Oberflächliche Selbstglorifizierung - von Patrick Freudiger

Alle Jahre wieder: Die "high society" der Schweiz versammelt sich in Zürich, um sich selbst zu feiern. Nach mehr oder minder nebulösen Kriterien ausgewählt, dürfen einige einen Pokal entgegennehmen. Einer unter diesen wird dann "Schweizer des Jahres". Diesen Anlass, vor allem eine willkommene Profilierungsgelegenheit selbstverliebter VIPs, nennt man dann modern "Swiss Award". Das Staatsfernsehen SF DRS schliesslich überträgt das Meeting, live versteht sich: Zwangsgebührenfinanzierte Massenbelustigung bzw. -belästigung, je nach Sichtweise.

Man wird den Eindruck nicht los, dass der Anlass reine Fassade ohne Hintergrund ist. Vor laufenden Kameras zeigt man ein bisschen Toleranz hier (Ja zu Multi-Kulti), ein wenig Weltfrieden dort (Singen für Frieden im Nahost) und dazwischen noch ein paar Showeinlagen. Hauptsache, man ist Gutmensch. Chance für einen Preis hatte selbstverständlich nur, wer politisch korrekt denkt. Franco Cavalli - bekennender Marxist - durfte eine Ehrung entgegennehmen. Von der SVP nominiert war nur Peter Spuhler - dank seines Einsatzes für die Ost-Personenfreizügigkeit.
 
Der Trend solcher Sendungen ist symptomatisch für die Oberflächlichkeit unserer Gesellschaft. In einer Zeit, in der sämtliche Werte und Traditionen entwertet und zu Tode relativiert werden, haben Ersatzreligionen Hochkultur: Der Konsumkult, der Esoterikboom oder eben oberflächliche Heroisierungen einzelner Menschen. Der bekannte deutsche Journalist Peter Hahne schrieb in seinem Buch „Schluss mit lustig - das Ende der Spassgesellschaft“ über unsere Gesellschaft: „Dann wird offenbar, dass hinter dem Blattgold der Scheinwelt nichts Echtes steckt.“
 
Ein staatliches Fernsehmonopol wie in der Schweiz ist in der heutigen Informationsgesellschaft eine gefährliche Machtballung. Mit Sendungen wie dem Swiss Award kann die Elite dieses Machtmonopol instrumentalisieren und letztlich - in süffiger Unterhaltung kaschiert - auch ihre Macht zementieren. Die Rechtfertigung des staatlichen Fernsehmonopols liegt, wenn überhaupt, darin, dass es den Auftrag zur sachgerechten Information über eine „ausgewogene Programmgestaltung“ (Art. 26 Abs. 2 des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen RTVG) zwecks freier Meinungsbildung besser wahrnehmen könne. Dagegen wirkt die tatsächliche, zum Teil unverhohlen einseitige und tendenziöse Berichterstattung einzelner Sendungen (z.B. 10vor10, Sternstunden) zum gesetzlichen Informationsauftrag wie ein Hohn.
 
Den Schweizern ist die laufende, pompöse Selbstglorifizierung ihrer Eliten, verglichen mit anderen Staaten, bisher weitgehend erspart geblieben. Einrichtungen wie die direkte Demokratie und das Milizparlament sowie unsere republikanische Tradition zwangen die Eliten zur Bürgernähe. Absolutistische Selbstdarstellungen eines Louis XIV sind uns ebenso unbekannt wie die blind obrigkeitsgläubige wilhelminische Gesellschaft Deutschlands vor dem 1. Weltkrieg. Heute müssen wir erleben, wie sich die Schweiz auch in diesem Punkt leider immer mehr dem Ausland anpasst.
 
Der Titel „Schweizer des Jahres“ bedeutet, dass eine bestimmte Tätigkeit mehr Wert hat als andere, „gewöhnliche“ Verdienste. Darin liegt eine Geringschätzung bürgerlicher Tugenden. Denn wann werden einmal all diejenigen geehrt, die täglich arbeiten, ihre Familie ernähren und sich ehrenamtlich in einem Verein engagieren? Auch Leute ohne berühmte Namen leisten ehrenhafte Arbeit, und finanzieren mit ihren Zwangsgebühren das Staatsfernsehen. Schon aus diesem Grund hätten auch sie einmal eine Ehrerbietung verdient.
 
Hervorhebungen durch die Redaktion