Wem dient Joseph Deiss? Referendum gegen Milliardengeschenk der Schweiz an die EU - von Dr. iur. Marianne Wüthrich, Zürich

Die EU hat verständlicherweise grosse finanzielle Sorgen: Um die neuen Mitgliedländer in Osteuropa auf einen einigermassen vergleichbaren wirtschaftlichen Stand zu bringen, werden enorme Mittel benötigt. Wer soll das bezahlen? Nun sind die EU-Oberen unter anderem auf die Idee gekommen, von der Schweiz Beiträge zum Kohäsionsfonds einzutreiben: Vorerst 1 Milliarde Franken, nach dem Beitritt von Bulgarien und Rumänien eine weitere halbe Milliarde. Wieviel dereinst für die Länder des ehemaligen Jugoslawiens, wieviel für die Türkei? Der Bundesrat hat einmal mehr eilfertig Zusagen gemacht, obwohl derartige Beträge weit über seine Kompetenz hinausgehen. Gegen die erste Tranche von 1 Milliarde Franken für den EU-Kohäsionsfonds wurde nun von verschiedenen Parteien das Referendum ergriffen, so dass das Schweizervolk an der Urne darüber entscheiden wird.

Nach offizieller Lesart soll der von Brüssel geforderte Beitrag eine Kompensation für die wirtschaftlichen Vorteile sein, welche die Schweiz angeblich aus der EU-Erweiterung ziehe. Wem werden denn diese wirtschaftlichen Vorteile zufallen? Vielleicht den Arbeitnehmern, die ihre Arbeitsplätze zugunsten von billigeren Arbeitskräften aus dem EU-Raum abgeben müssen? Die einzigen Profiteure, sowohl in den bisherigen EU-Ländern als auch in der Schweiz, sind die globalisierten Grosskonzerne, die bereits seit dem Fallen des Eisernen Vorhangs in Osteuropa in grossem Umfang investieren und enorme Gewinne herausholen. Wenn wir mit unseren Steuergeldern mithelfen, die Kaufkraft in diesen Länder zu steigern, werden die Multis dort ihre Umsätze entsprechend vervielfachen können. Ein Vorschlag: Sollen doch diejenigen, die tatsächlich profitieren, die Milliarde bezahlen, nämlich die Schweizer Grossunternehmen.
 
Woher nimmt der Bund das Geld?
Bekanntlich versuchen die Behörden, die Ausgaben des Bundes zu drosseln. Um die Kohäsions-Milliarde im Parlament durchzubringen, versicherte der Bundesrat, die Zahlung erfolge kostenneutral. Damit ist gemeint, dass die Gelder aus der Entwicklungshilfe von Deza (Direktion für Entwicklungszusammenarbeit) und Seco (Staatssekretariat für Wirtschaft) für die osteuropäischen Länder abgezweigt werden. Bitterarme Länder wie Weissrussland oder Albanien würden in Zukunft leer ausgehen, während unsere Gelder in die neuen EU-Mitgliedländer, die ohnehin viel Wirtschaftshilfe von Brüssel erhalten werden, fliessen würden. Bundesrätin Calmy-Rey versucht zwar zu erreichen, dass beides nebeneinander Platz hat, aber damit wird sie bei ihren Bundesratskollegen und beim Parlament kaum durchkommen.
 
