Saddams Schergen im Dienst der Amerikaner - von Marco Seliger

Als am 11.9. die Türme des World Trade Centers in New York brannten, sagte man uns, dass sei ein Angriff "auf die zivilisierte Welt" gewesen. Schaut die "Zivilisierte Welt" nun schweigend zu, wie die Werte, die eine "Zivilisation" ausmachen, in einer unvorstellbaren Eskalation des Schreckens zerstört werden? Im Kampf gegen die Terroristen im Irak gehen die Vereinigten Staaten ungewöhnliche Wege. Verhältnisse wie früher in El Salvador?

Bagdad/Frankfurt. Die Männer tragen Tarnuniformen, schwarze Lederhandschuhe und dunkle Gesichtsmasken. Sie legen Schutzwesten an, Magazine rasten in AK-47-Gewehre ein. Aus den Lautsprechern der "Dodge"-Pick-ups dröhnt Heavy-Metal-Musik. Auf deren Ladeflächen stehen schwere Maschinengewehre. Es sind Paramilitärs, irakische Milizen, die im Dienste der Amerikaner oder der Regierung in Bagdad stehen und sich hier, in einem kleinen Feldlager in der Nähe von Falludscha, auf ihren nächtlichen Einsatz vorbereiten. Amerikanische Soldaten kommen hinzu. Es wird gescherzt. Man kennt sich.
 
Als die Dämmerung hereinbricht, setzt sich der Konvoi in Bewegung. Drei amerikanische "Humvee"-Geländewagen folgen den "Dodges" der Milizionäre, es geht auf Rebellenjagd. Mit einer Liste der "Hochwertziele" in der Hand geben die Männer des "Special Police Command", wie der Verband der irakischen "Sonderpolizei" offiziell heißt, den Weg vor. Mit abgedunkelten Scheinwerfern rollt die Patrouille über verlassene Straßen. Einige Meilen vom Camp entfernt steigt ein Mann hinzu. Ein einheimischer Agent. Er deutet auf ein Haus ganz in der Nähe. Dort soll sich ein Gesuchter aufhalten. An dem Gebäude angelangt, braucht der Trupp nicht lange zu warten, bis ein Bewohner nach dem anderen verängstigt das Haus verläßt. Der Spion identifiziert einen als Aufständischen. Dem Mann werden Fesseln angelegt und die Augen verbunden. Der Konvoi hält in dieser Nacht noch mehrfach. Den kleinsten Widerstand der mutmaßlichen Rebellen erwidern die Milizionäre mit Prügeln. Oder der Verdächtige hat gleich die Mündung einer Waffe an der Schläfe. Wenn ihnen die Methoden ihrer irakischen Verbündeten zu brutal werden, drehen sich die amerikanischen Soldaten auch schon mal weg.
 
Womit ist dieses Vorgehen zu vergleichen? Manche Militärfachleute erinnern an den zwölfjährigen Bürgerkrieg in El Salvador. Von 1980 bis 1992 lieferten sich dort Armee und Paramilitärs im Dienste einer konservativen Regierung einen blutigen Kampf gegen linksgerichtete Rebellen. Mehr als 70 000 Menschen, vor allem Zivilisten und Nichtkombattanten, kamen dabei ums Leben. Wie in anderen Bürgerkriegen im amerikanischen Hinterland, etwa in Guatemala, Chile und Nicaragua, unterstützte der damalige Präsident Ronald Reagan das seiner Regierung ideologisch verbundene Regime in El Salvador. Neben der Entsendung von Militärausbildern und CIA-Einheiten bestand der Beistand vor allem in der Lieferung von Waffen. Mit Hilfe amerikanischer Kommandosoldaten wurden sechs Kampfbataillone der salvadorianischen Armee aufgebaut. Einige dieser Militärfachleute beraten heute laut The New York Times das irakische Innen- und das Verteidigungsministerium beim Aufbau ihrer Sicherheitskräfte. Niemand weiß besser als sie, wie die erfolgreiche Bekämpfung Aufständischer durch lokale Milizen zu organisieren ist. Unbemerkt ziehen sie hinter den Kulissen der irakischen Übergangsregierung die Fäden. Ein Ergebnis ihrer Arbeit sind die "Special Police Commands" - 5.000 Mann, die einst den Republikanischen Garden und anderen Spezialverbänden Saddam Husseins dienten.
 
