Rede von Nationalrat Christian Miesch

Die nachfolgende Rede wurde von Nationalrat Christian Miesch am 1. August im Kosovo gehalten und richtete sich an die dort stationiere Swisscoy-Truppe. Sie wurde von den Medien "unterschlagen", weil sie offensichtlich weder der classe politique noch den Linken genehm war.

Zuerst bedanke ich mich ganz herzlich für die Einladung zu Ihrer 1. August-Feier. Es ist für mich eine grosse Ehre, aus Anlass unseres Nationalfeiertages zu Ihnen zu sprechen. Die Anfrage vom VBS - durch Herrn Bundesrat Samuel Schmid, unseren Verteidigungsminister, abgesegnet - hat mich ausserordentlich gefreut.
 
Dass ich heute vor Ihnen sprechen darf, zeugt davon, dass unsere Demokratie funktioniert, in meinem Fall vor allem deshalb, weil ich zu jenen Politikern in unserem Land gehöre, die Auslandeinsätze unserer Armee grundsätzlich ablehnen - getreu der bewährten Maxime, dass wir uns nicht in «fremde Händel» einmischen und uns auf unsere aussenpolitische Kernkompetenz, nämlich die humanitäre Hilfe, beschränken sollten. Als Demokrat akzeptiere ich es, dass unser Stimmvolk mehrheitlich anders entschieden hat und Sie deshalb heute hier im Kosovo Ihren Dienst versehen. Persönlich habe ich grossen Respekt vor Ihnen, liebe Swisscoy-Soldaten. Vor allem auch deshalb, weil Sie diesen Auslandeinsatz freiwillig leisten. Und es ist mir eine Ehre, Ihnen am heutigen schweizerischen Nationalfeiertag ganz herzlich für dieses nicht selbstverständliche Engagement zu danken. Mit diesem Dank verbinde ich natürlich auch die Hoffnung, dass Ihr Einsatz fernab von der Heimat nützlich ist und dass Sie an Leib und Leben unbeschadet in Ihre Heimat zurückkehren.
 
Mit meiner heutigen Ansprache wende ich mich natürlich in erster Linie als Schweizer an Schweizer, zumal Sie, die Swisscoy-Soldaten, ja nach sechs Monaten wieder in die Heimat zurückkehren und am Leben unseres Landes wieder aktiv teilhaben werden. Die anwesenden Landsleute aus Österreich mögen mir dies freundnachbarschaftlich verzeihen. Sie können dann nach dem ersten Ski-Weltcup-Rennen wieder jubeln und feiern. Sie bemerken, ich spreche weder von Fussball noch vom Tennis.
 
Stefan Zweig hat einmal gesagt: «Wer seine Wurzeln nicht kennt, kennt keinen Halt.» Gestatten Sie mir deshalb einen kurzen Blick zurück: Vor 715 Jahren gelobten die drei Urkantone, ihre Freiheit und Unabhängigkeit mit aller Kraft zu verteidigen. Dazu schlossen sie ein Bündnis, aus dem sich schliesslich die Eidgenossenschaft und die heutige Schweiz entwickelt haben. Rütli-Schwur und Wilhelm Tell sind beides symbolträchtige Mythen, auf denen unser Land und das schweizerische Selbstverständnis nach wie vor aufbauen. Sie stehen für das Widerstandsrecht und die Widerstandskraft gegen Willkür, Unterdrückung, fremde Herren, fremdes Recht und fremde Richter; sie sind Ausdruck für den Selbstbehauptungswillen eines kleinen Landes und eine selbstbestimmte Freiheit.
 
Gerade aus Respekt vor unserer Geschichte dürfen wir das Prinzip der Souveränität niemals aufgeben. Als weltoffenes Land sind wir eben Teil dieser Welt und wollen mit allen, die guten Willens sind und unsere Unabhängigkeit respektieren, partnerschaftlich zusammenarbeiten. Neutralität, Handlungsfreiheit und Selbstbestimmung haben dabei aber immer Vorrang. Aus gutem Grund sind wir Schweizer zutiefst misstrauisch gegenüber einer geballten zentralistischen Macht. Unsere Demokratie lebt nicht von einer Zentralmacht, sie lebt vom Einzelnen, von der Bürgerin und vom Bürger. Aus diesem Grund stehen die politische Einbindung in ein Bündnis oder ein Beitritt zur EU in einem krassen Gegensatz zu unserem Staatsverständnis. Sie dürfen deshalb nicht auf unserer politischen Agenda stehen. Eine Unterordnung unter die Brüsseler Bürokratie würde schlicht und ergreifend die Preisgabe unserer direkten Demokratie und unseres föderalen Systems zur Folge haben. Wollen wir das wirklich? Wilhelm Tell müsste wohl oder übel wieder zur Armbrust greifen und es bräuchte wieder tapfere Männer wie Arnold von Melchtal, Werner Stauffacher und Walter Fürst, um uns zur Besinnung zu rufen. 
 
