GFP Sicherheitskonferenz München - Der Inhalt dieser Mitteilung zu Georgien ist hinsichtlich der Aufrüstungsforderungen von einmaliger Perversität

(Eigener Bericht) - Bei der bevorstehenden Münchner Sicherheitskonferenz soll die zügige Aufnahme Georgiens in das westliche Militärbündnis vorgeschlagen werden. Dies erfährt german-foreign-policy.com aus diplomatischen Kreisen der deutschen Hauptstadt. Um das weitere Vordringen der NATO an die russischen Grenzen öffentlichkeitswirksam in Szene zu setzen, wird der Staatspräsident Georgiens, Michail Saakaschwili, auf dem Münchener Militärtreffen den Einleitungsvortrag halten. Saakaschwili, der einer "defekten Demokratie" vorsteht, hat bereits in der vergangenen Woche bestätigt, seine Regierung strebe einen NATO-Beitritt "in nächster Zukunft" an. Die dritte Osterweiterung der NATO, die jetzt endgültig den Kaukasus erreicht, beschleunigt den Rüstungswettlauf mit Moskau und betrifft auch den Iran. Von dort will Georgien das dringend benötigte Gas beziehen, um sich aus Abhängigkeiten von Russland zu lösen. Den Frontaufbau an den russischen Grenzen fördert Berlin mit Maßnahmen sogenannter Entwicklungshilfe. Die Aktivitäten werden von der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung begleitet, die mit einem eigenen Büro im Südkaukasus für "gemeinsame Perspektiven" sorgt. In Vorbereitung auf den PR-Coup der NATO in München wurde der georgische Außenminister vor wenigen Tagen in Berlin empfangen und außenpolitischen Gesprächen mit dem Berater der deutschen Kanzlerin, Heusgen, und dem Chef des Auswärtigen Amtes, Steinmeier, zugeführt. Aus Teilnehmerkreisen heißt es gegenüber dieser Redaktion, im Mittelpunkt habe die weitere Ausstülpung von NATO und EU nach Tbilissi gestanden. Um den Eintritt Georgiens in das westliche Militärbündnis zu forcieren, erhält das Land seit 1994 Zuwendungen für sein Rüstungsbudget. Seit 2002 befinden sich westliche Ausbilder in Georgien. 2004 wurde die georgische Armee auf einen "Individual Partnership Action Plan" (IPAP) verpflichtet und steht seitdem für die kommende NATO-Mitgliedschaft in Wartestellung. http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56227 vom 1. 2. 2006

Vollendete Tatsachen
Um den Münchner Auftritt abzufedern und Russland über Dritte einzubinden, hielt sich der georgische Staatsminister für europäische und euroatlantische Integration, Georgi Baramidse, in der vergangenen Woche zu einem viertägigen Arbeitsbesuch in Brüssel auf. Auch dort wurden die weiteren NATO-Aktivitäten abgestimmt. Während sich die Spitzen des westlichen Militärbündnisses mit Tbilissi "solidarisierten" und Druck im georgisch-russischen Erdgasstreit aufbauen [1], nimmt Berlin die Rolle des Mittlers wahr. Moskau wurde an diesem Wochenanfang versichert, eine Verkündung der bevorstehenden Militärexpansion sei in keiner Weise als Affront zu verstehen und berücksichtige russische Interessen. Auch diese Erklärung hat Moskau hingenommen und dürfte sich in München vollendeten Tatsachen gegenübersehen.
 
Kriegsfähigkeit
In München will die georgische Regierung auch auf energiepolitische Maßnahmen gegen Moskau drängen. Präsident Saakaschwili hat für März eine Zusammenkunft mehrerer Energieminister aus südkaukasischen und europäischen Ländern angekündigt, um eine autonome Durchleitung der kaspischen Rohstoffe über Georgien und die Ukraine zu erreichen. Ziel ist das Kappen der russischen Rohrverbindungen. Damit entspricht Tbilissi deutschen Energiestrategien, die entsprechende Pipelinerouten fordern, um den Einfluss Moskaus auf die deutsche Gas- und Ölversorgung zu verringern.[2] Die eigene Unabhängigkeit von russischen Rohstoffen gilt in Georgien für unabdingbar, um als zukünftiges NATO-Mitglied energietechnische Kriegsfähigkeit gegen Russland zu erreichen.
 
Abkoppelung
Die Autonomie Georgiens auf dem Energiesektor steht seit Jahren im Zentrum deutscher Maßnahmen, die vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie ministeriell vorgelagerten Organisationen betrieben werden. Berlin hatte Georgien nach der Abkehr von Russland als erster Staat anerkannt, auf traditionelle deutsche Strategien in der Kaukasus-Region gesetzt und mehrere Hundert Millionen Euro aus BMZ-Geldern zur Verfügung gestellt.[3] Obwohl Georgien "früher Elektrizität exportiert(e)" und ein großes Potential an Wasserkraft besitze, sei es "heute auf den Import von Strom und Brennstoffen angewiesen", heißt es im BMZ. Das Ministerium kündigt an, "diese Probleme" lösen zu wollen, und denkt dabei insbesondere an "Attraktivität für Investoren". Damit scheinen inbesondere deutsche Großunternehmen gemeint zu sein. So hat die "Voith Siemens Hydro Kraftwerkstechnik" (Heidenheim) im November 2002 einen Auftrag in Höhe von 23 Millionen Euro zur Modernisierung des bedeutendsten georgischen Kraftwerks (Inguri) erhalten. Die Arbeiten stehen unmittelbar vor dem Abschluss, das Kraftwerk wird nach Angaben des deutschen Unternehmens in Zukunft "einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung der Stromversorgung für Industrie und Haushalte in Georgien leisten".[4]
 
