Fakten und Fragen zur Privatisierung der Swisscom und anderer Staatsbetriebe

Die Diskussionen um den Sinn und Unsinn der Privatisierung von Staatsbetrieben geht mit der Swisscom nun in eine entscheidende Runde. Es lohnt sich deshalb, nochmals in den Geschichtsbüchern nachzuschlagen und Fakten hervorzuheben, welche in den heutigen emotional gefärbten Diskussionen eventuell untergehen könnten. Ein Blick auf Fakten und Akteure könnte uns helfen, Fragen zu stellen, welche wir bisher zu erörtern versäumt haben. Im Kern geht es bei der Privatisierung der Staatsbetriebe um die Frage, ob es im Sinne eines Generationenvertrages überhaupt möglich ist, eine Demokratie zu haben, ohne Staatsregale.

Konkret müssen wir uns folgende Frage stellen:
Gibt es eine Demokratie ohne öffentliches Recht und ohne öffentlich rechtliche Unternehmungen, welche generationenübergreifend allen Menschen, unabhängig von ihrer geburtlichen Herkunft, in einem
Staatsgebiet den freien Zugang zum Lebensraum garantieren ?
 
Starten wir mit ein paar Fragestellungen, welche hier ganz wesentlich sind und kommen wir dann zu einigen Fakten, welche uns dazu verhelfen werden, noch weitere Fragen zu stellen. Warum haben unsere Vorfahren vor 150 Jahren überhaupt Staatsbetriebe gegründet und was wollten sie damit erreichen ? Ganz zum Schluss gehe ich aus aktuellem Anlass beispielhaft auf ein Zitat von Gottfried Keller aus Zürich ein, der sich damals für die Gründung der Zürcher Kantonalbank als Staatsbetrieb eingesetzt hat.
 
Jedoch nun zunächst konkret mit Bezug auf die Swisscom folgende Fragen:
 
Wie kann ein staatlicher Monopolist mit hundert Prozent Marktabdeckung innert 10 Jahren so heruntergefahren werden, dass man sogar behauptet, diese Firma würde in Konkurs gehen, wenn sie staatlich bliebe ?
Wer verbreitet solche Angstthesen und welche Gründe könnten diese Akteure haben, solche Thesen zu verbreiten ?
Wer sind die Konkurrenten der Swisscom und welche Kapitalbesitzer stecken hinter diesen Konkurrenten und wie neutral verhalten sich diese Konkurrenten der Swisscom gegenüber in unserem direktdemokratischen Staatswesen ?
Wer könnte ein Interesse an einem Konkurs der Swisscom haben und wie bringen diese Interessengruppen sich in die Diskussion der Swisscom ein ? Wie also verhält sich konkret die Firma Sunrise bezüglich der Frage um die
Privatisierung der Swisscom?
 
Werfen wir zur Klärung dieser Fragen zunächst einmal einen Blick auf die Geschichte der Marktliberalisierung. Dabei ist es mir wichtig, dass wir uns einfach Fakten bewusst machen. Fakten müssen noch nicht heissen, dass Menschen aus bösen Absichten handeln. Sie könnten jedoch Hinweise auf Interessenkonflikte geben, welche auf den ersten Blick nicht so offensichtlich sind und die im Sinne einer echten Neutralität zu prüfen sind.
 
Zur Geschichte der sogenannten Marktliberalisierung
 
Mitte der 90er Jahre ging ein Aufschrei durch unser Land. Die Familie Schmidheiny fusionierte die Elektrowatt mit der Landis & Gyr und verkaufte dieses Konglomerat an die Firma Siemens. Dies war nur der logische Schritt einer langen Kette von Ereignissen, welche über Jahrzehnte hinweg geplant worden waren. Bereits Mitte der 80er Jahre bereitete sich die Schweizerische Stromlobby auf neue europäische Verhältnisse im Strommarkt und im Telekommunikationsmarkt vor. Der spätere Verwaltungsratspräsident der DIAX wurde bereits 1988 in die USA geschickt, um sich im Auftrag der Elekrolobby für den Aufbau eines Telekommunikationsunternehmens auszubilden. Es ist also nicht so, dass die Privatisierung der Telekommunikation plötzlich von einem Jahr zum anderen ab 1996 über die Schweiz hereingebrochen wäre. Private beschlossen bereits vor Jahrzehnten, dass man unsere Staatsregale privatisieren soll. Sie haben seit Jahrzehnten in die Privatisierungen investiert und wollen jetzt nur noch den Persilschein des Volkes und der Politiker. Was sie vor Jahrzehnten planten,  soll jetzt nur noch „demokratisch“ abgesegnet werden.
 
