North Stream, der »Balken« in Trumps Auge 15.07.2018 19:35
d.a. Man hat sich daran gewöhnt, dass die Hegemonialmacht USA
die Welt nach ihrem eigenen Konzept, seien es
Regimewechsel oder Revolutionen nach der Art des ›arabischen
Frühlings‹, zu lenken resp. zu
beherrschen gedenkt, wobei der Rückgriff auf Sanktionen gegen ungefügige
Staaten das jeweils erpresserischste Mittel darstellt. Zu diesem Zweck haben die USA den ›Countering America’s Adversaries
Through Sanctions Act‹ (CAATSA)
erlassen [das Gesetz, Amerikas
Widersachern mittels Sanktionen entgegenzutreten]. Dieses erteilt der
US-Administration den Auftrag, Entitäten, also Staaten und Instanzen, die mit
Konzernen des russischen Verteidigungssektors in namhaften Handel treten, zu
bestrafen. Nicht, dass sich dagegen auch nur eine einzige Stimme in der UNO
erhoben hätte, geschweige denn aus der Wirtschaft. Die Anwendung dieses
Erlasses hat sich soeben erneut im Fall Iran gezeigt, wobei erschreckend ist,
dass sich die europäischen Konzerne dem US-Sanktionsdiktat fast ausnahmslos und
ohne Widerspruch unterwerfen.
Nicht so in Indien, wo Verteidigungsminister Nirmala Sitharaman die USA am 14.
Juli wissen liess, dass amerikanischen Gesetze resp. das im Jahr 2017 erlassene
CAATSA eine Sache der USA seien und nichts mit Indien zu tun hätten. Indien
weigert sich daher, sich bezüglich des geplanten Kaufs des russischen Langstrecken-Boden-Luft-Raketen-Systems
S-400 zur Verteidigung seines Luftraums den angedrohten US-Sanktionen zu
beugen. Die Regierung in New Delhi hat daher die Botschaft an Washington
übermittelt, dass die Sanktionsandrohung keine Wirkung auf ihren Entscheid
haben wird: »Wir haben einer Abordnung des US-Kongresses erklärt, dass der ›CAATS‹-Erlass lediglich ein US-Gesetz und kein UNO-Gesetz darstellt.« Der Abschluss des Kaufs wird im
Herbst erwartet und soll auf einem Treffen zwischen Premierminister Narendra
Modi und Präsident Putin diesen Oktober unterzeichnet werden.
Was nun
US-Sanktionen angeht, so trachtet Washington danach [2], auch die Gaspipeline Nord Stream
2 damit zu belegen. Wie nicht anders zu erwarten, war diese ein
Diskussionspunkt des US-Präsidenten beim NATO-Gipfel in Brüssel. Bereits am 6. Juni stand
Washington kurz vor der Einführung von Sanktionen gegen europäische Unternehmen,
die sich am Bau der Gaspipeline Nord Stream 2, die Erdgas aus Russland über die
Ostsee in die EU liefern soll, beteiligen. Zu diesen gehören neben den deutschen
Energieunternehmen Wintershall und Uniper auch der
französische multinationale Konzern Engie, der britisch-niederländische Öl- und
Gasriese Royal Dutch Shell und der österreichische Energiekonzern OMV; die
Leitung hat der staatliche russische Energiekonzern Gazprom.
Trump hat nun den Bau der Gaspipeline in Brüssel
erneut kritisiert. »Ich bin sehr besorgt über die
Pipeline, ich mag die Pipeline nicht«,
sagte er. [3] Letzteres ist schon ein einmaliger
Standpunkt, als ginge es hier um ›mögen‹ oder ›nicht
mögen‹. Ferner: »Wir
müssen herausfinden, was mit der Pipeline los ist.« Was soll mit dieser los sein, der Bau nimmt der
Projektplanung entsprechend seinen Fortgang. Daneben bezeichnete Trump Deutschland
wegen seiner Abhängigkeit bei Gaslieferungen als ›Gefangenen
Russlands‹: Das Land zahle ›Milliarden‹ an
Russland für Gas und verlange dann, vor Russland beschützt zu werden. Trump
warnte davor, dass die Abhängigkeit von Moskau durch Nord Stream 2 noch größer
werde. Nun strömt seit dem 6. 9. 2011 sibirisches Erdgas in die
deutsch-russische Ostseepipeline. Will man dies nun als Abhängigkeit bezeichnen,
so ist diese bislang ungestört und ohne irgendwelche Komplikationen verlaufen.
