Jüdische Graswurzel-Revolte weltweit

Die »Alliance of Concerned Jewish Canadians« 1 wehrt sich gegen die islamophobe Kriegs- und Besatzer-Lobby und beschreibt die weltweite jüdische Graswurzel-Revolte gegen die israelische Staats- und Regierungspolitik und gegen die Anti-Palästina-Lobby.

Es revoltieren die »Jews for Israeli-Palestinian Peace« in Schweden, die »Union Juive Française pour la paix / Rencontre Progressiste Juive« in Frankreich, die »Ebrei contro l?occupazione« in Italien, die »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost« in Deutschland, die »Union des Progressistes Juifs de Belgique« in Belgien, die »Jewish Voice for Peace, Brit Tzedek, Tikku« und die »Bronfman-Soros Initiative« in der USA, und andere in Südafrika, Österreich, der Schweiz und weiteren Ländern. Ebenfalls dazu gehören die Dachorganisation »European Jews for a Just Peace« und zahlreiche Gruppen in Israel. Hierzu eine Aussage von John V. Whitbeck, dem Anwalt und Kommentator internationaler Angelegenheiten: »Mit der Anerkennung des Existenzrechts Israels würden sich die Palästinenser damit einverstanden erklären, als Untermenschen behandelt zu werden.«

Dessen ungeachtet kann Israel ungebremst mit der Annexion palästinensischen Bodens fortfahren. Die Besatzer erhalten hierfür weiterhin Rückendeckung durch die USA und die Europäische Union. 2 Dies ist das zentrale Ergebnis des Besuches von US-Aussenministerin Condoleezza Rice im Nahen Osten. Sie war nach dem Dreiergipfel vom 19. 2. ohne Olmert und Abbas mit folgender Verlautbarung vor die Journalisten getreten: »Wir haben alle drei unser Bekenntnis zu einer Zwei-Staaten-Lösung beteuert; wir waren uns einig, dass sich ein palästinensischer Staat nicht auf Gewalt und Terror gründen kann und haben unsere Zustimmung zu bestehenden Verpflichtungen bekräftigt.« Fragen waren nicht zugelassen. Es war kein Wort über die Besatzungsrealität gefallen. Einem Bericht des Palästinensischen Zentrums für Menschenrechte (PCHR) zufolge sind seit Beginn der Militärinvasion in Gaza im Juni vergangenen Jahres 504 Palästinenser von israelischen Soldaten getötet und mindestens 1719 verletzt worden. Allein in der Woche vom 12. 2. wurden laut PCHR bei Übergriffen der israelischen Armee wieder 22 Palästinenser sowie ein israelischer Friedensaktivist verletzt. Man muss sich einmal vor Augen führen, dass Rice, Israels Schutzpatronin, schon vor dem Treffen verkündet hatte, der Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern »sei nicht etwas, von dem ich erwarte, dass es sehr schnell geht.« Wie tröstlich für die Palästinenser! Evelyn Hecht-Galinski bezeichnet Palästina als ein Riesenghetto beziehungsweise als ein Riesenfreiluftgefängnis. 3 Wir veröffentlichen nachstehend ein Interview mit ihr:
 
Frau Hecht-Galinski, überrascht Sie die Schärfe der Auseinandersetzung?
Die überrascht mich und überrascht mich nicht, weil vom Zentralrat bin ich nichts anderes gewöhnt. Er hat sich wieder mal als Sprachrohr der israelischen Regierung betätigt und hat sich an die israelische Botschaft herangehängt und bezeichnet Kritiker als Antisemiten, jüdische Kritiker als jüdische Antisemiten oder jüdische Selbsthasser oder Juden, die in der Identitätskrise stecken. Das bin ich gewöhnt, und ich bin auch keine Einzelmeinung mehr, wie das immer hingestellt wird vom Zentralrat. Ich bedauere es nur sehr, dass die, wie Sie schon vorher anmoderiert haben, dass die Bischöfe beziehungsweise Kardinal Lehmann schon wieder diese Äusserungen, diese sehr moderaten Äusserungen zum Teil zurückgenommen haben oder sich entschuldigt haben.
 