Nach dem Reaktorunfall 1986 in Tschernobyl setzte der heutige Bundesrat Christoph Blocher als damaliger Verwaltungsrat der Schweizerischen Bankgesellschaft und Nationalrat durch, dass die Eidgenossenschaft der privaten Elektrowatt eine Entschädigung von Fr. 250 Millionen zahlen sollte, wenn die Planung des
Kernkraftwerkes Kaiseraugst abgesetzt und dieses nicht gebaut würde. Die Elektrolobby entschied sich also dafür, nicht weiter in den Ausbau der Kernkraft zu investieren und sich in anderen Zukunftsmärkten zu engagieren.
 
Man wusste bereits damals, dass man die Nationalstaatlichen Volkswirtschaften unter dem EURO zu einem kontinentalen Wirtschaftsraum zusammenfassen wollte. Dies war spätestens seit 1976 auf der Traktandenliste der weltweiten Notenbankchefs, welche nach einer neuen weltweiten Organisation des Geldwesens suchten. Bei diesen Gesprächen war natürlich auch unser Notenbankchef, Herr Dr. Fritz Leutwiler dabei, welcher mit Blick auf diese Entwicklungen die Fusion der BBC mit ASEA zu ABB einleitete. Auf der Suche nach geschickten Lösungen für die Organisation des Geldes fanden die Forderungen eines Nobelpreisträgers für Wirtschaftswissenschaften immer mehr Unterstützung. Friedrich A. von Hayek fordert 1976 in seinem Buch „Die Entnationalisierung des Geldes“ die Abschaffung der staatlichen (demokratischen) Kontrolle über Post, Telekommunikation, Elektrizität und die Notenbanken. „Erst wenn man den Regierungen die Macht über das Geld und die Staatsbetriebe entzogen hat, werden sich gute soziale Verhältnisse etablieren“, behauptete der Nobelpreisträger Friedrich A. von Hayek.
 
Was viele Schweizer nicht wissen:
Das Buch „Mut zum Aufbruch“, welches uns unsere Wirtschafselite 1995 schmackhaft machen wollte, um aus unserem „rückständigen Reduit“ auszubrechen, war quasi eine Zusammenfassung und Abschrift des Buches von Hayeks aus dem Jahre 1976. Folgende Autoren wirkten beim Buch Mut zum Aufbruch mit:
David de Pury (damals ABB), Heinz Nauer, Beat Schmid, Josef Ackermann (heute Deutsche Bank), Georges Blum, Ulrich Bremi (damals FDP-Präsident, Nationalrat, Kaba, Schweizerische Rückversicherungsgesellschaft, Swissair, Crédit Suisse), Kaspar V. Cassanni, Alex Krauer, Fritz Leutwiler, Helmut O. Maucher (Nestlé), Alfred Meier, Jakob Nüesch, Stephan Schmidheiny, Thomas Schmidheiny, Wolfgang Schürrer, Gerhard Schwarz, Robert Studer (damals Schweizerische Bankgesellschaft), Klaus Vallander. Diese Herren standen damals mit ihrem Namen für die Globalisierung, Deregulierung und Privatisierung ein und daraus darf man sicher ableiten, dass sie es gut meinten und die Idee hatten, für unser Land etwas Gescheites zu fordern.
Die Frage, ob sich die Visionen dieser Herren aus der Rückschau auch tatsächlich so realisierten, wie sie es sich vorgestellt hatten, oder ob sie heute nicht besser den „Mut zum Abbruch“ fordern müssten, stellt sich einfach jetzt in der Nachschau.
 
