Hans Baur - Der stille gefährliche Abbau der Volksrechte

Die Propagandakampagne der UNO-Beitrittsbefürworter. Die Kampagne war überwältigend und präzis geplant. An vorderster Front kämpften Bundesrat und Bundesverwaltung, durch das UNO-Büro vertreten. Dafür wurden laut dem Budget 2001 und 2002 total 2 Mio. Franken bereitgestellt. Darin sind die üblichen internen Kosten (Arbeitsstunden und Spesen der Bundesräte sowie der Mitarbeiter in der Bundesverwaltung) nicht eingerechnet. Sie machen ein Mehrfaches dieser 2 Mio. Fran¬ken aus. Diese Ausgaben haben die Steuerzahler zu berappen, ohne dass eine gesetzliche Grundlage für diese Position vorhanden ist.

Die Economie Suisse setzte aus unerfindlichen Gründen (Imagepflege? Gegengeschäft mit dem Bundesrat auf Grund eines Gentlemen Agreements?) zwischen 6 und 12 Mio. ein. In langfristiger Planung wurden Organe der UNO selbst, Beitrittkomitees aus Kultur und Sport, die Bischofskonferenz und die evangelischen Landeskirchen für die Propagie¬rung des Beitritts eingeschaltet. Die Armeespitze und das Offizierskorps wurden einge¬spannt, vor allem aber auch die massgebenden Medienvertreter. Dieser Propagandawalze in Presse, Fernsehen und Radio durch gehäufte Bundesratsauftritte (alle sieben Bundesräte waren im Kampf, wobei die Bundesräte Deiss und Schmid wahrscheinlich je über 50 Auftritte aufweisen), konnten die Komitees der Beitrittsgegner wenig entgegensetzen. Diese verfügten nur über beschränkte Mittel aus privaten Quellen von etwa 2 - 3 Mio. Die Bundesverwaltung stärkte die Befürworter durch Verteilung von vielen Hochglanzbro¬schüren des EDA, von Kassetten und Videos, Abgabe von Muster-Referaten etc.
 
Der sachliche Dialog und Diskurs, der in der direkten Demokratie das Abstimmungsergebnis vorbereiten muss, gingen wegen dieser Kampagne unter. Das Feld wurde von verkürzten Schlagworten und dem Autoritätsvorsprung sowie der Macht von Bundesrat und Bundesverwaltung beherrscht. Ist diese von Bundesrat und Bundesverwaltung geführte Propagandakampagne mit unserer direkten Demokratie vereinbar? Wurde nicht der Wille von Volk und Ständen verfälscht? Wurde nicht ein Fehlentscheid gefällt? Hat nicht der wesentlichste Identifikationsfaktor unseres Staates, die direkte Demokratie, Schaden gelitten?
 
1. Unsere direkte Demokratie
In der direkten Demokratie haben die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger das Sagen. Sie wählen National- und Ständeräte und diese den Bundesrat. Durch Initiativen, obligatorische und fakultative Referenden beherrschen sie die Gesetzgebung. Die Vorwirkung des Referendums weist National- und Ständeräten den Weg. Die direkte Demokratie ergänzt die repräsentative Demokratie wirkungsvoll. Allfällige Fehlentscheide der Bundesversammlung können durch das Volk korrigiert werden.
 
Das Volk wird durch ca 30 - 50 % der aktiven Bürgerschaft, die sich um die Geschicke des Staates und der Gemeinschaft kümmert, vertreten. Die aggregierte Ueberzeugung dieser vielen hunderttausend Stimmen ist wahrscheinlich eher richtig als jene von 200 bis 250 Bundes-, Stände- und Nationalräten. Dabei ist nach dem Lauf der Welt in Kauf zu nehmen, dass sich jeweils ein gewisser Prozentsatz der Bürger aus mangelndem Wissen oder Interesse (sog. Selbstzensur) der Stimme teilweise gelegentlich (ca 30 %) und teilweise grundsätzlich (ca 20 %) enthält.
 
Die Staatsform der direkten Demokratie gilt in der Schweiz in einzigartiger Weise umfassend, auch in den Kantonen und Gemeinden. Sie hält die Schweiz mit ihren vier Kulturen zusammen. Sie ist einer sozialen, weltoffenen Marktwirtschaft verbunden. Sie macht die Schweiz - mit ihrer Wirtschaft und ihrer Währung - zu einem der stabilsten Plätze der Welt; in ihren Grenzen werden ca. 30 % aller Privatvermögen der Welt verwaltet. Diesen einzigartigen sicheren Hort der Freiheit des Individuums und der verschiedenen Gruppen müssen wir in der Schweiz schützen und bewahren.
 
