Vernetzte Sicherheit - Richtige Antwort auf aktuelle Bedrohungen? Von Ulrich Schlüer 08.12.2007 19:53
Unerwünschte Strategie-Diskussion - Die Diskussion einer unserem Land Sicherheit gewährleistenden Strategie hatte sich in den letzten zwei Jahrzehnten mit einem Schattendasein zu begnügen. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wurden Ideen, wie sie der amerikanische Historiker Francis Fukuyama mit dem angeblichen «Ende der Geschichte» am profiliertesten präsentierte, vorschnell und dankbar aufgenommen: Seine Endzeit-Theorie, den endgültigen Durchbruch der demokratischen Idee ins Zentrum stellend, wurde als Vorwand genutzt, sich angesichts einer offensichtlich unübersichtlicher gewordenen Entwicklung der Weltpolitik selbst nicht mehr lange mit Lagebeurteilung und Bedrohungsanalyse herumschlagen zu müssen.
Auch in der Schweiz versteifte man sich in den
Neunzigerjahren auf die vorweggenommene Schlussfolgerung, in der am «Ende der
Geschichte» angelangten Welt von heute sei die Ausformulierung
einer eigenständigen, auf einer auf unser Land ausgerichteten
sicherheitspolitischen Lagebeurteilung und Sicherheitsstrategie fusssenden Doktrin
für die Armee nicht mehr erforderlich. Eine Schlussfolgerung, die sich rasch
als verhängnisvolle Fehlbeurteilung erweisen sollte, die bis heute gravierende
negative Auswirkungen zeitigt. In einer Demokratie, gar in einer direkten
Demokratie, auf eine plausible politische Begründung für die Aufrechterhaltung
einer eigenen Armee und eigenständiger Wehranstrengungen verzichten zu wollen,
mündet zwangsläufig in die Erosion von Glaubwürdigkeit - und damit des Fundaments
unserer Arme - in unserer Bevölkerung. Wer eine Armee für das eigene Land als
notwendig erachtet, muss die Unverzichtbarkeit dieses zweifellos teuren
Instruments der eigenen Bevölkerung gegenüber begründen können - immer:
buchstäblich zu jedem Zeitpunkt. Die Armee im Zeitgeist-Jargon bloss noch als
«Sicherheits-Dienstleisterin» zu etikettieren, die für allerlei «Kunden»
Dienstleistungen zu erbringen in der Lage sei, wird sich als glaubwürdige Begründung
nie durchsetzen können. Die Armee ist nicht etwas Beliebiges. Sie kann nur als
das von dem auf seine Freiheit pochenden Bürger anerkannte und in der
Demokratie mitgetragene Instrument, das dem Staat, der Gemeinschaft der Bürger
auf der Grundlage des staatlichen Gewaltmonopols in letzter Konsequenz die
Existenz zu sichern hat, bestehen. Die Armee verteidigt die Freiheit der Bürger
und die Unabhängigkeit des Landes. Zu diesem Zweck wurde sie geschaffen. Zu
diesem Zweck wird sie aufrechterhalten und alimentiert. Die Gefahren, die
Bedrohungen haben sich im Lauf der Zeit immer wieder verändert, heute gegenüber
der Zeit des Kalten Krieges sogar gravierend verändert. Aber der Auftrag des
Souveräns an die Armee ist der gleiche geblieben.