Die Schweizer Wirtschaftskapitäne, welche das Buch „Mut zum Aufbruch“ veröffentlichten, forderten natürlich nicht wie von Hayek offen die Privatisierung der Nationalbanken - diese gehörte schliesslich bereits seit 100 Jahren zur Hälfte Schweizer Privatpersonen. Sie forderten jedoch die Privatisierung von Post, Bahn, Telekommunikation, Kantonalbanken usw. usw., genau gleich wie dies Friedrich A. von Hayek 1976 tat.
 
Wozu Staatsbetriebe und warum unterstanden diese öffentlichem Recht ?
 
Nehmen wir einmal an, dass diese Herren es gut meinten. Dann müssten wir davon ausgehen, dass sie über gewisse geschichtliche und gesellschaftspolitische Zusammenhänge nicht informiert waren. Wussten sie, was es für eine Demokratie bedeutet, Staatsregale und öffentliches Recht abzuschaffen und durch private Firmen und Privatrecht zu ersetzen ? In einer Demokratie nennt man solche Staatsbetriebe wie die Swisscom nternehmungen mit öffentlich rechtlichem Auftrag, welche öffentlichem Recht unterstehen. Bereits in der ersten Lektion Rechtslehre an der Höheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule in Luzern hat man uns 1984 erklärt, wozu dies gut sei. Es gäbe in einer Demokratie öffentliches Recht und privates Recht - hiess es damals. Das öffentliche Recht stehe über dem Privatrecht und im Interesse der Lebensgemeinschaft, welche wir Demokratie nennen, sei es wichtig, dass die Interessen kommender Generationen im Sinne eines Generationenvertrages durch öffentliches Recht geschützt werden. Dies garantiere den freien Zugang zum Lebensraum, unabhängig von Geburt (also für Arme, Reiche und Mittelstand). Und dieser freie Zugang zum Lebensraum müsse unter anderem auch durch Staatsbetriebe garantiert werden, welche öffentlichem Recht unterstehen. Freier Zugang zum Lebensraum ist dann gegeben, wenn alle Menschen über Staatsbetriebe freien Zugang zum Geld, freien Zugang zur Telekommunikation und den Medien, freien Zugang zu den Marktplätzen und freien Zugang zu den Verkehrswegen haben. In einer Demokratie ist es deshalb üblich, dass diese Bereiche durch Staatsbetriebe geregelt sind.
 
Die Märkte sind unfrei geworden
 
Wenn Adam Smith im 18. Jahrhundert über die freie Marktwirtschaft geschrieben hat, meinte er nicht den Begriff „Wettbewerb“. Er meinte den Begriff „Marktplatz“. Er forderte also freie Marktplätze, welche der Öffentlichkeit gehören und auf welchen alle Produzenten ihre Ware frei anbieten können. Bezüglich Marktplätze sind sich heute viele Menschen nicht bewusst, dass diese Marktplätze heute nicht mehr auf den öffentlichen Plätzen in Innenstädten zu finden sind. Marktplätze befinden sich heute in Form von Zeitungsinseraten und in Form von Werbegefässen elektronischer Medien (Fernseh- und Radiowerbung) im Privatbesitz von einigen wenigen privaten Monopolisten. In der Schweiz werden diese Marktplätze von der Publicitas kontrolliert. Die übrigen Marktplätze sind übrigens auch privat und bei einigen wenigen grossen Detailhandelsketten teilmonopolisiert. Silvio Berlusconi besitzt in Italien Detailhandelsketten und Medien - er ist also italienischer Alleinherrscher über die Märkte. Selten waren die Märkte so unfrei wie heute, nach 10 Jahren Privatisierung, Deregulierung und Globalisierung. Nun aber zurück zur Idee der Staatsbetriebe
 
Staatsbetriebe sind Volksaktiengesellschaften
 
Staatsbetriebe sind von ihrer Natur her das, was Bundesrat Hans Rudolf Merz jüngst eine Volksaktiengesellschaft nannte. Sie gehören seit Generationen allen Bürgerinnen und Bürgern. Sie werden verursachergerecht mit Gebühren finanziert. Sie kennen keine nach oben unbegrenzten Managerlöhne und hatten nicht den Auftrag, den Gewinn zu maximieren. Wenn es Herrn Bundesrat Merz also ernst mit der Volksaktiengesellschaft ist, dann müsste er sofort beantragen, dass man die Swisscom wieder in einen Staatsbetrieb nach öffentlichem Recht umwandelt.
Staatsbetriebe sind echte Volksaktiengesellschaften, welche auch in Jahrzehnten noch allen Bürgerinnen und Bürgern gehören.
 