Moderat, finden Sie den Vergleich mit dem Warschauer Ghetto moderat?
Ich kann diese Vergleiche so nicht nachvollziehen, weil, wenn man morgens in Yad Vashem war, diese Ausrottung des europäischen Judentums gesehen hat, die leider nicht mehr rückgängig zu machen ist, und dann in die besetzten Gebiete fährt, dieses Elend sieht, diese Mauer, die sich durch palästinensische Gebiete zieht, diese unrechtmässige Besetzung, dann muss man von einem Riesenghetto beziehungsweise Riesenfreiluftgefängnis sprechen, das die israelische Regierung in den besetzten Gebieten einrichtet.
 
Aber muss es immer gleich der Vergleich mit dem Holocaust sein?
Es ist nicht der Vergleich mit dem Holocaust. Ghetto ist heute ein gebräuchlicher Begriff, das betrifft die Vorstädte, das betrifft amerikanische Ghettos, das ist ein normaler Begriff.
 
Was sagen Sie denn dazu, der Vergleich mit dem Holocaust war antisemitisch, demagogisch, so der Vorwurf zum Beispiel der israelischen Botschaft, auch des Zentralrates?
Ja, ich sagte ja schon, das ist die gängige Wortwahl, um Kritiker mundtot zu machen.
Könnte das nicht auch ein grober Klotz auf einem groben Keil sein?
Ich fand den groben Keil von den Bischöfen überhaupt nicht grob. Im Gegenteil: Ich fand ihn, wie gesagt, sehr moderat. Die Bischöfe haben endlich mal ein paar Worte ausgesprochen. Normalerweise hört man ja gar nichts mehr. Die deutsche Politik ist hinter den israelischen Medien verschwunden. Die deutsche mediale Berichterstattung zeigt das Elend auch nicht mehr genug, und deswegen muss ich sagen, bedauere ich es nochmal sehr, dass es jetzt schon wieder einen Rückzieher gegeben hat.
 
Der israelische Botschafter in Deutschland hat ja ausdrücklich gesagt, Kritik an Israel sei legitim, es käme auf die Wortwahl und die richtigen historischen Zusammenhänge an.
Ja, sicherlich. Das ist immer die gängige Meinung und sind die gängigen Aussprüche. Sobald aber Kritik geäussert wird, wird diese Kritik sofort mit Antisemitismusvorwürfen gleichgesetzt, und dadurch werden die Politiker auch mundtot gemacht. Sehen Sie, damals nach dem Streubombeneinsatz ist die Frau Wieczorek-Zeul angegriffen worden. Sie hören heute nichts mehr. Es ist alles verschwunden. Jedes kritische Wort wird sofort im Keim erstickt.
 
Ist das typisch aus Ihrer Sicht für Deutschland, oder gilt das auch für andere Länder?
Das gilt auch für andere Länder. Überall wo, ich muss es leider sagen, wie Tony Judt das auch schon festgestellt hat, die jüdisch-israelische Lobby mit ihren Netzwerken am Arbeiten ist, das zieht sich heute über die ganze Welt, und dank Amerika ist die Macht so gross geworden, dass wir als europäische Juden für einen gerechten Frieden zwar eine Minderheit sind, aber immer stärker werden in der ganzen Welt. Und ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich habe mir das Lebensmotto meines Vaters zu eigen gemacht: Ich habe Auschwitz nicht überlebt, um zu neuem Unrecht zu schweigen.
 
Ihr Vater, das muss man vielleicht noch mal erwähnen, war Heinz Galinski, der frühere Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland. Und wenn Sie von Ihrer Organisation «Europäische Juden für einen gerechten Frieden» sprechen, und Sie sagen schon, Sie sind in der Minderheit, wie fühlen Sie sich denn innerhalb der jüdischen Gemeinde in Deutschland?
Ich fühle mich in der Hinsicht nicht mehr dazugehörig zu der normalen Mehrheit, weil diese Mehrheit also absolut nur die israelische Politik unterstützt, und ich bin deutsche Jüdin und möchte nicht missbraucht werden für – das habe ich schon mal gesagt – eine israelische Politik, die auf keinem Boden des Rechts und auf keinem demokratischen Verständnis mehr steht.
 
Ihre Kritiker werfen Ihnen Selbsthass vor.
Ja, ich sage ja gerade, das ist ein gängiger Begriff in jüdischen Beschimpfungen. Da kann ich also wirklich nur müde darüber lächeln.
 