Seltsames Gebaren des Vertragspartners EU
«Wenn ihr nicht auf unsere neuen Forderungen eingeht, halten wir die bisher unterzeichneten Verträge nicht ein.» Im Vertragsrecht ist ein solches Gebaren undenkbar, jeder Vertragspartner weiss, dass er bisher geschlossene Verträge einhalten muss, auch wenn der Partner sich später in anderen Verhandlungen nicht wunschgemäss verhält. Nicht so der Vertragspartner EU; seit längerer Zeit hört man aus Brüssel Drohungen und Nötigungen aller Art: «Wenn die Schweiz nicht bezahlt, ratifizieren wir Schengen nicht» ist einer der bekanntesten Druckversuche. Was sollen wir von einem Vertragspartner halten, der jederzeit bereit ist, eingegangene Verpflichtungen zu verletzen, wenn der andere nicht auf all seine Wünsche eingehen will? Neuestes Beispiel einer höchst befremdlichen Massregelung sind die Äusserungen des neuen deutschen Botschafters in der Schweiz, Andreas von Stechow. Laut Tagespresse warnte er die Schweiz vor einem Nein zum Kohäsionsfonds: «So etwas bekommt ihr nicht gut. Das schädigt die Reputation eines Verhandlungspartners.» Die Schweizer Stimmbürger müssten merken, dass sie Verantwortung übernehmen müssten. Nach dieser Instruktion wissen wir Stimmberechtigten ja, wie wir abzustimmen haben! Wir dürfen aber nicht glauben, nach einem Ja zum Kohäsionsfonds hätten wir Ruhe. Die nächste Breitseite aus Brüssel ist die Forderung nach einer Vereinheitlichung der kantonalen Steuern. Von Stechow, der offenbar vom Föderalismus ebensowenig hält wie von der Demokratie, rügte den Bundesrat, er mache es sich zu einfach, wenn er darauf hinweise, dass die Festlegung der Staatssteuertarife Sache der Kantone sei. Der Druck der EU auf unser Steuersystem werde weiter zunehmen. Fazit: Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, die meinen, es sei besser, zu Verträgen mit der EU ja zu stimmen, befinden sich auf dem Holzweg. Je mehr wir uns auf den Kopf stellen, um es den Herren in Brüssel recht zu machen, desto unverblümter werden ihre Forderungen.
 
Wem dient Bundesrat Deiss?
Unsere Exekutive, die seit Jahren alles versucht, die massgebenden Leute in Brüssel zufriedenzustellen, vergisst dabei konsequent, wem sie eigentlich zu dienen hätte: dem Schweizervolk. Glücklicherweise hat der Souverän heute noch eine Handhabe, um einen Volksentscheid zu verlangen. So haben verschiedene Parteien das Referendum gegen den Kohäsionsfonds ergriffen. Bundesrat Deiss hat doch tatsächlich die Unverfrorenheit, die Kreise, die ihre politischen Rechte wahrnehmen, scharf anzugreifen: Es sei unverantwortlich, das Referendum zu ergreifen. Mit einem Nein würden die guten Beziehungen der Schweiz zur EU aufs Spiel gesetzt. Die EU könnte auch politische Konsequenzen ziehen und zum Beispiel den Schengen-Vertrag nicht ratifizieren oder weitere Verträge verweigern. «Manchmal sind kleine Gesten wichtig, wie im Privatleben, wo ein unerwarteter Anruf oder ein Blumenstrauss viel zu guten Beziehungen beitragen kann», sagte Deiss.
 
Wem dienen Sie eigentlich, Herr Deiss? Sie sind beauftragt, sich für das Wohl der Schweizer Bevölkerung einzusetzen und unsere Interessen gegenüber der EU entschieden zu vertreten. Sie haben die Ausübung der Volksrechte als unantastbares Gut zu respektieren und sich jeder herabsetzenden Äusserung gegenüber Bürgern und Parteien, die ihre politischen Rechte wahrnehmen, zu enthalten. Es ist nicht die Aufgabe der Schweiz, Blumensträusse nach Brüssel zu tragen, damit wir dann wieder demütig Rügen und Druckversuche über uns ergehen lassen dürfen.
 
Ausserdem: Für Sie, Herr Deiss, ist vielleicht eine Milliarde aus unserer Steuerkasse eine «kleine Geste», wir, die dieses Geld sauer verdient haben, sehen es etwas anders.
 
Quelle:  Artikel 3 aus Zeit-Fragen Nr.14 vom 3.4. 2006
 
Es sei insbesondere darauf hingewiesen, dass auf Grund zunehmender drastischer Betrügereien mit EU-Geldern die Summe, die allein von Juni 2003 bis Juni 2004 in der Korruption versickerte, rund 1,5 Milliarden Euro betrug, eine Zahl, die zuvor noch im Bereich von Millionen lag, was niemand im Parlament weiter zu beschäftigen scheint, am wenigsten offenbar Herrn Deiss