Irak - Was es heisst, ein Exempel zu statuieren

US-Sturm über Sadr City: Von Rainer Rupp - Der irakischen Hauptstadt droht ein Inferno. Deutliche Anzeichen hierfür sind einerseits die anhaltenden Angriffe der von Truppen der irakischen Al-Maliki-Regierung unterstützten US-Besatzer auf Sadr City, das schiitisch geprägte Armenviertel Bagdads. Andererseits deutet die seit Tagen zu beobachtende Massenflucht von Abertausenden Bewohnern des 2,5 Millionen zählenden Stadtteils auf eine bevorstehende Katastrophe hin.

Immer mehr Familien befürchten, daß die USA ein »zweites Falludscha« vorbereiten. In der sunnitischen 350’000-Einwohner-Stadt hatte die Besatzungsmacht im Frühling und im Herbst 2004 die ganze Macht ihrer gigantischen Kriegsmaschine demonstriert: Ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung waren 90 Prozent der Infrastruktur und aller Gebäude des als »Widerstandshochburg« geltenden Falludscha dem Erdboden gleichgemacht worden. Nach eigenen Bekundungen wollte die US-Führung damit an der Bevölkerung »ein Exempel statuieren«. Ungezählte irakische Zivilisten wurden getötet.
 
Die Erinnerung an das Kriegsverbrechen ist frisch, und Sadr City gilt ebenfalls als eine Hochburg des Widerstands: Hier verfügen der schiitische Geistliche und Besatzungsgegner Muqtada Al-Sadr und seine Mahdi-Armee über starken Einfluß. Seit Wochen dauern die Kämpfe am Rande des von engen Straßen und Gassen durchzogenen Viertels im Norden der Hauptstadt an. Dabei gelang es der US Army, die im Straßenkampf immer häufiger Spezialtruppen der irakischen Marionettenarmee vorschickt, zwar langsam, aber doch mit Erfolg von Haus zu Haus, von Straße zu Straße vorzurücken. Vorrangiges Etappenziel der Amerikaner ist es, die schiitischen Rebellen soweit zurückzudrängen, daß sie mit ihren Raketen nicht mehr die stark befestigte, sogenannte Grüne Zone erreichen können: Dort befinden sich hinter hohen Mauern und abgeschirmt von Eliteeinheiten sowohl die neu errichtete riesige US-Botschaft als auch die irakischen Regierungsgebäude.
 
Die Zahl der Zivilopfer in Sadr City steigt stündlich. Bei geringstem Widerstand fordern die vorrückenden Truppen des irakischen Regimes und der Besatzer Luftunterstützung in Gestalt von Bombern und Kampfhubschraubern an. Die BBC berichtete am 8. 5. 08, daß »in den vergangenen 7 Wochen 1000 Menschen getötet und über 2500 verletzt wurden, die meisten hiervon waren Zivilisten«. Zugleich verschlechterten sich durch die US-Blockade und die streckenweise Einmauerung des Stadtteils die Lebensbedingungen dramatisch: Es fehlt an Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten. Dies gilt insbesondere in den bereits umkämpften Vierteln Sadr Citys. UNICEF-Sprecherin Claire Hajaj erklärte, derzeit seien 150’000 Menschen, darunter 75’000 Kinder, »durch das Militär vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten«. Agenturmeldungen zufolge, unter anderem von AP am 7.5.08, wird derzeit eine Großoffensive der US-Armee gegen das Millionenviertel vorbereitet. Luftwaffen- und Panzereinheiten würden zusammengezogen. Ein Massaker stünde »in den nächsten Tagen« bevor. Auf Flugblättern fordert die Regierung des US-gestützten Ministerpräsidenten Nuri Al-Maliki die Bewohner von zwei »Schlüsseldistrikten« Sadr Citys auf, die Stadt umgehend zu verlassen, informierte die BBC. Zwei Fußballstadien würden als Auffanglager für die Flüchtlinge hergerichtet.
 