Die Welt bleibt unfriedlich Mag die Zeit der grossen Panzerschlachten zumindest für
Europa abgelaufen sein, mögen schwere Artilleriefernduelle in Europa der
Vergangenheit angehören, mag der Zusammenprall von Massenheeren auf
Schlachtfeldern unrealistisch geworden sein, so ist die Welt, obwohl die
grossen Potentiale zur Kriegführung mit schweren Waffen unsichtbarer geworden
sind, kaum friedlicher geworden. Die Öffentlichkeit wird mit den neuen, die
Gewaltkonflikte der heutigen Zeit kernzeichnenden Formen kriegerischer Auseinandersetzungen
täglich konfrontiert. Dass das Massaker die grosse Feldschlacht
abgelöst hat, sieht der Medienkonsument Abend für Abend. Der
Medien-Zuschauer weiss durchaus, dass die Methoden der neuen, der
asymmetrischen, mit terroristischen Mitteln operierenden Kriegführung im Grunde
jeden sozusagen jederzeit treffen können, wo immer diese auf dem Erdball
brutale Wirklichkeit wird. Er vertraut lediglich auf die Wahrscheinlichkeit, sich
im entscheidenden Moment selbst nicht gerade am Zielpunkt eines blutigen
Anschlags aufzuhalten. Darüber hinaus meldet der Bürger Forderungen an den
Staat, den Inhaber des Gewaltmonopols an: Dieser habe mit den ihm zur Erfüllung
der Sicherheitsbedürfnisse anvertrauten Geldern das Menschenmögliche
vorzukehren, auf dass das Allerschlimmste von unserem Land abgehalten und die
Sicherheitsbedürfnisse der Öffentlichkeit hinreichend erfüllt werde.
Das Ende des Interventionismus Nachdem die Strategie-Diskussion nach dem Fall des Eisernen
Vorhangs ins Abseits manövriert worden ist, erscheint es als unumgänglich,
einige Veränderungen der strategischen Lage, die die Schweiz stark
beeinflussen, hier anzuführen. Die Zahl derer, die noch an einen für die USA
siegreich endenden Waffengang im Irak glauben, ist äusserst klein geworden.
Durchhalteparolen aus dem Pentagon, dieser Krieg dürfe «nicht verloren gehen»,
stempeln die Irakintervention zum Rückzugsgefecht. Gleichzeitig erweisen sich
auch die kriegerischen Handlungen in Afghanistan als für den Westen immer
verlustreicher. Auch dort wird die Situation für die Interventionskräfte aus
dem Westen zunehmend unbeherrschbar. Dabei ist klar: Wer einen Waffengang «als
nicht mehr gewinnbar» erklärt, gibt ihn, wenn auch nicht öffentlich, verloren. Die
Gegner im «US-Krieg gegen den Terror» vermochten der USA eine Kriegführung
aufzuzwingen, die Sieg nicht mehr gestattet. Sie verfolgten eine gleichzeitig
einfache wie raffinierte Strategie: Nach dem spektakulären, die Welt
erschütternden Volltreffer am 11. September 2001 hat Al Kaida zwar immer wieder
angedroht, aber nie mehr ernsthaft versucht, den Hauptgegner USA noch einmal
direkt zu treffen. Unter Anwendung terroristischer, psychologisch grosse
Wirkung erzielender Methoden trafen sie statt dessen zunächst die Spanier umso
wirksamer. Diese verabschiedeten sich darauf innert weniger Tage aus der
«Allianz der Willigen». In gleicher Weise und mit gleichem Ergebnis setzten die
Islamisten danach den Italienern zu. Selbst die Engländer wurden mit Terror
mürbe gemacht - die britische Absetzbewegung aus dem Irak ist eingeleitet. Die
USA steht als Kriegführende zunehmend allein da. Und das hat drastische
Auswirkungen: Die USA musste sich vor wenigen Tagen als nicht mehr in der Lage
erklären, ihren Beitrag zu der von ihnen am nachhaltigsten geforderten und
geförderten «schnellen Eingreiftruppe» der Nato zu leisten. Die Preisgabe, der
Zerfall dieses Konzepts steht offenbar bevor. Die asymmetrische Strategie der
Al Kaida hat die US-Strategie des weltweiten Interventionismus zur Makulatur
verkommen lassen. Schätzte die Welt die USA noch vor fünf Jahren als einzige
Macht ein, die militärische Aktionen weltumspannend umzusetzen in der Lage sei,
so ist diese imperiale Fähigkeit der USA inzwischen offensichtlich zu Ende
gegangen. Dass eine westliche Werte repräsentierende «Staatengemeinschaft» nach
dem faktischen «Ende der Geschichte» nur mit einigen wenigen verbliebenen
Schurken auf dieser Welt noch aufzuräumen habe, bis der Sieg der westlichen
Demokratie endgültig sei - dieser in den neunziger Jahren des letzten
Jahrhunderts gleichsam als verbindlich erklärte Traum ist ausgeträumt. Die
asymmetrische Kriegführung der Islamisten erwies sich - so beunruhigend das
auch ist - als den mit modernster Technologie und modernsten Waffensystemen
ausgerüsteten US-Streitkräften und ihren Verbündeten überlegen. Die Islamisten
erreichten ihnen wichtige Kriegsziele, die Staatengemeinschaft unter US-Führung
erreichte sie nicht.
