Muriel Mirak-Weißbach - Was ist faul am Mehlis-Bericht?

Der Bericht der Mehlis-Kommission über den Mord am libanesischen Premier Hariri beruht auf falschen Voraussetzungen und Falschaussagen. Fest steht nur, daß gegen Syrien eine Operation "Regimewechsel" läuft.

Der sogenannte Mehlis-Bericht ist zum wichtigsten Hebel der gegenwärtigen Kampagne gegen Syrien geworden. Sein Autor ist Detlev Mehlis, Leiter der Unabhängigen Internationa-len Untersuchungskommission der Vereinten Nationen über die Ermordung des libanesischen Premierministers Rafik Hariri im März 2005. Diese Kommission, die aufgrund der UN-Sicherheitsratsresolution 1595 vom 7. April 2005 geschaffen wurde, legte am 19. Oktober ihren ersten Bericht vor und wird voraussichtlich am 15. Dezember einen zweiten Bericht vorlegen. In der Zusammenfassung des Berichts heißt es, daß die "gesammelten materiellen und dokumentarischen Beweise und bisher untersuchten Spuren….. sowohl auf eine libane-sische als auch eine syrische Beteiligung an diesem Terrorakt hindeuten". Unter Hinweis auf die jahrelange Präsenz syrischer Geheimdienste im Libanon und "angesichts der Infiltration der libanesischen Institutionen und Gesellschaft durch die Hand in Hand arbeitenden syri-schen und libanesischen Geheimdienste wäre ein Szenario schwer vorstellbar, wonach ein so komplexes Mordkomplott ohne deren Wissen durchgeführt worden wäre... Die Kommission kommt, nachdem sie Zeugen und Verdächtige in der Syrischen Arabischen Republik verhört und festgestellt hat, daß viele Spuren direkt darauf hindeuten, daß Offiziere des syrischen Geheimdiensts an dem Mord beteiligt waren, zu dem Schluß, daß es bei Syrien liegt, einen großen Teil der ungelösten Fragen zu klären."
 
In der ursprünglichen Fassung des Mehlis-Berichts wurden Namen genannt, die später aber gestrichen wurden: Offiziere des syrischen und des libanesischen Geheimdienstes und führende Vertreter Syriens. Namentlich genannt wurden: Maher Assad und Assef Schawkat, Bruder bzw. Schwager des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad; General Hassan Chalil, der frühere Chef des syrischen Militärgeheimdienstes; Rostum Ghasali, Chef des syrischen Geheimdienstes im Libanon; und Dschamea Dschamea, Ghasalis Stellvertreter und Leiter des Militärgeheimdienstes in Beirut. Ebenfalls genannt wurden die Chefs verschiedener libanesi-scher Geheimdienstabteilungen: Die Generäle Mustafa Hamdan, Raymond Azar, Dschamil Al-Sayyed, Ali Al-Hadsch und der frühere Abgeordnete Nasser Kandil. Mehrere dieser Personen wurden inzwischen verhaftet, fünf von ihnen, deren Namen noch nicht genannt wurden, sollen von Mehlis in Wien verhört werden.
 
Falsche Voraussetzungen und Falschaussagen
Der Mehlis-Bericht geht von der oben schon zitierten Hypothese aus, daß Syrien angesichts seiner Position im Libanon am Hariri-Mord beteiligt gewesen sein muß. Eine weitere An-nahme ist, daß Premierminister Hariri und Baschar Al-Assad in einem Konflikt standen, weil Assad beabsichtigte, die Amtszeit des libanesischen Präsidenten Emile Lahoud zu verlängern, was Hariri abgelehnt haben soll. Dabei wird auf ein Treffen der beiden am 26. August 2004 in Damaskus verwiesen. Über dieses Treffen gibt es von den von der Kommission gehörten Zeugen jedoch zwei völlig entgegengesetzte Darstellungen. Nach der von Hariris Mitarbei-tern stammenden Version, die von der Mehlis-Kommission als zutreffend übernommen wurde, soll Assad Hariri bedroht haben. Aber Mehlis stützt seine Vorwürfe auf Aussagen zweier Zeugen, die sich später als Lügner erwiesen. Einer dieser Zeugen, der in dem Bericht namentlich genannt wird, war Zuhir Ibn Mohamed Said Saddik, der sich als ehemaliger syrischer Geheimdienstoffizier ausgab. Ihm zufolge wurde der Beschluß, Hariri zu töten, bei einer Reihe von syrisch-libanesischen Treffen zwischen Juli und Dezember 2004 gefaßt. Saddik behauptete, er sei bei diesen syrisch-libanesischen Besprechungen anwesend gewesen. Er berichtete über einen Lieferwagen vom Typ Mitsubishi Canter, der bei dem Mord verwen-det wurde und den eingesetzten Sprengstoff. Saddik unterzeichnete am 26. September 2005 seine Aussage und wurde am 13. Oktober verhaftet. "Die Tatsache, daß Herr Saddik sich selbst in dem Mordfall beschuldigt hat, was zu seiner Verhaftung führte, vergrößert seine Glaubwürdigkeit" - so der Mehlis-Bericht. Aber schon bald stellte sich heraus, daß "Saddik" in Wirklichkeit Safi hieß; daß er niemals Offizier des Geheimdienstes war, sondern ein desertierter Soldat; und daß er sowohl in Syrien als auch im Libanon wegen mehrerer Delikte zur Fahndung ausgeschrieben war. Safi soll aus dem Nichts ein Vermögen erwor-ben haben, mehrere Villen besitzen und sich mit "teuren Frauen" umgeben haben. Und, laut Angabe der französischen Nachrichtenagentur intelligenceonline, soll Safi nach seiner Fahnenflucht in die USA gereist sein.
 