Es braucht in einer Demokratie zwingend öffentlich-rechtliche
Unternehmungen
 
Staatsbetriebe unterstehen öffentlichem Recht. Sie müssen zum Beispiel Kraft öffentlichen Rechts die Möglichkeit haben, gegen private Interessen durchzusetzen, dass eine Strasse, eine Eisenbahntrasse, eine Stromleitung oder eine Wasserleitung durch privates Gelände geführt werden darf. Um in diesem Bereich Willkür und Enteignungen zu vermeiden, braucht es öffentlich-rechtliche Bestimmungen, welche diese Fragen regeln. Es gibt deshalb im Kanton Luzern ein sogenanntes Verwaltungsgericht, welches im Streitfall zwischen Staat, Staatsbetrieb und privatem Bürger entscheidet. Dieses Verwaltungsgericht steht über dem privaten Gericht, welches im Kanton Luzern Obergericht heisst. Niemand kann heute sagen, was mit solchen Leitungs- und Durchgangsrechten passieren würde, wenn plötzlich ein privater Grosskonzern bei einem privaten Bauern aus Kosten- oder Gewinngründen sein privates Recht vor das private Recht des Landwirtes stellen würde. Wer bestimmt über die Höhe der für das Leitungsdurchgangsrecht zu entrichtenden Gebühr ? Wer bestimmt darüber, wessen Rechte höher zu
bewerten sind ? Private Manager, statt demokratisch gewählte und
legitimierte Richter, Beamte und Politiker ? Wer finanziert diese privaten Entscheidungsgremien und welchen Interessen folgen dieselben? Auch gibt es Raumplanung und Zonenplanungsgrundlagen, welche in diesem Bereich langfristige Planung und Rechtssicherheit ermöglichen. Die Staatsbetriebe wie Post, SBB, Kantonalbanken usw., waren also sogenannte öffentlich-rechtliche Anstalten, welche nach öffentlichem Recht einen Auftrag zu erfüllen hatten. In den jüngsten Debatten sprach man hier vor allem vom Service Public, mit dem garantiert sein
sollte, dass die Versorgung von Randgebieten durch die Privatisierung nicht vernachlässigt werden dürfe. Die Diskussion um den Service Public zeigt jedoch, dass sich breite Kreise in unserem Land des eigentlichen Sinns von Staatsbetrieben nicht mehr bewusst sind. Es geht hier aber nicht nur um die gesicherte Versorgung,  also nicht nur um den Service Public.
 
 
An fremde Feudalherren keinen Zehnten entrichten
 
Es geht auch darum, dass die Staatsbetriebe den Nutzen für die Bevölkerung maximieren - anstatt Managerlöhne und Gewinne. Staatsbetriebe stellen sicher, dass die Bevölkerung nicht ausgebeutet wird - oder, wie wir Schweizer in früheren Jahrhunderten sagten, dass wir an private Feudalherren keinen übertriebenen Zehnten für den Zugang zum Lebensraum entrichten müssen. In einer globalisierten Welt ist dies noch wichtiger als früher, als wir noch in kleinen nationalen Volkswirtschaften zusammenlebten.
 