Der Terror ändert sein Gewicht Dabei wurden die US-Streitkräfte nie in offener Feldschlacht
geschlagen. Sie wurden, indem Verbündete mit begrenzten, aber zielgenau
eingesetzten Mitteln zum Ausscheiden aus der «Allianz der Willigen» veranlasst
werden konnten, nicht im Herzen, wohl aber an der Achillesferse getroffen: Die
USA ist mit einer Überdehnung ihres militärischen Engagements konfrontiert, die
das Halten der erreichten Position ernsthaft in Frage stellt. Es wäre
fahrlässig, der schweizerischen Bevölkerung gegenüber diese Fakten nicht beim
Namen zu nennen. Und auch die Konsequenzen aus diesen Tatsachen zu zeigen. Deutschland
hat im jüngsten Verfassungsschutzbericht diese Konsequenzen angesprochen, indem
es zum Ausdruck brachte, dass diejenigen Länder, die als Verbündete im
Schlepptau von USA und NATO an Interventionen in islamischen Ländern beteiligt
sind, bezüglich der Terroranschläge am gefährdetsten sind. Seit Deutschland Kräfte
der Bundeswehr in Afghanistan einsetze, sagt dieser Bericht in der Einleitung
zum Islam-Kapitel, sei die BRD nicht mehr Rückzugsgebiet für islamistische
Terroristen, sondern Operationsgebiet. Die Terrorgefahr habe sich für
Deutschland dementsprechend vergrössert. Und schon macht Deutschland
Erfahrungen, die bereits Regierungen anderer europäischer Staaten, insbesondere
Frankreichs und Englands, aufs höchste alarmieren. Die Täterschaft des islamistischen
Terrorismus hat sich auf beunruhigende Weise verändert: Nicht mehr die Araber
treten als Täter in Erscheinung, sondern zunehmend aus Einheimischen
rekrutierte Konvertiten, von denen Einzelne einen besonders fanatischen Hass
auf die westliche Wohlstandszivilisation zu entwickeln scheinen. Auch
Einwanderer der zweiten und dritten Generation, von denen man bis vor kurzem
noch eine rasche und umfassende Integration sozusagen von selbst erwartet
hatte, werden zu einem Reservoir, aus dem islamistische Extremisten
offensichtlich Nachwuchs zu rekrutieren fähig sind. Dass solche Täterschaft die
Sicherheitskräfte vor eine ganz besondere, äusserst schwierig zu meisternde
Herausforderung stellt, ist mit Händen zu greifen.