Im Prinzip dürfte es Trump durchaus klar sein,
dass nicht wir vor Russland zu beschützen sind, sondern Russland vor der USA,
die unentwegt einer ›erfundenen
Bedrohung‹ durch dieses Land das Wort
redet, denn niemand anderes als die NATO stationiert in den baltischen Ländern
und in Polen NATO-Bataillone, obwohl Russland mehrmals deutlich gemacht, dass
es die Annäherung von Truppen und Infrastruktur der NATO an Russlands Grenzen
als eine Bedrohung seiner Sicherheit betrachtet. Dies geschieht, obwohl der NATO-Generalsekretär
Jens Stoltenberg [4] schon am 4. 11. 2016 dargelegt hatte , dass
den Ländern der Allianz von Seiten Russlands keine Gefahr droht und dass man
mit Moskau konstruktive
Beziehungen aufbauen muss. Er betonte damals erneut, dass sich die Allianz nicht
im Kalten Krieg mit Russland befindet, dass jedoch »unsere
Partnerschaft noch nicht auf jenem Niveau ist, das wir nach dem Kalten Krieg
erreichen wollten.« Bereits zuvor, am 28. Oktober 2016,
hatte Stoltenberg erklärt, dass die NATO nicht nach einer
Konfrontation mit Russland strebe und keinen neuen Kalten Krieg wolle, und dass
die 4.000 zusätzlich
geplanten Militärangehörigen in Osteuropa keinen Konflikt provozieren, sondern
einen solchen abwenden sollen. Wie er ferner darlegte, könne die Allianz Russland
nicht isolieren und sollte auch nicht versuchen, dies zu tun.
Putin
hatte seinerseits in einem Interview mit der ›Bloomberg Businessweek‹
vom 16. 9. 16 [5] hinsichtlich der Frage, ob Russland seinen Einfluss geographisch
auszudehnen gedenke, folgendes gesagt: »Ich denke, alle nüchtern denkenden
Menschen, die wirklich mit Politik zu tun haben, verstehen, dass die Idee von
einer russischen Bedrohung, z.B. des Baltikums, vollständige Idiotie ist.
Sollen wir wirklich gegen die NATO kämpfen? Wie viele Leute leben in der NATO?
Etwa 600 Millionen, korrekt? Und in Russland gibt es 146 Millionen. Ja, wir
sind eine größere atomare Macht. Aber glauben Sie wirklich, dass wir dabei
sind, das Baltikum mit nuklearen Waffen zu erobern? Was für ein verrücktes Zeug.
