Zur Lage in Haiti

Vor kurzem war in der Neuen Zürcher Zeitung (Nr. 1 / 3.4. 04) völlig unverständlicherweise von einer zwei Jahrzehnte währenden Aufbauarbeit der USA in Haiti in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Rede. Dies ganz ungeachtet der Tatsache, dass die USA zumindest vom Ende des 19. Jahrhunderts an alles andere versucht hat, als in einem der Länder, in deren Politik sie sich einmischte, eine Aufbauarbeit zu leisten.

Ihr ganzes Bestreben bestand doch darin, vor allem die mittel- und südamerikanischen Länder nach Massgabe zu destabilisieren, was letztlich auch verhinderte, dass sich diese zu einer von der USA unabhängigen Freihandelszone zusammenschliessen konnten. Denn mit einer solchen hätten sie die Möglichkeit, der USA ihre eigenen Konditionen zu diktieren. Resultate dieser angeblichen Aufbauarbeit sind immerhin weitgehend bekannt: Die Hälfte der Bevölkerung Haitis ist unterernährt, ebenso viele sind Analphabeten und für viele fehlt der Zugang zu sauberem Wasser. Haiti ist eines der wichtigsten Durchgangsländer für die aus Südamerika stammenden Drogen und zählt weltweit zu den korruptesten Ländern. Weitere Folgen sind es durchaus wert, näher betrachtet zu werden. Die USA hatte auf Grund der strategischen Lage Haitis von jeher ein unvermindert starkes Interesse an dem Land.  Die ehemalige französische Kolonie wird von der USA von 1915 bis 1934 militärisch besetzt, da sich die Vereinigten Staaten seit der Einweihung des Panamakanals im Jahre 1914 darauf konzentrieren,  die Kontrolle über die Nachbarstaaten dieser bedeutenden wirtschaftlichen und militärischen Verkehrsader zu gewinnen. Während des Kalten Krieges verstärkt die USA ihre Überwachung des karibischen Beckens, da Kuba angeblich die hauptsächlichste Bedrohung darstellt, so dass die Mehrheit der militärischen Interventionen der USA in den 80er und 90er Jahren in der dortigen Region stattfindet (u.a. in Panama und Granada). Von 1957 bis 1986 kontrollieren die Amerikaner Haiti in Zusammenarbeit mit den Diktatoren François und Jean-Claude Duvalier.       

Was die jetzige Lage betrifft, so versorgt uns die Tagespresse durchaus mit Fakten, es wird jedoch nicht aufgezeigt, dass bei der gegenwärtigen Destabilisierung des Landes der berüchtigten CIA erneut ihre gewohnte unrühmliche Rolle der Einmischung zufällt und dass es  in Wirklichkeit die USA ist, die versucht, Präsident Jean-Bertrand Aristide zu stürzen, indem sie mit  ihrer neuen Methode zu Werke geht, der sogenannten 'Samtrevolution', ein Begriff, dem es sicherlich nicht an eiskaltem Zynismus ermangelt.  Damit diese ihren Fortgang nehmen kann,  finanziert die CIA über den Umweg des 'Republikanischen Instituts' die Opposition. Gleichzeitig organisiert sie unter Einbezug der Arbeitgeber den Widerstand gegen Aristide. Sie blockiert das Funktionieren der Institutionen des Landes und schürt die Gewalt, für die sie dann Aristide verantwortlich macht. Zu dieser Taktik gehört die Konditionierung der internationalen öffentlichen Meinung, um den Anschein einer Erhebung des Volkes plausibel zu machen. Dennoch verhält es sich so, dass das Volk Aristide weiterhin stützt. Der gravierende Punkt liegt darin, dass Aristide durch die militärische Präsenz der USA daran gehindert wird, die soziale Politik, die er eingeleitet hatte, fortzusetzen. Seit geraumer Zeit ist Aristide für die Amerikaner zwar nicht mehr gefährlich, es bleibt jedoch, dass er  "nicht fügsam genug ist". 
 