Ein zweiter Kronzeuge, der im Mehlis-Bericht nicht namentlich genannt wurde und ebenfalls behauptete, für den syrischen Geheimdienst gearbeitet zu haben, sagte aus, hohe syrische und libanesische Vertreter hätten nach der Verabschiedung der UN-Resolution 1559 vom 2. Sep-tember 2004 beschlossen, Hariri zu töten. Dieser Mann sagte, die Planungstreffen für den Mord hätten in Syrien stattgefunden, und daß er "engen Kontakt mit hohen syrischen Offi-zieren hatte, die im Libanon stationiert waren". Auch er behauptete, er habe in einem  syri-chen Militärstützpunkt im Libanon einen weißen Mitsubishi-Lieferwagen gesehen. Dieser Zeuge nannte Azar, Hamdan und Ghasali, Kandil und Al-Hadsch als aktiv Beteiligte an dem Mordkomplott. Später soll er vier der Verdächtigten gegenübergestellt worden sein. Dabei habe er unter einer Maske, die seine Identität verbarg, seine Vorwürfe gegen sie wiederholt.
Am 28. November 2005 trat dieser zweite Kronzeuge, Husam Taher Husam Al-Kurdi. bei einer Pressekonferenz in Damaskus auf, wo er erklärte, er habe Mehlis belogen. Dazu sei er von Hariris Sohn Saad angestiftet worden, der ihm Millionen versprochen habe, wenn er vor der Mehlis-Kommission gegen die Syrer aussage. Im syrischen Fernsehen sagte er, er sei gezwungen worden, gegen den Bruder und den Schwager des Präsidenten Baschar Al-Assad auszusagen: "Maher Al-Assad und Assef Schawkat sind die wichtigsten Vertreter, die sie anvisieren... sie forderten mich auf, gegen sie auszusagen und ich sagte, daß sie es gewesen seien, die den Mord anordneten", erklärte Al-Kurdi.
 
Ebenfalls am 28. November verlangte der Leiter der syrischen Ermittlungen, daß Mehlis seinen vorläufigen Bericht aufgrund der Rücknahme von Al-Kurdis Aussage revidiert. Die syrische Regierung reagierte mit der Erklärung, daß "keine Organisation oder Person, die Verbindungen zur syrischen Regierung hat, bei dem abscheulichen Mord... an Hariri eine Rolle spielte". Hier die Wahrheit zu finden, ist, gelinde gesagt, schwer. Libanesische Kreise behaupten nun, daß beide Zeugen Teil eines ausgeklügelten Komplotts des syrischen Geheim-dienstes seien, um die Mehlis-Kommission zu diskreditieren. Zumindestens ist klar, daß der Mehlis-Bericht weitgehend auf der Aussage zweier Personen beruht, die falsch ausgesagt haben. Mehrere Beobachter in der Nahost-Region und auch mehrere deutsche Zeitungen haben auf die Tatsache hingewiesen, daß Mehlis auch bei seiner langjährigen Untersuchung des Bombenanschlags von 1982 auf die Discothek La Belle, für den er Libyen verantwortlich machte, ähnlich fragwürdige Methoden anwendete. Auch damals wurden die Aussagen ano-nymer, geheimer Zeugen verwendet. Auch damals wurde nur eine Spur verfolgt, während andere Spuren, die zu israelischen, amerikanischen und anderen Geheimdienstkreisen führten, ignoriert oder vertuscht wurden. Vor allem ignoriert die Mehlis-Untersuchung völlig die Existenz der "Clean Break"-Doktrin, eines Plans für Regimewechsel nicht nur im Irak, sondern auch im Libanon und in Syrien, der von einer neokonservativen Gruppierung im Umfeld von Dick Cheney ausgearbeitet und an den damaligen israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu weitergereicht wurde.
 
Wenn sich Mehlis die Frage "Cui bono?" überhaupt gestellt hat, dann hat er sich zu schnell auf eine zu simplistische Antwort festgelegt.
Aus Neue Solidarität Nr. 49 vom 7.12.05