Befreiter Bauer oder verkaufter Bauer? - von Diethelm Raff *

Die Bauern müssen von unsinnigen Vorschriften befreit werden. Das war die einzige Gemeinsamkeit von Hans Bieri, Geschäftsführer der Schweizerischen Vereinigung Industrie und Landwirtschaft (SVIL) und Dr. Hans Rentsch, Ökonom und Projektleiter Landwirtschaft der von der Grossindustrie finanzierten Lobbygruppe ?Avenir Suisse? an der Wintertagung der Neuen Bauernkoordination in Märstetten.

Für Hans Rentsch ist die Nahrungsmittelherstellung gleich zu betrachten wie die Industrieproduktion. Dementsprechend soll der Weltmarktpreis entscheiden, was in der Schweiz hergestellt wird. Darum soll innerhalb von 15 Jahren der Agrarschutz und das bäuerliche Boden- und Pachtrecht weitgehend abgeschafft werden. Die moderne Raumplanung mit ihrer Ausrichtung auf die Ökonomie der Grossstädte und deren Landverbrauch soll entscheiden, wofür der Boden in den verschiedenen Gebieten der Schweiz genutzt wird. Der einzelne Bauer kann in 15 Jahren noch existieren, wenn er einen speziellen Weg findet - trotz Weltmarktpreisen für Nahrungsmittel weit unter den Gestehungskosten. Das heisst Förderung des Strukturwandels, durch den es nicht mehr viele Bauern in der Schweiz geben wird. Die anwesenden Bauern und Konsumenten reagierten entsprechend eindeutig und heftig und charakterisierten die Pläne der ‚Avenir Suisse’ als einen »teuflischen Plan« zur weitgehenden Abschaffung der bäuerlichen Landwirtschaft, der Ernährungssicherheit, der ländlichen schweizerischen Kultur und des bäuerlichen Standes als staatstragendem Teil der Kultur der direkten Demokratie.
 
Für Hans Bieri kann die Landwirtschaft als bodenabhängige Wirtschaft dem Produktivitätsfortschritt der Industrie grundsätzlich gar nicht folgen. Obwohl auch die Landwirtschaft sehr grosse Produktivitätsfortschritte erzielt hat, muss der Bauer ohne Schutz  unterbezahlt werden. Will man eine eigene Landwirtschaft, muss man sie anders als die Industrie betrachten. Wenn der Boden für die Bauern nicht geschützt wird, kann der Bauer gegenüber der gestiegenen Kaufkraft der Konsumenten nicht mithalten und verliert seine Produktionsgrundlage - spätestens bei der Hofübergabe. Hans Stalder, Präsident der Neuen Bauernkoordination, wies darauf hin, dass in Deutschland bald 50% der Milchviehbauern schriftlich einen Milchstreik wollen, durch den ein kostendeckender Preis erreicht werden soll. Selbst Viehalter mit tausend Kühen können nicht mehr rentabel wirtschaften. Die Behauptung, grössere Betriebe könnten bei noch tieferen Weltmarktpreisen überleben, sei deshalb falsch. Die Veranstaltung endete mit einem Spruch von Jeremias Gotthelf, von einem Bauern vorgetragen: »Seid Ihr verrückt. Was Ihr da tut, ist entweder boshaft oder dumm. So wie Ihr, sollte man nicht lügen.«
 
