Jean-Daniel Delley: Neues Terrorgesetz schiesst weit über das Ziel hinaus. Abwehr gegen Terror ja, aber ohne Attacke auf Grundrechte

Die Schweiz will mit einem neuen Gesetz gegen Terrorismus ins Feld ziehen. Doch laut Rechtsxperten sprengt es den Rahmen.

Es ist zu offen formuliert und hebelt die Kinderrechte aus. »Der Terrorismus bedroht den Rechtsstaat und die demokratischen Werte und Freiheiten«, schreibt der Bundesrat in seiner Botschaft zum Gesetz über »Polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus« (PMT), über das am 13. Juni 2021 abgestimmt wird. Nur: Es gilt aufzupassen, damit diese Massnahmen nicht selber zum Angriff auf die Rechte enden, die sie schützen wollen. Heute werden Terrorattentate oft von isolierten Einzelnen oder kleinen Gruppen ausgeführt, mit wenig Mitteln und ohne ausgeklügelte Vorbereitung. Dieser billige Terrorismus erweist sich aber als umso gefährlicher, da er schwierig zu entdecken und zu verhindern ist. Also scheint es gerechtfertigt, das Abwehrdispositiv anzupassen. Die als Begründung zur Gesetzesverschärfung ins Feld geführten Attentate richten sich nicht gegen die Staatsmacht. Die Terroristen bereiten keinen Staatsstreich vor. Mit dem blindwütigen Blutzoll wollen sie die Gesellschaft destabilisieren. Attentate verbreiten Angst und lösen als Reaktion Panik und Lähmung aus. Das wiederum kann dazu führen, dass Prinzipien des Rechtsstaats und unveräusserliche Freiheitsrechte vergessen werden. Kurz gesagt: Terroristen beeinflussen mit ihren Taten auch die Vernunft und den kühlen Kopf der Menschen und der ganzen Gesellschaft. 

Ein kühler Kopf wäre gefragt - das Gesetz lässt aber genau das vermissen:Eine Analyse des PMT ergibt, dass es dem Gesetzgeber eben an kühlem Kopf gemangelt hat. Der Bundesrat anerkennt zwar in der Botschaft: »Die Schaffung einer entsprechenden Gesetzesgrundlage verlangt angesichts der Breite der damit verbundenen Einschränkungen fundamentaler Grund- und Menschenrechtsgarantien besondere Sorgfalt«; und: »Konkret geht es darum, die neuen polizeilichen Instrumente grund- und völkerrechtskonform auszugestalten und anzuwenden«.    

Die neuen Instrumente sollen das Dispositiv der bisherigen Regeln zur Bekämpfung von Terrorismus im Inland verstärken. »Eine terroristische oder fundamentalistische Ideologie und Gesinnung allein können nicht Auslöser präventiv-polizeilicher Massnahmen sein«, schreibt der Bundesrat in der Botschaft. Und weiter: »Erst wenn die Radikalisierung einer Person in eine terroristische Aktivität überzugehen droht, ist staatliches Handeln angezeigt und gerechtfertigt«.

Eine staatliche Intervention  - ohne dass ein Verdacht auf eine konkrete Straftat vorliegt -  heisst, dass die Polizei ausserhalb des Strafrechts eingreifen würde. Als neue Massnahmen stehen ihr zur Verfügung: Meldepflicht bei den Behörden, obligatorische Teilnahme an Gesprächen, Kontaktverbote, Ausreiseverbote, das Verbot, einen bestimmten Ort entweder aufzusuchen oder zu verlassen, elektronische Überwachung und Lokalisierung. Diese Massnahmen können für eine Dauer von sechs Monaten verfügt und einmal verlängert werden. Und: Sie sind auch auf Kinder ab 12 Jahren anwendbar und das auf alleinige Anordnung der Bundespolizei hin. Ausnahme bildet der Hausarrest, der erst ab 15 Jahren erlaubt ist und von einem Richter genehmigt werden muss.

Menschen- und Kinderrechte werden verhöhnt

Die Unschärfe in diesem Gesetz widerspricht der vom Bundesrat betonten besonderen Sorgfalt. Das Gesetz weckt berechtigte Ängste, denn die Polizei kann Freiheitsrechte allein mit Annahmen und Mutmassungen einschränken. Das  öffnet der Willkür Tür und Tor. Zudem besteht die Gefahr, dass sich die Liste der möglichen Gründe für solche Massnahmen weiter vergrössert. Anna Coninx, Strafrechtlerin an der Universität Luzern, sieht das Risiko, dass Menschen allein aufgrund ihrer Herkunft unter Generalverdacht gestellt werden. Und sie stellt die Frage, wie wir reagieren würden, wenn unsere politischen Gegner solche Massnahmen gegen uns ergreifen würden.

