Italien kann regiert werden 03.06.2018 22:42
d.a. Italien hat nach langem Hin und Her, knapp 3 Monate nach der
Parlamentswahl, wieder eine Regierung.
Staatspräsident Sergio Mattarella hat am Nachmittag des 1. Juni den
Jura-Professor Giuseppe Conte als Ministerpräsident vereidigt. Dieser führt
eine Koalition der als populistisch bezeichneten 5-Sterne-Bewegung mit der als fremdenfeindlich
geltenden Lega an. Deren Vorsitzender Matteo Salvini ist neuer Innenminister, der
›M5S‹-Chef
Luigi Di Maio Arbeitsminister. Diese hatten am frühen Donnerstagabend, 31. 5., in einer gemeinsamen Erklärung die Einigung
bekanntgegeben: Alle Bedingungen für eine ›M5S‹-Lega-Regierung seien erfüllt.
Wie ursprünglich geplant, haben sie sich auf ein Kabinett
geeinigt, das der Jurist Giuseppe Conte anführen wird. Conte war im ersten
Anlauf gescheitert, da Mattarella ein Veto gegen dessen Kabinettsliste
eingelegt und die Berufung des Eurokritikers Savona zum Finanzminister
bemängelt hatte. Wie Mattarella am 27. 5. erklärt hatte, stimme er allen
Vorschlägen für die Minister zu, ausser dem von Paolo Savona als
Finanzminister; denn dieses Amt, so die Begründung seiner Entscheidung, sende
stets eine sofortige Botschaft des Vertrauens oder des Alarms an die
Wirtschafts- und Finanzakteure. Am 29. 5. waren die Rufe nach einer Amtsenthebung von
Mattarella immer lauter geworden, nachdem dieser am 28. 5. den
Pro-EZB-Handlanger Carlo Cottarelli, der von 2008 bis 2013 für den Internationalen
Währungsfonds arbeitete, gebeten hatte, eine Übergangsregierung zu leiten. Verständlicherweise
liessen die Italiener ihrer Wut gegenüber Brüssel, aber auch gegenüber
Deutschland, freien Lauf. »Es ist das erste Mal in
der Geschichte der italienischen Republik«, vermerkt hierzu Marilla Slominski, »dass ein Präsident einer demokratisch gewählten
Regierung die Zustimmung verweigert hat. Sogar Kritiker der ›populistischen‹ Sieger müssen einsehen, dass die Italiener einen derartigen
Vorgang als Schritt gegen ihren Wählerwillen und gegen die Demokratie werten«, und selbst Kritiker von Savona, so Slominski ferner,
geben zu, dass er für die Position qualifiziert ist. Savona hatte in der Vergangenheit
seine Besorgnis über die wachsende Macht und Reichweite der EU sowie hinsichtlich
des Euros zum Ausdruck gebracht, und, ›falls
nötig‹, einen Plan zum Ausstieg aus dem Euro
gefordert. So ein Finanzminister an der Spitze des italienischen Nachbarn wäre natürlich
ein Unding für Merkel und Co. gewesen. [1]
Wie ›German
Foreign Policy‹ am 23.
Mai [2] darlegte, reagierten deutsche Leitmedien
auf die Bildung einer italienischen Regierung unter Beteiligung der
rassistischen Lega Nord und der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung unter dem
relativ unbekannten Juristen Giuseppe Conte mit unverhohlener Kritik. Die neue
Regierungskoalition gleiche einem italienischen ›Himmelfahrtskommando‹, das die Politik des Landes von Grund auf ändern
wolle und vor allem die Finanzen der EU bedrohe, hiess es etwa. [3]
Conte, von den beiden eigentlichen politischen ›Schwergewichten‹ Matteo
Salvini und Luigi Di Maio eingerahmt, werde ein schwacher Ministerpräsident
sein. Führende deutsche Politiker und
Medien attackierten weniger den Rassismus der an der Koalition beteiligten
Lega, sondern vor allem die Wirtschaftspolitik der künftigen Regierung, die
unter anderem Steuersenkungen und neue Sozialleistungen vorsieht, die das
italienische Staatsdefizit zu erhöhen drohen.