Warum sollten wir an einen amerikanischen Konzern mit Steuersitz auf den Bermudas jeden Monat Gebühren entrichten, nur weil wir hier bei uns in der Schweiz eine Telefonleitung benutzen, welche wir in den letzten 100 Jahren sogar noch selbst finanziert haben ? Warum sollte ein Schweizer Produzent an einen ausländischen Fernsehsender Werbegebühren entrichten, nur weil er für seine Produkte auf dem Marktplatz Schweiz Kunden anwerben möchte ? Oder noch schlimmer: Ausländische Produzenten, welche ihre Ware in das Territorium Schweiz liefern möchten, machen einfach Werbung bei einem ausländischen Fernsehsender (RTL und SAT1) und konkurrenzieren damit direkt einheimische Konkurrenten, ohne in die Werbegefässe auf dem Marktplatz Schweiz zu investieren (Schweizer Fernsehen).
 
Mit diesen Fragen kommen wir nun der Interessenlage jener Kreise näher, welche uns die Globalisierung und die damit einhergehenden Privatisierungen trotz aller
offensichtlichen Nachteile auch heute noch schmackhaft machen möchten. Eine Art neuer privater Feudalherren ist in Besitz der ehemaligen demokratisch
kontrollierten Machtmittel gelangt, welche uns allen freien Zugang zum
Lebensraum sichern sollten: Energie, Wasser, Strassen, Telekommunikation, Fernsehen, Radio, Bahn, Post und Banken sind in Privatbesitz
übergegangen. Ist es da ein Zufall, dass die Masse der Besitzlosen und Schuldner das Gefühl hat, nur noch Diener des Geldes zu sein ? Wir sind einmal mehr Diener von Feudalherren und ihren Vasallen geworden, welche wir heute Manager nennen.
 
Macht es Sinn, auf dem Territorium Schweiz parallel drei Mobilfunknetze zu betreiben ?
 
Während Jahren hat man uns gesagt, es würde alles billiger, wenn wir alles
privatisieren würden. Inzwischen haben wir alle gemerkt, dass hier etwas nicht stimmen kann. Wo ist bloss all dieses Geld geblieben, welches wir durch die
Deregulierung, Privatisierung und Globalisierung gespart haben ? Warum müssen wir aus Kostengründen nun plötzlich Spitäler und Kantonsschulen schliessen und Gemeinden fusionieren ? Haben wir durch all diese Deregulierungen und
Privatisierungen noch immer zu wenig gespart ? Warum überlebt in der Schweiz ein ganzes Tal im Urnerland nur dann, wenn ein ägyptischer Prinz dort Hunderte von Millionen investiert, während dieser Investor in seiner Heimat alleine in Kairo
Millionen von Hunger leidenden Mitbürgerinnen und Mitbürger zu ernähren hätte ?
Es muss jedem Laien klar sein, dass wir Verhältnisse geschaffen haben, welche die Argumente, die man uns nun während Jahrzehnten für die Privatisierungen
aufgetischt hat, als blosse Scheinargumente entlarven !!! Es ist doch für jeden
Sekundarschüler nachvollziehbar, dass es Infrastrukturbereiche gibt, in welchen es unmöglich sein kann, dass Wettbewerb der richtige Anreiz ist, um die Produkte bei gleicher Qualität billiger zu machen. Dazu gehört sicher Elektrizität, Post, Wasser, Telekommunikation und Strassen. Es kann doch nicht sein, dass Autofahren, Eisenbahnfahren und Telefonieren billiger wird, wenn ich mehrere
Funknetze, mehrere Eisenbahnnetze und mehrere Strassennetze für das gleiche Territorium installiere. Der Unterhalt von drei Mobilfunknetzen und die Investition in drei Mobilfunknetze sind doch sicher teuerer als die Investition in ein einziges solches Netz. Dies gilt erst recht dann, wenn jeder Anbieter noch intensive Kundenbindungspropaganda und Werbekampagnen bei privaten Medien finanzieren muss !!!
 
Wem also dient es, wenn Staatsbetriebe privatisiert sind ?
 