Die Anwendung der Massnahmen an Minderjährigen widerspricht auch der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. Wie der Hausarrest, eigentlich ein Freiheitsentzug, der gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstösst, ausser es handelt sich um ein schweres und unmittelbar drohendes Delikt. Die Kritik von verschiedenen Organisationen [Humanrights.ch, Amnesty International und andere) sowie von rund 60 Rechtsexperten von Schweizerischen Universitäten wurden von den Verfassern des Gesetzes nicht gehört.

Die Stimmberechtigten müssen also am 13. Juni 2021 entscheiden, wie wichtig ihnen die Verteidigung der Freiheitsrechte ist.

Verfassungsrechtliche Grundlage fehlt

Für den Erlass der Massnahmen zur Verhinderung terroristischer Aktivitäten, welche den Kern des PMT bilden, fehle dem Bund eine hinreichende verfassungsrechtliche Grundlage; das schreibt Patrice Martin Zumsteg, Dozent für öffentliches Recht an der ZHAW School of Management and Law, in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift sui generis. Sein Fazit lautet: »Insgesamt weist das Gesetzespaket erhebliche Schwachpunkte auf. Sollte es in der kommenden Volksabstimmung angenommen werden, wird es an Lehre und Praxis, vor allem an den Gerichten sein, diese so gut als möglich zu beheben und an den Gesetzgeber zu appellieren, bald wieder eine Teilrevision des BWIS an die Hand zu nehmen«.

Der vollständige Beitrag von Zumsteg  -  Das geplante Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT)  - Verfassungsgrundlage und Verfahrensrecht ist auf  
https://sui-generis.ch/article/view/sg.176/1795  abrufbar.

In einem weiteren Beitrag auf derselben Plattform schreibt Markus Mohler zum PMT-Gesetz: »Wichtige Bestimmungen sind weder verfassungs- noch EMRK-konform«. Mohler war Kommandant der Kantonspolizei Basel-Stadt, zuvor Staatsanwalt und Lehrbeauftragter an den Universitäten Basel und St. Gallen. sui generis publiziert rechtswissenschaftliche Artikel nach dem Prinzip Open Access und ist die einzige rechtswissenschaftliche Zeitschrift der Schweiz mit Double-Blind Peer Review.

Der Autor Jean-Daniel Delley ist emeritierter Rechtsprofessor der Universität Genf und spezialisiert in direkter Demokratie und Gesetzgebung. Der Artikel erschien zunächst in französischer Sprache auf der Website vonDomaine public - Journal d'actualité suisse en ligne. 

Unter dem Titel Braucht es dieses Anti-Terror-Gesetz ?

schreibt Dr. iur. Marianne Wüthrich, dass das Parlament am 25. September 2020 das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus samt dem dazu gehörenden Zusatzprotokoll genehmigt hat. Um die Verpflichtungen der Schweiz gemäss diesem Abkommen zu erfüllen, hat das Parlament gleichzeitig das Strafgesetzbuch um neue Strafbestimmungen für die Beteiligung an kriminellen und terroristischen Organisationen sowie an terroristischen Straftaten ergänzt.  [1]

Ausgehend von Terroranschlägen im Ausland und von der Tatsache, dass in der Schweiz lebende Jugendliche und junge Erwachsene in den Nahen Osten gereist waren, um sich bewaffneten Terroristengruppen anzuschliessen, haben der Nationalrat und der Ständerat gleichentags dem »Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus« [PMT]  zugestimmt. Dagegen haben verschiedene Komitees aus rechtsstaatlichen Gründen das Referendum ergriffen [Abstimmungsbüchlein 2, S. 105]. Diese Abstimmungsvorlage soll hier unter die Lupe genommen werden.

Die wichtigsten Inhalte des Gesetzes
Den Text des Gesetzesentwurfs finden Sie im Abstimmungsbüchlein [S. 114ff.]. Grundsatz: Die Polizei soll bereits präventiv einschreiten können, wenn anzunehmen ist, dass von einer Person eine terroristische Gefahr ausgeht [Abstimmungsbüchlein [2], S. 105].