Nachdem der amerikanische Übergangsverwalter Paul Bremer nach Kriegsende im Mai 2003 die Auflösung aller irakischen Armee- und Polizeikräfte angewiesen hatte, versuchten es die 140.000 amerikanischen Besatzungskräfte zunächst allein, mit dem immer heftigeren Widerstand fertig zu werden. Nach und nach fielen ganze Gebiete und Städte in die Hände von Rebellen. Mit jeder Gegenreaktion aber wuchs der Haß der Bevölkerung auf die Amerikaner, die wiederum erkannten, daß sie, um den Protest unter Kontrolle zu bekommen, effektiver irakischer Streitkräfte bedürfen.
 
Doch der Wiederaufbau von Armee und Polizei durch private Sicherheitsunternehmen ist schwierig. Drei Jahre nach dem amerikanischen Einmarsch stehen noch immer nicht genug gut ausgebildete, schlagkräftige und verläßliche Militär- und Polizeiverbände bereit. Der damalige Innenminister Falah al-Naqib, ein Sunnit, hob schon im Sommer 2004 die Regelung auf, nach der ehemalige Angehörige der Saddam Hussein besonders ergebenen Republikanischen Garden und seiner Geheimdienste nicht in die neuen Sicherheitskräfte aufgenommen werden dürften. Die Zeit der "sauberen Hand" war vorüber. Unter der Führung von General Adnan Thabit, einem ehemaligen Baath-Mitglied und Militärkommandeur, wurde eine überwiegend aus Sunniten bestehende, eigenständig operierende Miliz aufgebaut, kampferprobte Männer, Schergen Saddams, die einst seinen Machtapparat sicherten. Diese paramilitärischen Söldner stehen nun also im Dienst der Amerikaner - die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch spricht von einem "schockierenden neuen Tief" in der amerikanischen Strategie. Militärfachleute hingegen argumentieren, der Krieg gegen unkonventionelle Gegner erfordere unkonventionelle Maßnahmen.
 
Ihrem neuen Verbündeten erfüllen die Amerikaner fast jeden Wunsch. Sie stellen ihm nicht nur Militärberater zur Seite, sondern liefern auch Waffen, Munition und Ausrüstung. Und sie lassen ihm trotz gelegentlicher Differenzen über Gewaltanwendung und Menschenrechte freie Hand. Die Helfer werden dort eingesetzt, wo Unruhen für die lokalen Sicherheitskräfte nicht mehr zu kontrollieren sind. Als etwa die schlecht ausgebildeten Truppen der irakischen Nationalgarde im Frühjahr 2005 dem Ansturm der Guerrilla auf Ramadi nicht standhielten, ließen die Amerikaner einige Kommandos vorrücken, um die Rebellen aus der Stadt zu vertreiben. Der neue Waffenbruder enttäuschte sie nicht, denn im Gegensatz zu den eigenen Truppen sind die Milizen flexibel. Um zu überleben, reichen ihnen ihre Ortskenntnisse und ein vorzügliches Informantennetz aus alten Zeiten.
 
Längst aber sind die Paramilitärs nur noch schwer zu kontrollieren. Niemand kann sagen, wo und gegen wen sie als nächstes zuschlagen. Vor allem Kurden und Schiiten trauen den von Sunniten dominierten Kommandos Adnan Thabits nicht und bekämpfen ihre Eingliederung in die offiziellen Streitkräfte. Der "Commander" beteuert zwar stets seine Loyalität gegenüber der Regierung. "Ich werde jeden bekämpfen, der versucht, die Entwicklung des Iraks aufzuhalten", sagte er der New York Times. Doch Loyalität ist im Irak oft vom Gehaltsscheck abhängig.
 
Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 19.03.2006, Nr. 11 / Seite 12
Hervorhebungen durch politonline