Die Antwort der Schweiz Was heisst das für die Schweiz? Es heisst zweierlei: In
aussenpolitischer Hinsicht erfährt die Politik strikter Neutralität, die
Politik einer bewussten und überlegten Nichteinmischung in Konflikte irgendwo
auf der Welt - also eine Politik, die vor allem zu vermeiden sucht, dass das
eigene Land fahrlässig und ungewollt in weltpolitische Konflikte mit
unabsehbarem Eskalationsrisiko hineingezogen wird - um der Sicherheit der
Schweiz und ihrer Bewohner willen eine Renaissance. Dabei ist Neutralität
natürlich keine Lebensversicherung. Neutralität gewährt der Schweiz keine
hundertprozentige Garantie vor Schlägen asymmetrischer Kriegführung. Aber
überlegte Neutralitätspolitik vermindert das Risiko - so wie überlegte
Neutralitätspolitik auch in gefährlichen Phasen der Vergangenheit nur die
Risiken zu mindern, nie aber den Hauptfeind zu beseitigen vermochte. Aber es
gelang damit, den erkannten Hauptfeind davon abzuhalten, massive Kräfte gegen
die Schweiz in Bewegung zu setzen. Insofern wird glaubwürdige
Neutralitätspolitik heute von gleichen oder zumindest gleichartigen
Überlegungen diktiert wie gestern und vorgestern. Sicherheitspolitisch ist
endlich anzuerkennen, dass strikte Abgrenzung von innerer und äusserer
Sicherheit heutzutage nicht mehr bedrohungsgerecht ist - eine oft beschworene
Binsenwahrheit, die aber allzu selten auf ihre konkreten Konsequenzen
durchdacht wird. Wenn die stärkste, durch zwei Ozeane geschützte Macht der Welt
am Sitz ihres Verteidigungsministeriums, also in ihrem militärischen Gehirn,
einen Volltreffer hinnehmen muss, dann ist das eine drastische Illustration der
Tatsache, dass Waffengänge nicht mehr an Landesgrenzen stattfinden. Der Ruf
nach Vernetzung der vorhandenen Sicherheitsinstrumente, der Ruf insbesondere
nach enger bedrohungsgerechter Zusammenarbeit von Militär, Polizei und
Grenzschutz erweist sich daher als wichtig und richtig. Diese Zusammenarbeit
ist zu konkretisieren. Gefährdet sind in der Schweiz nicht Grenzabschnitte,
auch wenn Grenzschutz zur Abwehr böswilliger Infiltration wichtig bleiben
dürfte. Die Kriegsschauplätze von heute befinden sich indessen in den Städten.
Dort finden sich jene spektakulären Ziele, welche die Strategen der
asymmetrischen Kriegführung zur Erzielung der von ihnen gesuchten
massenpsychologischen Effekte ins Visier nehmen. Überfällig ist in der Schweiz
die Erarbeitung einer umfassenden Gefährdungsanalyse, die erstens gefährdete
Ziele als solche erfasst und zweitens sorgfältige Überlegungen anstellt und
gegebenenfalls Massnahmen entwirft, wie offensichtliche Gefährdungen im
Einzelfall entschärft werden können.
Vernetzte Sicherheit in überbautem Gebiet Als Herausgeber einer Zeitung, die sich seit nunmehr drei
Jahrzehnten intensiv mit Fragen sowohl der nationalen als auch der
internationalen, zunehmend aber auch der national und international vernetzten
Sicherheit auseinandersetzt, hatten wir in den siebziger Jahren im bayerischen
Ministerpräsidenten Franz Josef Strauss einen besonders aufmerksamen Leser, mit
dem mehrfach auch direkter Gedankenaustausch möglich war. Seine hohe Meinung
von den Sicherheitsanstrengungen der Schweiz ist mir im Gedächtnis geblieben.
Strauss - auf damals im Gebrauch stehende Armeefilme verweisend - bewunderte
die Schweiz, weil die Bevölkerung hier mit Hilfe realistischer Filme
wahrheitsgetreu aufgeklärt würde, was für Feuerhöllen Flächenbombardements
gegen Städte entfachen würden - etwas, das deutschem Publikum nach dem Zweiten
Weltkrieg nie hätte gezeigt werden können. Ein Land, das seiner Bevölkerung die
ungeschminkte Wahrheit über die Wirkungen moderner Waffen vermittle, schätze er
als besonders stark ein, weil die Bevölkerung in einem solchen Land auch gegen
harte Schläge weit mehr Resistenz entwickle, von deren konkreter Wirkungskraft
man andern Völkern nicht einmal Andeutungen machen könne. Natürlich, die Zeiten
haben sich geändert. Trotzdem stellt sich die Frage: Würde Franz Josef Strauss
den Sicherheitsanstrengungen der Schweiz heute die gleiche Qualität
attestieren, wie er sie ihr in den letzten Jahren des Kalten Kriegs attestiert
hat?