 -   Gegen »terroristische Gefährder« sollen Massnahmen ergriffen werden können, »wenn auf Grund konkreter und aktueller Anhaltspunkte davon ausgegangen werden muss, dass sie oder er eine terroristische Aktivität ausüben wird«. [Art. 23e Absatz 1]
 
-   »Terroristische Aktivität«  [Art. 23e Abs. 2]: »Bestrebungen zur Beeinflussung oder Veränderung der staatlichen Ordnung, die durch die Begehung oder Androhung von schweren Straftaten oder mit der Verbreitung von Furcht und Schrecken verwirklicht oder begünstigt werden sollen«.   
   
-   Zuständig für die Anordnung der Massnahmen ist Fedpol [Bundesamt für Polizei]  [Art. 23f Abs. 1], auf Antrag der Gemeinde, des Kantons oder des NDB [Nachrichtendienst des Bundes] [Art. 23i].   

-   Vollzug und Kontrolle der Massnahmen sind Sache der Kantone [Art. 23r].

-   Die Massnahmen dürfen nur ergriffen werden, wenn sie »verhältnismässig« sind [das gilt für jede staatliche Massnahme im Rechtsstaat] und wenn vorher versuchte Massnahmen in den Kantonen oder Gemeinden nicht ausreichen [Art. 23f Abs. 1 b]  [Abstimmungsbüchlein, S. 108].

-   Mögliche Massnahmen [Art. 23k–q]:  Gesprächsteilnahmepflicht, Kontaktverbot, Ausreiseverbot, Meldepflicht, Ein- und Ausgrenzung [Verbot, bestimmte Orte aufzusuchen oder zu verlassen], Hausarrest, Ausschaffungshaft [für Ausländer; für Schweizerbürger ist keine Haft/Festnahme vorgesehen], elektronische Überwachung [Abstimmungsbüchlein, S. 107].  

 Gemeinsame Bestimmungen: 

-   Altersgrenze: 12 Jahre [Art. 24f]

-   Maximale Dauer einer Massnahme: Sechs Monate  [einmalige Verlängerung um maximal sechs Monate möglich]   [Art. 23g Abs. 1].     

-   Rechtsschutz: »Gegen Verfügungen von Fedpol  […]  kann beim  Bundesverwaltungsgericht Beschwerde geführt werden«. [Art. 24g Abs. 1] »Beschwerden haben keine aufschiebende Wirkung«. Der Instruktionsrichter [Untersuchungsrichter] kann jedoch einer Beschwerde aufschiebende Wirkung erteilen, »wenn der Zweck der Massnahme dadurch nicht gefährdet wird«.  [Art. 24g Abs. 3]. 

-   Strafbestimmungen: »Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer gegen Massnahmen nach den Artikeln 23l–23q verstösst«. [Art. 29a] 


Schwerwiegende rechtliche Einwände

Die beiden Referendumskomitees stossen sich an den schwammigen Definitionen der Gefährder und der terroristischen Aktivität, die der Willkür Tür und Tor öffnen. Bundesrätin und EJPD-Chefin Karin Keller-Sutter beteuert zwar, mit Gefährdern seien keine Demonstranten gemeint, »auch nicht solche, die Fensterscheiben einwerfen«, aber schwammig bleibt schwammig. Die vorgesehenen Massnahmen könnten zudem auf blossen Verdacht hin und ohne Beweise gegen unbescholtene Bürger und gegen Kinder ab 12 Jahren verhängt werden [Verstoss gegen die Europäische Menschenrechtskonvention [EMRK] und die UNO-Kinderrechtskonvention]. Auch würde die Gewaltenteilung missachtet: Die Massnahmen würden von Polizeibehörden [Exekutive] sowohl angeordnet als auch durchgeführt, im Rechtsstaat müssten sie aber von einem Gericht angeordnet werden. »Dieses Gesetz ist ein Angriff auf den Rechtsstaat, ohne dass es mehr Sicherheit bringt«.  [Abstimmungsbüchlein, S. 110f.]   

Neben den Referendumsgegnern bringen auch zahlreiche Schweizer Juristen ernste rechtliche Bedenken gegen das Anti-Terrorismus-Gesetz ein, so UNO-Sonderberichterstatter Nils Melzer, den wir als unerschrockenen Kämpfer für die Freilassung des Whistleblowers Julian Assange kennengelernt haben. Gemeinsam mit vier weiteren UNO-Sonderberichterstattern forderte er das Parlament auf, die Vorlage abzulehnen: »Die Polizei soll weitgehende Befugnisse im Kampf gegen den Terror erhalten – zu weitgehende«, sagt der Schweizer Jurist Melzer.  [3]