Was für Auswirkungen wird denn die scharfe Kritik jetzt an der Kritik der Bischöfe sowohl aus Deutschland vom Zentralrat als auch aus Israel haben? Im April reist ja eine hochkarätige Delegation der Evangelischen Kirche Deutschland nach Israel.
Ja, das wird wohl die Auswirkung haben, dass die Evangelische Kirche sich gar nicht mehr zu Wort melden wird beziehungsweise eine Tourismusreise unternehmen wird und die schönen israelischen Gebiete sieht und wahrscheinlich nichts mehr sagen wird. Und ich finde sogar, es besteht eine Fürsorgepflicht für die Christen, die sich so einsetzen, die unter schwersten Bedingungen nach Israel fahren, um dann in die besetzten Gebiete zu kommen, was ja eigentlich verboten ist, um den Palästinensern dort zu helfen oder den 2 Prozent noch verbliebenen Christen, und die zwei Prozent von 20 Prozent ehemalig verbliebenen Christen, die sind nicht wegen der Moslems gegangen, im Gegenteil, die hoffen sehr, dass die Christen noch bleiben, sondern die sind wegen der israelischen Schikanen gegangen.
 
Das heisst, Sie gehen letztlich davon aus, dass die ganze Auseinandersetzung jetzt ­Israel und allen Menschen, die dort leben, eher schadet als nutzt?
Ja, selbstverständlich. Im Endeffekt wird diese ganze israelische Politik auch dem Staat Israel nur schaden, auch wenn das heute noch nicht so gesehen wird von vielen Leuten. Aber es kann nur in ein absolutes Unglück führen, was dort passiert, weil man nicht ewig ein ganzes Volk unterdrücken kann und sich wirklich – ich muss diese Vergleiche wagen –, wir haben ja gerade erlebt, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist und was heute passiert. Das kann man nicht einfach beschönigen, und man muss schon gewisse Vergleiche ziehen, leider muss man sagen, auch wenn das in Deutschland nicht politisch korrekt ist.
 
Und da gibt es keine Tabus für Sie?
Es gibt in der Hinsicht keine Tabus. Wissen Sie, wenn jüdische Siedler Gegner als Nazis bezeichnen, sich also auch mit dem Holocaust bedienen, dann kann ich sagen, es gibt, wenn Sie israelische Medien lesen, überhaupt gar kein Tabuthema mehr. Das wird zwar immer so dargestellt, aber gerade Deutschland hat die Verpflichtung, nicht in dieser Freundschaftsfalle zu enden und zu landen, sondern den Mund aufzumachen. Und das vermisse ich völlig, weil die deutsche Politik beziehungsweise die Regierung, egal welche Partei, sich immer voll auf die ­israelische Seite stellt, kritiklos.
 
In diesem Zusammenhang ist der bereits gegen Ende letzten Jahres erschienene Lagebericht von Strategic Alert 4 zu der in Israel gegebenen Situation durchaus noch lesenswert:
 
US-Vizepräsident Dick Cheney und die Finanzinteressen hinter ihm drängen Israel in eine faschistische Richtung. Dies erklärt, warum Israels Ministerpräsident Ehud Olmert den Vorsitzenden der Partei Yisrael Beitenu (Israel ist unsere Heimat), Avigdor Lieberman, in die Regierung holte. Viele Israelis sehen in Lieberman die ‚israelische Antwort auf Benito Mussolini’. Lieberman hat die ‚Ausbürgerung’ aller israelischen Araber und die Bombardierung von Kairo und Teheran gefordert. Er soll nun Minister für strategische Fragen im Kabinett Olmert werden und die Iranpolitik koordinieren. Olmert möchte mit der Einbeziehung Liebermans seinen Erzrivalen Benjamin Netanjahu ausmanövrieren. Ein der Arbeitspartei nahestehender Beobachter, der Netanjahu ‚Cheneys Hochkommissar für Israel’ nannte, sagte dazu: »Lieberman ist ein Faschist, und Olmert ist ein zynischer Politiker, der für sein Überleben alles tun würde. Sie passen zusammen. Olmert weiß, daß Cheney Netanjahu an die Macht bringen will, aber ohne Liebermans Partei kann der Olmert nicht stürzen - jedenfalls ein paar Monate lang nicht.« Doch Netanjahu »steuert die Regierungspolitik von der Oppositionsbank aus«, wie Aluf Benn am 25.10. 06 in Ha'aretz schrieb. »Die Hände sind Ehuds, aber die Stimme ist Bibis. Olmert setzt jetzt Netanjahus Politik Punkt für Punkt um. Der Ministerpräsident schickt dem Iran verhüllte Drohungen, begräbt den Konvergenzplan [für den Rückzug aus den besetzten Gebieten] und erlaubt beschleunigtes Bauen in den Siedlungen. Auch seine Sozial- und Wirtschaftspolitik ist von Netanjahu abgeschrieben...«
 