Über die bereits am 27. März 2002 in Port-au-Prince gegen die Einmischung der CIA stattgefundenen Manifestation ist nach meiner Erkenntnis bislang nicht  berichtet worden. Ungeachtet der Feier zur zweihundertjährigen Unabhängigkeit  der ersten schwarzen Republik der Welt befindet sich das Land in einer tiefen politischen Krise. Aristide wird beschuldigt, die Menschenrechte zu verletzen, seine Wiederwahl wird in Frage gestellt und seine Abdankung verlangt, auch in Washington. Bereits im Juni 2003 fordert Aussenminister Colin Powel die OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) auf,  bis September 2003 eine Lösung für die Krise in Haiti zu finden.  Aristide, der unter dem  Schutz  amerikanischer Leibwachen steht, bewegt sich im übrigen nur noch im Helikopter fort, wie 'Le Monde'  vom 4. 11. 03 zu entnehmen ist.

Am 4. 10. 2003 gibt der neue Botschafter der USA in Haiti, James B. Foley, ehemaliger Sprecher des US-Aussenministeriums,  seine Unterstützung für die Opposition öffentlich bekannt und verlangt, dass neue Wahlen abgehalten werden, was in den folgenden Worten gipfelt:  <<Ich möchte erneut bestätigen, dass wir jeden Bewohner Haitis unterstützen, der es wünscht, seine Rechte wahrzunehmen, um friedlich zu demonstrieren  und sich frei auszudrücken. ( ........) Wir werden nur einen Ausgang der Krise unterstützen, die Abhaltung freier glaubhafter Wahlen, dies in einem Klima der Sicherheit.>> Mit welchen Mitteln diese Sicherheit zustande gebracht werden soll, ist allerdings fraglich.  Am 15. Dezember 2003 greift der Sprecher des Aussenministeriums, Richard Boucher, Aristide direkt an: <<Die Regierung arbeitet mit bewaffneten und in ihrem Sold stehenden Verbrecherbanden zusammen, um die Demonstrationen mit Gewalt zu unterdrücken, wodurch sie nicht nur Verletzte, sondern auch den Verlust an menschlichem Leben verursacht. Wir ermahnen die Regierung von Haiti, diese Vorgänge innert kürzester Frist  zu beenden, (....) und mit der OAS, der US-Regierung und den übrigen Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft  zusammenzuarbeiten, damit eine friedliche und demokratische Lösung der politischen Schwierigkeiten erreicht werden kann.>> Die Heuchelei ist geradezu ungeheuerlich, wenn man sich die Zahl der Toten, welche die USA auf dem Gewissen hat, vor Augen führt.

Was James Foley betrifft, so ist 'Le Monde' vom 4. 11. 03 ein durchaus  interessantes Detail zu entnehmen. Die Truppen von Amiot Métayer, einem ehemaligen Mitstreiter zur Wiederherstellung der konstitutionellen Ordnung während des Staatsstreiches und heute einer der Anführer rebellierender Banden, machen, wie es heisst,  auf Anweisung des Palais National, Haitis Regierungssitz, auch Jagd auf oppositionelle Kräfte. Die  internationale Gemeinschaft forderte daher seine Festnahme und Verurteilung, was James Foley am 20. 9. 2003  bei einem Frühstück mit Aristide diesem ins Gedächtnis ruft. Zwei Tage später, am 22. 9. 03, ist der auf Grund seiner kupfernen Hautfarbe als 'Kubaner' bekannte Anführer ermordet. 

