Kriegsverbrechen

München/Teheran/Kabul (Eigener Bericht) - Vor dem Hintergrund eskalierender Spannungen am Persischen Golf und von schweren Protesten begleitet beginnt am morgigen Freitag die 43. Münchner Sicherheitskonferenz. Sie gilt als zentraler Ort globaler Kriegs- und Rüstungsplanungen und wird in diesem Jahr auf die Debatte um einen möglichen Überfall auf den Iran konzentriert. Der Sekretär des Teheraner Sicherheitsrats, Ali Laridschani, halte sich am Rande der Tagung zu einem persönlichen Treffen mit der deutschen Kanzlerin bereit, heißt es in Berlin. Zu Abstimmungen für den Fall eines weiteren Krieges im Mittleren Osten hat Bundeskanzlerin Merkel gerade mehrere arabische Staaten besucht, die vor wenigen Wochen erklärt hatten, die US-Kriegsstrategie im Irak unterstützen zu wollen. In Vorbereitung auf die Konferenz beschloss das Bundeskabinett am gestrigen Mittwoch, deutsche Aufklärungsflugzeuge in das afghanische Kriegsgebiet zu entsenden. Soldaten der Luftwaffe werden sich dort im Rahmen der westlichen Aufstandsbekämpfung an der militärischen Zielerfassung beteiligen und mutmaßlich in Kriegsverbrechen verwickelt werden, urteilen Kritiker. An der Planung des Einsatzes sind deutsche Militärs seit Monaten beteiligt.

Friedensmedaille
Für die diesjährige Münchner Sicherheitskonferenz, die am morgigen Freitag eröffnet wird und bis Sonntag dauert, sind neben Managern der Rüstungsindustrie Spitzenpolitiker zahlreicher Staaten angekündigt, darunter die deutsche Kanzlerin, der russische Staatspräsident und der US-Verteidigungsminister. Neben mehreren nah- und mittelöstlichen Kriegs- und Krisengebieten stehen globale Militäreinsätze der NATO auf der Tagesordnung. Zudem wird eine sogenannte Friedensmedaille vergeben, die dem Spanier Javier Solana zugedacht ist. Solana war von 1995 bis 1999 NATO-Generalsekretär; er erteilte am 24. März 1999 den rechtswidrigen Befehl zum Überfall auf Jugoslawien. Nach der Bombardierung des südosteuropäischen Landes, bei der Tausende ihr Leben ließen, erhielt Solana den Posten des Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Seitdem begleitet er die Militarisierung der europäischen Außenpolitik, die im vergangenen Jahr mit dem Kongo-Einsatz einen neuen Höhepunkt erreicht hat.
 
Kriegsdebatten
Große Bedeutung wird in München weiteren Absprachen über einen möglichen Überfall auf den Iran beigemessen. Neben dem US-Verteidigungsminister, der kürzlich eine Verlegung weiterer Kampftruppen in den Persischen Golf befohlen hat, wird auch der Staatspräsident Russlands anwesend sein. Moskau hat angekündigt, Teheran weiterhin Defensivwaffen liefern zu wollen. Ali Laridschani, der Sekretär des iranischen Sicherheitsrats, wird sich zu Gesprächen mit Angela Merkel bereithalten, verlautet aus dem Bundeskanzleramt. Der Iran bereitet sich in diesen Tagen mit einem Militärmanöver auf die westliche Option eines Überfalls und den möglichen Einsatz von Atomwaffen vor. Teheran zieht eine Blockade der Einfahrt zum Persischen Golf (Straße von Hormuz) in Betracht, sollten die bereits existierenden Angriffspläne verwirklicht werden. Fast ein Drittel der globalen Erdöltransporte durchqueren die Straße von Hormuz. Bundeskanzlerin Merkel hat in den vergangenen Tagen mehrere arabische Staaten bereist [1], die im Januar unter Druck aus der USA erklärt haben, die Kriegsstrategie Washingtons im Irak zu unterstützen [2].
 
Erpressung
Vor dem Hintergrund der Kriegsplanungen kommt der Münchner Konferenz eine ähnliche Bedeutung zu wie dem Treffen von Rambouillet im Vorfeld des Überfalls auf die Bundesrepublik Jugoslawien (1999). Damals war das zur Eroberung freigegebene Land im Schloss von Rambouillet vor die Alternative gestellt worden, entweder zu kapitulieren oder bombardiert zu werden. Bei der Verschleierung dieser Alternativen, die weder dem deutschen Parlament noch der internationalen Öffentlichkeit zugemutet werden sollten, spielte das Auswärtige Amt eine bestimmende Rolle. Die völkerrechtswidrige Erpressung und Nötigung einer souveränen Regierung wurde als friedenserhaltende Einwirkung ausgegeben. Ähnliche Darstellungen sind in München zu erwarten, wo der Beauftragte des Teheraner Sicherheitsrates eine weitere Gelegenheit sucht, den Überfall auf sein Land doch noch abzuwenden.
 
Kriegsbeteiligung
Anders als vor dem Angriff auf Belgrad ist die deutsche Haltung zu einem möglichen Überfall auf den Iran ambivalent. Erst kürzlich haben Berliner Regierungsberater einen Schwenk zu Positionen vollzogen, die als kompatibel mit US-Kriegsplanungen gelten. [3] Jedoch wenden sich deutsche Wirtschaftskreise nach wie vor gegen eine Verschärfung der Gewaltdrohungen. Würden die am 23. Dezember beschlossenen UN-Sanktionen unmittelbar umgesetzt, drohten ‚Wettbewerbsnachteile(...) für die Bundesrepublik’, heißt es beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer. [4] In Kreisen der deutschen Energiekonzerne gelten vor allem die Erdgasvorräte Irans als attraktiv. Berlin will seine Abhängigkeit von russischen Erdgasimporten reduzieren und sucht derzeit nach neuen Lieferanten. Es wird erwartet, dass die deutsche Außenpolitik den Vorbehalten der konkurrenzbedachten Wirtschaftskreise folgt, solange die Angriffsentscheidung des Weißen Hauses aussteht. Für diesen Fall ist mit sämtlichen Maßnahmen zu rechnen, die bereits im Jugoslawien-Krieg zu einer direkten Kriegsbeteiligung führten.
 