Die Gesetze binden Bürgerschaft und Behörden (Rechtsstaat). Die letzte Verantwortung und das letzte Entscheidungsrecht stehen direkt dem Volke zu. Dieses weiss am unmittelbarsten, was in seinem langfristigen Interesse liegt. Deswegen werden in der Bundesverfassung in Art. 34 das Stimmrecht und die unverfälschte Stimmabgabe aller Bürgerinnen und Bürger besonders geschützt. Wenn die Stimmbürgerschaft falsch entscheidet, hat sie die Fehlentscheidung ihrer Mehrheit und deren Folgen direkt zu verantworten und zu tragen. Integration im Volk und Identifikation mit dem Staat sind daher ausgeprägt. Die Legitimation dieser Volksentscheide ist grösser als bei jeder anderen Staatsform. Verstärkt wird die Integrationswirkung durch die Milizarmee. Die Referenden führen zur bessern Kenntnis des Rechts und der Gesetze. Der demokratische Dialog erleichtert das gegenseitige Verständnis und die Beilegung von Konflikten. Weitere Vorteile der direkten Demokratie sind nachweisbar: begrenzte Ausgabenfreude des Staates, niedrigere Steuern und bessere Steuermoral als in repräsentativen Demokratien oder gar in oligarchischen oder diktatorischen Staatsformen. Die Initiative und das Selbstbewusstsein der Bürger und Bürgerinnen werden erhöht, was auch in der freiheitlichen Marktwirtschaft Früchte trägt.
 
2. Die Gewaltenteilung
Mit der Demokratie eng verbunden ist die Gewaltentrennung. Sie hat sich im 17./18. Jahrhundert nach Montesquieu als Schutz gegen die absolutistische Macht der Monarchien entwickelt. Die gesetzgebende Gewalt (National- und Ständerat sowie in gewissen Fällen das Volk) sind von der exekutiven (Bundesrat) und rechtsprechenden Gewalt (Bundesgericht) getrennt. Auch personell ist die Gewalt geteilt. Kein Bundesrat kann der gesetzgebenden oder richterlichen Gewalt angehören, kein Bundesrichter dem Bundesrat oder der Bundesversammlung und kein Parlamentarier dem Bundesrat oder Bundesgericht. So kann der Bundesrat wohl Gesetzesvorschläge ausarbeiten, in die Vernehmlassung schicken und den Räten bereinigt zur Beratung und Abstimmung unterbreiten. Er kann in der Beratung die Auffassung des Bundesrates vertreten. Aber sonst hat er mit der Gesetzgebung nichts zu tun. Er hat die Gesetze nach deren Erlass in Kraft zu setzen, zu vollziehen und die nötigen Verordnungen zu verfügen. Auf diese Weise wird durch die Gewaltenteilung eine übermässige Machtzusammenballung verhindert. Leider besteht heute die Tendenz, die Gewaltentrennung generell abzubauen, z.B. durch Verlagerung der Normen auf die Verordnungsstufe, Delegationsermächtigungen, etc.
 
3. Unsere Freiheitsrechte
Bürger und Bürgerinnen werden durch Freiheitsrechte vor der Macht der Behörden geschützt. Es wird ihnen ein geschützter Freiheitsraum gesichert. In der Bundesverfassung sind neben anderen Freiheitsrechten die Glaubens- und die Gewissensfreiheit und in Art. 16 die Meinungs- und Informationsfreiheit gewährleistet. „Jede Person hat das Recht, ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu verbreiten."
 