Am 17. 2. 04 verurteilt James Foley anlässlich einer Pressekonferenz öffentlich den Widerstand bewaffneter Rebellen und betont gleichzeitig, dass die USA niemals eine Regierung anerkennen wird, die durch Gewalt an die Macht kommt. Er bestätigt, dass diese Banden wenig zahlreich sind,   nicht  die Unterstützung des Volkes haben und dass ihre Aktionen das Risiko einer  Entfesselung  nicht mehr zu kontrollierender Gewalttätigkeiten in sich bergen, ebenso die Verschlimmerung der Misere im ganzen Land. Es ist indessen kaum anzunehmen, dass Foley ignoriert, dass die CIA im Interesse Washingtons an dieser Entfesselung beteiligt ist. Die Führer der Opposition hingegen bezeichnet er als  "demokratisch und gewaltfrei", was natürlich ein Leichtes ist, wenn die Rebellen für die Opposition sozusagen den Kopf hinhalten.  Foley scheut nicht einmal davor zurück, die Opposition als eine im Rahmen des politischen Lebens legitim handelnde  Kraft darzustellen, kritisiert jedoch ihren "Eigensinn", jeglichen Dialog mit Aristide zu verweigern (Le Monde 18.2.04), was man als eine der üblichen verlogenen US-Taktiken betrachten kann. In Anbetracht der krassen Unwahrheiten, die für Washington als Grund zur Einleitung des Irakkriegs herhalten mussten, dürfte dies jedoch niemanden mehr in Erstaunen setzen. Rückblickend gesehen, stellt die Wahl des linken Priesters Aristide, eines Verfechters der Befreiungstheologie, im Jahr 1990 für die USA eine Katastrophe dar. Aus diesem Grund ist sie gegenüber dem Staatsstreich, der 1991 gegen diesen organisiert wird, positiv eingestellt. Es darf hier nicht übersehen werden, dass Oberst Michel François, der starke Mann der neuen Junta,  ein ehemaliger Schüler ihrer  berühmten 'American School' ist, die einen grossen Teil der lateinamerikanischen Diktatoren, die Freunde der USA waren, geformt hat. Die Aufdeckung der Verwicklung des Militärs in den Drogenhandel der Karibik bringt dieses jedoch bald in Schwierigkeiten. 1993 berichtet der OGD ('L'Observatoire Géopolitique des Drogues', der 'Geopolitische Beobachter des Drogenhandels'), dass die in die Presse einsickernden  Enthüllungen mit einem Bericht des US-Senats vom 27. 10. 93 einsetzten, der bestätigt, "dass die kolumbianischen Drogenhändler pro Jahr (!) die Summe von ca. 100 Millionen US-$ an Michel François  überwiesen, damit er den Transit von Kokain im Land schütze und erleichtere."   Hier kann man nur sarkastisch anmerken, dass es also nicht umsonst ist, dass wir rund 100 Steuerfluchtorte auf dieser Welt haben, die sich als willige Investoren der hiermit verknüpften Geldwäsche betrachten lassen.

Trotz der Unterdrückung durch das sich an der Macht befindliche Militär lässt sich Haiti nicht stabilisieren. Regierungen folgen aufeinander, ebenso Demonstrationen. Was bleibt, ist die Repression, so  dass letztlich ein UNO-Embargo über das Land verhängt wird. Einer der Streiter, der für die Rückkehr Aristides nach dem Putsch 1991 kämpfte, ist der an der Spitze des 'Ökumenischen Zentrums für Menschenrechte' stehende ehemalige Kulturminister Jean-Claude Bajeux; er hat den Abstieg der Staatsgewalt in 'Le Monde' vom 4. 11. 03 wie folgt gebrandmarkt: Dies ist das mafiose Modell, bei dem die ganze Macht in den Händen der 'Paten' konzentriert ist, die sich abwechselnd der Mittel der Verführung, der Drohung, des Geldes sowie summarischer Exekutionen bedienen. Sie zählen auf das Klima der Unsicherheit und Straflosigkeit, um ein gehöriges Mass an Ungewissheit aufrechtzuerhalten. Die Gewalt jedoch ist immer vorhanden.

Die Rückkehr von Aristide erscheint somit als der einzige Ausweg aus der Krise. 1994 erhält die USA das Einverständnis der UNO, um in Haiti militärisch einzugreifen, so dass im September 1994  21 000 US-Soldaten in Haiti an Land gehen, wo sie auf keinerlei Widerstand stossen.  Am 15. Oktober 1994, nachdem sich Washington zunächst gegen eine solche Lösung gestellt hatte, überantwortet die USA Jean-Bertrand Aristide die Macht,  jedoch nicht ohne von diesem die Garantie dafür erhalten zu haben, dass er das Prinzip der Befreiungstheologie aufgibt und sich der freien Marktordnung unterwirft. Die Stationierung der US-Truppen hat den Zweck, ihn an seine Verpflichtungen zu erinnern. Der Geschäftsmann Smarck Michel wird von Aristide zum Premierminister ernannt. 

