"Gleiches Recht für alle"

Im Anschluss an die Strafanzeigen, die der in Hamburg lebende Rechtsanwalt Armin Fiand gegen Günther Beckstein, Michel Friedman und Charlotte Knobloch einreichte und die wir auf politonline veröffentlichten, bringen wir hier ein Interview mit diesem. Armin Fiand trat u.a. mit verschiedenen Anzeigen wegen Friedensverrats nach § 80 StGB [im Falle des Kosovo- und des Irak-Krieges] öffentlich in Erscheinung.

Wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts hat der Hamburger Rechtsanwalt Armin Fiand* gegen den bayerischen Innenminister Günther Beckstein und den bekannten Publizisten Michel Friedman Strafanzeige erstattet. Die Beschuldigten hatten den iranischen Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinedschad als "Verbrecher", "Schwerverbrecher" sowie als "Hitler des 21. Jahrhunderts" bezeichnet. Globale Gleichheit sprach mit Armin Fiand über die Beweggründe für seinen Schritt.
 
gG: Herr Fiand, was hat Sie dazu veranlasst, strafrechtlich gegen die Äußerungen des bayerischen Innenministers Beckstein und Michel Friedmans vorzugehen? Sind deren Aussagen nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt?
 
A. F: Was mir hierzu Veranlassung gegeben hat, ist der Grundsatz "geiches Recht für alle".
Die deutschen Strafverfolgungsbehörden sind mit der Begründung, die Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes sei nach § 103 des Strafgesetzbuchs strafbar, gegen Personen vorgegangen, die den amerikanischen Präsidenten Bush wegen des Irakkrieges als "Verbrecher", "Kriegsverbrecher", "Terrorist", "Mörder" usw. bezeichnet hatten. Wenn das aber so ist, dann machen sich auch die strafbar, die den iranischen Staatspräsidenten Ahmadinedschad beleidigen, d. h. in seiner Ehre herabwürdigen. Die Grenzen zwischen freier Meinungsäußerung und Beleidigung sind natürlich fließend. Aber im Falle Bushs hat zum Beispiel der Generalstaatsanwalt in Hessen - es ging um den Fall eines Metzgermeisters, der in seinem Geschäft gegen Bush und dessen Kriegspolitik gerichtete Plakate ausgehängt hatte - geschrieben: "Die Plakate hatten einen den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika beleidigenden Inhalt. Denn schon die Bezeichnungen als "Staatsterrorist" und die ihm zugesprochene Nähe zu Adolf Hitler charakterisieren ihn … als eine Person, die permanent aus poltischen Motiven Straftaten begangen hatte und weiterhin begehen würde. Hierdurch wurde der sittliche, personale und soziale Geltungswert (Bushs) in erheblicher Weise tangiert … .". Wenn die Behörden im Falle Bush A sagen, müssen sie im Falle Ahmadinedschad auch B sagen, nämlich gegen diejenigen vorgehen, die Ahmadinedschad beleidigen.
 
gG: Hat der iranische Staatspräsident derartige Reaktionen nicht selbst provoziert, indem er die Verfolgung und Ermordung der euopäischen Juden zumindest in Zweifel zog?
 
A. F: Dass Ahmadinedschad ein Antisemit ist, mag sein. Es mag auch sein, dass er den Holocaust leugnet. Nur: Sich einzubilden, dass die ganze Welt gefälligst nicht nur am deutschen Wesen, sondern neuerdings auch an den Ausnahmeregelungen des deutschen Strafrechts zu genesen habe, ist ebenso absurd wie anmaßend. Ahmadinedschad ist an die Regeln des deutschen Strafrecht nicht gebunden, jedenfalls nicht, soweit es um die hier interessierenden Straftatbestände geht. Er ist das ebensowenig wie George W. Bush.