Heute müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass auch die Schweiz
No-Go-Areas für die Sicherheitskräfte kennt, was der 6. Oktober mit drastischer
Deutlichkeit einer weiten Öffentlichkeit vor Augen geführt hat. Rechtsfreie
Zonen, zu denen den Polizeikräften der Zugang verwehrt ist. Die Reithalle - sie
liegt in der Bundeshauptstadt - ist ein Zentrum, von dem aus ungestraft und
unbehelligt Unruhen organisiert, alimentiert, inszeniert werden können, wohin
sich Unruhestifter, selbst schwere Gewalttäter in Sicherheit bringen können,
ohne dass ihnen von Seiten der öffentlichen Ordnungskräfte ein Haar gekrümmt
werden kann. Weil diesen Ordnungskräften gemäss Entscheid der für die
Sicherheit Berns verantwortlichen Behörde der Zugang zur Reithalle verwehrt
ist. Glaubt jemand, dass solche Tatsachen sich
möglicherweise in unserem Land aufhaltenden Kräften, die allenfalls nach
Ansätzen für die Realisierung von Anschlägen suchen, verborgen bleiben? Glaubt
jemand, die faktische, von den Behörden angeordnete Existenz «rechtsfreier
Räume» würde ausgerechnet von jenen übersehen, welche sich professionell mit den asymmetrischen Methoden moderner Kriegführung als
Planer beschäftigen? Getrauen sich unsere Behörden, derartige Tatsachen, die
eine unsere Sicherheit gefährdende asymmetrische Kriegführung gegen unser Land
zweifellos begünstigen, der Öffentlichkeit wenigstens mitzuteilen? Also offen
einzugestehen, dass mögliche Drahtzieher von Anschlägen vor einer Tat
nicht erst über eine Landesgrenze infiltrieren müssen, weil sie längst im Lande
sind? Es geht mit dieser Frage nicht darum, den Teufel an die Wand zu malen.
Aber es geht darum, zu fragen, ob die heutigen Behörden die faktische
Sicherheitslage der Bevölkerung im Blick auf die Bedrohung durch asymmetrische
Kriegführung ebenso ehrlich vermitteln wie zu der Zeit, als Franz Josef Strauss
die Bereitschaft der Schweizer Regierung zur ungeschminkten Wahrheit der
Bevölkerung gegenüber nachdrücklich gewürdigt hat? Politische
Verantwortungsträger, die entweder die Augen vor der Realität verschliessen
oder eine unerfreuliche Realität vor der Bevölkerung schönzureden versuchen,
stellen im Zeitalter der asymmetrischen Kriegführung jedenfalls ein erhebliches
Sicherheitsrisiko dar - ob sie sich ihres Tun nun voll bewusst sind oder nicht.
Es geht, wenn wir dies feststellen, nicht, oder zumindest nicht nur um
Schuldzuweisung. Es geht vor allem um eine realistische Lagebeurteilung.
Moderne Elektronik im Sicherheitsverbund Moderne Elektronik, moderne Führungs- und
Aufklärungstechnologie spielt im Sicherheitsverbund von heute eine zunehmend
tragende Rolle. Diese Mittel sind ebenso wie ihre weitere Entwicklung,
Abstimmung und Perfektionierung unverzichtbar. Sie liefern, richtig eingesetzt,
der Führung ein Ganzes an Information, das lagegerechtes Entscheiden markant
erleichtern und damit verbessern kann. Allerdings: Hightech allein ist noch
kein Konzept, keine Strategie. Hightech-Geräte sind Hilfsmittel, die der
Führung Planung und Durchführung erfolgreicher Einsätze ermöglichen müssen.