Als Einmischung ist die Mahnung der Bundesregierung
zu sehen, die die künftige Regierung Italiens bereits am 24. 5. aufforderte, in
Europa auf Kurs zu bleiben. »Michael Roth, Europaminister im Auswärtigen
Amt, warnte die neue Koalition aus der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega davor,
in die trügerische Sicherheit des Nationalismus abzugleiten«. Der Fraktionsvorsitzende der Europäischen
Volkspartei im Europaparlament, Manfred Weber von der CSU, erklärte: ›Irrationale oder populistische Aktionen‹ in Rom könnten eine ›neue
Euro-Krise auslösen.‹ [2]
Es bleibt völlig unverständlich, wie Drohungen gegen
die Nation - den Populismus eingeschlossen
- unverändert an der Tagesordnung sind,
ist doch von Seiten Brüssels klar definiert worden, dass es um deren
Entmachtung geht.
»Am Beispiel Italien«, so ein Kommentar des langjährigen Stadtverordneten
und Fraktionsvorsitzenden der ›Bürger für Frankfurt‹,
Wolfgang Hübner, »demonstriert der Machtkomplex
der EU beispielhaft, wie unwichtig, ja lästig ihm die Demokratie ist, wenn sie
seine Interessen zu stören droht. Wenn es darum geht, eine aus einer
demokratisch gewählten Mehrheit gebildeten Koalition aus Lega und 5 Sternen mit
allen Mitteln zu verhindern, spielt die Wahrheit keine Rolle mehr: Dann wird
gelogen und diffamiert. Dann ist den EU-Knechten im Berliner Parteienblock und
ihren Hofsängern in den Redaktionen jedes Mittel recht, das deutsche Publikum
vor einer italienischen Apokalypse zu warnen. Und in diesem Zusammenhang ist es
von keinerlei Interesse, warum die Lega und die 5 Sterne eine so große Mehrheit
unter den italienischen Wählern, also dem demokratischen Souverän, gefunden
haben. Denn was zählt schon eine auch nur halbwegs seriöse sozialökonomische
Darstellung der Lage in Italien, wenn die beiden vorerst verhinderten
Koalitionspartner unter dem dringenden Verdacht stehen, die EU und den Euro
nicht zu lieben, Flüchtlingsinvasionen nicht zu feiern und Putin-Rußland nicht als Reich des Bösen anzusehen. Solch eine Regierung wäre auf
Malta noch einige Monate tolerabel, im großen Italien darf sie sich aber gar
nicht erst bilden. Denn das könnte ja im Nu das riesengroße Kartenhaus zum Einsturz
bringen, das der italienische Präsident der EZB in Frankfurt am Main mit
Eurofluten genau davor zu bewahren sucht.« [4]
Die deutsche Kritik an der künftigen
populistisch-ultrarechten Regierung in Rom, so ›GFP‹ am 23. 5. ferner, gewann mit der Veröffentlichung
eines ersten Entwurfs für den italienischen Koalitionsvertrag, in der von der
EZB kurzfristig ein Schuldenerlass in Höhe von 250 Milliarden Euro verlangt
wurde, an Schwung. In diesem Zusammenhang forderte der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt rundweg, dass Deutschland die
Rechnung für das ›Schuldenprogramm‹ der künftigen
italienischen Regierung nicht begleichen dürfe. Das Land sei als drittgrößte
Volkswirtschaft der Eurozone in Höhe von 130 % des BIP verschuldet, so dass
eine Finanzkrise sehr schnell ausbrechen könne.
[2]
Zu den Vorgängen der Zurückweisung Paolo Savonas,
die nach massiven Beschwerden aus Deutschland durch Mattarella erfolgte,
schreibt ›GFP‹, dass
der Grund hierfür darin lag, dass der Euro-Kritiker Savona, ein renommierter
Karriereökonom, keine Gewähr für den Bestand der EU-Einheitswährung geboten
hätte; vielmehr wäre unter seiner Amtsführung wohl mit Widerstand gegen
Berliner Austeritätsdiktate zu rechnen gewesen. Savonas Nominierung gründete
auf einer wachsenden Euroskepsis in Italien, der sich inzwischen auch andere
Ökonomen anschliessen.