Schweizerische Identität!
Die Schweiz ist ein wunderschönes Land mit einer hohen Lebensqualität. Es lohnt sich, sich für dieses Land zu engagieren. Als Schweizer sind wir weder besser noch schlechter als andere. Aber in vielen Bereichen sind wir eben ein wenig anders. Dabei erinnere ich gern an wichtige schweizerische Eigenheiten, auf die wir stolz sein dürfen und zu denen wir unbedingt Sorge tragen sollten:
 
- die Direkte Demokratie und unsere Volksrechte
- der Schutz von Minderheiten und unsere Integrationskraft
- die kulturelle und sprachliche Vielfalt
- der soziale Frieden
- die humanitäre Tradition
- unsere Leistungsbereitschaft
- das Qualitätsbewusstsein (Made in Switzerland)
- der hohe Ausbildungsstand und die Forschungsqualität
- ein offenes Gesellschafts- und Wirtschaftssystem
 
Auf solchen Werten muss unser Selbstbewusstsein gründen und in diesem Sinne ist es weder anrüchig noch «verkehrt», Patriot zu sein. Ich habe auch keine Hemmung zu sagen: Ich liebe meine Heimat. Damit ist nicht etwas Abstraktes gemeint. Im Gegenteil: Dabei geht es mir konkret um die Menschen, ihre Eigenarten, die Natur und Landschaft, unsere unterschiedlichen Kulturen und Dialekte oder unsere Form des Zusammenlebens.
 
Patriotismus oder Vaterlandsliebe dürfen aber nicht mit einem dumpfen Nationalismus verwechselt werden. Jene, welche das Schweizer Kreuz stolz auf ihrer Brust tragen, dabei aber das Gefühl haben und leider auch gewaltsam vermitteln, sie seien deshalb etwas Besseres, sind auf dem Holzweg. Echte Patrioten sind stolz auf ihr Land und engagieren sich für das Gemeinwohl, aber sie verprügeln sicher nicht Andersdenkende oder Menschen mit einer anderen Hautfarbe.
 
Wenn Ihr Einsatz, liebe Swisscoy-Soldaten, dazu beiträgt, dass solche Werte vermittelt werden können und ein Nährboden für eine echte demokratische Entwicklung geschaffen wird, hat dieser Auslandseinsatz etwas Positives bewirkt. Doch Demokratie und vernünftige politische Strukturen sind nicht einfach ein beliebiger Exportartikel. Sie basieren in der Regel auf einem langwierigen Entwicklungsprozess. Demokratie kann nicht einfach verordnet werden, sie muss gelebt werden und verinnerlicht sein. Als gegenwärtiger Präsident der OSZE-Delegation unseres Parlamentes weiss ich, wovon ich spreche. Anlässlich verschiedener Wahlbeobachtungen in den vormaligen Sowjetrepubliken konnte ich hautnah feststellen, wie mühsam und langwierig die Entwicklung zu neuen Demokratien sein kann. Ich nenne nur das Beispiel der Ukraine. Bei allen Schwierigkeiten ist es ein nötiger und erstrebenswerter Prozess, der hoffentlich auch bald im Kosovo Früchte trägt.
 
Auch unser Land erlebte Krisen und schwierige Phasen in seiner Geschichte. Doch diese können auch heilsam sein. Wie viele Stürme und Brüche, wie viele Spannungen und Zerreissproben hat unser Land erlebt und überstanden: z.B. nach der Niederlage von Marignano 1515, nach der Spaltung des Christentums in zwei Konfessionen und den daraus folgenden Kriegen, nach dem Untergang der Alten Eidgenossenschaft 1798 und dem anschliessenden Einmarsch der napoleonischen Truppen, nach dem Sonderbundskrieg 1847 oder nach dem Generalstreik von 1918. Wenn es darauf angekommen ist, haben wir uns immer wieder zusammengerauft, Einigkeit bewiesen und mutig gehandelt.
 
Dass wir ein natürliches, ja nüchtern-unverkrampftes Verhältnis zu unserem Land haben, zeigt sich auch daran, dass wir unseren Nationalfeiertag weder mit Massenaufmärschen noch mit einer grandiosen Militärparade oder mit einem schon peinlich anmutenden Pathos begehen. Vielmehr entspricht es unserer schweizerischen Eigenart, dass wir den 1. August eher familiär, bei Wurst und Brot, mit Höhenfeuern und im Rahmen eines gesellig-gemütlichen Beisammenseins feiern. Das ist gut so, das soll auch in Zukunft so sein. Diese Bescheidenheit muss natürlich nicht unbedingt soweit gehen, dass die Organisation des Nationalfeiertages schlicht vergessen geht, wie dies in der Gemeinde Trüllikon im Zürcher Weinland vor zwei Jahren offenbar geschehen ist!
 
