Notiz zum Brexit

Nach der Lektüre des Berichts von »German Foreign Policy« zum Brexit

bleibt man eher konsterniert zurück, zumal auch hier die Arroganz von EU-Kommissionsmitgliedern klar zutage tritt. 

An die EU gefesselt 
»Von der EU erzwungene Festlegungen im Entwurf des Brexit-Abkommens führen zu massiven Verwerfungen in Großbritannien und rufen Forderungen nach einem harten Brexit hervor. Die Festlegungen laufen darauf hinaus, dass London für 21 Monate, vielleicht sogar noch länger, neue EU-Vorschriften in nationale Regelwerke übernehmen muß, ohne über sie mitbestimmen zu können. Darüber hinaus zwingen sie das Vereinigte Königreich in eine Zollunion mit der EU, die eine eigenständige ökonomische Entwicklung des Landes unmöglich macht. Dieser kann London aber nur mit Zustimmung Brüssels entkommen. 

Mehrere britische Minister und Staatssekretäre sind am 15. November zurückgetreten; der aus dem Amt geschiedene Brexit-Minister Dominic Raab wirft der EU Erpressung vor. Die stellvertretende Verhandlungsführerin der Union, die Deutsche Sabine Weyand, die eine hervorgehobene Rolle in den Verhandlungen gespielt hat, prahlt, Großbritannien müsse seine Regeln anpassen; die EU hingegen behalte die gesamte Kontrolle. Ein harter Brexit kostete deutsche Unternehmen Milliardensummen.  

Übergang ohne Ende 
Der Entwurf für das Brexit-Abkommen enthält auf Druck der EU an gleich mehreren Stellen Festlegungen, die für einen souveränen Staat kaum akzeptabel sind. Eine davon bezieht sich auf die Übergangsperiode nach dem britischen Austritt aus der EU am 29. März 2019, während der unter anderem ein umfassendes Freihandelsabkommen zwischen beiden Seiten erarbeitet werden soll. Wie es in dem Entwurf heißt, sollen die Entscheidungen, die die EU-Institutionen vor dem Ende der Übergangsperiode treffen, für das Vereinigte Königreich verbindlich sein. Gleichzeitig hat London keine Möglichkeit mehr, an der Entscheidungsfindung mitzuwirken, muß also zu 100 % fremdbestimmte Vorschriften in nationale Regelwerke übernehmen. Hinzu kommt, dass die Übergangsperiode beliebig verlängert werden kann; im Vertragsentwurf ist von einem Endpunkt am 31. Dezember 20XX die Rede, wenn das Freihandelsabkommen zum ursprünglich vorgesehenen Ende der   Übergangsperiode am 31. Dezember 2020 nicht fertig ausgehandelt ist.  Verschleppt Brüssel die Verhandlungen oder beharrt es auf Positionen, die für London nicht akzeptabel sind, dann können endlose Verlängerungen notwendig werden; der britische Austritt wäre Makulatur.  

Zollunion ohne Ausweg 
Bricht London, um dieser Falle zu entkommen, die Verhandlungen ab, dann tritt der sogenannte Backstop in Kraft. Offiziell geschieht dies nur, um zu verhindern, dass an der Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland, die zur EU-Außengrenze wird, Personen- und Warenkontrollen in großem Stil durchgeführt werden. Der Backstop sieht vor, dass eine Zollunion  [single customs territory]  zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich geschaffen wird, wobei Nordirland über den Binnenmarkt noch enger an die EU gebunden werden soll als England, Wales und Schottland.

Das führt zum einen zu einer Ungleichbehandlung zwischen Nordirland sowie den anderen Teilen des Vereinigten Königreichs und verletzt damit die britische Integrität ebenso, wie eine Zollgrenze zwischen deutschen Bundesländern gegen die Integrität der Bundesrepublik verstieße. Zum anderen ist ein Ausstieg aus dem Backstop nur möglich, sofern die Union und das Vereinigte Königreich gemeinsam beschließen ….., dass die Regelung nicht mehr angewendet werden soll. Die EU hat also die Möglichkeit, durch einfaches Nicht-Zustimmen den Backstop zu verlängern - auf Dauer. Auch in diesem Fall steckte das Vereinigte Königreich also in der Falle.

Die gesamte Kontrolle‹  
Dies wiegt umso schwerer, als die Zollunion, in der die EU Großbritannien gefangen hielte, es London nach allgemeiner Interpretation der Terminologie des Vertragsentwurfs unmöglich macht, eigene Freihandelsabkommen zu schließen. Letztere aber sind ein zentrales Element der Brexit-Strategie maßgeblicher Befürworter des britischen EU-Austritts, die darauf abzielen, dass sich die britische Nationalökonomie nicht so sehr an der nur noch wenig wachsenden Wirtschaft Europas orientiert als vielmehr an der stärker wachsendem Nordamerikas und vor allem an den attraktiven Boomregionen Ost- und Südostasiens. Großbritannien wäre ökonomisch an die EU gefesselt und der erhofften eigenständigen Entwicklung beraubt. Im Wesentlichen hat dies bereits am Dienstagabend, 13. 11., die Vertreterin des EU-Verhandlungsführers Michel Barnier, Sabine Weyand, gegenüber den EU-Botschaftern der EU-27 bestätigt: »Das Königreich muß seine Regeln anpassen«, wird Weyand zitiert, »aber die EU behält die gesamte Kontrolle«. Laut EU-Ratspräsident Donald Tusk hat die Deutsche Sabine Weyand im Rahmen der Verhandlungen eine herausgehobene Rolle gespielt. 

