Hat die »Israel-Lobby« die USA im Griff? John Mearsheimer verlangt eine differenzierte Betrachtung seiner Thesen Von Moritz Schwarz 22.10.2007 12:41
Professor Dr. John J. Mearsheimer sorgt mit seinem soeben auf Deutsch erschienenen Buch »Die Israel-Lobby. Wie die amerikanische Außenpolitik beeinflußt wird« (Campus-Verlag) für Wirbel in den Feuilletons. Zusammen mit seinem Harvard-Kollegen Stephen M. Walt meint der renommierte Politikwissenschaftler festgestellt zu haben, daß die amerikanische Nahost-Politik nicht mehr den nationalen Interessen der USA folgt, sondern - dank des Einflusses einer machtvollen pro-israelischen Lobby - denen des Judenstaates. Wir bringen hier ein Interview aus der Jungen Welt mit Prof. Mearsheimer.
Herr Professor Mearsheimer, eine führende
deutsche Zeitung schrieb jüngst, Ihre These von der »Israel-Lobby« sei nichts
anderes als das, was Antisemiten früher das »Weltjudentum « nannten.
Mearsheimer: Nein, ich widerspreche
entschieden! Unser Buch »Israel-Lobby« ist keineswegs antisemitisch. Ich halte
den Vorwurf des Antisemitismus vielmehr für einen Winkelzug.
Inwiefern?
Mearsheimer: Mit dieser Unterstellung
versuchen unsere Kritiker die Debatte vom eigentlichen Thema - dem Inhalt des
Buches - abzulenken. Denn wenn es gelingt, in der Öffentlichkeit eine Debatte
um unseren angeblichen Antisemitismus zu lancieren, dann diskutiert sie nicht
die für die »Israel-Lobby« unangenehmen Fragen, die wir stellen, wie etwa die
nach Moral und Legitimität der israelischen Besatzungspolitik oder ob die
Israelpolitik der USA im nationalen Interesse der Vereinigten Staaten ist.
Sie fühlen sich ausmanövriert?
Mearsheimer: Ihre Frage ist doch der beste
Beweis für den Erfolg dieser Strategie. Noch bevor Sie etwas zum Inhalt des
Buches wissen wollen, kommen Sie schon mit dem Vorwurf des Antisemitismus.
Dann lassen Sie uns erst über den Inhalt
sprechen und später darauf zurückkommen.
Mearsheimer: Jetzt möchte ich erst noch
etwas zu dem von Ihnen nun einmal in den Raum gestellten Vorwurf sagen. Sie
haben nämlich recht, es handelt sich tatsächlich um ein Manöver. Es hat drei
Ziele: Das erste, die Verdrängung der von uns aufgeworfenen Fragen aus der
Debatte, habe ich bereits geschildert. Der zweite Zweck ist, die von uns
vertretenen Ansichten als extrem und damit als illegitim darzustellen. Folge:
Mein Mitautor Stephen Walt und ich gelten vielfach nicht mehr als seriöse
Wissenschaftler. Und drittens enthalten die Vorwürfe gegen uns eine
unterschwellige, aber unmißverständliche Botschaft an die Öffentlichkeit:
nämlich die Warnung, daß alle, die es wagen sollten, sich ebenfalls kritisch
gegenüber der israelischen Politik, der US-Israelpolitik oder der
amerikanischen »Israel-Lobby« zu äußern, auch das Schlimmste zu befürchten
haben.
Eine sehr weitreichende Unterstellung.
Mearsheimer: Unterstellung? Denken Sie nur
an die Debatte hierzulande um das auf deutsch bis heute nicht erschienene Buch
des ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter: »Palestine: Peace not Apartheid« im
Dezember 2006. Der demokratische Politiker wurde beschuldigt, ein »Judenhasser«, ein »Antisemit«,
ein »Nazi-Sympathisant« und ein Rechtfertiger des Terrorismus zu sein. All dies
wurde in Umlauf gesetzt, um ihn gesellschaftlich unmöglich zu machen und damit
- und das ist der springende Punkt - seine Kritik und die von ihm aufgeworfenen
Fragen zu delegitimieren.
Nun aber doch zu den Inhalten: Was genau
verstehen Sie unter der »Israel-Lobby?«
Mearsheimer: Ich möchte zunächst
klarstellen, was wir nicht damit meinen: Wir sprechen nicht von einer Kabale
oder einer Verschwörung! Wir sprechen von einer legitimen Interessengruppe
herkömmlicher Prägung, einer Lobby guter alter Schule sozusagen. Diese Lobby
ist eine lose Koalition aus Personen und Gruppen, die versuchen, die US-Politik
- vor allem auf dem Feld der Nahost-Politik - in eine pro-israelische Richtung
zu drängen.