Hightech kann aber weder den Mut zur Wahrheit noch den Willen zur Erbringung
von Leistung in schwierigem Umfeld ersetzen. Ohne Führungswillen, ohne
Führungskompetenz, ohne Entscheidungsmut der Verantwortlichen nützt auch die
ausgeklügeltste Elektronik wenig. Führungswille und Führungskompetenz bleiben
auch in der modernen Armee unersetzbar. Vernachlässigung des
Sicherheitsauftrags - etwa durch das bewusste Übersehen von politisch schöngeredeten
«rechtsfreien Räumen» - kann durch Hightech-Einsatz nie kompensiert werden. Wer
Wahrheit vertuscht, kann die daraus entstehenden Mängel im Dispositiv nie und
nimmer durch Elektronik ausgleichen. Die Elektronik nimmt der Führung auch
nicht die Aufgabe ab, eine komplexer gewordene sicherheitspolitische Lage
richtig zu beurteilen. Sie bietet jedoch, richtig angewendet, exzellente
Entscheidungshilfen - den Entscheid selbst aber nimmt sie niemandem ab.
Bedrohungsgerechtes Handeln ist ohne eine richtige, vom beurteilenden Menschen
erarbeitete Lageanalyse nicht möglich, gerade auch heute nicht, da die
politische Situation zweifellos diffuser ist als zur Zeit des Kalten Krieges. Die
im Ernstfall einsetzbaren Mittel waren in der Vergangenheit immer begrenzt, sind
dies in Gegenwart und werden es auch in Zukunft sein. Die Fähigkeit des
Strategen, die wirkliche Gefahr im entscheidenden Moment mit zwar begrenzten,
aber richtig eingesetzten Mitteln zu bannen oder abzuwehren, diese Fähigkeit
ist im Jahr 2007 so unabdingbar, wie sie das in den Jahren 1955, 1940 und 1914 war.
Auf Führung, Führungsfähigkeit, Führungskompetenz kann keine Armee verzichten.
Fehlt sie, ist der Untergang programmiert. Gerade im Blick auf die Welt von
heute ist auch unvoreingenommen festzustellen: Jene Mächte, die bezüglich
Kriegstechnologie an der Spitze der Entwicklung stehen, sind offenkundig mit
Misserfolgen konfrontiert. Die USA erreicht weder im Irak noch in Afghanistan
ihre Befriedungsziele. Besonders alarmieren muss, dass es der weltweit als am
leistungsfähigsten eingeschätzten israelischen Hightech-Armee letztes Jahr nicht
gelungen ist, die Hizbollah im Libanon entscheidend zu schlagen. Wer - und dies
erscheint uns als unverzichtbar - Elektronik für die Gewährleistung der eigenen
Sicherheit und zur erfolgversprechenden Vernetzung der eigenen Sicherheitsinstrumente
nutzen will, muss die Gründe des ausbleibenden Erfolgs im Irak, in Afghanistan,
im Libanon, mit aller denkbaren Sorgfalt studieren und finden. Vorschnelle
Antworten nach dem Muster, die Israeli seien eben zu arrogant gewesen, genügen
gewiss nicht. Nicht das Ja oder Nein zur Elektronik in der Armee von heute
steht zur Diskussion, wohl aber die unverzichtbare Optimierung der Nutzung
vorhandener und in Entstehung begriffener Elektronik, also die Erreichung
maximaler Führungskompetenz auf der Grundlage der dank Elektronik weit
verbesserten Nachrichtenlage und vervielfachten Einsatzmöglichkeiten der
eigenen Mittel.
Vernetzte Sicherheit: Widersprüche Einerseits ist klar: Sture Abgrenzung von äusserer und
innerer Sicherheit wäre heute nicht mehr bedrohungsgerecht. Dass solche
Abgrenzung nicht mehr möglich ist, verwischt aber auch die früher klare
Trennung der Aufgabenbereiche von Polizei, Militär und Grenzschutz. Klar ist andererseits
freilich auch: Der Souverän hält bis heute an der kantonalen Polizeihoheit
fest. Das Konzept, wonach erkennbaren Verantwortungsträgern in klar
abgegrenzten Räumen konkrete Verantwortung sichtbar zugewiesen wird, leistete
in der Schweiz bis heute einen ganz wesentlichen Beitrag zur Gewährleistung der
Sicherheit. Eine Erkenntnis, die in der breiten Bevölkerung verwurzelt ist, von
der die Bevölkerung nicht lassen will. An diesem Eckpfeiler des Schweizer
Sicherheitsdispositivs scheiterte seinerzeit die Idee «Busipo». Dieser
Eckpfeiler bildet gleichzeitig auch das Fundament der kantonalen Polizeihoheit.