Aristide hatte bei seiner Rückkehr aus dem Exil von der UNO verlangt, die Bevölkerung zu entwaffnen. Nicht nur, dass man seiner Forderung nicht nachkam,  sondern bedeutende Waffenvorräte der internationalen Truppen fanden sich darüber hinaus in den Händen der Bevölkerung wieder. Eine seiner ersten Amtshandlungen bestand im übrigen in der Auflösung der  Armee; der Aufbau neuer Polizeikräfte erfolgte unter Einsatz amerikanischer, französischer und kanadischer Instruktoren. Es ist jedoch keineswegs so, dass Jean-Bertrand Aristide in der Folge mit Hilfe der repressiven Gewalt der 'Lavalas Partei' * an der Macht bleiben konnte, er hatte tatsächlich auch die Unterstützung der Bevölkerung.

                                        Die CIA finanziert die Opposition in Haiti

Im Jahr 2000 erfolgt die Wiederwahl Aristides auf Grund einer Volksbefragung, die von der Opposition, der internationalen Gemeinschaft sowie der grossen Mehrheit der Wähler boykottiert wird. Am 17. 12. 2001 entgeht Aristide einem erneuten Staatsstreich. Die gegenwärtige enorme  politische Krise ähnelt in vielen Aspekten derjenigen, die seit April 2002 Chávez in Venezuela unterminiert sowie derjenigen, die dazu geführt hat, dass Eduard Schewardnadse, der georgische Präsident, abtreten musste. Wie in Venezuela und Georgien wird die Opposition als eine breite Sammelbewegung des Volkes dargestellt, aber von den grossen Arbeitsgebern dirigiert. In Haiti wird die jetzige 'Gruppe der 184' von dem Geschäftsmann André Apaid gesteuert; diese vereinigt 184 Organisationen und gruppiert 13 Sektoren, wozu die grossen Arbeitgeber, die Gewerkschaften und die Presse zählen. Am 19. November 2002 bildet das 'Brookings Institution' in Washington offiziell einen Think Tank, um Haiti die Demokratie aufzuzwingen. Mit dem Unterfangen wird James Morrell betraut, der früher für das 'Center for International Policy'  zuständig war. Wir finden hier die ehemaligen US-Botschafter in Haiti, Ernest H. Preeg und Lawrence Pezzullo, ferner den Milliardär Rudolph Boulos, Ira Lowenthal vom IRI (International Republic Insitute) und Roger Noriega, der Botschafter der USA bei der Organisation Amerikanischer Staaten. Dieser Think Tank unterstützt diejenigen Gruppen in Haiti, die damit beauftragt sind, die Opposition gegen Aristide zu organisieren, wie z. B. die 'Fondation Nouvelle Haiti' (Stiftung 'Neues Haiti'), die  - wen überrascht es schon   -  von André Apaid geleitet wird, demselben Mann, der die berüchtigte Gruppe der 184 finanziert.