Sie wollen sagen, sie ist nicht verwerflich
...
Mearsheimer: ... aber sie ist ein Problem.
Das ist unser Ansatz. Die »Israel-Lobby« ist in der Tat im Grunde nichts anderes
als etwa die spätestens seit Michael Moore auch außerhalb der USA bekannte
National Rifle Association (NRA), die Nationale Vereinigung für das Tragen von
Schußwaffen: eine ganz normale Lobby also. Und nicht nur ihre Existenz, auch
die Handlungen der »Israel-Lobby« sind keineswegs fragwürdig. Vielmehr verhält
sie sich völlig in Übereinstimmung mit den US-amerikanischen Traditionen des
politischen Lobbyismus.
Wenn die »Israel-Lobby« eine so gewöhnliche
Interessenvertretung ist, warum sollte sie dann, wie Sie kritisieren, so
außergewöhnlich einflußreich sein?
Mearsheimer: Weil es das politische System
der USA zuläßt, daß Gruppen, die zahlenmäßig gar nicht so groß sind, einen
überproportionalen Einfluß gewinnen. Nehmen Sie nur die eben genannte NRA, die
die Verschärfung der Waffengesetzte in den USA immer wieder verhindert - obwohl
eine Mehrheit der US-Amerikaner eine Verschärfung befürwortet! Warum gelingt
ihr das dennoch? Weil sie eine zwar kleine, aber gut organisierte und politisch
schlagkräftige Lobby-Gruppe ist.
Dennoch werfen Sie einigen Protagonisten
der »Israel-Lobby« vor, zu weit zu gehen.
Mearsheimer: In einem gehen sie tatsächlich
zu weit: Sie versuchen Kritiker als Antisemiten zu denunzieren. Die Ideale, für
die die USA stehen, sind damit unvereinbar, denn die USA stehen für die offene
Debatte.
Und die fürchtet die Lobby, meinen Sie?
Mearsheimer: Ja, denn die bedingungslose
Unterstützung der USA für Israel beruht auf der stillschweigenden Annahme, dies
sei der Wille der Mehrheit der Amerikaner. Dem ist aber nicht so: Tatsächlich
ist die Bereitschaft dazu im Volk weit weniger verwurzelt. Eine offene Debatte
würde diesen Umstand an den Tag bringen und damit der bisherigen
US-Israelpolitik die demokratische Legitimation entziehen.
Abraham Foxman, Präsident der
Anti-Defamation League (ADL), hat als Reaktion auf Ihre Thesen in den USA das
Buch »The Deadliest Lies: The Israel Lobby and the Myth of Jewish Control« veröffentlicht,
vom ehemaligen US-Außenminister George Schultz unterstützt. Ihre Argumente qualifiziert
Foxman darin als die »tödlichsten Lügen«.
Mearsheimer:
Immer wird Abraham Foxman angeführt. Ich möchte daran erinnern, daß eine der
positiven Rezensionen unseres Buches von M. J. Rosenberg stammt, der für AIPAC
gearbeitet hat, eine Gruppe, die Teil der »Israel-Lobby ist«! Es gibt also
sogar Angehörige der Lobby, die unser Buch loben! Nun zu Foxmans Buch: Es ist
ein großer Schwindel. Denn es erhebt nicht nur den Vorwurf, wir seien
Antisemiten, sondern obendrein, daß unser Buch das moderne Äquivalent der
berüchtigten antisemitischen »Protokolle der Weisen von Zion« sei. Wie völlig
absurd das ist, wird zwar jeder erkennen, der unser Buch liest, aber zunächst
zeigt das Wirkung: Wir beide reden schon wieder über das Thema Antisemitismus!
Also: Was ist nun Ihrer Meinung nach genau
das Problem mit der »Israel-Lobby?«
Mearsheimer: Daß Washington aufgrund der
Einflußnahme der Lobby Tel Aviv politische, materielle und militärische
Unterstützung in einem Ausmaß gewährt, das nichts mehr mit den nationalen
Interessen der USA zu tun hat und das beiden, den USA wie Israel, zum Nachteil
gereicht.
Wieso zum Nachteil Israels?
Mearsheimer: Unsere bisherige
Nahost-Politik hat doch sichtlich dazu beigetragen, Israel weiter in Gefahr zu
bringen. Hätten die USA beispielsweise ernsthaft Druck ausgeübt, auf den Bau
von Siedlungen in den besetzten Gebieten zu verzichten und statt dessen
wirkungsvoll geholfen, einen lebensfähigen Palästinenserstaat aufzubauen, dann
wäre die Situation für Israel heute weit weniger bedrohlich.