Der israelische Friedensaktivist Uri Avnery verglich Ministerpräsident Olmert am 19.10.06 mit dem deutschen Reichskanzler Franz von Papen, der Präsident Hindenburg 1933 drängte, Adolf Hitler die Regierung zu übergeben: »Es gibt keine wissenschaftliche Definition von Faschismus. Aber aus Erfahrung kann man lernen, daß es eine Kombination von Weltanschauung, Persönlichkeitstypus, radikalem Nationalismus, Rassismus, Gewaltkult, Diktatur und anderem ist. Wenn ich gefragt werde, wer ein Faschist ist, antworte ich: Wenn du einem begegnest, wirst du ihn erkennen.« Mit Lieberman in der Regierung sei die israelische Demokratie bedroht. Lieberman wolle Israel in einen ,von Arabern gesäuberten' Staat verwandeln. Auf deutsch würde man dies ,araberrein' nennen... Die Chancen, daß dies geschieht, sind natürlich gleich Null. Aber allein diese Idee auszusprechen, bereitet den Weg für Schlimmeres vor: die Vertreibung der arabischen Bevölkerung aus Israel und den besetzten Gebieten. Lieberman, der in den 70er Jahren einwanderte, soll Geld von der russischen Mafia bekommen haben. Die israelische Polizei ermittelt deswegen schon seit einiger Zeit. Nachdem Lieberman 1998 aus dem Likud austrat, betätigte er sich als ‚Geschäftsmann’ in seiner Heimat, der früheren Sowjetrepublik Moldawien. Als die österreichische Creditanstalt 1998 während der russischen Finanzkrise vor großen Verlusten stand, heuerte die Bank Lieberman für 3 Mio. $ als Berater an. Auf wundersame Weise konnten dann die Verluste abgewendet werden, doch die israelische Polizei begann zu ermitteln, nachdem es Hinweise gab, Lieberman habe ‚Freunde’ in der russischen Mafia.
Ermittler vermuten auch, daß Liebermans neue Partei im Wahlkampf 1999 von denselben ‚Freunden’ finanziert wurde. Sein wichtigster Kumpan und mutmaßlicher Geldgeber ist der russische Exilant Michael Tschernoj, gegen den in Rußland ein Haftbefehl als mutmaßlicher Mafiaboß besteht. Tschernoj ist Gründer und Hauptgeldgeber der Denkfabrik ‚Jerusalem-Gipfel’, die jährliche Sicherheitskonferenzen veranstaltet. Im Vorstand sitzen der ‚christliche Zionist’ Gary Bauer und die bekannten Neocons Daniel Pipes und Hellel Fradkin sowie Gen. a. D. Paul Valleley, der einen atomaren Angriff auf den Iran gefordert hat. Lieberman steht Netanjahu sehr nahe. Er leitete Netanjahus Büro, als dieser in den 90er Jahren Ministerpräsident war. 1999 gründete er Yisrael Beitenu, die fast ausschließlich von russischen Einwanderern gewählt wird. Einige Beobachter sagen, er organisiere die Partei nur als Strohmann für Netanjahu. Die Zeit arbeitet für Netanjahu, denn er weiß, daß Olmerts Kadima-Partei vor der Spaltung steht und rund die Hälfte der Mitglieder zum Likud zurückkehren könnte. Auch die Arbeitspartei ist in innere Kämpfe verstrickt. An der Spitze der nächsten Regierung könnte Netanjahu stehen - mit Lieberman an seiner Seite. 
 
1 http://www.steinbergrecherche.com/  16. 3. 07
2 http://www.jungewelt.de/2007/02-20/050.php Kehraus in Nahost Von Rüdiger Göbel
3 Quelle: Deutschlandfunk vom 9.3.2007 - «Die deutsche Politik ist hinter den israelischen Medien verschwunden» «Palästina - ein Riesenghetto beziehungsweise Riesenfreiluftgefängnis»
4 Strategic Alert Vol. 20, Nr. 44 vom 2. November 2006