Das ist der erste Punkt, aber bei weitem nicht der Hauptpunkt. Wenn Sie an die
Krim denken, versuchen Sie, nicht zu beachten, dass es der Wille des Volkes, das
auf der Krim lebt - wo 70 % ethnische
Russen sind und der Rest russisch spricht, als sei es seine Muttersprache
- war, sich Russland anzuschliessen. Im Westen will man nicht
einmal versuchen, dies zu verstehen. Und was die Ausdehnung unserer Zone des
Einflussbereiches angeht, so hat es mich 9 Stunden gekostet, von Moskau nach
Wladiwostok zu fliegen. Das ist in etwa dasselbe wie von Moskau durch ganz Ost-
und Westeuropa und über den Atlantik nach New York. Glauben Sie, dass wir uns
ausdehnen müssen?«
Alexander
Gruschko, der Ständige
Vertreter der Russischen Föderation bei der NATO in Brüssel [6], hatte am 6. 4. 16 ausgeführt,
dass er davon überzeugt sei, dass ernsthaft denkende NATO-Experten nicht an
eine ›russische militärische
Bedrohung‹ glauben: »Die gesamte Geschichte des Prozesses der europäischen Sicherheit
nach dem Kalten Krieg zeugt davon, dass es gerade Russland war, das die
führende Rolle beim Aufbau eines Systems der kollektiven Sicherheit gespielt
hatte.« Bezüglich des Wunsches der USA, ihre führenden
Positionen in Europa zu festigen, wurde, wie er sagte, das Schüren von Mythen
über eine imaginäre russische Bedrohung zum Instrument. Gruschko zufolge wird
Russland kein passiver Beobachter bleiben. »Wir realisieren
konsequent militärische Massnahmen, die unserer Ansicht nach für den Ausgleich
der verstärkten NATO-Präsenz erforderlich sind, und die, nebenbei gesagt, durch
nichts gerechtfertigt werden könnte. Selbstverständlich wird die Antwort
asymmetrisch sein, (…..) nicht zu kostspielig, aber maximal effektiv.«
Nun hatte
Italiens Innenminister Matteo Salvini Mitte Juni ein Ende der gegen Russland
gerichteten Sanktionen verlangt und der EU mit einem Veto gedroht. »Wir
haben«, sagte er am 7. 6., »eine klare Position hinsichtlich
der Sanktionen. Wir schliessen ein italienisches Veto nicht aus.« Die
Sanktionen gegen Russland schädigen unsere Bauern. Die Landwirtschaft hat
Milliarden-Verluste erlitten. Die Sektoren Design und Handwerk sind ebenfalls
betroffen. Wir hatten sehr viel in den russischen Markt exportiert, und jetzt
ist dieser Export auf Grund der russischen Gegensanktionen blockiert. Italiens
Minister für Arbeit und wirtschaftliche Entwicklung, Luigi Di Maio, erklärte: »Die
italienische ›Yes
Sir‹-Ära muss enden und eine neue Ära
anfangen, in der wir einige ›Nein‹ auszusprechen beginnen.« Die
Aufhebung der Sanktionen ist im übrigen im Programm der italienischen
Regierungskoalition verankert. Offensichtlich alarmierten die Äusserungen
Salvinis Jens Stoltenberg. Laut ihm »müssen wir mit Russland
einen politischen Dialog beibehalten, aber die Sanktionen sind notwendig.« Diese
Feststellung entspricht so gar nicht seiner vorherigen Sichtweise. Im übrigen
bleibt es völlig unverständlich, wieso sich die G-7-Mitglieder bei ihrem
Treffen in La Malbaie in Kanada vom 8. bis 9. Juni konträr zu Trumps Vorschlag,
Russland wieder aufnehmen, dagegen aussprachen. »Doch
da sei Merkel vor«, so Klaus Hartmann [7], denn »vor allem für Merkel war der Vorstoss von Trump
ein Affront. Die Kanzlerin ist in den vergangenen Jahren in dieser Frage so
etwas wie die Wortführerin der Europäer gewesen.«
Zufrieden schrieb die ›Süddeutsche
Zeitung‹: »Merkel schließt, wie die anderen Europäer, eine
Rückkehr Rußlands wegen der Annexion der Krim vehement aus. »Folglich blieb
der US-Präsident in der Russland-Frage auf dem Gipfel isoliert.«
Der G7-Gipfel, vermerkte ›German Foreign Policy‹ [8],
ging im offenen Dissens zu Ende. Seine Zustimmung zu der gemeinsamen
Abschlusserklärung, auf die sich die G7-Staats- und Regierungschefs geeinigt
