Das nachfolgende Interview nimmt zu den nordkoreanischen Atomtests Stellung; »Das ist ein Widerspruch in sich«

Kein einziger Atomwaffenstaat hat bisher mit Tests im Ein-Kilotonnen-Bereich begonnen. Ein Gespräch mit Manfred Henger

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, daß es sich bei der Explosion in Nordkorea tatsächlich um einen Atomtest gehandelt hat?
Mit seismischen Verfahren können wir das in diesen Entfernungsbereichen nicht entscheiden. Auch eine konventionelle Explosion in der gemessenen Stärke wäre möglich. Man muß sehr nahe am »Ground Zero« sein, um festzustellen, ob die Flanke der gemessenen Schockwelle wie bei Kernexplosionen sehr steil ist. Chemische Sprengstoffe haben eine geringere Explosionsgeschwindigkeit.
 
Reicht die ermittelte Ladungsstärke für eine Nuklearexplosion überhaupt aus?
Die aufgezeichneten Wellen entsprechen einer Sprengkraft von einer halben bis zu zwei Kilotonnen TNT. Normalerweise nimmt man Ladungen in dieser Größe als Zünder für Wasserstoffbomben. Ich bin kein Militärexperte, aber Atombomben dieser Größe machen keinen allzu großen Sinn. Denn schon mit chemischen Explosivstoffen kommt man in die Nähe dieser Sprengwirkung. Technischer Aufwand und Kosten bei Nuklearwaffen sind aber sicher wesentlich höher. Dazu kommen Risiken wie ein möglicher radioaktiver Fallout.
 
Wie kann man zu einer sicheren Beurteilung gelangen?
Das einzige eindeutige Kriterium sind Radiologiemessungen. Wenn radioaktive Partikel in die Atmosphäre gelangen, läßt sich das feststellen. Bei den sehr empfindlichen Meßmethoden genügen dafür bereits geringste Mengen. Möglicherweise lassen sich in einigen Monaten radioaktive Zerfallsstoffe finden.
 
Gab es jemals unterirdische Atomtests, ohne daß Strahlung frei wurde?
Das kann ich nicht sagen. Die Verfahren und eine weltweite Verteilung von Meßstationen gibt es erst seit dem Kernwaffenteststoppvertrag. Ab 1997 wurde mit dem Aufbau dieses Systems begonnen.
 
Die Schätzungen zur Größe der Bombe schwanken stark. Das russische Verteidigungsministerium nennt fünf bis 15 Kilotonnen TNT.
15 Kilotonnen kann ich definitiv ausschließen. Die Nordkoreaner sollen vorher Russen und Chinesen informiert haben. Sollten sie vorgehabt haben, eine Bombe von 15 Kilotonnen zu zünden, dann haben wir einen Fehlschlag beobachtet. Um deren Effekt auf den einer Ein-Kilotonnen-Bombe zu reduzieren, hätte sie für die Entkopplung der Sprengwirkung in einem riesigen Hohlraum gezündet werden müssen. Nordkorea wollte doch aber nachweisen, daß es ein Atomwaffenstaat ist. Weshalb sollten sie dann die Wirkung sozusagen verstecken? Das ist ein Widerspruch in sich. Alle anderen Kernwaffenstaaten haben in der Vergangenheit ihre Testprogramme mit zehn oder mehr Kilotonnen angefahren. Kein einziger Staat hat im Ein-Kilotonnen-Bereich begonnen.
 
Das Interview führte Peter Steiniger
Manfred Henger ist Leiter der Seismologie an der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover. Die BGR wirkt als nationales Datenzentrum an der Überwachung des Kernwaffenteststoppabkommens mit und berät die Bundesregierung.
 
Quelle: http://www.jungewelt.de/2006/10-11/059.php