4. Die schleichende Verschiebung der Macht zu Gunsten von Bundesrat und Bundesverwaltung
 
Seit Gründung der Eidgenossenschaft anno 1848 sind Aufgaben und Kompetenzen des Bundesrates gewaltig gewachsen und damit dessen Macht schleichend und dauernd gestiegen. Der Staat ist zum Leistungs- und Versorgerstaat geworden. Viele Kompetenzen sind von den Kantonen an den Bund übertragen worden. Gemäss Art. 174 BV ist der Bundesrat „die oberste leitende und vollziehende Behörde des Bundes". Ihm unterstehen heute in der Bundesverwaltung eine über 30'000 zählende, teilweise hoch qualifizierte Angestellten- und Beamtenschar sowie als Stabstelle die Bundeskanzlei. Bundesverwaltung und Bundeskanzlei besitzen heute in Art. 178 und 179 BV besondere Artikel, die ihre grosse Bedeutung betonen. Der Aufsicht des Bundesrates unterstehen in angegliederten Bundesbetrieben weitere 100'000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Er verfügt im Rahmen der Gesetze (z.B. Transferausgaben) über ein Budget von über 50 Milliarden SFr., d.h. von 12,5 % des Bruttoinlandproduktes. Er plant und koordiniert die staatlichen Tätigkeiten (Art. 180 BV). Ihm steht das Initiativrecht gegenüber der Bundesversammlung zu (Art. 181 BV). Er sorgt für den Vollzug der Gesetzgebung (Art. 182 BV). Bundesrat und Bundesverwaltung dehnen ihre Macht gemäss dem bekannten Gesetz von Parkinson immer weiter aus. Während sich früher die Bundesräte als höchste Diener des Volkes betrachteten, fühlen sie sich heute als Regierung, die Volk und Staat führen. Der Bundesrat scheint davon überzeugt zu sein, dass er in allen Fällen klüger, sachkundiger, weiser und lebenserfahrener ist als die Mehrheit der Stände und die breite Elite der Bürger und Bürgerinnen (30 - 40 % der regelmässig Stimmenden). Er ist daher heute davon überzeugt, dass das Volk seinen Vorlagen zustimmen muss. Er überlässt Volk und Ständen nicht deren Präferenz, sondern er will gewinnen, auch wenn seine Vorlagen teilweise eigenen Interessen des Bundesrates, der Bundesverwaltung oder anderer Interessengruppen dienen.
 
5. Die Gefahr des Politmedienfilz
Bundesrat und Bundesverwaltung arbeiten bereits heute eng mit den verschiedenen Medien zusammen (vgl. das Buch von Nationalrat Luzi Stamm ‚Wer hat die Macht in Bern’). Die Verfilzung von Politik und Medien stellt heute einen Medienpolitkuchen dar. Politiker und Medien sind gegenseitig voneinander abhängig. Der Autoritätsvorsprung der Behörden stellt im Zusammenspiel mit dem Fast-Kartell der Medien eine Gefahr für den Staat und die freie Meinungsbildung der Bürgerschaft dar. Dazu dient jeweils auch eine Medienorientierung mit drei Bundesräten zu Beginn der Abstimmungskampagne. Die Gefahr ist umso höher einzuschätzen, als die Psychotechnik durch den Einsatz von PR-Leuten die Informationsdienste der Bundesverwaltung durchsetzt hat. Durch Spin-Doctors werden die Informationen so umgearbeitet, dass sie von den Bürgern und Bürgerinnen ohne Widerstand - nein sogar mit Genuss - entgegengenommen und geschluckt werden. Eine subversive Taktik herrscht heute in der Bundesverwaltung, weil es ja gilt, nicht nur sachliche Informationen zu verbreiten, sondern Stimmbürger und Stimmbürgerinnen für die Politik des Bundesrates zu gewinnen. Auf diese Weise soll sich der Bundesrat mit seinen Auffassungen in den Abstimmungskämpfen durchsetzen.
 
Stimmbürger und Stimmbürgerinnen sind wohl unabhängiger und weniger beeinflussbar als Parlamentarier und Bundesrat. Ein grosser konzentrierter Propagandadruck seitens des Bundesrates mit seinem Autoritätsvorsprung und von Seiten der Informationsdienste der Bundesverwaltung, der Medien, der Wirtschaft, der Kultur und der Kirchen, ist jedoch dazu fähig, Volk und Stände in einem gewissen Ausmass zu beeinflussen. Auf diese Weise obsiegen unter Umständen Bundesrat und Bundesverwaltung entgegen einer an und für sich vorhandenen klügeren und vorsichtigeren Volksmeinung.
 