Die Ernennung Savonas, so ›GFP‹ ferner,
hatte ebenfalls zu heftigen Ausfällen deutscher Leitmedien geführt. Rom sei
dabei, einen ›Deutschland-Feind‹ an die Spitze des Finanzministeriums zu stellen,
hiess es in Kommentaren. Savona sei ein ›erklärter
Gegner Deutschlands‹, der
den Euro als ›Vollendung
deutscher Vorstellungen der Vorherrschaft in Europa‹
begreife. Zöge der Ökonom, ein ehemaliger Minister und Bankmanager, tatsächlich
ins Finanzministerium ein, dann würde dies ›vor
allem in Berlin massives Stirnrunzeln‹
auslösen; der Konflikt zwischen Rom und Berlin kreise um den
wirtschaftspolitischen Kurs in der Eurozone.
Der verhinderte italienische Finanzminister Savona
gilt in Berlin als rotes Tuch, gerade weil man ihm nicht - wie den Fünf Sternen
und der Lega - vorwerfen kann, diffusen populistischen Motiven oder einer
ultrarechten Agenda zu folgen. Savona hat eine spektakuläre Karriere inmitten
der EU-loyalen italienischen Funktionseliten absolviert, bevor er auf Grund der
langfristigen ökonomischen Stagnation Italiens zu einem der exponiertesten
Kritiker der Einheitswährung und der dominanten Rolle Deutschlands in der EU
avancierte. Der am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT)
ausgebildete Ökonom war unter anderem als Generalsekretär des italienischen
Arbeitgeberverbandes, als Mitarbeiter der italienischen sowie der
US-amerikanischen Zentralbank, als Direktor mehrerer italienischer Banken und
als Aufsichtsratsmitglied der Telecom Italia tätig. Regierungserfahrung konnte
er bereits in den 90er Jahren als Wirtschaftsminister und in der ersten
Dekade des 21. Jahrhunderts als Vorsitzender des Departements für EU-Politik im
dritten Kabinett von Ministerpräsident Silvio Berlusconi sammeln. Den Wandel
des einstigen Europapolitikers zum Kritiker des Euros lässt sein jüngstes Buch
mit dem Titel ›Wie ein
Albtraum und wie ein Traum‹
erkennen; in diesem hat er den Euro als einen ›deutschen
Käfig‹ bezeichnet. …… Savona betont jedoch, »die Idee eines geeinten Europas im Prinzip immer
noch zu unterstützen; doch sei dies angesichts der ökonomischen Realitäten in
der deutsch dominierten Eurozone, die ›die
Kaufkraft der Italiener halbiert‹ habe,
nicht mehr möglich.« [5]
Im neuen Kabinett ist Savona nun für die europäische
Angelegenheiten zuständig. Als Finanz- und Wirtschaftsminister wird der
69-jährige Wirtschaftsprofessor Giovanni Tria amten; dieser gilt als gemässigt,
gehört keiner Partei an und gilt nicht als Befürworter eines Euro-Austritts.
Zum Thema
Schuldenerlass vermerkte Jan Fleischhauer in seinem Artikel ›Die Schnorrer von Rom‹ im ›Spiegel‹: »Tatsächlich läuft die Sache auf eine Erpressung hinaus. Entweder
ihr erfüllt unsere Forderungen oder wir lassen den ganzen Laden auffliegen: Das
ist die unausgesprochene Drohung hinter dem Entschluß, für
Italien ein Ende aller Schuldenregeln einzuläuten. Aber vielleicht muß man das italienische Abenteuer als ein Experiment in
postnationaler Politik verstehen. Keine Nation, die etwas auf sich hält, verlangt
Hilfe von anderen, wenn sie sich selber helfen kann. Wer will schon als
Schnorrer gelten? Die Italiener, so scheint es, haben diese Form des
Nationalstolzes überwunden.« [6]
[2] https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7614/
23. 5. 18 ›Endspiel
um den Euro‹
[3] Hans-Jürgen
Schlamp: Italienisches Himmelfahrtskommando; ›spiegel.de‹ vom 21. 5. 2018
[4]
http://www.pi-news.net/2018/05/euro-putsch-gegen-italiens-demokratie/ 29. 5. 18 Der
EUdSSR wieder ein Stück näher - Euro-Putsch gegen Italiens Demokratie – Von
Wolfgang Hübner
[5] https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7620/9. 5.18 Eurokratie
[6] https://finanzmarktwelt.de/spiegel-online-distanziert-sich-vom-eigenen-autor-fleischhauer-nach-kritik-von-italiens-staatspraesident-matarella-und-schweigt-darueber-91666/ 1. 6. 18
Markus Fugmann
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