Hersteller von Asphalt und Asphaltherstellanlagen, Hersteller von
Telekommunikationsanlagen und Hersteller von Schienennetzen könnten gemeinsam mit der Werbeindustrie ein Interesse daran haben, pro Territorium möglichst viele Strassen, viele Telekommunikationsanlagen und viele Schienennetze zu verlegen. Das ist jedoch nur eine Interessengruppe, welche in diesem Privatisierungszirkus mitmischt. Zu diesen Firmen gehört sicher die Siemens AG, welche durch die Familie Schmidheiny mit Landis & Gyr und Elektrowatt fusioniert wurde. Ein noch grösseres Interesse an diesen Netzen haben jedoch private Besitzer von solchen Netzen. Jeder Mensch, der wirtschaftlich tätig sein will, braucht zwingend Zugang zu solchen Netzen. Die Telekommunikation ist wie Wasser, Strassen und andere Staatsregale ein Grundbedürfnis jedes Menschen. Also haben sich Kapitalbesitzer damals, vor 15 bis 20 Jahren überlegt, ihr Geld mit Vorteil in solche privaten Infrastrukturen zu investieren.
Zu solchen Kapitalbesitzern gehörte neben der Familie Schmidheiny und anderen Industriellen natürlich auch Bundesrat Blocher, welcher mit der EMS-Chemie im
Besitz von Kraftwerken war und ein Interesse an der Strommarktliberalisierung
hatte. Die Strommarktliberalisierung wurde übrigens vom Volk abgelehnt, die Elektrolobby hat sie jedoch trotzdem soweit wie möglich - haarscharf an der Grenze zur Legalität - umgesetzt.
 
Wer hat in die Telekommunikation bei SUNRISE investiert ?
 
Betrachten wir nun - weil es hier im Speziellen um die Diskussionen bezüglich der Swisscom geht - etwas näher, wer denn in den letzten Jahren in die
Telekommunikation investiert hat. Interessant wird es übrigens auch, wenn wir
näher anschauen, wer bei DHL investiert hat, um unsere staatliche Post zu
konkurrenzieren. Aber dies - lieber Leser - empfehle ich Ihnen selbst zu tun.
 
Bei der Telekommunikation war es so, dass das Bundesamt für Kommunikation beim ersten Liberalisierungsschritt unter anderem den Firmen DIAX und SUNRISE eine Lizenz erteilte. Ich war damals überrascht, wie schnell ausgerechnet staatliche und halbstaatliche Betriebe sofort zu DIAX und SUNRISE wechselten, obwohl der Service der Swisscom (damals Telekom) weit besser war als derjenige der neuen Anbieter.
In Kenntnis der Zusammenhänge hinsichtlich der Interessen und Besitzverhältnisse wird dies jedoch plötzlich logisch und klar. DIAX wurde nicht nur mit Geldern aus der Elektrowirtschaft gegründet. DIAX begann auf den bestehenden Strommasten ein Leitungsnetz zu bauen. Die SBB ihrerseits waren bei SUNRISE beteiligt und verlegten ein Leitungsnetz auf ihrer bestehenden SBB-Infrastruktur. Als weiterer grosser
Investor bei SUNRISE war die MIGROS in den Schlagzeilen. Nach der Fusion von
DIAX mit SUNRISE haben also offensichtlich die SBB, die MIGROS und die
ELEKTRIZITÄTSWIRTSCHAFT (heute AXPO) die gleichen Interessen. Je schwächer die Swisscom, desto stärker ist SUNRISE und je stärker die SUNRISE, desto grösser die Chance, dass die privaten Milliardeninvestitionen einmal amortisiert werden.
 
Was passiert, wenn die SWISSCOM überlebt ?
 
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Investoren, welche bei SUNRISE ihr Geld parkiert haben, alles verlieren, wenn die SWISSCOM trotz aller Bemühungen nicht gebodigt werden kann. Es gibt also auf dem politischen und wirtschaftlichen Parkett in der Schweiz tatsächlich Kräfte, welche andere Interessen haben könnten als „freie
Märkte“, um die Swisscom zu privatisieren.
 