6. Alarmierender Bericht der erweiterten Konferenz der Informationsdienste über das Engagement von Bundesrat und Bundesverwaltung im Vorfeld von eidgenössischen Abstimmungen
Die jüngste Entwicklung ist alarmierend. Im Sommer 1999 hat eine Konferenz der Informationsdienste (KID) beschlossen, die Kommunikationstätigkeit von Bundesrat und Bundesverwaltung bei eidgenössischen Volksabstimmungen zu regeln. Das Resultat ist in der Broschüre „Das Engagement von Bundesrat und Bundesverwaltung im Vorfeld von eidg. Abstimmungen, Bern Nov. 2001" zusammengefasst. Dieser verwaltungsinterne Bericht der Informationsdienste stellt ein erschreckendes Bild dar, wie Bundesrat und Bundesverwaltung heute unter dem Deckmantel der Informationspflicht in die Abstimmungskämpfe eingreifen und den Volkswillen lenken wollen. Die Bundesverwaltung nimmt in Kauf, dass durch diese überbordenden Informationen, die der Bürgerschaft die Meinungen des Bundesrats aufdrängen wollen, die Stimme des Volkes verfälscht wird. Ja
sie nimmt dies offenbar nicht nur in Kauf, sie bezweckt dies geradezu. Im Bericht kommt die Ansicht von Bundesrat und Bundesverwaltung zum Ausdruck, dass sie dem Volk und den Ständen einen überlegten, klugen und eigenständigen Entscheid nicht zutrauen. Während bis vor kurzem Bundesrat und Bundesverwaltung sich in langjähriger Tradition in den Abstimmungskämpfen zurückhielten und den Streit um die richtige Lösung den Parteien, Parlamentarieren, Abstimmungskomitees und den Interessenverbänden überliessen, sollen die Behörden nun am Abstimmungskampf aktiv teilnehmen und diesen gewinnen. Damit wird ohne Gesetzesänderung ein schwerwiegender Eingriff von Bundesrat und Bundesverwaltung in einen entscheidenden Zeitabschnitt des Gesetzgebungsverfahrens eingeführt. Der Bürger soll nicht nur informiert, sondern mit intensiver Einflussnahme zur Auffassung des Bundesrates bekehrt, überzeugt und überredet werden. Damit wird die Schweiz einem Führungsstaat angenähert, in dem die Bürgerschaft nur noch wenig zu sagen hat. Lenin, der Begründer der Sowjet-Diktatur, hat seinerzeit von einer geführten Demokratie gesprochen.
 
6.1 Bestehende restriktive Gesetzgebung zum Schutze der Stimmbürgerschaft
Am 1. Juli 1978 trat Art. 11 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte vom 17. Dezember 76 (BPR) in Kraft. Danach verfasst der Bundesrat ein Bundesbüchlein z.H. der Stimmbürger das „kurze, sachliche" Abstimmungserläuterungen enthält und „auch den Auffassungen wesentlicher Minderheitsgruppen Rechnung trägt". Damit ist gesetzlich umschrieben, welche Eingriffe dem Bundesrat in das Gesetzgebungs- und Abstimmungsverfahren erlaubt sind. Daneben gaben gelegentlich vereinzelt Mitglieder des Bundesrates ihre Position in Radio- und TV-Statements bekannt. Grundsätzlich ist in Radio und Fernsehen eine politische Wertung untersagt; der Bundesrat darf jedoch auf Anordnung der Konzessionsbehörde behördliche Erklärungen durch Radio und Fernsehen verbreiten. Neuerdings kommt es auch zu kontradiktorischen Radio- und Fernsehsendungen.
 
Ohne Gesetzesänderungen entwickelt sich einerseits auf Grund von bereits heute widerrechtlichen Rechtsanwendungen und andererseits auf Grund der erweiterten Konferenz der Informationsdienste eine gravierende Praxisänderung, indem die Exekutive weitgehende Eingriffe in den Abstimmungskampf vornimmt. Leider waren die Teilnehmer der erweiterten Konferenz hauptsächlich Informationsbeauftragte der Departemente. Die Zahl der mit der Information beauftragten Mitarbeiter hat sich in jüngster Zeit massiv erhöht und beträgt heute 430 Personen. Die entscheidenden rechtlichen Aspekte dieser neuen Informationspolitik des Bundes in Abstimmungskämpfen ist wegen dieser einseitigen Zusammensetzung der Kommission zu kurz gekommen (vgl. Zusammensetzung S.:54 der Broschüre der KID).
 
 
Die allgemeine Pflicht zur Information der Öffentlichkeit ist nach jüngster Praxis des Bundesgerichts (BGE 121 1256) von der Information im Vorfeld von und in Abstimmungskämpfen klar zu trennen. Erst nach der Endabstimmung der Räte müssen zum Schutz der Meinungsbildungsfreiheit die Beschränkungen des Informationsauftrages der Behörden greifen.
 
