll am 13. 11. vom Außen- und Verteidigungsministerrat der EU beschlossen werden; es beinhaltet gegenwärtig 47 einzelne Projektvorschläge zur Kooperation der europäischen Streitkräfte. »Wir müssen heute feststellen: Die europäischen Verteidigungsüberlegungen, wie sie derzeit auch durch die Europäische Kommission  angestellt werden, haben dasselbe Aggressionsmodell gegenüber allen unseren Nachbarn zum Inhalt, wie wir es bei der NATO haben. Die NATO ist schon seit Jahrzehnten nicht mehr in Übereinstimmung mit dem eigentlichen NATO-Vertrag unter einer reinen Verteidigungsüberlegung tätig, und das gleiche Aggressionsverhalten will auch die Europäische Union mit ihren Verteidigungsüberlegungen, die zweifellos in amerikanischem Interesse sein werden. Die Europäische Kommission legt etwas auf den Tisch, was die Welt erschaudern lassen muß.«  

Auch für die Bürger der EU-Staaten bedeute eine solche Entwicklung nichts Gutes. »Wir sehen in diesen Tagen Überlegungen, den NATO-Raum zu einem militärischen Schengen-Raum zu machen. Das geht nur, wenn die Reste europäischer Souveränität, die ja mit den staatlichen Grenzen verbunden sind, so zugrunde gefahren werden, wie die Bundeskanzlerin das in der Migrationskrise gemacht hat. Das ist für unsere Nachbarn nichts Gutes und das verheißt auch für die Bürger in Europa selbst überhaupt nichts Gutes.

Wenn man das ganz nüchtern sieht, was in der NATO läuft, müsse man befürchten, daß man demnächst einen amerikanischen Befehlshaber für Europa bekomme. Und der werde dann eines seiner künftigen Hauptquartiere in Deutschland haben, resümiert Wimmer. Wimmer wünscht sich, daß deutsche Streitkräfte künftig nur unter deutschem Befehl und keinesfalls unter dem Oberbefehl fremder Streitkräfte stehen. »Und daß wir dann eine friedensgeneigte deutsche Politik in Europa betreiben, eine Politik der guten Nachbarschaft und nicht der von den Vereinigten Staaten hochgezogenen Aggressionsbereitschaft gegenüber der Russischen Föderation oder anderen Völkern auf diesem Globus.«   [1]

Beständig gegen Russland eine konstante Obsession
Wie der Basler Zeitung vom 9. 11. zu entnehmen war, hat sich die Situation für den NATO-Generalsekretär Jens Stolzenberg klar verändert. So verstärkt die NATO rund drei Jahrzehnte nach Ende des Kalten Krieges erstmals wieder ihre Kommandostrukturen. Die Verteidigungsminister der Bündnisstaaten bewilligten am 8. 11. in Brüssel den Aufbau von zwei neuen Hauptquartieren.
»Die Kommandostruktur muss sich verändern, wenn sich das Sicherheitsumfeld verändert«, erklärte Stoltenberg. Die erweiterte Kommandostruktur sieht den Aufbau von zwei Planungs- und Führungszentren vor. Ein Hauptquartier soll Truppenverlegungen innerhalb Europas führen; das zweite soll Marineeinsätze im Atlantik steuern können, um im Kriegsfall den Seeweg zwischen den USA und Europa frei zu halten. 

Detailplanungen sollen nun bis zum Treffen der Verteidigungsminister im Februar erfolgen. Der Ausbau der Kommandostruktur stellt eine weitere Kehrtwende der NATO im Vergleich zur Politik nach dem Ende des Ost-West-Konflikts dar. Die Pläne sind eine Reaktion auf die als aggressiv wahrgenommene Politik Russlands. Um Moskau abzuschrecken, wurden zuletzt bereits mehrere Tausend NATO -Soldaten im Baltikum und in Polen stationiert, die im Ernstfall von einer schnellen Eingreiftruppe Verstärkung bekommen sollen. Stoltenberg machte zudem klar, dass sich auch die EU und die Privatwirtschaft an den Anstrengungen beteiligen müssten. Die zivile Infrastruktur – Strassen, Schienennetze und Flughäfen – müsse militärischen Anforderungen entsprechen, sagte der Norweger. »Die nationalen Regierungen, der private Sektor und die Europäische Union haben Schlüsselrollen.«   [2] 

Als seien wir schon im Krieg……. Und nirgendwo ein Protest …..

»Was die Seemacht angeht, so heben«, wie German Foreign Policy schreibt,  »deutsche Militärs mit Blick auf den Machtkampf gegen Russland die hohe Bedeutung des Kieler NATO-Exzellenzzentrums zur Randmeerkriegsführung für die Aktivitäten der NATO-Marinen hervor. Das vor zehn Jahren in Dienst gestellte Operations in Confined and Shallow Waters Centre of Excellence entwickle sich Experten zufolge zu einem Magnet unter den Anrainerstaaten der Ostsee, von denen sich immer mehr wegen der Gefahr kriegerischer Auseinandersetzungen mit Russland dem Zentrum anschlössen. Wie die 23 anderen NATO-Exzellenzzentren entwickelt die Kieler Institution Strategien, analysiert militärische Entwicklungen und führt Weiterbildungen für Führungspersonal aus NATO-Mitgliedstaaten durch. Bis auf eines sind sämtliche NATO-Exzellenzzentren in Europa angesiedelt und werden von einem französisch geführten NATO-Kommando koordiniert - ein Ausdruck der Tatsache, dass der europäische Pfeiler des Kriegsbündnisses eine tragende Rolle in dessen Weiterentwicklung anstrebt.«

Ein Abflauen der gegen Russland gerichteten Strategien ist nicht in Sicht…..  

 

[1]  https://de.sputniknews.com/politik/20171110318244282-wimmer-interview-pesco/   10. 11. 17  Ilona Pfeffer - »Gelebter politischer Schwachsinn!

[2]  https://bazonline.ch/ausland/europa/nato-ruestet-sich-gegen-russland/story/11695750   9. 11. 17

[3]  https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7437/   6. 11. 17
Die Ideenschmieden der NATO