Wir haben gute Gründe, auf unser Land stolz zu sein. Die Schweiz steht nach wie vor für eine beispielhafte Erfolgsgeschichte. Wir sind immer noch eines der sichersten, reichsten, stabilsten und demokratischsten Länder dieser Welt. Und damit dies so bleibt, dürfen wir unser Schicksal nicht einfach der sogenannten classe politique überlassen, die manchmal dazu neigt, in Bern ein Eigenleben zu führen. Der Staat, in unserem Falle die Gemeinde oder der Kanton, ist kein anonymes Gebilde. Vor allem dürfen wir ihn nicht zu einer Sonder-Veranstaltung von ein paar Beamten und Politikern degradieren. Wir alle zusammen bilden den Staat und sollten ihn mit Leben erfüllen. Auf ihn zu fluchen - zum Beispiel am Stammtisch - mag zwar befreiend sein, aber letztlich treffen wir uns nur selber damit. Die berühmte Faust im Sack nützt niemandem.
 
Der Dialog zwischen Bürgern und Politikern muss deshalb laufend stattfinden, sicher nicht nur im Vorfeld von Wahlen und Abstimmungen. Aus meiner bisherigen politischen Arbeit weiss ich, dass wir die tatsächlichen Sorgen und Nöte der Menschen nicht im Nationalrat, in Kommissionssitzungen oder in Parteivorständen erfahren, sondern draussen an den Stammtischen, in den Betrieben, auf der Strasse, in den Dorfvereinen und natürlich in den Familien. Als Politiker müssen wir uns immer vor Augen halten: Der Mensch und nicht der Staat als solcher steht im Zentrum unseres Handelns.
 
Lassen Sie mich an dieser Stelle ein persönliches Beispiel einschieben. Als ehemaliger Milizoffizier, ich war Hauptmann der Flab, und als aktives Mitglied der sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates kenne ich natürlich auch die aktuellen Sorgen und Nöte des Berufsmilitärs. Nicht nur aus der Sicht von politischen und militärischen Gremien, fernab vom Schuss; sondern aufgrund vieler direkter Gespräche und Kontakte mit aktiven Berufssoldaten. Zum Beispiel mit dem anwesenden Oberstleutnant Daniel Jurt, der im Normalfall 100 m von meinem Büro entfernt auf dem Waffenplatz Liestal Dienst tut.
 
Wohlgemerkt: Politik respektive Politiker können nicht alle Probleme lösen. Sie können und sollen bessere Rahmenbedingungen schaffen. Nachhaltige Veränderungen und Verbesserungen müssen Gesellschaft und Wirtschaft, also wir alle, selber und gemeinsam bewirken. Nicht nur die Politiker sollten hie und da selbstkritisch über die Bücher gehen. Auch die Bürgerinnen und Bürger sollten ab und zu in den Spiegel schauen und sich fragen, was tue ich für unsere Gemeinschaft, für das Land, den Kanton oder die Gemeinde. Natürlich ist es viel leichter zu fragen, was tut der Staat für mich.
 
In meiner langjährigen politischen Tätigkeit in der Gemeinde, im Kanton und Bund habe ich sehr oft erlebt, dass man als Volksvertreter mit Ansprüchen, Erwartungen und Forderungen geradezu bombardiert wird. Nicht immer sind wir ein «einzig Volk von Brüdern». Nicht selten feiern zu viele Eigeninteressen Urstände. Oft wird einfach nur Kirchturmpolitik betrieben und man ist selten bereit, über die eigene Nasenspitze hinaus zu denken. Wir kennen das aus den Gemeinden: Man geht dann an die Gemeindeversammlung, wenn es um die eigene Strasse oder das eigene Quartier geht. Alles andere interessiert einem in der Regel nicht. Auch in dieser - eher negativen - Beziehung, können wir uns alle an der Nase nehmen, Politiker und Bürger. Nach dem Motto: Wir wissen nur noch was wir wollen und nicht mehr was wir sollen!
 