Zur Agrarpolitik Österreichs schrieb Interinfo Linz im Februar folgendes: »Nachdem die Bauern auf die Versprechungen des damaligen Landwirtschaftsministers Franz Fischler hereingefallen waren und dem österreichischen Beitritt zur EU zugestimmt hatten (damals waren 66.6 % für einen EU-Beitritt und die Bauern die ausschlaggebende Gruppe), kam in den Jahren danach das böse Erwachen. Für die Bauern waren die Ausgleichszahlungen eine derartige finanzielle Verlockung, dass man den damit verbundenen Begriff ‚degressiv’ entweder nicht verstand oder ignorierte. Die Bauern hatten sich kaufen lassen. Und nun stehen sie da, die Ausgleichszahlungen sind dank der Degression auf Null und die Erlöse für die landwirtschaftlichen Produkte konkurrieren mit den Weltmarktpreisen. Fischler hatte die Bauern aalglatt verschaukelt; die Bauernvertretungen (genau genammen die grössten Feinde der Bauern, da sie kaum deren Interessen vertreten) machten mit und Fischler bekam als Belohnung für seine ‚Aufklärungsarbeit’ den Posten des Agrarkommissars in der EU-Kommission. Sie erinnern sich noch? Österreich war damals das erste unter den neuen EU-Beitrittsländern, das eine Volksabstimmung durchführte und ein Nein wäre für die EU und die grossen Wirtschaftsunternehmen eine Katastrophe gewesen. Das Ja ließ sich die EU und die Wirtschaft etwas kosten. Natürlich wurde dann auch von der Regierung mit unseren Steuergeldern die ‚objektive’ ‚Pro-EU-Werbung’ unter dem Motto: »Gemeinsam statt einsam» finanziert. Nun sind aber die Bauern nicht nur eine Bevölkerungsgruppe, die sich als subventionsabhängige Agrarier mit Latzhose und Traktor vermehrt um die Landschaftspflege kümmern sollen, sondern ein entscheidender Berufszweig, der für die gesunde Ernährung der Bevölkerung und die Unabhängigkeit des Landes von ausländischen internationalen Nahrungsmittelkonzernen, von der WTO, dem  IWF und der Weltbank zuständig ist. Abhängigkeit ist das, womit man auch einen Staat gefügig machen kann - und da vor allem im Bereich der Versorgung mit Lebensmitteln. Der weitgehend von internationalen Konzernen (wie z.B. dem Gentechnikriesen Monsanto ) unabhängige Bauernstand ist dabei im Weg und wird globalen Interessen geopfert. Dabei spielen die eigenen Politiker, Volksvertreter genannt, mit vollem Wissen mit, anderenfalls müsste man ihnen ‚Unfähigkeit und Ahnungslosigkeit’ unterstellen. Vom Konsumenten kommt da keine Unterstützung. Die Masse kauft in den verblieben Grossmärkten und bei Handelsriesen und ist durch das Überangebot an Nahrungsmitteln von der Abhängigkeit und Erpressbarkeit des eigenen Landes gar nicht informiert. Die Folge: Eine katastrophale Entwicklung der heimischen Landwirtschaft. In den Jahren 1995 bis 2005 haben 47.392 Bauern aufgegeben und ihren Hof zugesperrt. Jeden Tag werden in Österreich 15 Höfe aufgegeben. Fachleute werfen dem neuen Landwirtschaftsminister Pröll ‚Schönfärberei' vor, denn ab dem Jahr 2007 wird auch die Förderquote für Bio-Bauern um 30 % gesenkt. Sie schlagen eine Entflechtung des EU-‚Förder-Wirrwarrs’ und die Schaffung eines Sockelförderungsbetrages vor. Das wäre eine direkte Förderung des biobäuerlichen Arbeitsplatzes und würde ein weiteres Abwandern aus den bäuerlichen Strukturen verlangsamen und gleichzeitig den österreichischen Arbeitsmarkt entlasten. Gleichzeitig müssten die Qualitäts- und Gütezeichen für den Verbraucher übersichtlicher und faire Produktionspreise für Bio-Betriebe bezahlt werden. Eine nachhaltige Biolandwirtschaft ist in Österreich aber auch nur dann möglich, wenn Österreich gentechnikfrei bleibt. Die Regierungserklärung enthielt bezüglich der Gentechnik allerdings ein Bekenntnis zur Wahlfreiheit. Ein Nebeneinander von Bio-Anbauflächen und Genpflanzen im Nachbarfeld ohne Kontamination  der Bioflächen ist aber eine Illusion. »Wir müssen in der Gentechnikfrage konsequent bleiben und die Gentechnik von der österreichischen Landwirtschaft fernhalten. Gentechnik ist nur für die Gentechnikkonzerne gut, für die Landwirtschaft und die Konsumenten stellt sie eine Riesengefahr dar. Jede chemische Verseuchung ist grossteils umkehrbar - eine gentechnische Verseuchung, ist sie einmal losgelassen, ist irreversiber«, so kritische Fachleute. Letztlich entscheiden die Konsumenten, ob sie Nahrungsmittel oder Lebensmittel kaufen. Rechtzeitige Information ist auch hier unumgänglich, will man nicht auf die Werbung von ausschliesslich macht- und profitorientierten Konzernen hereinfallen.«  Für niemanden, der sich mit dem Einfluss der Konzerne auf die EU-Gesetzgebung in Brüssel vertraut gemacht hat, stellt es eine Überraschung dar, dass Experten, wie sie oben genannt sind, kein Gehör finden.
 
