Italien kann regiert werden

d.a. Italien hat nach langem Hin und Her, knapp 3 Monate nach der

Parlamentswahl, wieder eine Regierung. Staatspräsident Sergio Mattarella hat am Nachmittag des 1. Juni den Jura-Professor Giuseppe Conte als Ministerpräsident vereidigt. Dieser führt eine Koalition der als populistisch bezeichneten 5-Sterne-Bewegung mit der als fremdenfeindlich geltenden Lega an. Deren Vorsitzender Matteo Salvini ist neuer Innenminister, der M5S-Chef Luigi Di Maio Arbeitsminister. Diese hatten am frühen Donnerstagabend, 31. 5.,  in einer gemeinsamen Erklärung die Einigung bekanntgegeben: Alle Bedingungen für eine M5S-Lega-Regierung seien erfüllt. 

Wie ursprünglich geplant, haben sie sich auf ein Kabinett geeinigt, das der Jurist Giuseppe Conte anführen wird. Conte war im ersten Anlauf gescheitert, da Mattarella ein Veto gegen dessen Kabinettsliste eingelegt und die Berufung des Eurokritikers Savona zum Finanzminister bemängelt hatte. Wie Mattarella am 27. 5. erklärt hatte, stimme er allen Vorschlägen für die Minister zu, ausser dem von Paolo Savona als Finanzminister; denn dieses Amt, so die Begründung seiner Entscheidung, sende stets eine sofortige Botschaft des Vertrauens oder des Alarms an die Wirtschafts- und Finanzakteure. 

Am 29. 5. waren die Rufe nach einer Amtsenthebung von Mattarella immer lauter geworden, nachdem dieser am 28. 5. den Pro-EZB-Handlanger Carlo Cottarelli, der von 2008 bis 2013 für den Internationalen Währungsfonds arbeitete, gebeten hatte, eine Übergangsregierung zu leiten. Verständlicherweise liessen die Italiener ihrer Wut gegenüber Brüssel, aber auch gegenüber Deutschland, freien Lauf. »Es ist das erste Mal in der Geschichte der italienischen Republik«,  vermerkt hierzu Marilla Slominski, »dass ein Präsident einer demokratisch gewählten Regierung die Zustimmung verweigert hat. Sogar Kritiker der populistischen Sieger müssen einsehen, dass die Italiener einen derartigen Vorgang als Schritt gegen ihren Wählerwillen und gegen die Demokratie werten«, und selbst Kritiker von Savona, so Slominski ferner, geben zu, dass er für die Position qualifiziert ist. Savona hatte in der Vergangenheit seine Besorgnis über die wachsende Macht und Reichweite der EU sowie hinsichtlich des Euros zum Ausdruck gebracht, und, falls nötig, einen Plan zum Ausstieg aus dem Euro gefordert. So ein Finanzminister an der Spitze des italienischen Nachbarn wäre natürlich ein Unding für Merkel und Co. gewesen.  [1] 

Wie German Foreign Policy am 23. Mai [2] darlegte, reagierten deutsche Leitmedien auf die Bildung einer italienischen Regierung unter Beteiligung der rassistischen Lega Nord und der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung unter dem relativ unbekannten Juristen Giuseppe Conte mit unverhohlener Kritik. Die neue Regierungskoalition gleiche einem italienischen Himmelfahrtskommando, das die Politik des Landes von Grund auf ändern wolle und vor allem die Finanzen der EU bedrohe, hiess es etwa.  [3] 

Conte, von den beiden eigentlichen politischen Schwergewichten Matteo Salvini und Luigi Di Maio eingerahmt, werde ein schwacher Ministerpräsident sein.  Führende deutsche Politiker und Medien attackierten weniger den Rassismus der an der Koalition beteiligten Lega, sondern vor allem die Wirtschaftspolitik der künftigen Regierung, die unter anderem Steuersenkungen und neue Sozialleistungen vorsieht, die das italienische Staatsdefizit zu erhöhen drohen.