Letzte Reserven
Versuche Georgiens, angesichts des jüngsten Streits um russische Erdgaslieferungen einen Befreiungsschlag zu führen, beziehen Teheran in die NATO-Politik ein, wenn auch nur mittelbar. Der georgische Energieminister war in der vergangenen Woche zu einer Reise in den Iran und nach Aserbaidschan aufgebrochen, um für sofortige Gaslieferungen zu sorgen, die den Ausfall russischer Margen kompensieren sollten. Die iranische Führung zeigte sich kooperationsbereit. Seit Sonntag lässt Teheran die erforderlichen Mengen nach Georgien pumpen. Damit wird ein Wirtschaftsembargo gegen den Iran unwahrscheinlicher. Der immer wieder angedrohte Handelsboykott würde die NATO-Expansion in den südlichen Kaukasus verzögern und die Stützpunktbildung des westlichen Militärbündnisses auf kurze Sicht erschweren. Dass Moskau die iranischen Hilfslieferungen für Tbilissi zum Anlass genommen haben könnte, dem Westen bei seiner Iran-Politik beizuspringen und einer Überweisung des Atomstreits an die UNO zuzustimmen, wird in München nicht ausgeschlossen. Der Kampf um die Verteilung der letzten fossilen Energiereserven führt zu schnell wechselnden Staatenbündnissen, denen die NATO zugunsten westlicher Gewaltoperationen Grenzen setzt.
 
Ausverkauf
Trotz der strategischen Bedeutung Georgiens für die anti-russischen Einkreisungspläne und den internationalen Energiebedarf versinkt das Land in Armut und Verbrechen. Etwa 51 % der Bevölkerung leben mit Einkünften, die sie unterhalb der Armutsgrenze vegetieren lassen, 15 %  gelten als "extrem arm".[5] Das Bruttosozialprodukt hat noch nicht einmal die Hälfte des Umfangs aus Sowjetzeiten erreicht. Bei anhaltenden Auswanderungswellen sinkt die Geburtenrate kontinuierlich, so dass  Entvölkerungsbewegungen Platz greifen: Seit 1991 ist die Einwohnerzahl um ein Fünftel (1 Million) geschrumpft und beträgt jetzt nur noch etwa 4,5 Millionen. Die soziale Verelendung führt zu Verbrechen jeder Art und bestimmt auch den Zustand der Staatsapparate. In den Gefängnissen des Landes herrsche eine "Kultur der Gewalt und der Folter", heißt es in der Resolution 1477 der Parlamentarischen Versammlung des Europarats vom 24. Januar 2006. Angesichts dieser Zustände verlangt die NATO von Tbilissi erhöhte Militärausgaben, um westliche Rüstungsstandards zu erfüllen. Das fehlende Geld leiht der Internationale Währungsfonds (IWF) und nötigt auf diesem Umweg zu einer vollständigen Verpfändung der gesellschaftlichen Reichtümer an die Gläubigerstaaten.
Beitrittspersonal
Die Enteignungsdynamik wird von sogenannten Rechtsdiskursen begleitet, die Vorfeldorganisationen der westlichen Außenpolitik bestreiten. Dabei geht es um die juristische Unterwerfung der heimischen Eliten, deren gewaltförmige Abwehr gegen die wirtschaftliche Ausplünderung gebrochen und mit Vorschriften aus dem innereuropäischen Wertekodex domestiziert werden soll. So kündigt die deutsche Heinrich-Böll-Stiftung nach Ende der Münchener Sicherheitstagung für georgische Teilnehmer und andere Funktionäre eine Veranstaltung über "Demokratie und Rechtsstaatlichkeit" an, unter Beteiligung des deutschen "Regionalbüros Südkaukasus".[6] Die Aufnahme Georgiens in die "Europäische Nachbarschaftspolitik" verlange von der georgischen Regierung "tatkräftige und anhaltende Umsetzung demokratischer Reformen", droht die Böll-Stiftung, da mit den zukünftigen EU-Privilegien für das georgische Beitrittspersonal ansonsten nicht rechnen sei. Für das Instruktionstreffen der Böll-Stiftung zahlt die Europäische Kommission aus ihrem "Erweiterungs"-Programm und nennt den Budgettitel "In neuen Grenzen mit gemeinsamen Perspektiven".
 
 
[1] Georgien gibt Russland die Schuld an der Energiekrise und sucht einen Ausweg in der NATO; RIA Nowosti 27.01.2006
[2] s. dazu Transportkorridor und Kriegsrendite
[3] Laut offiziellen Statistiken flossen seit 1993 bis 2005 rund 250 Millionen Euro.
[4] 23 Mio. € Auftrag für Modernisierung von Wasserkraftwerk Enguri für Voith Siemens Hydro Power Generation; Pressemitteilung von Voith Siemens Hydro 22.11.2002
[5] Statistik 2001
[6] Die Europäische Nachbarschaftspolitik - Papiertiger oder Demokratisierungshebel? Das Beispiel Georgien. Podiumsdiskussion in der Heinrich-Böll-Stiftung, 09.02.2006
 
s. auch Bitte um Eingliederung und Maßgebliche Rolle