6.2 Bedenklicher Inhalt des Berichts der Informationsdienste
Wer den erwähnten Bericht liest, der erkennt, wie ungehemmt die Bundesbehörden befürworten, der Staat müsse den Bürgern den richtigen Weg aufzeigen.
Im Bericht der erweiterten Konferenz (Seite 8) heisst es, ein neues Demokratieverständnis auferlege den Behörden eine beschränkte Verpflichtung, am Abstimmungskampf aktiv teilzunehmen (Bericht nachfolgend zitiert mit Seitenzahlenverweisen). Dabei müssten sich die Behörden einen Vertrauensvorsprung anrechnen lassen (S. 9). Heute habe sich die Medienlandschaft verändert (S. 17). Würden die Gegner und Befürworter einer Vorlage nicht über gleich lange Spiesse verfügen, würde das Prinzip der Verhältnismässigkeit verletzt (S. 17). Diese Verhältnismässigkeit müsste durch den Staat hergestellt werden (S. 27). Die Holschuld der Stimmberechtigten sei zu einer Bringschuld des politischen Systems geworden (S. 23). Die Medienpräsenz sei der Schlüssel zur politischen Macht (S. 23). Die Stimmbürger dürften nicht überredet, von den Behörden aber überzeugt werden. Meinungsumfragen seien dem Bund in den verschiedenen Abstimmungsphasen erlaubt (S. 31). An Medienseminarien dürften Musterreferate und Argumentarien angeboten werden (S. 35). Die Auftritte der Bundesratsmitglieder bildeten einen wichtigen Teil der behördlichen Abstimmungskampagne (S. 37). Lokalmedien seien zu Hintergrundgesprächen mit Bundesratsmitgliedern und Fachexperten einzuladen (S. 37). Weiter seien Informationsblätter, offenbar mehrfarbige Hochglanzbroschüren, Konferenzen, Seminare, elektronische Disketten, Videokassetten, Ausstellungen und Hotlines (S. 57/58) anzubieten. Auch im Internet sei zu informieren; die Veranstaltungen von Events (S. 60) und Ausstellungen und der Beizug von externen Beratern (S. 61) seien möglich. Es wird darauf hingewiesen, dass bereits 1992 bei der Abstimmung über den EWR-Beitritt ca. 100 öffentliche Bundesratsauftritte (S. 58) erfolgt seien. Mit einem Informationsteppich sollen die Stimmbürger und -bürgerinnen bereits in einem frühen Zeitpunkt vor der Abstimmungskampagne sensibilisiert werden (S. 49). Spitzenvertreter der Wirtschaft und der Parteien sollen von der Notwendigkeit ihres Engagements zu Gunsten der Vorlagen überzeugt werden (S. 61). Die Themenkampagne und die Abstimmungskampagne sollen langfristig im voraus geplant werden (S. 49/50). Von Abstimmungskampagnen in gekauftem Raum (Plakate, Inserate) sei vorderhand abzusehen, weil „Bundesrat und Behörden" …... "genügend andere Mittel" hätten, „um sich an die Bevölkerung zu wenden" (S. 51). Immerhin sollen für die Behördeninformation folgende vier Grundsätze nach geltendem Recht zur Anwendung gelangen:
 
- Die Information habe einheitlich, frühzeitig und kontinuierlich über Lage, Beurteilung, Planung, Entscheide und Vorkehren des Bundesrates zu erfolgen. Wichtige Informationen dürften nicht zurück gehalten werden. (S. 25).
- Die Information müsse transparent und offen sein (S. 25). Alle Informationen und Unterlagen müssten allen interessierten Personen und Organisationen zugänglich sein (S. 26). Öffentliche Gelder dürften im Abstimmungskampf nur mit grosser Zurückhaltung eingesetzt werden und seien transparent zu machen.
- Die Information müsse sachlich sein. Die Behörden dürften ihren Standpunkt klar vertreten (S. 26). Alle Informationen müssen nach dem Wissensstand der Behörden richtig und vollständig sein (S. 27). Keine Informationen dürften zurückbehalten oder Argumente falsch gewichtet werden. Starke Verkürzungen oder der Gebrauch von emotionalen oder suggestiven Elementen seien unzulässig.
- Die Information müsse verhältnismässig sein. Sie müsse zielgerichtet sein, um die freie Meinungsbildung zu ermöglichen. Die Beurteilung der Verhältnismässigkeit sei schwierig. Klar sei, dass Mittel von Gruppierungen, die den behördlichen Standpunkt unterstützten, anzurechnen seien.
 
7. Die mahnenden Worte eines Gutachters
Prof. Dr. Georg Müller, ein progressiv freisinniger Staatsrechtler an der Universität Zürich, hat im Auftrag der Arbeitsgruppe der Informationsdienste ein Gutachten erstattet; nachfolgend wird Müller zitiert. Er führt zur Frage der Verhältnismässigkeit folgendes aus:
 
Es gehe um eine wichtige Frage der politischen Willensfindung, was die bisherige Regelung in Art. 11 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte (Kompetenz zur Abgabe des „Bundesbüchli)" aufzeige (Müller S. 7). Abstimmungserläuterungen (Bundesbüechli) und Bundesratsauftritte seien nur im üblichen Rahmen zulässig. Sollten behördliche Abstimmungskampagnen darüber hinaus ausgeweitet werden - und das steht nur verdeckt und verschlüsselt im Bericht der Arbeitsgruppe - müsste der Gesetzgeber einen Grundsatzentscheid fällen, ob und inwiefern Neuerungen zulässig seien (Müller S. 8). Art. 11 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte müsste in einem solchen Falle revidiert werden und eine Anpassung von Art. 6 Abs. 3 und Art. 18 des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen vom 21.6.91 (Abkürzung RTVG) seien dann  nötig (Müller S. 9).
 