Bereits im September 2020 hatten mehr als 50 Schweizer Strafrechtsexperten in einem offenen Brief das Parlament aufgefordert, die Gesetzesvorlage abzulehnen, weil »die vorliegenden Massnahmen weitreichende Beschränkungen von Grund- und Menschenrechten erlauben, deren Schutz durch die Bundesverfassung und internationale Abkommen [EMRK, UNO-Pakt I und II, usw.]  garantiert sind«.  [4]  

Die Rechtsexperten kritisierten unter anderem den extrem unpräzise(n) Begriff des terroristischen Gefährders und insbesondere die unzureichende richterliche Kontrolle: »Es etabliert sich eine Gefährlichkeitsvermutung, welche von der richterlichen Behörde widerlegt werden muss. Das ist unserer Rechtsordnung und den ihr zugrunde liegenden Werten fremd. Das Fehlen einer aufschiebenden Rechtsmittelwirkung sowie einer vorgängigen richterlichen Kontrolle führt dazu, dass die von polizeilichen Massnahmen betroffene Person die beruflichen, sozialen und psychologischen Folgen selbst dann zu erdulden hat, wenn sich die Massnahmen als unbegründet erweisen«.

In ihrem offenen Brief kommen die Strafrechtler zu dem Schluss: »Auch wenn ausser Frage steht, dass Terrorismus nach einer starken Antwort unserer Institutionen verlangt, muss staatliches Handeln im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit erfolgen. Es ist ein starker Rechtsstaat, dessen die Schweiz bedarf, um der terroristischen Bedrohung entgegenzutreten. Die der Bundesversammlung unterbreitete Gesetzesvorlage ist hingegen höchst problematisch mit Blick auf die Bundesverfassung und internationale Menschenrechtsabkommen. Ihre Annahme würde unseren Rechtsstaat aushöhlen«.

Inakzeptabler Übergriff des Bundes in die kantonale Polizeihoheit

Völlig fremd ist dem Schweizer Staatsverständnis die Machtposition, welche der Gesetzesentwurf dem Bundesamt für Polizei  [Fedpol]  überträgt. Fedpol soll die alleinige Entscheidungsgewalt über die Verfügung von Massnahmen gegenüber einem terroristischen Gefährder haben [Art. 23f und j], während die    zuständigen kantonalen und kommunalen Behörden zu blossen Antragstellern   [Art. 23i]  und Vollzugsgehilfen [Art. 23r Abs. 1]  abqualifiziert werden. Ja, das   Bundesamt soll gemäss Absatz 2 dem zuständigen Kanton dabei sogar helfen:   »Fedpol leistet Amts- und Vollzugshilfe«. Ein absolut untragbarer Eingriff in die seit jeher in der Hand der Kantone liegende Polizeihoheit. Überlassen wir dazu Fedpol selbst das Wort: Unter dem Titel Polizeistruktur – Föderalistischer  Aufbau ist auf deren Homepage zu lesen: »In der Schweiz haben grundsätzlich die 26 Kantone die Polizeihoheit inne. Es handelt sich dabei um eine originäre Zuständigkeit der Kantone, also eine Zuständigkeit, die bereits bestand, als es die schweizerische Bundesverfassung [BV] noch nicht gab. Die BV hat daran nichts geändert und anerkennt damit diese Zuständigkeit. Die Kantone sind somit für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf ihrem Territorium verantwortlich«.  [5]  Vielleicht sollten die Beamten des EJPD  [6], bevor sie ein Gesetz entwerfen, zuerst einen Blick auf die Informationen der eigenen Bundesämter werfen.   

Das dicke Ende: Anti-Terror-Gesetz ist überflüssig 

Die Polizei habe heute »nur beschränkte Möglichkeiten, um präventiv gegen terroristische Gefahren vorzugehen. Mit dem vorliegenden Bundesgesetz wollen Bundesrat und Parlament diese Lücke schliessen«. [Abstimmungsbüchlein, S. 105]   Allerdings verschweigt der Bundesrat, dass die Lücke so gross nicht ist. Denn am selben Tag, an dem das Parlament das Anti-Terror-Gesetz beschlossen hat, hat es auch eine Reihe von Vorbereitungshandlungen zu kriminellen oder terroristischen Verbrechen unter Strafe gestellt. Anders als die Massnahmen des Anti-Terror-Gesetzes werden sie im Strafgesetzbuch stehen und somit allen Verfahrensregeln und Grundrechten unterstehen, die der Rechtsstaat garantiert.

