«Gefährlicher als die Fichenaffäre»

Wie inzwischen bekannt ist, gehen dem Datenschützer Hanspeter Thür die jüngsten Vorschläge zum Ausbau des Staatsschutzgesetzes zu weit. Grundrechte und Persönlichkeitsschutz würden dadurch in schwerwiegender Weise beschnitten.Wir bringen daher das Interview, das Marius Hasenböhler vom St. Galler Tagblatt mit Hanspeter Thür führte.

Der Oberste Datenschutzbeauftragte Hanspeter Thür geht mit dem Vorentwurf zum neuen Staatsschutzgesetz hart ins Gericht: Was hier geplant sei, sei gefährlicher, als was zur Fichenaffäre geführt habe und verletzte die Bürgerrechte massiv. Ein neues Gesetz sei zudem unnötig, die heutigen strafrechtlichen Mittel reichten vollends.
 
Herr Thür, das neue Staatsschutzgesetz soll die präventive Überwachung der Bürger ohne konkreten Verdacht ermöglichen. Was halten Sie davon?
Hanspeter Thür: Wird dieses Gesetz eingeführt, drohen sehr massive Eingriffe in die Privatsphäre und die Persönlichkeitsrechte jedes Einzelnen, ohne dass man dem Betroffenen einen konkreten Verdacht auf das Begehen einer strafbaren Handlung zur Last legen könnte. Es reicht allein die Vermutung der Staatsschützer, die innere Sicherheit in einem allgemeinen Sinne könnte gefährdet sein, um Telefone abzuhören, persönliche E-Mails zu lesen oder private Räume zu verwanzen. Dieser Eingriff auf Kosten der Bürgerrechte ist nicht tolerierbar.
 
Sie haben bereits den ersten Entwurf im Sommer 2005 scharf kritisiert und vor einem erneuten Fichenskandal gewarnt. Daran hat sich also nichts geändert?
Thür: Nein, weil auch im neuen Entwurf die Vermutung auf eine staatsgefährliche Gesinnung ausreicht, um jemanden zu überwachen. Während der Fichenzeit hatte der Staatsschutz jedoch nicht die Möglichkeit, derart weitgehend in die Privatsphäre einzudringen. Damals war es nicht erlaubt, Telefone oder Privaträume abzuhören, den E-Mail- und Briefverkehr zu überwachen oder eine Computeranlage zu hacken. Was hier an Eingriffsmöglichkeiten vorliegt, ist im Vergleich zur Fichenaffäre ein Quantensprung.
 
Heisst das, man hat aus der Fichenaffäre gar nichts gelernt?
Thür: Die Verantwortlichen des Staatsschutzes haben sich damals massiv gegen die Einschränkung ihrer Interventionsmöglichkeiten gewehrt. Dieser Widerstand wurde nie aufgegeben. Die Angst vor dem Terror wird jetzt benützt, um wieder neue Mittel in die Hand zu bekommen.
 
Aber muss diese Einschränkung der Freiheit der Bürger im Kampf gegen den
Terrorismus nicht in Kauf genommen werden?
Thür: Die Frage unterstellt, dass wir mangelhafte Instrumente haben, um terroristische Aktivitäten in der Schweiz zu bekämpfen. Dies bestreite ich mit aller Entschiedenheit. Die Schweiz hat ihre Rechtsmittel im Kampf gegen den Terror in den letzten Jahren massiv ausgebaut und hat daher genügend strafrechtliche Möglichkeiten, um gegen solche Aktivitäten vorzugehen. Man kann darüber diskutieren, ob die Staatsschutzorgane vergleichbare Interventionsmöglichkeiten wie die Strafverfolgungsbehörden haben sollen. Aber dann müssen auch hier die gleichen Spielregeln gelten: Es braucht einen strafrechtlich erhärteten Verdacht und einen vergleichbaren Rechtsschutz.
 
Viele in unserem Land werden sich aber denken: Uns stört die Überwachung im Dienst der Sicherheit nicht, denn wir sind ja unbescholtene Bürger und haben nichts zu verbergen.
Thür: Ich glaube nicht, dass der Bürger goutiert, wenn der Staat allein aufgrund vager Anhaltspunkte in dessen Schlafzimmer eine Abhöranlage installiert. Eine Carte blanche für den Staatsschutz wird er nicht akzeptieren.
 
Dann müssten doch aber in der Bevölkerung alle Alarmglocken läuten, wenn selbst wie jüngst der Berner, auch der St. Galler Staatsanwalt vor den neuen Staatsschutzplänen eindringlich warnen?
Thür: Ich denke, die Diskussion hat erst begonnen. Dass jedoch von der Strafverfolgungsbehörde bereits jetzt derart klare Kritik kommt, zeigt, wie brisant und gefährlich diese Vorlage ist.
 
Ein dreiköpfiges Kontrollgremium muss jede Intervention genehmigen. Der überwachten Person muss zudem nach Beendigung der Operation die Überwachung mitgeteilt werden. Sind hier nicht genug Sicherungssysteme eingebaut?
Thür: Nein, denn dieses Organ erfüllt die Anforderungen an eine unabhängige richterliche Instanz nicht. Es ist eine Kommission, deren Mitglieder nach dem Gusto der Exekutive eingesetzt werden. Es müsste ein normales, vom Parlament eingesetztes Gericht sein, das gegenüber Exekutive und Legislative unabhängig ist. Und im Bezug auf die Informationspolitik der Staatsschützer müssen wir uns auch nichts vormachen: Sie können Gift darauf nehmen, dass in den seltensten Fällen die betroffenen Personen nach Beendigung der Überwachung informiert werden. Man wird in aller Regel behaupten, dass mit deren Information die innere Sicherheit gefährdet werde und wird es darum bleiben lassen.
 
Doch welche Mittel zur Wahrung der inneren Sicherheit wären denn Ihrer Meinung nach vertretbar?
Thür: Ich glaube, die heutigen strafrechtlichen Mittel reichen vollends. Wenn es Gesetzeslücken im Bereich der inneren Sicherheit geben sollte - die mir bis heute konkret jedoch niemand vorlegen konnte - dann schaffen wir neue Straftatbestände. Dafür brauchen wir aber nicht ein neues, die Bürgerrechte massiv verletzendes Staatsschutzgesetz.
 
Quelle: http://www.tagblattmedien.ch/index.jsp?ressort=portrait/unternehmen/vorstellung>