8. Illegales Verhalten der Behörden
Diese Gesetzesänderungen sind noch nicht erfolgt. Das Verhalten von Bundesrat und Bundesverwaltung in den kürzlichen Volksabstimmungen, insbesondere bezüglich UNO-Beitritt, muss daher als rechtswidrig und unverhältnismässig bezeichnet werden.
 
Eine übersichtliche, vollständige Vor- und Nachteilsbilanz im Bundesbüchli fehlt immer offensichtlicher. Es sind effektiv nicht mehr sachliche Abstimmungserläuterungen, die den Auffassungen wesentlicher Minderheitsgruppen Rechung tragen. Die Qualität des Abstimmungsbüchli hat in den vergangenen zehn Jahren laufend abgenommen. Andererseits sind gehäufte Auftritte aller Bundesratsmitglieder an vielen Anlässen, im Fernsehen und am Radio, eine Unzahl von Hochglanzbroschüren, viele Interviews von Bundesräten, Absprache der Parolen mit Spitzenvertretern der Wirtschaft, der Medien, der Kirchen, des Kulturlebens, etc., Medienseminare, Abgabe von Musterreferaten und Argumentarien, Führung von Hintergrundgesprächen für Lokalmedien, Konferenzen, Disketten, Videokassetten, die Veranstaltung von Ausstellungen, Events, Internetauftritte, Beizug von externen PR-Beratern verboten. Rechtswidrig war insbesondere die Beeinflussung der militärischen Kader durch das VSB und hohe Offiziere der schweizerischen Armee. Dieses Vorgehen ist im Dienstreglement ausdrücklich verboten. Völlig aus dem Rahmen fiel der Einsatz der behördlichen finanziellen Mittel (Fr. 2 Mio. aus dem Budgetkredit 2001/02), die immensen internen Kosten der stark gehäuften Bundesratsauftritte (Zeit- und Spesenaufwand gerechnet) und die immensen Kosten der internen Dienste, die sich mit der UNO-Vorlage und Abstimmung beschäftigten (schätzungsweise 3 - 4 Mio. Franken). Die Kosten, die die Economiesuisse aufgewendet hat, werden schätzungsweise zwischen 6 - 12 Mio. Franken betragen haben, so dass allein schon die Befürworter von Staat und Wirtschaft zwischen 11 - 18 Mio. in der UNO-Abstimmungskampagne eingesetzt haben, den grossen Autoritätsvorsprung - alle Bundesratsmitglieder sind aufgetreten, teilweise vielfach -  nicht gerechnet. Dazu kam als besonders wirksames Element die einseitige, durch die Bundesverwaltung mit PR- und Psychotechnik gelenkte Medienberichterstattung. Den UNO-Beitrittsgegnern standen dagegen höchstens 2,5 bis 3,5 Mio., und diese nur aus privaten Kassen, zur Verfügung. Und das nennen gewisse Behörden offenbar Waffengleichheit und Verhältnismässigkeit. Abgesehen davon stellt die Verwendung von Steuergeldern ohne gesetzliche Grundlage einen üblen Machtmissbrauch dar.
 
Nach welchen Grundsätzen will im übrigen der Bundesrat in Zukunft entscheiden, ob und in welchem Ausmass er sich für einzelne Vorlagen einsetzt? Er kann ja nicht willkürlich gewisse Vorlagen mit aller Macht und andere fast gar nicht unterstützen, ohne dass er seine Glaubwürdigkeit vollkommen verliert. Wie will er wissen, in welchem Ausmass Befürworter und Gegener einer Vorlage Mittel einsetzen können und einsetzen wollen, um die sogenannte Waffengleichheit herzustellen? Wie gewichtet er seinen Autoritätsvorsprung?
 
Unter diesem Gesichtspunkt des rechtswidrigen Verhaltens von Bundesrat und Bundesverwaltung sind die UNO-Abstimmung und der UNO-Beitritt mit einer Standesstimme Mehrheit sehr fragwürdig. Eine gesetzliche Regelung des Engagements von Bundesrat und Bundesverwaltung vor und in Abstimmungskämpfen ist dringend nötig, denn die jetzige Praxis von Bundesrat und Bundesverwaltung verletzt das Recht offensichtlich und schwer.
 