Dennoch: Der jetzige Zustand kann nicht einfach sich selber überlassen werden.
Es war richtig, dass auf die Initiative des VBS hin in teilweise
grossangelegten Übungen im Verlauf der letzten Jahre mehrmals praktisch erprobt
wurde, wie Sicherheitsbedürfnisse, die sich aus aktuellen Bedrohungslagen
ergeben, angemessen erfüllt werden können. Dabei soll grundsätzlich jede
denkbare Möglichkeit, jedes dankbare Szenarium zum Beüben freigegeben werden.
Und zum Aushecken möglichst komplexer, möglichst wirklichkeitsnaher Übungen
sollen die besten Köpfe aufgeboten werden. Die bis heute durchgeführten Übungen
zeitigten - aus der Warte der Politik beurteilt - zweifellos auch gute, auswertbare
Resultate. Fällig ist jetzt, gerade auch um die oft geforderte Vernetzung der
Sicherheitsorgane zu testen, dass auch Gesamtverteidigungsübungen wieder
angeordnet werden. Solche sind im Blick auf die Bedrohungslage zeitgemässer
denn je. Zu beüben ist dabei auch die Staatsleitung selbst - der Bundesrat, die
Armeespitze, kantonale Regierungen usw.
Und allmählich ist auch der Zeitpunkt gekommen, die
gesetzgeberischen Konsequenzen aus den gewonnenen Erfahrungen zu ziehen, den
Gesetzgebungsprozess für eine moderne bedrohungsgerechte Sicherheitsarchitektur
für Bund, Kantone und Gemeinden, für die Schweiz und ihre Bevölkerung mit
kantonalen und eidgenössischen Verantwortungsträgern anzupacken. Der
Problematik angemessen wäre es dabei, zumindest für die Startphase die
bewährten disziplinierenden Lageabstufungen beizubehalten - der Absturz von
Usis nach mutwilliger Aufhebung jeglicher Denkordnung ruft wahrhaftig nicht
nach Wiederholung. Dass die ordentliche, also die alltägliche Sicherheitslage
durch die Kräfte der kantonalen und in Konkordaten organisierten Polizei
bewältigt werden soll, bestreitet im Ernst ja niemand. Dass für besondere
Situationen, also für voraussehbar erhöhte Sicherheitsleistungen auslösende
Grossereignisse wie WEF, Euro 08 usw., ein Assistenzdienst durch die Armee
unausweichlich ist, wobei die Führungsverantwortung, von Aufgaben wie
Luftschirm-Gewährleistung einmal abgesehen, bei kantonalen Stellen bleiben
soll, scheint auch nicht ernsthaft in Frage gestellt. Um so sorgfältiger kann
man sich auf den Knackpunkt «ausserordentliche Lage» konzentrieren, die in
Gestalt grosser Naturkatastrophen ebenso wie als Folge kriegerischer oder
kriegsähnlicher Tragödien überfallartig eintreten kann. Für Ereignisse solcher
Dimension ist die Frage praxistauglicher Führungsverantwortung und
Kommandogewalt noch nicht zufriedenstellend beantwortet - weil solche
Ereignisse selten die Gefälligkeit besitzen, auf den Zeitbedarf für
bürokratische Abläufe von Gesuchstellung bis Einsatzbefehl Rücksicht zu nehmen.
Auf dieser Ebene müssen offene Fragen bald zur Beschlussfassungsreife geführt
werden. Die Bedrohungslage und das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung
verlangen danach.
Quelle: «Schweizerzeit» vom 2. 11. 2007
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