Regelmässig falsch dargestellte Zusammenhänge - Osthilfe-Gesetz und Ostmilliarden

Im Osthilfe-Gesetz, über das am 26. November abgestimmt wird, ist kein Betrag genannt, der aufgrund dieses Gesetzes in den EU-Osten überwiesen werden soll. Trotzdem geistert die sogenannte Ostmilliarde durch alle Diskussionen. Welches ist der genaue Zusammenhang? Osthilfe-Gesetz und Ostmilliarde sind zwei verschiedene, aber eng miteinander verzahnte Geschäfte.

Osthilfe-Gesetz
Im Osthilfe-Gesetz verlangt der Bundesrat vom Souverän eine General-Ermächtigung, also einen Blankoscheck für Zahlungen der Landesregierung in unbegrenzter Höhe in den EU-Osten innerhalb der nächsten zehn Jahre. Der Souverän, also Volk und Steuerzahler, hätten - würde das Osthilfe-Gesetz am 26. November gutgeheissen - zu konkreten Zahlungen und Beträgen in den kommenden zehn Jahren (und bei Verlängerung des Gesetzes auch darüber hinaus) nichts mehr zu sagen. Der Bundesrat könnte frei vom Souverän schalten und walten. Lediglich das Parlament, das in der Parlamentsdebatte zum Osthilfe-Gesetz jede gesetzliche Begrenzung eines Zahlungsbetrages ausdrücklich abgelehnt hat, könnte bei der Gewährung von Rahmenkrediten (für Kredite zu Einzelprojekten ist auch das Parlament nicht mehr mitbestimmungsberechtigt) sowie bei der alljährlichen Budgetberatung noch eine beschränkte Einflussmöglichkeit geltend machen.
 
Ostmilliarde
Die sogenannte Ostmilliarde wurde der Europäischen Union vom Bundesrat am 12. Mai 2004 versprochen. Die gemäss geltendem Parlamentsgesetz für Verhandlungsmandate mit der EU obligatorische Konsultation der aussenpolitischen Kommissionen beider Räte wurde übergangen. Dafür unterzeichnete Bundesrätin Calmy-Rey später ein «Memorandum of understanding», in dem das Zahlungsversprechen von einer Milliarde verbindlich bestätigt wurde. Die Bundesrätin gab dazu ihre Unterschrift, bevor das Parlament die Beratung über das Osthilfe-Gesetz, also über die gesetzliche Grundlage für Zahlungen in den EU-Osten, überhaupt aufgenommen hatte. Das Referendumsrecht des Volkes wurde vollends übergangen. Eine unglaubliche, ganz und gar unübliche, ausgeprägt arrogante Vorgehensweise, die jeglichen Respekt der Bundesrätin vor den verfassungsmässig festgelegten demokratischen Regeln in der Schweiz vermissen liessen. Gefallsucht gegenüber Brüssel erhielt bei Bundesrätin Calmy-Rey Priorität gegenüber den in der Bundesverfassung dem Parlament und dem Souverän garantierten demokratischen Rechten.
 
Unterschiedliche Geltungsdauern?
Pikant ist: Während das Osthilfe-Gesetz eine Geltungsdauer von zehn Jahren hat, nennt das «Memorandum of understandig» als Zahlungsfrist für die versprochene Milliarde fünf Jahre. in Tranchen von je 200 Millionen Franken. Gegenüber dem Schweizer Souverän beteuert der Bundesrat im laufenden Abstimmungskampf dagegen täglich, die durch das Zahlungsversprechen ausgelösten Zahlungen würden faktisch einen Zeitraum von zehn Jahren abdecken. Weil, wenn ein Projekt beschlossen werde, jeweils nicht gleich zu Beginn der volle Betrag dafür zu entrichten sei.
 
Erlauben der EU Nachforderungen
Diese bundesrätliche Darstellung mag zutreffen. Aber eine andere, dem Volk sorgfältigst verschwiegene Tatsache ist ebenfalls von grosser Tragweite: Sind die fünf im «Memorandum of understanding» für die Zahlung der Ostmilliarde vorgesehenen Jahre abgelaufen, dann wird von der EU-Kommission mit Sicherheit die Forderung nach Fortsetzung der seit fünf Jahren laufenden Zahlungen präsentiert werden, ungeachtet der Möglichkeit, dass zum Zeitpunkt der Brüsseler Nachforderung noch nicht die ganze erste Ostmilliarde ausbezahlt sein dürfte.
 
Die EU wird diese Nachforderung auch nicht «einfach so» deponieren. Auch in fünf Jahren werden in irgendwelchen Bereichen (z.B. Elektrizitätsmarkt, bezüglich Forschungsprogrammen, Verkehrsfragen, Schengen-Erweiterung usw.) Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU im Gange sein. Unversehens, von Brüssel aber sorgfältig berechnet, wird dann plötzlich Harz in den Verhandlungsprozess einfliessen. Die Verhandlungen werden sich verzögern, Verschleppung droht. In der Schweiz wird sich Ungeduld breit machen, woraufhin dann seitens der EU den ob des stockenden Verhandlungsprozesses leidenden Schweizern plötzlich eine Offerte der besonderen Art vorgelegt werden dürfte: Mit etwas «Schmiermittel» in Form von Milliardenzahlungen könnte, wie bereits bei den Bilateralen II, der Verhandlungsprozess rasch wieder in Fahrt gebracht werden. Und alsbald werden Exponenten der hiesigen Classe politique durch die Lande ziehen, lauthals lamentierend, dass der «bilaterale Prozess» gefährdet sei, wenn von der Schweiz nicht weitere Milliarden in den Osten flössen. Sie würden diese Zahlungen als «Investitionen» etikettieren, auch wenn es sich um nichts anderes als erpresste Tributzahlungen handelt.
 
Souverän ausgeschlossen
Das Begehren, als «Verhandlungs-Schmiermittel» weitere Milliarden via Brüssel in den EU-Osten fliessen zu lassen, wird im Parlament um so offenere Ohren finden, weil die Stimmbürger zu erneuten Milliardenzahlungen in den EU-Osten rein nichts mehr zu sagen hätten. Die Nachfolge-Zahlung würde gesetzeskonform aufs Osthilfe-Gesetz abgestützt, das den Souverän, sofern er dieses Gesetz am 26. November 2006 genehmigen sollte, für mindestens zehn Jahre von jeder Referendumsmöglichkeit ausschliessen würde. Die von der EU geforderten Anschluss-Milliarden würden fliessen, ohne dass die Steuerzahler auch nur noch ein einziges Wort dazu zu sagen hätten.
 
Das ist der von Landesregierung und Befürwortern sorgfältigst verschwiegene Zusammenhang zwischen Osthilfe-Gesetz und Ostmilliarde.
 
Ulrich Schlüer