9. Die Verletzung der Gewaltenteilung
 Die Gewaltenteilung ist für einen Rechtsstaat und eine Demokratie grundlegend (vgl. den 5. Titel der Bundesverfassung: Bundesbehörden Art. 143 - Art. 190). Die zahlreichen umfassenden Eingriffe des Bundesrates und der Bundesverwaltung, d.h. der Exekutive, in die kritische Phase der Abstimmungskämpfe verletzt die Gewaltenteilung in einem entscheidenden Punkt gravierend: Die Balance zwischen der gesetzgebenden und der exekutiven leitenden Behörde kommt noch mehr als bisher aus dem Gleichgewicht. Mit Ausnahme des Abstimmungsbüchli und einiger weniger Bundesratsauftritte erfolgen alle Eingriffe ohne gesetzliche Grundlage. Sie entwerten die Auftritte der Parlamentarier und die Aufgabe der Parteien. Die Verfälschung der Willensbildung der Bürger und Bürgerinnen durch das Gewicht der bundesrätlichen Autorität und der finanziellen Macht des Staates ist offensichtlich. Die halbdirekte Demokratie gleitet in eine - wie alt Ständerat Letsch sie benennt - Führungsdemokratie ab.
 
10. Die Verletzung der Meinungsbildungs- und Meinungsäusserungsfreiheit
Nicht nur die Gewaltenteilung ist verletzt, sondern auch die Freiheit der Meinungsbildung.
Art. 16 Abs. 2 BV lautet: „Jede Person hat das Recht, ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu vertreten". Dieses Freiheitsrecht richtet sich in erster Linie gegen die staatlichen Exekutivbehörden. Der unverhältnismässige Eingriff in die freie Willensbildung im direktdemokratischen Abstimmungsverfahren verfälscht nicht nur die freie Willensbildung, sondern auch das Recht auf unverfälschte Stimmabgabe.
 
11. Die Verletzung der unverfälschten Stimmabgabe
Art. 34 Abs. 2 BV lautet: „Die Garantie der politischen Rechte schützt die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe". Dieses wichtige Recht der unverfälschten Stimmabgabe wird durch die unverhältnismässige Propaganda der Behörden für Abstimmungsvorlagen schwerwiegend verletzt. Einschränkgungen von Grundrechten, d.h. von politischen Rechten und Freiheitsrechten, bedürfen gemäss Art. 36 Abs. 1 BV einer gesetzlichen Grundlage, die jedoch fehlt.
 
Die Bundesgerichtspraxis zu Art. 85 OG zur Wahrung der politischen Rechte der Bürger und Bürgerinnen in den Kantonen ist eindeutig. Sie deckt sich mit dem durch Art. 10 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) garantierten Schutzbereich des Rechts auf freie Meinungs- und Willensbildung. Diese Praxis muss analog auch im Bund gelten. Bund und Kantone sind ja direkte Demokratien. Die Freiheit der Meinungsbildung schliesst grundsätzlich jede direkte Einflussnahme der Behörde, welche geeignet wäre, die Freiheit der Abstimmung im Vorfeld von Wahlen und Abstimmungen zu verfälschen, aus.  Ausnahmsweise sind Eingriffe ausserhalb der behördlichen Erläuterungen (Abstimmungsbüchlein) aus triftigen Gründen erlaubt. Triftig sind Gründe dann, wenn sie im Interesse einer unverfälschten Willensbildung und -betätigung als notwendig erscheinen. Nach konstanter Rechtsprechung liegt ein triftiger Grund nicht in der Absicht, die Stimmbürger zur Annahme einer Abstimmungsvorlage zu bewegen (BGE 114 lA S. 433; 412 IA S. 337). Ausnahmen sind selten erlaubt und dürfen nicht zur Regel werden. Dabei haben Behörden sich bei der Wahl der Mittel äusserste Zurückhaltung aufzuerlegen (BGE 114 1A S. 443). Es ist eindeutig, dass diese Grundsätze des Bundesgerichts zum Schutz der unverfälschten Stimmabgabe z.B. in der UNO-Beitrittsabstimmung missachtet worden sind. Könnten eidgenössische Abstimmungen wegen Verletzung der politischen Rechte vor Bundesgericht wie bei kantonalen Urnengängen beanstandet werden, wäre die UNO-Abstimmung wegen der unverhältnismässigen Beeinflussung des Ergebnisses beim knappen Ständemehr wohl aufgehoben worden. Die Änderung des Abstimmungsresultats liegt nämlich im Bereich des Möglichen (BGE 119 IA 273/74).
 