Lassen Sie mich bitte noch ein Wort zum Holocaust sagen. Für mich steht fest, dass diese Massenvernichtung von Juden stattgefunden hat. Aber die Juden waren ja nicht die einzigen Opfer. Auch Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Roma und Sintis und andere Systemgegner sind Objekte der Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten gewesen. All dieser Menschen sollte man gedenken und nicht nur immer und oft ausschließlich den Holocaust in den Mittelpunkt stellen. Für meine Begriffe war es völlig falsch, die Leugnung des Holocausts mit Strafe zu bedrohen. Die historische Wahrheit kann man nicht per Strafe oder per Maulkorb erzwingen. Damit dies aber nicht missverstanden wird: Ob Ahmadinedschad den Holocaust leugnet, kann dahinstehen. Das spielt nach deutschem Strafrecht keine Rolle. Nur darum geht es mir und natürlich auch um die fortgesetzte Heuchelei, die im politischen Geschehen in Deutschland inzwischen an der Tagesordung ist und die auch in den Reden von Beckstein und Friedman deutlich zum Vorschein kommt.
 
gG: Von anderer Seite wurde sogar gefordert, Achmadinedschad festzunehmen, wenn er es wagen sollte, zur Fußballweltmeisterschaft nach Deutschland einzureisen. Wäre ein solches Vorgehen überhaupt mit der Immunität zu vereinbaren, die der iranische Präsident als Staatsoberhaupt genießt?
 
A.F: Als ausländisches Staatsoberhaupt genießt Ahmadinedschad in Deutschland die gleiche Immunität, die auch Herrn Bush von den deutschen Behörden zugestanden wird. Das habe ich in der Strafanzeige dargestellt. Die Forderung, Ahmadinedschad, wenn er einreist, zu verhaften und vor ein deutsches Gericht zu stellen, ist eine Aufforderung zum Verfassungs- und Rechtsbruch, was man sich deutlich vor Augen führen sollte.
 
gG: Dem iranischen Staatspräsidenten wurde ja nicht nur die Leugnung des Holocausts vorgeworfen. Empörung löste ebenfalls seine angebliche Forderung aus, Israel müsse von der Landkarte gelöscht werden ("Israel must be wiped off the face of the map"). Nun haben aber zwei Journalisten des britischen Guardian, Juan Cole und Jonathan Steele, bereits vor einiger Zeit nachgewiesen, dass Ahmadinedschad dies niemals gefordert hat. Tatsächlich habe er lediglich seine Zuversicht ausgedrückt, dass das Besatzungsregime über Jerusalem [genauer Al Quds] von den Seiten der Geschichte verschwinden werde ("must vanish from the page of time"). Wie erklären Sie sich, dass diese Richtigstellung von Politik und Medien so gut wie nicht zur Kenntnis genommen wurde? xxxxx
 
A.F: Gut, dass Sie darauf hinweisen. Dass Ahmadinedschad jemals gefordert habe, Israel müsse von der Landkarte verschwinden, entspricht nicht den Fakten. Wahrheit und Dichtung gehen hier auseinander. Man sollte nicht Sekundärtexte bemühen, sondern sich an das halten, was Ahmadinedschad tatsächlich gesagt hat. Was er gesagt hat, ergibt sich aus den Originalquellen und nicht aus zweckgerichteten fehlerhaften oder sinnentstellenden Übersetzungen. Politiker und Medien haben dies ignoriert, weil es offenbar besser in ihr Konzept passt, den iranischen Staatspräsidenten zu verteufeln und als Kriegstreiber hinzustellen.
 
gG: In der Vergangenheit wurden bereits andere Staatsoberhäupter wie etwa der ehemalige irakische Staatspräsident Saddam Hussein und der verstorbene frühere Präsident Jugoslawiens Slobodan Milosevic mit Hitler verglichen. Ausgerechnet der frühere grüne Bundesaußenminster Joschka Fischer bemühte sogar den Vergleich mit Auschwitz, um den Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien zu rechtfertigen. Waren diese Vergleiche aus strafrechtlicher Sicht denn legitimer? Oder erfüllten sie nicht ebenfalls den Straftatbestand der Beleidigung?
 
A.F: Ich sehe hier in der Tat Parallelen. Darauf weise ich übrigens auch explizit in meiner Strafanzeige hin. Darin führe ich aus: Die Äußerungen der Beschuldigten "hatten und haben keinen anderen Sinn und Zweck als den, im Rahmen einer vorbereitenden psychologischen Kriegführung Stimmung gegen den Iran und seinen Staatspräsidenten zu machen. Der Westen betreibt seit Monaten gegen den Iran und Ahmadinedschad eine üble Schmutz- und Verleumdungskampagne, deren Ziel es ist, die Öffentlichkeit auf einen eventuellen Krieg der USA und/oder Israels gegen den Iran vorzubereiten und einzustimmen."
 