Als Einmischung ist die Mahnung der Bundesregierung zu sehen, die die künftige Regierung Italiens bereits am 24. 5. aufforderte, in Europa auf Kurs zu bleiben. »Michael Roth, Europaminister im Auswärtigen Amt, warnte die neue Koalition aus der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega davor, in die trügerische Sicherheit des Nationalismus abzugleiten«. Der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei im Europaparlament, Manfred Weber von der CSU, erklärte: Irrationale oder populistische Aktionen in Rom könnten eine neue Euro-Krise auslösen.  [2]

Es bleibt völlig unverständlich, wie Drohungen gegen die Nation  - den Populismus eingeschlossen -  unverändert an der Tagesordnung sind, ist doch von Seiten Brüssels klar definiert worden, dass es um deren Entmachtung geht.

»Am Beispiel Italien«, so ein Kommentar des langjährigen Stadtverordneten und   Fraktionsvorsitzenden der Bürger für Frankfurt, Wolfgang Hübner, »demonstriert der Machtkomplex der EU beispielhaft, wie unwichtig, ja lästig ihm die Demokratie ist, wenn sie seine Interessen zu stören droht. Wenn es darum geht, eine aus einer demokratisch gewählten Mehrheit gebildeten Koalition aus Lega und 5 Sternen mit allen Mitteln zu verhindern, spielt die Wahrheit keine Rolle mehr: Dann wird gelogen und diffamiert. Dann ist den EU-Knechten im Berliner Parteienblock und ihren Hofsängern in den Redaktionen jedes Mittel recht, das deutsche Publikum vor einer italienischen Apokalypse zu warnen. Und in diesem Zusammenhang ist es von keinerlei Interesse, warum die Lega und die 5 Sterne eine so große Mehrheit unter den italienischen Wählern, also dem demokratischen Souverän, gefunden haben. Denn was zählt schon eine auch nur halbwegs seriöse sozialökonomische Darstellung der Lage in Italien, wenn die beiden vorerst verhinderten Koalitionspartner unter dem dringenden Verdacht stehen, die EU und den Euro nicht zu lieben, Flüchtlingsinvasionen nicht zu feiern und Putin-Rußland nicht als Reich des Bösen anzusehen. Solch eine Regierung wäre auf Malta noch einige Monate tolerabel, im großen Italien darf sie sich aber gar nicht erst bilden. Denn das könnte ja im Nu das riesengroße Kartenhaus zum Einsturz bringen, das der italienische Präsident der EZB in Frankfurt am Main mit Eurofluten genau davor zu bewahren sucht.«  [4]

Die deutsche Kritik an der künftigen populistisch-ultrarechten Regierung in Rom, so GFP am 23. 5. ferner, gewann mit der Veröffentlichung eines ersten Entwurfs für den italienischen Koalitionsvertrag, in der von der EZB kurzfristig ein Schuldenerlass in Höhe von 250 Milliarden Euro verlangt wurde, an Schwung. In diesem Zusammenhang forderte der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt rundweg, dass Deutschland die Rechnung für das Schuldenprogramm der künftigen italienischen Regierung nicht begleichen dürfe. Das Land sei als drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone in Höhe von 130 % des BIP verschuldet, so dass eine Finanzkrise sehr schnell ausbrechen könne.  [2]

Zu den Vorgängen der Zurückweisung Paolo Savonas, die nach massiven Beschwerden aus Deutschland durch Mattarella erfolgte, schreibt GFP, dass der Grund hierfür darin lag, dass der Euro-Kritiker Savona, ein renommierter Karriereökonom, keine Gewähr für den Bestand der EU-Einheitswährung geboten hätte; vielmehr wäre unter seiner Amtsführung wohl mit Widerstand gegen Berliner Austeritätsdiktate zu rechnen gewesen. Savonas Nominierung gründete auf einer wachsenden Euroskepsis in Italien, der sich inzwischen auch andere Ökonomen anschliessen.