Glaubwürdigkeit von einzelnen Akteuren
 
Wer offen die Privatisierung der Swisscom fordert, muss sich aufgrund der peinlichen Suche nach Argumenten gefallen lassen, dass man ihn nach seinen Eigeninteressen befragt. Fragen Sie bei den einzelnen Akteuren (Bundesräte, Politiker und Verbände) gut nach, in welcher Beziehung sie zu den wichtigen
Investorengruppen von Konkurrenzbetrieben der Swisscom stehen und Sie werden besser verstehen, welche Politik da tatsächlich gemacht wird. Die Swisscom ist gesund und es gibt keinen Grund, sie zu killen. Jedenfalls gibt es
keinen Grund, der im Interesse der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes vertretbar wäre. Es gibt jedoch sicher Gründe - die im Interesse von
geldmächtigen Minderheiten sind - um die Swisscom zu demontieren, so wie die Swissair demontiert wurde.
Teilprivatisierung ist keine Lösung - sie ist Irreführung der Bürger
 
Wie im Falle der Kantonalbanken - bei denen natürlich private Banken ein Interesse daran hatten, dass diese nicht als Staatsbetriebe überleben - wird man nun auch bei der Swisscom mit einer Kunstlösung versuchen, die Privatisierung durch die Hintertüre durchzusetzen. Das Zauberwort heisst „Teilprivatisierung“. Teilprivatisierung ist jedoch eine Wortschöpfung, welche es im Sinne der Demokratie und deren
Organisation mit öffentlichem Recht und privatem Recht eigentlich nicht gibt. Jeder einigermassen gebildete Jurist müsste dies eigentlich wissen.
 
Eine Firma kann nur einem Recht unterstehen.
 
Entweder untersteht also beispielsweise eine Swisscom öffentlichem Recht - oder sie untersteht privatem Recht. Untersteht sie öffentlichem Recht, dann hat sie rechtlich im öffentlichen Interesse einen anderen Stellenwert, als wenn sie privatem Recht untersteht. Im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger kann die Swisscom mit
Befugnissen ausgestattet werden, mit denen man ein privates Unternehmen aus Gründen des Wettbewerbes nicht ausstatten darf. Untersteht die Swisscom privatem Recht, dann sind solche Privilegien nicht mehr möglich: Zum Beispiel „Letzte Meile“.
Es gibt kein teilprivates Recht. Und mit der Wortschöpfung „teilprivat“ suggeriert man, dass sich für die Öffentlichkeit ja nichts ändere, weil der Staat ja noch an der Firma beteiligt sei. Das stimmt jedoch nicht, weil ein Staatsbetrieb im Sinne einer Volksaktiengesellschaft wie oben beschrieben aus gutem Grund eben mehr ist als nur Staatsbesitz: Eine Volksaktiengesellschaft, wie sie Bundesrat Merz zu Recht für die Swisscom fordert, untersteht also aus guten Gründen öffentlichem Recht und nicht Privatrecht.
 
Halten wir also fest:
Es gibt keine Demokratie ohne Staat und es gibt keine Demokratie ohne Staatsregale. Staatsbetriebe im Sinne von Volksaktiengesellschaften
müssen dem öffentlichen Recht unterstehen. Und es gibt kein teilprivates Recht. Und - mit Blick auf die neue Staatsverfassung des Kantons Luzern ganz
wichtig: Man kann Obergericht (privates Recht) und Verwaltungsgericht (öffentliches Recht) nicht zu einem Gericht fusionieren. Das bedeutete, die Gerichtsbarkeit im Sinne der Demokratie, die wir von unseren Vätern geerbt haben, abzuschaffen. Es lohnt sich also, in dieser Frage weiter aufmerksam zu bleiben.
 
Darf eine Nationalbank privatrechtlich organisiert sein und was, bitte, heisst spezialgesetzlich ?
 