Eine der Grundaussagen Ihres Buches und
Eckpfeiler Ihrer Argumentation ist, daß Israel kaum strategischen Wert für die
USA besitzt.
Mearsheimer: Seit dem Ende des Kalten
Krieges spielt Israel in der Tat keine wichtige Rolle mehr für das nationale
Interesse der USA. Tatsächlich hat es sich sogar zu einer Bürde für uns
entwickelt.
Könnte man Israel aber nicht ebenso - wie
Deutschland während des Kalten Krieges - als wichtigen Pfeiler im äußersten
Ring der geostrategischen Verteidigungskonzeption der USA betrachten bzw. als
unverzichtbaren Vorposten der globalen Supermacht im Nahen Osten?
Mearsheimer: Nein, im Gegenteil. Es ist
eben nicht so, wie oft behauptet, daß wir und Israel ein gemeinsames
Terror-Problem haben. Hier werden Ursache und Wirkung vertauscht: Tatsächlich
ist unser Israel-Engagement einer - ich betone: einer! - der Hauptgründe für
unser Terror-Problem. Die USA sind also wegen ihrer Politik dort bedroht: Wegen
unserer Unterstützung der israelischen Besatzungspolitik sind wir in der
arabischen und islamischen Welt äußerst unbeliebt, ja teilweise tödlich
verhaßt. Ist dieser Zusammenhang eine bloße Behauptung? Nein, er ist durch
Datenerhebungen hinreichend belegt, wie wir in unserem Buch ausführen.
Ihre zweite These ist, daß es keine
moralische Verpflichtung für die USA gibt, sich für Israel zu engagieren.
Mearsheimer: So stimmt das nicht. Wir
sagen: Es gibt durchaus einen äußerst triftigen moralischen Grund für die
Existenz des Staates Israel. Und wir vertreten durchaus den Standpunkt, daß die
USA, sollte diese Existenz einmal auf dem Spiel stehen, sich zu ihrer
Verteidigung aufmachen. Was wir aber kritisieren, ist der über jedes Maß
hinausgehende Umfang der amerikanischen Hilfe sowie die Auffassung, es gebe
eine moralische Verpflichtung für eine bedingungslose Unterstützung Israels.
Sie fordern also nicht den politischen
Rückzug von Israel, sondern lediglich einen Politikwechsel?
Mearsheimer: Der Nahe und Mittlere Osten
ist eine geostrategisch enorm wichtige Region, die die USA nicht einfach
ignorieren können. Wir sollten unsere Beziehungen zu Israel keinesfalls
abbrechen, aber wir sollten unsere derzeit gepflegte »special relationship«,
unsere Sonderbeziehungen, beenden. Statt dessen sollten wir Israel endlich wie
jedes andere befreundete Land, etwa wie Deutschland, behandeln.
Sie sagen stets »Israel« und »israelisch«
und meiden die Begriffe »Juden« und » jüdisch«.
Warum?
Mearsheimer: Weil »Israel-Lobby« nicht
jüdische Lobby meint. Das ist sehr wichtig! Denn zum einen darf man sich nicht
dem Irrtum hingeben, alle Juden seien Teil der »Israel-Lobby«. Wenn man genauer hinschaut, stellt
man fest, daß etwa ein Drittel der US-Juden keine bedeutende innere Bindung zu Israel empfindet. Und übrigens
haben natürlich die Juden, die sich Israel verpflichtet fühlen, keineswegs einheitliche, oft
sogar völlig gegensätzliche politische Vorstellungen. Zum anderen umfaßt die »Israel-Lobby«
auch zahlreiche nicht-jüdische Personen und Gruppierungen. Ich nenne als ein
Beispiel die christlichen Zionisten, also Christen, die die Rückkehr der Juden ins Heilige Land als
biblischen Auftrag verstehen und die sich hier in den USA in verschiedenen
Vereinigungen organisiert haben. Ein anderes Beispiel sind die
Neokonservativen. Manche argumentieren, die Neocons seien eh alle Juden, aber das stimmt
nicht, einige sind es nicht, wie zum Beispiel John Bolton oder James Woolsey.
Wie gelang es der Lobby Ihrer Ansicht nach,
diesen Einfluß zu gewinnen?
Mearsheimer: Die »Israel-Lobby« existiert
spätestens seit der Gründung des Staates Israel 1948, damals war ihr Einfluß aber
nicht im geringsten mit dem heute zu vergleichen. Über die Jahrzehnte nahm
dieser stetig zu, bis er etwa in den achtziger Jahren seinen ersten Höhepunkt
erreichte. Seitdem ist die Lobby mit vielen mächtigen öffentlichen
Institutionen der USA verwachsen.
Das ist so allgemein formuliert, daß es
etwas nach bloßer Behauptung klingt.