Die Ernennung Savonas, so GFP ferner, hatte ebenfalls zu heftigen Ausfällen deutscher Leitmedien geführt. Rom sei dabei, einen Deutschland-Feind an die Spitze des Finanzministeriums zu stellen, hiess es in Kommentaren. Savona sei ein erklärter Gegner Deutschlands, der den Euro als Vollendung deutscher Vorstellungen der Vorherrschaft in Europa begreife. Zöge der Ökonom, ein ehemaliger Minister und Bankmanager, tatsächlich ins Finanzministerium ein, dann würde dies vor allem in Berlin massives Stirnrunzeln auslösen; der Konflikt zwischen Rom und Berlin kreise um den wirtschaftspolitischen Kurs in der Eurozone.

Der verhinderte italienische Finanzminister Savona gilt in Berlin als rotes Tuch, gerade weil man ihm nicht - wie den Fünf Sternen und der Lega - vorwerfen kann, diffusen populistischen Motiven oder einer ultrarechten Agenda zu folgen. Savona hat eine spektakuläre Karriere inmitten der EU-loyalen italienischen Funktionseliten absolviert, bevor er auf Grund der langfristigen ökonomischen Stagnation Italiens zu einem der exponiertesten Kritiker der Einheitswährung und der dominanten Rolle Deutschlands in der EU avancierte. Der am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) ausgebildete Ökonom war unter anderem als Generalsekretär des italienischen Arbeitgeberverbandes, als Mitarbeiter der italienischen sowie der US-amerikanischen Zentralbank, als Direktor mehrerer italienischer Banken und als Aufsichtsratsmitglied der Telecom Italia tätig. Regierungserfahrung konnte er bereits in den 90er Jahren als Wirtschaftsminister und in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts als Vorsitzender des Departements für EU-Politik im dritten Kabinett von Ministerpräsident Silvio Berlusconi sammeln. Den Wandel des einstigen Europapolitikers zum Kritiker des Euros lässt sein jüngstes Buch mit dem Titel Wie ein Albtraum und wie ein Traum erkennen; in diesem hat er den Euro als einen deutschen Käfig bezeichnet. ……  Savona betont jedoch, »die Idee eines geeinten Europas im Prinzip immer noch zu unterstützen; doch sei dies angesichts der ökonomischen Realitäten in der deutsch dominierten Eurozone, die die Kaufkraft der Italiener halbiert habe, nicht mehr möglich.«  [5]

Im neuen Kabinett ist Savona nun für die europäische Angelegenheiten zuständig. Als Finanz- und Wirtschaftsminister wird der 69-jährige Wirtschaftsprofessor Giovanni Tria amten; dieser gilt als gemässigt, gehört keiner Partei an und gilt nicht als Befürworter eines Euro-Austritts.

Zum Thema Schuldenerlass vermerkte Jan Fleischhauer in seinem Artikel Die Schnorrer von Rom im Spiegel: »Tatsächlich läuft die Sache auf eine Erpressung hinaus. Entweder ihr erfüllt unsere Forderungen oder wir lassen den ganzen Laden auffliegen: Das ist die unausgesprochene Drohung hinter dem Entschluß, für Italien ein Ende aller Schuldenregeln einzuläuten. Aber vielleicht muß man das italienische Abenteuer als ein Experiment in postnationaler Politik verstehen. Keine Nation, die etwas auf sich hält, verlangt Hilfe von anderen, wenn sie sich selber helfen kann. Wer will schon als Schnorrer gelten? Die Italiener, so scheint es, haben diese Form des Nationalstolzes überwunden.«  [6]   


[2]  https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7614/
23. 5. 18  
Endspiel um den Euro  

[3]  Hans-Jürgen Schlamp: Italienisches Himmelfahrtskommando; spiegel.de vom 21. 5. 2018

[4]  http://www.pi-news.net/2018/05/euro-putsch-gegen-italiens-demokratie/
29. 5. 18  Der EUdSSR wieder ein Stück näher - Euro-Putsch gegen Italiens Demokratie – Von Wolfgang Hübner

[5]  https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7620/9. 5.18    Eurokratie

[6]  https://finanzmarktwelt.de/spiegel-online-distanziert-sich-vom-eigenen-autor-fleischhauer-nach-kritik-von-italiens-staatspraesident-matarella-und-schweigt-darueber-91666/   1. 6. 18  Markus Fugmann