Am 18. Dezember 2002 bezahlt das IRI resp. die CIA den Flug von rund fünfzig Verschwörern in die Dominikanische Republik, damit ihr Destabilisierungsplan zu Ende gebracht werden kann. Das IRI geht sogar so weit, einen speziellen Zweig für Haiti zu gründen. Für die Anführer der sich gegen Aristide richtenden Protestbewegung gilt der bereits oben erwähnte,  in Georgien vollzogene 'samtene'  Staatsstreich als Beispiel. So erklärt der Führer der 'Initiative citoyenne' (Bügerinitiative), Frandley Denis Julien,  <<dass die Rosenrevolution (!!) in Georgien ein Beispiel darstelle, dem zu folgen sei. >> In einer  am  24. 11. 2003  von  Radio Métropole ausgestrahlten Erklärung  ruft er die Geschäftswelt dazu auf, ihre Verpflichtungen in dem in Gang gebrachten Kampf wahrzunehmen, um die Abdankung Aristides zu erreichen. Desgleichen ergeht an die 'ehrlichen Polizeikräfte' die Aufforderung, dem Beispiel des Militärs in Georgien zu folgen, das sich der Opposition anschloss. Auch die Grundlage der Rosenrevolution ist einer näheren Betrachtung wert. Der neue Staatschef, Michail Saakaschwili, ist in Wahrheit ein Mann Washingtons, wozu der US-Botschafter in Georgien, Richard Miles, seinen Teil beigetragen hat. Saakaschwilis Auftrag war der Sturz Eduard Schewardnadses. An den von langer Hand mit Ziel 2005 geplanten Vorbereitungen zur Entmachtung Schewardnadses waren folgende Institute beteiligt: Hinter der angeblichen NGO (Nichtregierungsorganisation), die behauptete, dass die Wiederwahl Eduard Schewardnadses am  2. 11. 2003 gefälscht war, steht in Wirklichkeit das ganz einfach als NGO bezeichnete 'American National Democratic Institute', das  von niemand anderem als von Madeleine Albright geleitet wird; letzteres wiederum gehört zum  'National Endowment for Democracy'. In Kürze dargelegt: die bezüglich der Ungültigkeit der Wahlen vorgebrachten Anklagen stammen direkt aus dem erstgenannten Institut, während der Mil-liardär George Soros die Jugendbewegung 'Kmara' finanzierte. Der Volkszorn war somit vom 'American National Democratic Institute' geschickt ausgelöst und mittels der von Soros finanzierten Jugendbewegungen strukturiert worden, was es der CIA ermöglichte, ihre Leute in Tbilissi an die Macht zu bringen. Nicht umsonst hat Schewardnadse die amerikanischen Institutionen sowie Soros als die Einzigen bezeichnet, die für seinen Sturz verantwortlich sind (RV 8 Nr. 29 vom 8. 1. 04). Wir haben hier also insgesamt erneut eine echte 'demokratische Spitzenleistung' nach US-Muster, die ganz offenbar weder die Banken noch die Wirtschaft zu beunruhigen scheint. Aber schliesslich darf man diese als von zwei Hauptkomponenten geblendet betrachten: Dem Profit und dem Öl.
 
Man muss sich erneut vergegenwärtigen, wie die CIA zu Zeiten der Diktatur der Duvaliers von 1957 bis 1986 in Haiti vorging. <<Sie arbeitete im Einvernehmen mit den Todesschwadronen, den Folterknechten und den Drogendealern.>> Bei ihrer Intervention 1994 konfiszierten die US-Truppen  rund 160 000 Dokumente, Video- und Radiokassetten, die u.a. Aufnahmen von Folterungen sowie Photos der verstümmelten Opfer zeigten; diese hatten den militärischen und paramilitärischen Organisationen von Haiti  gehört (.....)  und stammen aus den  Dutzenden von Jahren, während denen die CIA an der Seite der Diktatoren von Haiti, der bewaffneten Streitkräfte, der erwähnten Todesschwadronen, der Folterer und Drogenhändler engagiert war. Aus diesen Gründen wünscht Washington keinesfalls, dass diese Dokumente Verbreitung finden. Die USA wird sie somit niemals herausgeben. Durch den Sturz der Duvaliers wurden die Spezialagenten der CIA in der Folge gezwungen, sich auf den Stützpunkt Guantánamo zurückzuziehen. Die schwindelerregend hohen Summen, die Jean-Claude Duvalier, Bébé Doc, während seiner ganzen Regierungszeit sozusagen unter den Fittichen Washingtons Haiti entrissen hat, sind im einzelnen in 'L'Or des Dictatures' ** verzeichnet. Bei seiner Abdankung wurde sein Vermögen auf  900 Millionen US-$ geschätzt, was angesichts der extremen Armut des Landes allein schon eine groteske Ungeheuerlichkeit darstellt.