Mearsheimer: Die Macht der Lobby hängt eben
davon ab, welchen Einfluß jüdische Wähler in den jeweiligen
Präsidentschaftswahlen besitzen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um
demokratische oder republikanische Kandidaten handelt. Fakt ist, die Lobby hat
signifikante Macht über die Exekutive.
Beziehen Sie sich nur auf die Außen- oder
auch auf die Innenpolitik?
Mearsheimer: Es besteht zum Beispiel kein
Zweifel, daß die Lobby etwa die Besetzung von Universitätsposten beeinflußt,
israelkritische durch pro-israelische Gelehrte zu ersetzen versucht und so das
Geistesleben und damit den amerikanischen Israel-Diskurs zu beeinflussen
bestrebt ist. Das ist der vielleicht störendste Faktor, daß Teile der Lobby
sich bemühen, den Kongreß dazu zu bringen, Gesetzte zu erlassen, die den
Professoren vorschreiben, was sie über Israel äußern dürfen.
Welche Rolle spielt die Political
Correctness?
Mearsheimer: Sie ist ein Mittel der Lobby,
die Freiheit, die US-Israelpolitik zu kritisieren, möglichst einzuschränken.
Außer hinsichtlich Israels sehen Sie also
keine Einschränkung der Freiheit bzw. Manipulation der Innenpolitik durch die
Lobby?
Mearsheimer: Unsere Untersuchung galt dem
Thema »Die Israel-Lobby und die amerikanische Außenpolitik«.
Der Fall des jüngst entlassenen Politologen
Norman Finkelstein (JF 40/07) betrifft nicht die Außenpolitik. Welche Rolle
spielte die Lobby hier?
Mearsheimer: Dazu möchte ich mich nicht
äußern.
Ist der Holocaust bzw. die
Holocaust-Industrie, wie Norman Finkelstein sagt, Teil der Lobby?
Mearsheimer: Zahlreiche Bücher wurden
bereits darüber geschrieben, daß die amerikanischen Juden immer weniger
religiös sind und daß es Israel und der Holocaust sind, die heute den Kitt der
jüdischen Gemeinschaft in den USA darstellen. Also: Keine Frage, daß die Lobby
auch immer wieder den Holocaust in ihre Handlungen und Argumente einbindet. Das
ist nachvollziehbar.
Gibt es auch in anderen Ländern eine »Israel-Lobby?«
Mearsheimer: Sicher, etwa in Kanada oder
Großbritannien. Allerdings ist sie dort nicht so machtvoll wie in den USA.
Was ist mit Deutschland?
Mearsheimer: Ich möchte vermuten, es gibt
sie auch bei Ihnen. Aber dazu kann ich nichts sagen, dann darüber habe ich
keine Informationen.
John Mearsheimer wurde 1947 in New York
geboren. Er lehrt an der Universität von Chicago
(www.mearsheimer.uchicago.edu), wo er von 1989 bis 1992 das Institut für
Politologie leitete. Heute ist er dort Direktor des Programms für internationale
Sicherheitspolitik.
Die »Israel-Lobby-Kontroverse«: Im März
2006 erschien in der London Review of Books der Aufsatz The Israel Lobby and
U.S. Foreign Policy (Die Israel-Lobby und die amerikanische Außenpolitik).
Zuvor hatte The Atlantic Monthly den Abdruck des ursprünglich für das
US-Magazin verfaßten Textes verweigert. Sogleich entspann sich eine heftige
Kontroverse. US-Medien qualifizierten den Aufsatz als skandalös, abscheulich
und antisemitisch. Nun haben die Autoren ihre Studie zu einem Buch erweitert.
Erneut ernteten sie heftige Reaktionen. Allerdings gibt es neben der
politischen auch sachliche Kritik, die einen berechtigten Ansatz, aber zu
weitgehende Schlußfolgerungen konstatiert.
Quelle: http://www.jungefreiheit.de/ Ausgabe 42/07
12. Oktober 2007
Siehe auch Eine neue
Pro-Israel-Lobby für die USA? »Christliche Zionisten« wollen beweisen, daß
allein Juden über das Land zwischen Mittelmeer und Jordan herrschen sollen von
Knut Mellenthin
»Israel muß
boykottiert werden« Bedingungslose Unterstützung der Besatzungspolitik soll
ihren Preis haben. - ein Gespräch mit Ilan Pappe
Eine neue
Pro-Israel-Lobby für die USA? »Christliche Zionisten« wollen beweisen, daß
allein Juden über das Land zwischen Mittelmeer und Jordan herrschen sollen - von
Knut Mellenthin Kriegstreiberische
AIPAC-Konferenz auf politonline
|