Ohne Zweifel: Wir haben eine gut funktionierende Demokratie, wir haben sozialen Frieden und ein soziales Netz mit recht engen Maschen. Andererseits steht unser Land und unsere Gesellschaft auch vor der Lösung ernster Probleme: Unser Staat hat in den letzten Jahrzehnten zuviel Fett angesetzt, er muss sich dringend entschlacken, wir müssen sparen. Die Wirtschaft wächst zu langsam. Unsere Gesellschaft wird immer älter und unsere Altersvorsorge muss auf eine neue, auch in Zukunft finanzierbare Basis gestellt werden. Unser Bildungssystem darf sich nicht selbst genügen. Es muss sich der wirtschaftlichen Entwicklung anpassen, wir brauchen nicht nur Akademiker, sondern vor allem gut ausgebildete Berufsleute und Fachkräfte. Auch in unserem Land sind deshalb Veränderungen notwendig. Stillstand bedeutet bekanntlich Rückschritt. Veränderungen dürfen nicht Selbstzweck sein. Was gut ist, gilt es zu bewahren. Der Staat muss sich wieder auf seine Kernaufgaben besinnen. Das bedeutet, dass auch jeder Einzelne bereit sein muss, auf gewisse Annehmlichkeiten zu verzichten. Ich weiss, Sparen tut weh und ist kein leichtes Unterfangen. Ich bin aber überzeugt, dass ein schlankerer Staat auch ein gesünderer Staat sein wird. Und nur ein finanziell gesunder Staat kann auf Dauer auch ein sozialer und handlungsfähiger Staat sein.
 
Immer mehr Aufgaben und Verantwortung werden an den Staat delegiert. Dies ist der falsche Weg. Er führt letztlich in die bürokratische Sackgasse. Wir müssen uns gegen die Tendenz wehren, dass bei jedem öffentlich diskutierten Problem der Ruf nach einem neuen Gesetz erschallt. Dies führt dazu, dass immer mehr Lebensbereiche reglementiert werden. Die schleichende Entmündigung des Bürgers ist voll im Gang. Die Gesetzessammlung des Bundes nimmt jedes Jahr um einige Tausend Seiten zu. Die Einzigen, welche Freude an dieser Entwicklung haben, sind die Juristen und die Beamten. Treffender als Bundesrat Willy Ritschard könnte ich es nicht formulieren: «Unser Land stirbt einmal daran, dass die Juristen leben wollen.» Es braucht in unserem Land wieder vermehrt die Bereitschaft zur Eigenverantwortung und zur Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft. Den wahren Staatsbürger zeichnen nicht nur Loyalität, Rechtsgehorsam und friedliches Miteinander aus, sondern vor allem Mündigkeit, Urteilskraft und freie Mitwirkung. Wir sitzen alle in einem Boot. Sie und ich können Verantwortung für das Wohl des Landes, des Kantons oder der Gemeinde übernehmen, jeder kann Vorbild sein: die Krankenschwester, die Lehrerin, der Jugendtrainer im Fussballverein, die Journalistin, der Unternehmer, der Arbeiter und sogar der Politiker.
 
Apropos Veränderungen: Am heutigen 1. August feiert unser Land nicht nur seinen Nationalfeiertag. Am heutigen Tag vor einem Jahr trat in der deutschen Sprachregion die neue Rechtschreibreform in Kraft. Im Gegensatz zu unseren deutschen und österreichischen Nachbarn trifft uns diese Reform nicht so hart, weil in unserem Land seit jeher auch sprachlich gewisse Unterschiede bestehen. Insofern gilt hierzulande immer noch der Coiffeur und wir werden auch fortan auf den Frisör mit ö verzichten. Andererseits haben wir uns an die Schifffahrt mit drei ‚f’ rasch gewöhnt und damit zum wiederholten Male die schon sprichwörtliche Anpassungsfähigkeit des Schweizers unter Beweis gestellt. Und gerade diese Flexibilität und Souveränität ist eine der grossen Stärken unseres Landes - und zwar in allen Belangen.
 
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen von Herzen einen schönen 1. August und alles Gute in der Zukunft. Mit diesen guten Wünschen verbinde ich nochmals den herzlichsten Dank unseres Landes für Ihren Einsatz. Lang lebe ein hoffentlich bald friedlicher Kosovo, lang lebe Österreich und lange lebe unsere schöne Schweiz.
 
In that sense I wish you all an unforgettable first of August and just the best for your future. Along with these wishes, I'd like to thank you again in the name of our country for your commitment. Long live a hopefully soon peaceful Kosovo, long live Austria and long live our beautiful Switzerland.
 
Dans ce sens je vous souhaite un excellent premier août et un avenir plein de bonheur. A ces voeux j'aimerais ajouter les remerciements de tout le pays pour votre engagement.
Vive le Kosovo qui connaîtra bientôt la paix, vive l'Autriche et vive notre belle Suisse!
 
In questo senso vi auguro un fantastico primo agosto e un futuro molto felice. Nel nome di tutto il paese vi ringrazio ancora del vostro impegno. Viva il Kosovo presto pacifico, viva l'Austriaca e viva la bella Svizzera.