 
Heute spielt das US-Aussenministerium erneut ein bekanntes Szenarium durch: Am 7. Januar  2004  führte eine Demonstration zum Ausbruch von Gewalttätigkeiten, die Washington der Miliz von Präsident Aristide anlastete. Am 9. Januar forderte das US-Aussenministerium die Regierung Haitis auf, den Rechtsstaat wieder herzustellen. Am 13. Januar ging das  Mandat der Abgeordneten und das von zwei Dritteln der Senatoren zu Ende; die Regierung war  jedoch nicht in der Lage, Wahlen zu organisieren, da die Opposition in dem für die Wahlen zuständigen Rat keine Repräsentanten ernannt  hatte. Die US-Delegation brandmarkte am Gipfel der amerikanischen Staaten in Monterrey das Fehlen eines Parlaments. Aristide organisierte daraufhin am Rande des Gipfels sofort eine Pressekonferenz, in der er sich verpflichtete, in sechs Monaten allgemeine Wahlen abzuhalten. Die Opposition Haitis jedoch prangerte dies international als ein dilatorisches Manöver an, obwohl es in Wirklichkeit sie selbst ist, die die Durchführung von Wahlen verhindert. Damit ist die Lage in Haiti reif für das, was man inzwischen einen samtenen Staatsstreich nennt. Der  in Haiti tätige belgische Pater Jean Hanssen analysiert die Situation  in 'Le Monde' vom  4. 11. 03 wie folgt: Während der Diktatur von Vater und Sohn Duvalier sowie während des militärischen Staatsstreiches (1991 bis 1994) waren die Gründe für die Gewalttätigkeiten klarer. Heute weiss man nicht, was es zu befürchten gilt, die Schläge kommen von allen Seiten. Ich kann keinerlei politischen Willen erkennen, gegen die herrschende Straflosigkeit zu kämpfen oder eine echte Demokratie zu errichten. Ich sehe  dagegen eine Staatsmacht, die danach trachtet, ihre Privilegien um jeden Preis zu erhalten. 
 
Die gegenseitigen Anschuldigungen sind zahllos. Jonas Petit, der Sprecher der regierenden Partei 'Lavalas', klagt in 'Le Monde' vom 15. 2. 04 die internationale Gemeinschaft und die Opposition Haitis an, für das Klima des Aufstands verantwortlich zu sein. Laut ihm werden die bewaffneten Aufständischen von den ehemaligen Paramilitärs des Ex-Diktators Raoul Cedras (1991 bis 1994) unterstützt. An ihrer Spitze steht einer der früheren Chefs der Paramilitärs, Louis-Jodel Chamberlain, sowie der ehemalige Kommissar Guy Philippe. Beide sind während ihres Exils in der Dominikanischen Republik nach Haiti zurückgekehrt. Wie er weiter betont, verfügt der Staat auf Grund der Blockierung der Gelder Haitis im Ausland sowie der Einstellung der internationalen Hilfe nicht über die finanziellen Mittel, um sich den gegenwärtigen Ereignissen entgegenstellen zu können. Was die Opposition anbelangt, so hat sie laut ihm den Weg der Gewalt gewählt und sich einem gegenseitiges Einvernehmen, das die Sicherheit garantiert hätte, verweigert, indem sie bei Verhandlungen die Option Null wählte, nämlich die Abdankung des Präsidenten von Haiti.

Der Historiker und Journalist Georges Michel, der in der gleichen Ausgabe zu Wort kommt, teilt diesen Standpunkt allerdings nicht. Gemäss ihm hat es <<die 1995 erfolgte Auflösung der Armee den Kriegsherren wie z. B. Buteur Métayer, der Anführer der Bewegung in Gonaïves, ermöglicht, ihre ehemaligen Praktiken wieder aufzunehmen.>> Aus seiner Sicht sind die Polizeikräfte überfordert, so dass sich das jetzige Phänomen auf das gesamte Territorium ausbreiten kann. Wenn die Rebellen gut bewaffnet sind, so stellen sie für die Regierung die grösste Bedrohung dar, fährt er fort, indem er Jean-Bertrand Aristide anklagt, <<die Anarchie als Regierungssystem errichtet zu haben.>>

 

Quelle: Réseau Voltaire vom 14 janvier 2004 

* Die 'Parti Lavalas' war ehemals die 'Famille Lavalas', die Bewegung Aristides in den 80er Jahren; 'lavalas' bedeutet auf kreolisch Lawine.  

 ** Philippe Madelin, 'L'Or des Dictatures', Arthème Fayard, 1993