Das entspricht exakt dem Vorgehen im Falle des Iraks. Erst wurde Saddam Hussein, den man jahrelang gehätschelt hatte, systematisch als Feindbild aufgebaut und verteufelt. Dann wurde der Irak überfallen, wobei Hirngespinste und Lügen - Massenvernichtungswaffen, Kumpanei mit Al-Qaida - als Kriegsgründe herhalten mussten. Im Falle des Irans wird eine mögliche Intervention mit dessen angeblichem Streben nach Atomwaffen gerechtfertigt, obwohl es dafür keine "belastbaren" Fakten gibt. Dies wird einfach kühn behauptet in der - wohl berechtigten - Hoffnung, dass, wenn man es nur oft genug wiederholt, schon irgendetwas davon hängen bleiben werde.
 
gG: Nun wird der iranische Staatspräsident zwar von der überwältigenden Mehrheit der iranischen Bevölkerung in seinem Beharren auf dem Recht des Irans zur friedlichen Nutzung der Atomenergie unterstützt. Andererseits versucht Ahmadinedschad aber, die unter seinem Vorgänger Khatami erfolgten zaghaften demokratischen Reformen zurückzunehmen. Nach wie vor ist im Iran ein klerikales Regime an der Macht, die Menschenrechte werden mit Füßen getreten und Oppositionelle gefoltert und ermordet. Wie erklären Sie iranischen Gegnern des Mullah-Regimes ihren Schritt? Muss diese ihre Verteidigung des iranischen Staatspräsidenten nicht brüskieren?
 
A. F. Es geht nicht darum, dass das Mullah-System im Iran keine mustergültige und beispielhafte Regierungsform ist. Das iranische System war bei der Demonstration in Nürnberg am 11. Juni (in deren Verlauf die zitieren Äußerungen Becksteins und Friedmans gefallen sind, die Redaktion) nicht das "Angriffsobjekt". Eingeladen zu der Veranstaltung hatten nicht iranische Oppositionelle. Veranstalter waren in erster Linie jüdische  Organisationen. Es sollte ein Zeichen gegen die "israelfeindliche Politik" des Irans gesetzt werden. Mir kam es allerdings so vor, als solle Deutschland vor den Karren der aggressiven israelischen Regierungspolitik gespannt werden. Dagegen habe ich etwas. Sicher hat Deutschland den Holocaust zu verantworten. Das kann aber nicht bedeuten, dass man unkritisch ist gegenüber Israel und sich scheut, das Unrecht, das dort geschieht, beim Namen zu nennen. Natürlich wird jetzt wieder die von Martin Walser so genannte "Antisemitismuskeule" geschwungen werden, denn die Kritik an Israel ist hierzulande immer noch gleichbedeutend mit "Antisemitismus" - trotz aller gegenteiligen Beteuerungen. Das ist mir gleichgültig. Ich sage das, was ich für richtig halte, auch auf die Gefahr hin, fälschlicherweise als "Antisemit" klassifiziert zu werden. Damit kann ich leben.
 
gG: Die Reaktionen auf Ihre Strafanzeige sind sehr unterschiedlich ausgefallen. Während jüdische und christliche Vertreter ihren Schritt nahezu einmütig verurteilen und sich darüber sehr empört zeigen, erhalten Sie neben Unterstützung aus linken Kreisen vermutlich auch Beifall von rechts. Wie gehen Sie damit um?
 
A.F: Meine Strafanzeige hat, wie es nicht anders zu erwarten war, unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Die weitaus meisten waren sehr positiv. Einige wenige haben mich beschimpft, weil sie sagen, es sei mein Anliegen, das "verbrecherische System" im Iran zu unterstützen. Offensichtlich haben diese Leute meine Strafanzeige gar nicht gelesen. Beifall aus der rechten Szene habe ich bisher nicht bekommen. Das ist auch naheliegend. Die Rechten leugnen nicht nur den Holocaust. Sie leugnen zum größten Teil auch die Kriegsverbrechen, die Hitler begangen hat. Die Verbrechen, die mit dem Namen Hitler verbunden sind, habe ich in meiner Strafanzeige, wenn auch nur kursorisch, aufgeführt. Das entspricht nicht dem Weltbild, das sich Alt- und Neonazis von der Geschichte machen.
 
gG: Herr Fiand, wir danken Ihnen für das Gespräch.
 
www.globale-gleichheit.de, 26. Juni 2006; das Interview führte Alexander Boulerian
http://www.globale-gleichheit.de/Gleiches%20Recht%20f%FCr%20alle.htm