12. Verletzung der Grundsätze der direkten Demokratie
Die direkte Demokratie hat eine entscheidende Integrationsfunktion. Sie sichert damit den Frieden in einem multikulturellen Land mit einer Reihe von Minderheiten sprachlicher und religiöser Art, mit verschiedenen Kantonen, mit den Unterschieden von Stadt und Land, von Reich und Arm etc. Die direkte Demokratie erleichtert die Beilegung von komplexen Konflikten. Damit die direkte Demokratie funktioniert, bedarf sie eines unabhängigen Staatspräsidenten, der über den Parteien und Minderheiten steht. Auch nach einer Abstimmung müssen sich alle Bürger und Bürgerinnen vom Bundesrat vertreten fühlen. In der direkten Demokratie gibt es keine Regierung, die mit Richtlinienkompetenzen herrscht und Mehrheiten schafft. In einer Welt der Freien und Gleichen gibt es keine Behörde, die dem Volk „ihre Wahrheit" aufdrängen darf. Der Bundesrat soll sich mit dem ganzen Volk, nicht nur mit einer zufälligen Mehrheit identifizieren können. In der Schweiz bildet der Bundesrat das Staatspräsidium, die leitende Regierung und die oberste Spitze der Verwaltung in einem. Schon deswegen darf sich der Bundesrat nicht intensiv in Abstimmungs- und Parteikämpfe hineinziehen lassen. Er darf nicht in die Arena steigen und kämpfen. Wenn sich der Bundesrat intensiv einmischt, sind die jeweiligen Gegner gezwungen „auf den Mann" zu spielen und den Bundesrat frontal anzugreifen. Dessen Glaubwürdigkeit leidet mit der Zeit schwer darunter. Am jeweiligen Sonntagabend sind bis zu 49 % der Bevölkerung vom Bundesrat schwer enttäuscht. Dieser soll Schiedsrichter sein, der unter Berücksichtigung der Minderheit für jene Auffassung einsteht und sie vollzieht, die die Mehrheit der Stimmenden und Stände findet. Er muss äusserlich und innerlich wie ein unparteiischer Richter über den Abstimmungskämpfen stehen, sonst verrät er seine Aufgabe: Frieden, Freiheit, Demokratie und Unabhängigkeit der schweizerischen Eidgenossenschaft zu schützen und zu erhalten. Der Bundesrat hat als Schiedsrichter und Staatspräsident, der über den Parteien steht, in der UNO-Beitrittsabstimmung schwerwiegend versagt.
 
 
13. Dringend: Die Erhaltung der Volksrechte und die Wachsamkeit der Medien
Statt dass der Bundesrat die widerrechtliche Praxis gestoppt und über die Wiedererstarkung der direkten Demokratie, der Freiheits- und politischen Rechte sowie der Gewaltenteilung einen Bericht erstellt hätte, hat er das Gegenteil veranlasst. Es ist unverständlich, dass er den Bericht der Medienspezialisten nicht zurückgewiesen oder umgehend an das Parlament weitergeleitet hat, mit dem Antrag, es sei Sache der Gesetzgebung, die widerrechtliche Praxis zu überprüfen und allenfalls die bisherige Gesetzgebung zu bestätigen oder die Kompetenzen des Bundesrates neu zu umschreiben.
 
Schwer begreifbar ist auch, dass die Medien diesen Bericht über das Engagement des Bundesrates und der Bundesverwaltung nicht kritisch durchleuchtet haben. Ist hier der Politmedienfilz am Werk? Ausser einem sehr guten kritischen Beitrag von alt Ständerat Franz Muheim, Altdorf - in der „Schweizerzeit" und den „Zeit-Fragen" erschienen - der die grossen staatspolitischen Mängel des Berichts hervorhebt, ist meines Wissens nichts darüber  geschrieben und nichts darüber berichtet worden. Die Wachsamkeit der Medien ist gefordert.
Wie Prof. Georg Müller in seinem erwähnten Gutachten feststellt, sind gesetzliche Massnahmen nötig. Bundesrat und Bundesverwaltung müssen in ihrem unverhältnismässigen Einsatz für eine Führungsdemokratie gestoppt und an ihre Pflichten erinnert werden. Die Volksrechte sind zu schützen. Wenn die Parlamentarier diese dringende Aufgabe nicht ungesäumt an die Hand nehmen und Massnahmen treffen, müssen sie durch eine Initiative an ihre Aufgabe erinnert werden. Durch eine solche Initiative wird das Parlament unterstützt, wenn es allfällig eine entsprechende Motion gutheissen sollte. Es ist zu hoffen, dass wachsame Kreise und kritische Politiker eine solche Initiative in Kürze starten.
 
Quelle: http://www.freie-meinung.ch