Inzwischen wachsen, wie einem Bericht von Joachim Guilliard zu entnehmen ist 1, die Proteste gegen die militärischen Operationen. Die heftigen Angriffe US-amerikanischer und irakischer Truppen auf Sadr City dauern nun schon seit über fünf Wochen an. Tag für Tag fliegt die US-Luftwaffe Angriffe auf Stellungen der »Mehdi-Armee« Al-Sadrs, meist, wie die »Doctors for Iraq« berichten, mitten in dichtbesiedelten Gebieten. Auf Grund des Treibstoffmangels sind schon nach der ersten Woche Ambulanzwagen liegengeblieben und die Stromgeneratoren der Krankenhäuser ausgefallen. Hilfskonvois würden jedoch, wie auch der Rote Halbmond berichtet, der Zutritt zu den von den Kämpfen betroffenen Vierteln verwehrt. Die Offensive in Bagdad hat die Zahl der Binnenflüchtlinge auf beinahe drei Millionen anwachsen lassen. Im Parlament sind die Militäroperationen von den meisten Parteien verurteilt worden. Eine parteiübergreifende Abordnung von über 50 Abgeordneten hielt am 27. April ein fünfstündiges Sit-In in Sadr City ab, um ihrer Forderung an die Besatzer und die von den USA dirigierte Maliki-Regierung nach sofortiger Einstellung aller militärischen Operationen, einem Ende der Blockade und einer unabhängigen Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen während der Offensive Nachdruck zu verleihen [ohne den  geringsten Erfolg, wie man sieht; Anmerkung d. Red.] Vertreten waren Abgeordnete aller Fraktionen - mit Ausnahme der beiden schiitischen Regierungsparteien, SIIC und Dawa, den schärfsten Rivalen Al-Sadrs. Als Reaktion auf den Protest der Parlamentarier, die in den folgenden Tagen erneut in die Öffentlichkeit gingen, drohte Regierungschef Nuri Al-Maliki allen, die gegen die Angriffe auf Sadr City opponieren, unabhängig davon, ob sie Mitglieder des Parlaments, politischer Parteien oder gar der Regierung sind, sie wegen »Schürens von Gewalt« vor Gericht zu bringen. Für Washington ist die innenpolitisch aus den Kämpfen in Basra gestärkt hervorgegangene Sadr-Bewegung zur größten Bedrohung ihrer Pläne für den Irak geworden. Die US-Armee setzte daher ihre Angriffe auf die Mehdi auch nach einem Waffenstillstand fort, der unter iranischer Vermittlung Anfang April zustande kam. Al-Sadr drohte daraufhin mit einem »offenen Krieg bis zur Befreiung«. In einer in arabischen Medien vielbeachteten Rede wies er jedoch seine Leute an, ihre Angriffe nur auf die Besatzer zu richten und »auf niemanden anders«. Er rief Polizei und Armee erneut dazu auf, sich nicht zu Handlangern der Besatzer machen zu lassen und pries den »ehrenwerten Widerstand« aller ideologischen Richtungen - offensichtlich ein Versöhnungsangebot an den sunnitischen Widerstand.
 
Anmerkung politonline d.a. Während also weitere Teile des Iraks mit der verfügbaren Übermacht zermalmt werden, in Simbabwe nach den Ende März durchgeführten Wahlen rund 40 000 Landarbeiter und ihre Angehörigen durch Regierungsanhänger vertrieben wurden - die meisten hiervon sind jetzt auf der Strasse oder in anderen Farmen bzw. ohne Essen oder Medikamente im Busch versteckt, die mörderischen Auseinandersetzungen in Somalia und im Sudan kein Ende nehmen und in Afghanistan 100 Todesurteile bestätigt wurden 2, deren Rechtmässigkeit von Rechtsexperten wie Wadi Safi von der Universität Kabul infrage gestellt werden, da die  meisten Prozesse ohne Beobachter hinter verschlossenen Türen, oft ohne Anwalt für den Angeklagten, stattfanden und die Rechtsvorstellungen besonders bei den Regionalgerichten vorsintflutlich sind, hat der UNO-Menschenrechtsrat in Genf soeben mit der üblichen Überprüfung der Menschenrechtslage in den einzelnen Ländern begonnen. Nun würde jeder realitätsbezogen denkende Mensch erwarten, dass sich in dieser von uns teuer zu finanzierenden Institution angesichts der angeführten grauenhaften Zustände ein Aufschrei erheben würde. Nichts dergleichen. Es geht in erster Linie um das Übliche: den Rassismus. So hatte die Schweiz Kritik für ihre Behandlung von ausländischen Menschen einzustecken. Man überlege sich das einmal konkret: Während, wie oben geschildert, die Bomben ohne Unterlass auf die Menschen regnen, geht es 3 Stunden lang um die Behandlung ausländischer Menschen in der Schweiz. Wo bleiben eigentlich all diejenigen, die hier eine gute Aufnahme gefunden haben - und das dürfte die Mehrheit sein - um uns vor dem Menschenrechtsrat einmal zu verteidigen?
 
Es wäre somit unabdingbar und wesentlich vordinglicher, dass dieser seiner Pflicht nachkäme, die Amerikaner und ihre Verbündeten dazu aufzufordern, ihre Vernichtungsschläge im Irak und in Afghanistan unverzüglich einzustellen. Vielleicht dürfte man von diesem Gremium endlich einmal erwarten, dass begriffen würde, dass die  Rechte aller den aufgezeigten Kriegshandlungen ausgesetzten Menschen ohne diese Voraussetzung ein Nichts bleiben, egal wie oft und wie lang der Menschenrechtsrat tagt. Hinzu müsste allerdings auch die Einsicht kommen, dass die gesamte Institution infolge der zunehmenden Rüstungsproduktion und der von der EU propagierten Militarisierung ohnehin eine Art Papierphantom bleiben wird, da die im Gefolge des Waffenhandels entstehenden Kriege und Flüchtlingsströme unaufhörlich das zeitigen, was angeklagt wird: die Verletzung der Menschenrechte.
 
Quelle: http://www.jungewelt.de/2008/05-09/063.php 9.5.08 US-Sturm über Sadr City Von Rainer Rupp
1 http://www.jungewelt.de/2008/05-06/018.php 6.5.08  Mörderische Offensive - Über 1000 Tote bei seit fünf Wochen andauernden schweren Angriffen der USA auf Sadr City. Im Irak wachsen die Proteste gegen die militärischen Operationen - Von Joachim Guilliard
2 http://www.jungewelt.de/2008/05-06/019.php 6.5.08 100 Todesurteile bestätigt - Internationale Kritik an Höchststrafe in Afghanistan. Vielen Angeklagten wird Anwalt verweigert Von Tahir Qadiry, IPS