Erpressung‹ 
Die Aussichten, die der Entwurf des Brexit-Abkommens eröffnet, haben am 14. 11. in London zu massiven Verwerfungen geführt, von denen noch nicht klar ist, ob Premierministerin Theresa May sie übersteht. Mehrere Minister sowie mehrere Staatssekretäre sind zurückgetreten, darunter Brexit-Minister Dominic Raab. May-Gegner planen ein Mißtrauensvotum gegen die Regierungschefin im Parlament. Als äußerst ungewiß, zunehmend sogar als unwahrscheinlich gilt, dass der Entwurf für das Brexit-Abkommen die nötige Zustimmung im House of Commons erhält. Während Brexit-Gegner erneut eine Wiederholung des Referendums verlangen, für die im Parlament bislang keine Mehrheit in Sicht ist, mehren sich die Stimmen, dem jetzt vorgelegten Vertragsentwurf einen harten Brexit vorzuziehen. Wie Raab urteilt, werde er für das Vereinigte Königreich zwar kurzfristig zu schwerwiegenden ökonomischen Einbußen führen; doch sei das weniger schädlich, als von der EU jahrelang wirtschaftlich gefesselt zu sein. Der bisherige Brexit-Minister nennt die Verhandlungstaktik der EU Erpressung.    

Keine Nachverhandlungen 
Verschärft wird die Lage dadurch, dass Berlin und Brüssel Nachverhandlungen bislang verweigern und die Spaltung der britischen Gesellschaft zwischen Gegnern und Befürwortern des Brexit mit demonstrativen Angeboten vertiefen, doch lieber EU-Mitglied zu bleiben. Sie sei sehr froh über den Vertragsentwurf, teilte Bundeskanzlerin Angela Merkel mit: »Die Frage, ob wir etwas weiterverhandeln, stelle sich überhaupt nicht«. EU-Verhandlungsführer Barnier nennt den Entwurf eine gerechte und ausbalancierte Lösung, eine Äußerung, die nicht nur von entschlossenen Brexit-Befürwortern in Großbritannien als blanker Zynismus empfunden wird. Ähnliches gilt für die gestrige Behauptung von EU-Ratspräsident Donald Tusk, er werde alles tun, um unseren britischen Freunden ... den Abschied so wenig schmerzhaft wie möglich zu machen. Tusk, der vor kurzem mit einem Spott-Tweet auf Premierministerin May heftigen Unmut im Vereinigten Königreich ausgelöst hat, legt London jetzt zum wiederholten Mal den Verbleib in der Union nahe. Auf diesen Fall sei Brüssel am besten vorbereitet, erklärte Tusk gestern.

Milliarden auf dem Spiel 
Während sich die Auseinandersetzungen in London zuspitzen, warnt Bundesfinanzminister Olaf Scholz vor einer ungeordneten Entwicklung in Sachen Brexit: Sie wäre das Schlimmste, was passieren kann. Tatsächlich hat die deutsche Wirtschaft im Fall eines harten Brexit Einbußen in Höhe von möglicherweise mittleren zweistelligen Milliardensummen zu befürchten. Wirtschaftsverbände schließen sich dementsprechend den Warnungen des Bundesfinanzministers an. »Für ein Aufatmen sei es leider noch zu früh«, wird Eric Schweitzer, der Präsident des Deutschen Industrie- und  Handelskammertages (DIHK), zitiert: »Entscheidend sei, ob die britische Regierung das Parlament überzeugen kann«. Die Chancen dafür sind mit der Tatsache, dass die Union kaum akzeptable Festlegungen im Entwurf für das Brexit-Abkommen durchgesetzt hat, erkennbar gesunken.  [1]

Bereits im März dieses Jahres hatte es geheißen, dass die Weigerung Brüssels, in ein Post-Brexit-Handelsabkommen mit Großbritannien nicht nur den Schutz von EU-Interessen, sondern auch eine Öffnung für die britische Finanzbranche einzubeziehen, einen harten Brexit wahrscheinlicher werden lasse. Zudem wendete sich die Stimmung in Großbritannien angesichts der EU-Obstruktionspolitik immer mehr gegen Brüssel. Sogar britische Brexit-Gegner haben die Arroganz der EU beklagt und gewarnt, ein Großbritannien, das sich »von der EU gedemütigt fühlt, könnte ein unbequemer Nachbar sein«.

Anfang März hatte auch einer der prominentesten Kommentatoren der Financial Times, Gideon Rachman, vor gefährlichen Folgen der Brüsseler    Obstruktionspolitik gewarnt. Großbritannien, schrieb Rachman, sei nicht irgendein Drittstaat: Es habe seit Jahrhunderten eine entscheidende Bedeutung für Europas Kräftegleichgewicht gehabt und es sei bis heute ein wichtiger Handelspartner und militärischer Bündnispartner für die meisten EU-Länder.  

…….. Schließlich aber könne die EU darauf setzen, eine Krise zu erzwingen, in der Hoffnung, dass die britische Regierung stürze und die Nachfolgeregierung das Austrittsreferendum außer Kraft setze.   [2]

 

[1]  https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7785/  
16. 11. 18  An die EU gefesselt

[2]  https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7560/   13. 3. 18
Die Arroganz der EU