Flug nach Den Haag
In Vorbereitung auf die Münchner Sicherheitskonferenz hat das Bundeskabinett am 7.2.07  beschlossen, Maschinen der deutschen Luftwaffe mit Zielortungseinrichtungen in das afghanische Kriegsgebiet zu entsenden. Die Entscheidung, die der Forderung Washingtons nach stärkerer deutscher Beteiligung an unmittelbaren Kampfhandlungen in den mittelöstlichen Kriegsgebieten Rechnung trägt, führt zu ernsthafter Unruhe in den Regierungsfraktionen. Wie der CDU-Bundestagsabgeordnete Willy Wimmer urteilt, wird es infolge des Einsatzes unvermeidlich zu schweren Verstößen gegen das internationale Recht kommen. Man könne in Afghanistan oft nicht unterscheiden, ob man einen feindlichen Kombattanten vor sich habe »oder einen Stammesangehörigen, der traditionsgemäß mit seiner Kalaschnikow herumläuft«, berichtet Wimmer, der gerade von einer Reise in das zentralasiatische Land zurückgekehrt ist. [5] »Unterschiedslose Kriegsführung« aber »ist ein eklatanter Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht.« Der CDU-Abgeordnete, selbst ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium und mit der Materie bestens vertraut, warnt: »Die deutschen Piloten, die mit diesen Flugzeugen die Dörfer ausfindig machen, die anschließend von den Amerikanern zerstört werden, sind damit auf dem direkten Flug nach Den Haag«, dem Sitz des Internationalen Strafgerichtshofs. [6]
 
Nicht überrascht
An der Vorbereitung des Zielortungs-Einsatzes sind deutsche Militärs seit Monaten beteiligt. Wie Experten berichten, folgt die am 13. Dezember in Berlin eingetroffene offizielle Bitte der NATO um Maschinen der deutschen Luftwaffe einem langwierigen institutionellen Vorlauf. Die konkrete Einsatzplanung findet im ISAF-Hauptquartier in Kabul statt; dort sind mehr als 100 deutsche Soldaten tätig. Ausrüstungsforderungen aus Kabul durchlaufen eine streng regulierte Befehlskette und werden zunächst an das Allied Joint Force Command in Brunssum (Niederlande) weitergegeben, das von dem deutschen Vier-Sterne-General Gerhard Back geleitet wird. Danach gehen die Wünsche der in Afghanistan stationierten Militärs weiter in das NATO-Hauptquartier in Mons (Belgien). Der dortige NATO-Oberbefehlshaber hat mit General Rainer Schuwirth einen Deutschen zu seinem Stabschef ernannt. »Zumindest das Verteidigungsministerium dürfte von der offiziellen NATO-Anfrage am 13. Dezember also nicht überrascht gewesen sein«, heißt es lakonisch im Norddeutschen Rundfunk. [7]
 
Proteste
Der bevorstehende Kampfeinsatz in Afghanistan, den die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD als ‚notwendig’ darstellen, reiht sich in eine Abfolge fortwährender Angriffe auf das internationale Kriegsvölkerrecht ein. Der vorsätzliche Bruch von Rechtsgrundsätzen führt in den Reihen der Afghanistan-Truppen der Bundeswehr zu Irritationen und Widerstand. So hatte sich Ende 2004 ein Angehöriger des in Feysabad stationierten Sanitätsdienstes der Bundeswehr beschwert, weil er trotz seiner Funktionen Wachdienst mit Kriegswaffen leisten musste - ein Verstoß gegen internationale Normen. [8] In den folgenden Monaten wurden weitere Fälle bekannt; es kam zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen protestierendem Sanitätspersonal und der Bundeswehrführung. [9] Dass deutsche Luftwaffenpiloten, die nach den Worten des CDU-Verteidigungsexperten Wimmer »direkt in die Kriegsverbrechen hinein« fliegen [10], ebenfalls protestieren könnten, erscheint nach den Erfahrungen des Jugoslawien-Krieges nicht ausgeschlossen. Mehrere der damaligen Bombenpiloten überstanden ihren Einsatz mit gesundheitlichen Folgen, die eine psychologische Betreuung notwendig machten - unter der Last von Verbrechen, deren erneute Vorbereitung offenkundig ist.
 
Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56737 08.02.2007
[1] Ägypten, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Kuwait. S. auch Boomdiktaturen
[2] Gemeinsam gegen Iran - Erklärung der USA und arabischer Staaten; Iran-Report Nr. 02/2007 von Bahman Nirumand
[3] s. dazu Neuformierung in Mittelost
[4] Deutsche Maschinenbauer kritisieren Unklarheiten bei Sanktion gegen Iran; Iran-Report Nr. 02/2007 von Bahman Nirumand
[5] "So werden Gegner von morgen gezüchtet"; die tageszeitung 06.02.2007
[6] Tornados in Startposition; Spiegel Online 26.01.2007
[7] Streitkräfte und Strategien; Norddeutscher Rundfunk 30.12.2006
[8] s. dazu Kein Krieg - kein Völkerrecht
[9] s. dazu Kein Krieg - kein Völkerrecht und Völkerrechtswidrig
[10] Tornados in Startposition; Spiegel Online 26.01.2007