Bestraft werden soll neu gemäss Art. 260ter StGB, wer
a.  sich an einer Organisation beteiligt, die den Zweck verfolgt
1.  Gewaltverbrechen zu begehen […], oder

2.  Gewaltverbrechen zu begehen, mit denen die Bevölkerung eingeschüchtert oder ein Staat oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen genötigt werden soll;

oder
b.  eine solche Organisation in ihrer Tätigkeit unterstützt. [.…]

Nach Art. 260sexies ist neu auch strafbar, wer

a.  jemanden für die Begehung einer solchen Straftat oder die Teilnahme daran anwirbt;

b.  sich für die Begehung einer solchen Straftat oder die Teilnahme daran anleiten lässt zum Herstellen oder Gebrauch von Waffen, Sprengstoffen, radioaktiven Materialien, giftigen Gasen oder anderen Vorrichtungen oder gefährlichen Stoffen, oder jemanden hierzu anleitet;

oder
c.  eine grenzüberschreitende Reise unternimmt, in der Absicht, eine solche Straftat zu begehen, sich daran zu beteiligen oder sich dafür ausbilden zu lassen.


Bereits seit 2003 ist zudem strafbar, wer für terroristische Zwecke 
  Vermögenswerte sammelt oder zur Verfügung stellt [Art. 250quinquies], und schon seit 1995, wer die Bevölkerung durch Androhen oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt [Art. 258]. 

Das heisst, wer mit gefährlichem Material herumpröbelt oder sich in krimineller Gesellschaft bewegt, wer bedrohliche Mails und Tweets herumschickt, wer ins Ausland reist, um sich dort terroristischen Gruppen anzuschliessen, oder wer für solche Gruppierungen Geld sammelt, macht sich bereits durch diese   Vorbereitungshandlungen strafbar. Er muss sich nicht fragwürdigen Massnahmen von Fedpol unterziehen, sondern er wird angeklagt und vor Gericht gestellt, mit allen grundrechtlichen Garantien [Recht auf Anhörung, Recht auf einen Anwalt, Recht auf Ergreifung von Rechtsmitteln usw.].  

Wozu also ein rechtlich zweifelhaftes Anti-Terror-Gesetz, das diese Grundrechte massiv einschränkt?

Zum Schluss eine dringliche Frage: Was tun wir mit gewaltbereiten Jugendlichen?

Bundesrätin Keller-Sutter wirbt für das Anti-Terror-Gesetz mit dem Beispiel eines 17jährigen, der in den Sozialen Medien ankündigt, »dass er all diese Muslime töten werde«. Der 17Jährige lädt Ausschnitte aus dem Video jenes australischen Neonazis hoch, der im März 2019 in zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch 51 Muslime ermordete. Dazu schreibt er: »Irgendwann möchte ich das Gleiche in der Schweiz tun«. Im Chat lässt er auch durchblicken, dass es »ganz in der Nähe bei ihm eine Moschee« gebe.  [7]   

Wie packen wir Erwachsene solch schwere Probleme an? Wissen wir Eltern und Lehrer, was für schreckliche Gewaltvideos und Mobbing-SMS unter unseren Kindern zirkulieren? Können wir einschätzen, ob der Einzelne ein potentieller Straftäter ist, oder ob er bei ernster Ansprache zur Besinnung kommen könnte? Diesen anspruchsvollen Fragen muss sich unsere Gesellschaft stellen. Wir sind für unsere Jugendlichen, für Lösungsversuche mit den Gewaltbereiten und für den Schutz der anderen verantwortlich. Von Fedpol angeordnete Massnahmen werden es nicht richten.

  

Quelle:
https://www.zeit-fragen.ch/archiv/2021/nr-11-18-mai-2021/braucht-es-dieses-anti-terror-gesetz.html
 Nr. 11 vom 18. 5. 21

Braucht es dieses Anti-Terror-Gesetz? – Von Dr. iur. Marianne Wüthrich

[1]  »Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll sowie über die Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität« vom 25. 9. 2020
[2]  Erläuterungen des Bundesrates zur Volksabstimmung vom 13. 6. 2021
[3]  Poletti, Gregor - »Experten warnen vor Antiterrorgesetz. Auch unbescholtene Bürger könnten als terroristische Gefährder eingestuft werden«; Tages-Anzeiger vom 27. 4. 2021

[4] 
https://unser-recht.ch/2020/09/24/51-universitaere-rechtsexpertinnen-und-experten-rufen-zur-ablehnung-des-antiterrorgesetzes-auf/
[5] 
https://www.fedpol.admin.ch/fedpol/de/home/polizei-zusammenarbeit/national.html

[6]
Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement
[7] 
Pelda, Kurt - »Justiz lässt mutmasslichen Terroristen entwischen«; Tages-Anzeiger vom 19. 4. 2021