Die Verwirrung ist gross und besonders bei ganz wichtigen Dingen wurde das Volk weder befragt, noch richtig informiert. Ohne jede öffentliche Debatte haben
Nationalrat und Ständerat im Dezember 2002 husch-husch ein neues
Nationalbankgesetz beschlossen. Das Aufsichtsgremium der Nationalbank wurde auf einige wenige Mitglieder verkleinert; die Befugnisse der Bank wurden massiv
eingeschränkt und die Kapitalverkehrskontrolle wurde abgeschafft. Und das
Wichtigste: Eine derart wichtige staatliche Institution wie die
Schweizerische Nationalbank, die dem öffentlichen Recht unterstand, wurde einfach mit einem Federstrich in eine sogenannte „spezialgesetzliche“
Unternehmung umgewandelt. Wieder wurde einfach ein neuer Begriff generiert,  ohne je darüber zu debattieren.
Die Nationalbank wurde also - ohne Bürgerinnen und Bürger zu befragen - in eine
sogenannte „spezialgesetzliche Aktiengesellschaft“ umgewandelt. Es gibt jedoch in unserem Land seit 150 Jahren weder den Begriff teilprivates Recht, noch den Begriff spezialgesetzliches Recht. Bisher gab es in unserer Demokratie (wir sind das einzige UNO-Mitglied mit direkter Demokratie) nur öffentliches Recht und privates Recht und wir täten gut daran, dies in unseren
Geschichtsbüchern fortan so gut zu verankern, dass es unsere Kinder nie mehr vergessen werden.
 
Es darf in einer Demokratie keine private Nationalbank geben und zwar
weder dem Besitz noch dem rechtlichen Status nach. Und wenn wir unseren Kindern die Demokratie so weitergeben möchten, wie wir sie einmal geerbt haben, müssen wir zum Wohle kommender Generationen wieder zurück zu öffentlichem Recht und privatem Recht. Wir dürfen keinesfalls neue und undefinierte Begriffe wie „Teilprivatisierung“ und „Spezialgesetzlich“ einführen. Banken im allgemeinen und Nationalbanken sowie Kantonalbanken im besonderen müssen nämlich von ihrer
Natur her im Sinne der Demokratie weder Gewinne noch Managerlöhne maximieren. Sie müssen auch nicht spekulieren. Banken haben dafür zu sorgen, dass Vermögen und Einkommen demographisch, geographisch und soziographisch sinnvoll verteilt sind (starker Mittelstand). Ureigenste Aufgabe der Banken wäre es, dafür zu sorgen, dass alle Menschen Arbeit haben, indem sie das Geld nicht nach Gewinn, sondern nach dem (Lebens)Sinn investieren. Konkret: Investitionen in Ernährung (Landwirtschaft) und Bekleidung sind Investitionen in Waffen, Drogen und Sexgewerbe
vorzuziehen !!! Und wir erleben einmal mehr in der Geschichte der Menschheit, dass dies ohne Staatsbanken nicht möglich ist. Staatsbanken haben den Auftrag, für
Vollbeschäftigung zu sorgen. Deshalb haben wir vor 150 Jahren Kantonalbanken
gegründet. Gottfried Keller kämpfte damals in einer ähnlichen wirtschaftlichen
Situation wie heute für die Gründung der Zürcher Kantonalbank und schrieb: Wir brauchen diese Staatsbank, um den Wucher [den Zins] zu bekämpfen, den Privatbanken heilsame Konkurrenz entgegenzustellen und den mittleren und kleineren Gewerbestand vor der Ausbeutung durch die in erster Linie auf eigenen Nutzen [Gewinne und Managerlöhne maximieren] bedachten Privatbanken zu schützen.
 
Zweifelsfrei würde Gottfried Keller heute das Gleiche sagen. Und Gottfried Keller war ein Liberaler, was eindeutig darauf hinweist, dass wir heute eine grosse
Begriffsverwirrung haben. Mit dem Bestreben, die Märkte frei zu machen, haben wir diese unfrei gemacht. Mit dem Bestreben zu liberalisieren, sind wir unfrei geworden.
 
Es ist jedoch nie zu spät, um die Dinge zu verstehen und richtig zu tun.
Es chont scho guet, wenn mers guet mached !!!
Ivo Muri, Sursee 15. Mai 2006
 
 
Literaturhinweis:
Viele weitere Ausführungen und Zusammenhänge über Zeit, Geld, Demokratie und Staatsregale finden Sie in folgendem Buch: DIE UHR von Ivo Muri
ISBN-Nr: 3-0350-2802-8 - Im Buchhandel oder unter www.zeitmensch.ch