hatten, zog Trump nachträglich zurück. Dennoch wird das Dokument von allen
anderen G7-Staaten weiterhin unterstützt. Indessen »ist ›eines
der wenigen konkreten Resultate des Treffens‹, so ›GFP‹, die
Einigung auf einen ›Rapid Response
Mechanism‹ gewesen, der explizit gegen ›feindliche Staaten‹
gerichtet ist. Seine Aufgabe ist es, Formen auswärtiger Einmischung in den
G7-Staaten zum einen zu verhindern, zum anderen aber, sollte es doch dazu
kommen, gemeinsame Reaktionen zu koordinieren. Als Anlässe für Reaktionen
werden etwa Cyberangriffe sowie Attacken wie der Nervengiftanschlag von
Salisbury genannt. Darüber hinaus soll der Geheimdienstaustausch zwischen den
G7-Staaten intensiviert werden. Man werde sich über die jeweiligen Politiken
und die roten Linien der Mitgliedstaaten austauschen, heißt es; außerdem soll
in Zusammenarbeit mit der Industrie die materielle und digitale Infrastruktur
gestärkt werden. Man wolle gemeinsam an der Erkennung feindlicher Aktivitäten
arbeiten, heißt es weiter; schließlich wolle man gemeinsame Antworten
vorbereiten. Klar ist, dass sich
der ›Rapid Response Mechanism‹ vor allem gegen Rußland und China
richtet. Er öffnet staatlicher Willkür Tür und Tor: Die Herkunft von
Cyberangriffen etwa ist für die Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar und kann
selbst von Experten in der Mehrzahl der Fälle nicht zuverlässig festgestellt
werden. Behauptet jedoch ein G7-Staat, sie etwa dank seiner Geheimdienste
zuordnen zu können, so würden auf G7-Ebene Reaktionen ausgelöst.«
In dem Abschlusskommuniqué wird »das unerschütterliches Bekenntnis zu allen
Aspekten des beim Gipfel in Wales 2014 vereinbarten Versprechens zu den
Verteidigungsinvestitionen erneuert.« Ferner:
Alle NATO-Staaten, die das Ziel noch nicht erreicht haben, 2 % ihrer
Wirtschaftsleistung für die Verteidigung auszugeben, müssten sich noch mehr
anstrengen. Dieses Ziel soll bis 2024 erreicht sein.
In Bezug auf die Krim gab die NATO Trump eine
klare Positionierung mit auf den Weg: »Man
habe die Annexion der Krim durch Moskau bislang nicht anerkannt und werde sie
auch künftig nicht anerkennen, heisst es im Abschlussdokument.« Wie man sich selbst derart schädigen kann,
spricht ganz sicherlich nicht zugunsten des Horizonts der uns regierenden
Staatschefs, denen wir leider so lange ausgeliefert sein werden, bis es
entsprechende Wahlergebnisse quer durch Europa möglich machen könnten, diesen Entscheid
umzustossen. Nikita Chruschtschow
hatte die Krim 1954 bekanntlich an die Ukrainische Sozialistische
Sowjetrepublik verschenkt und erst durch den Umstand, dass sich die Ukraine von
Russland löste und 1991 unabhängig wurde, entstand die Situation, dass Russland
die Krim 2014 quasi zurückeroberte.
[1] https://www.rt.com/news/433013-s-400-india-us-law-sanctions/ 14. 7. 18
›US law doesn’t apply here‹: India’s defense chief resists
pressure over S-400 deal with Russia
[2] https://deutsch.rt.com/international/71025-usa-wollen-europaische-firmen-mit-sanktionen-belegen/ 6. 6. 18
[3] https://www.welt.de/politik/article179228966/Nato-Gipfel-Trump-warnt-EU-dass-die-Einwanderung-Europa-uebernimmt.html 12. 7. 18 Trump
kritisierte erneut den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 von Russland nach
Deutschland.
[4] https://de.sputniknews.com/politik/20161104313230944-Nato-Generalsekretr-Russland-keine-Bedrohung/ 4. 11. 16
[5] http://uncut-news.ch/2016/09/16/putin-gibt-hoeflich-seiner-verwunderung-ausdruck-ueber-die-westliche-bloedheit/ 16. 9. 16 Paul Craig Roberts
[6] https://de.sputniknews.com/politik/20161104313230944-Nato-Generalsekretr-Russland-keine-Bedrohung/ 4. 11. 16
[7] http://www.freidenker.org/?p=5252 25. 6. 18
Klaus Hartmann
[8] https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7633/ 11. 6. 18 Im
offenen Dissens
|