Wie es in der Bundesrepublik Deutschland aussieht, zeigt der folgende Lagebericht:
Die deutsche Agrarwirtschaft läuft Gefahr, den Anschluss an einen Zukunftsmarkt zu verpassen. Schuld daran, so die Bauern, sei vor allem die Politik. Denn die biete den Landwirten kaum Anreize, von der konventionellen auf die kostenintensive ökologische Produktion umzusteigen. Im Gegenteil, viele Bundesländer haben sogar zwischen 2004 und 2006 die Fördersummen gestrichen. Geld, auf das die Bauern jedoch angewiesen sind.
Wie auch Michael Rubin. Jahrelang belieferte er eine Großmolkerei mit seiner herkömmlich produzierten Ziegenmilch. Als sein Abnehmer auf Bio umstellte, wollte Rubin mitziehen. Die Anträge dafür waren bereits gestellt, als das Land Brandburg sich plötzlich entschied, die so genannte Umstellungsprämie zu streichen. Der Traum vom Biomilch-Landwirt war damit erst mal geplatzt. »Wir haben die doppelten Futterkosten, wir dürfen bestimmte Reinigungsmittel nicht mehr nehmen, wir müssen alles umstellen. Und das kriegen wir alleine nicht finanziert. Das geht bei weitem nicht«, erklärt Rubin. Denn Biobauern, die ihren Betrieb mit hohen Investitionen umbauen, müssen zudem eine Übergangsfrist von bis zu drei Jahren mit strengen Auflagen überbrücken, bevor sie ihre Produkte auch als Ökolebensmittel verkaufen dürfen. Bis dahin produzieren sie zwar Öko, kassieren aber die niedrigen Preise für konventionelle Kost. So können sich die Bauern die Umstellung auf Bioproduktion trotz wachsender Nachfrage nicht leisten. Die deutsche Landwirtschaft entwickelt sich zunehmend gegen den Trend. Deutschland ist zwar der grösste Markt für Bio-Lebensmittel in Europa. Der Umsatz der Bio-Branche kletterte 2006 um 16 % auf immerhin 4,5 Milliarden €. Dagegen wachse jedoch die Anzahl der ökologisch bewirtschafteten Anbauflächen und die Zahl der Biolandwirte nur minimal, warnen Vertreter von Bio-Fachverbänden. Trotzdem kürzt die Bundesregierung ausgerechnet bei einheimischen Biobauern weiter: Rund 20 % weniger Geld werde sie in den nächsten Jahren für die ländliche Entwicklung zur Verfügung stellen, warnt Lutz Ribbe von der Umweltstiftung ‚Euronatur’. »Das sind über 200 Millionen € pro Jahr, die den Bauern fehlen, die zum Beispiel auf ökologischen Landbau gesetzt haben und auf Diversifizierung. Dieses bedeutet, dass der Boom beispielsweise, den wir auf den Biomärkten haben, in den Geschäften sehen, dass die Leute zu Biowaren greifen, an der deutschen Landwirtschaft vorbeigeht.« Die bleibe dann bei der industriellen Massenproduktion, die Arbeitsplätze vernichtet und die Umwelt kaputt macht, kritisiert Ribbe. Im Bundesministerium für Landwirtschaft begrüsst man zwar die positive Entwicklung des Biomarktes, fühlt sich für zusätzliche Fördermittel aber nicht zuständig: »In der Tat ist jetzt die Gunst der Stunde gut, von konventionellen Betrieben, die überlegen umzustellen, jetzt in die Ökobetriebe zu investieren und den Betrieb umzustellen«, so Staatssekretär Gerd Müller im Interview mit Frontal21. Der Ausbau der Bioproduktion liege jedoch in der Verantwortung der Länder, so Müller: »Der Bund gibt hier nur einen Rahmen vor. Die Bundesländer haben hier die Möglichkeit nach oben oder nach unten abzuweichen, und hier gibt es in der Tat Unterschiede zwischen den Bundesländern. « Vom Bio-Boom profitieren derweil ausländische Produzenten. So bezieht der deutsche Lebensmitteleinzelhandel zunehmend Gurken aus Polen, Salat aus Frankreich, Kartoffeln aus Ägypten und sogar Gemüse aus China. Georg Kaiser, Geschäftsführer der Lebensmittelkette Bio Company, bedauert diese Entwicklung: »Deutschland war das Bio-Pionierland - würde ich schon sagen - auch auf Handelsebene. Wir haben da gute Standards erreicht. Nur jetzt glaube ich, lassen wir uns diesen Trumpf so ein bisschen aus der Hand nehmen.« Offenbar werden hier kaum Überlegungen angestellt, ob der angebliche Bioanbau in China und Ägypten tatsächlich ein solcher ist. Wer könnte das schon nachprüfen! Bei der immensen Umweltverschmutzung in China stellt sich zusätzlich die Frage, ob die uns von dort erreichenden Produkte nicht auch noch schadstoffkontaminiert sind. Wieso also scheint hier niemand einzugreifen, um die Kürzungen rückgängig zu machen?
 
Quelle: Frontal / ZDF Nr. 21 vom 22. 2.. 07
 * Diethelm Raff ist Präsident des Vereins für Direkte Demokratie und Selbstversorgung, Lindenstr. 24,  8738 Uetliburg, Tel.: 079 822 77 86; www.direkte-demokratie.ch; siehe auch Höchst lesenswerte Worte zum 1. August - Die Direkte Demokratie und deren Gefährdungen heute - Einige Gedanken