Beobachtungen zu einem sehr speziellen Abstimmungskampf

Vom Sonderfall zur Fussnote? Von Ulrich Schlüer, Chefredaktor der «Schweizerzeit» Volksabstimmungen leben von aus Politikern zusammengesetzten Komitees, die Partei ergreifen, um Anliegen kämpfen. Von solch einer Auseinandersetzung ist im Blick auf den 1. Juni allerdings weit und breit nichts zu sehen. Niemand wird ernsthaft behaupten wollen, es ginge am 1. Juni nicht um Wichtiges.

Die Frage, ob der freie Bürger seine Position als Souverän, als oberste Instanz in der Demokratie behaupten kann, ist eine Frage von grossem Gewicht. Funktionäre des Bundes, von einer Kammer des Bundesgerichts unterstützt, haben diesen Souverän bekanntlich der «Willkür» bezichtigt. Und demokratische Entscheidungen zu Einbürgerungen unterbunden. Damit wird aus dem Souverän eine Instanz, die gerichtlicher Oberaufsicht untersteht, deren Entscheide gegebenenfalls gerichtliche Korrektur erfahren. Diese Frage um die künftige Stellung des Bürgers in der Demokratie steht bei der Einbürgerungsvorlage auf dem Prüfstand.
 
Eine einzige Partei kämpft
Das Besondere am laufenden Abstimmungskampf: Hörbar tritt bloss eine einzige Partei in Erscheinung: Die SVP. Von der anderen Seite kennt die Öffentlichkeit nicht einmal die Komitees. Die Parteien - mit Ausnahme der SVP, Urheberin der Initiative für demokratische Einbürgerungen - sind schlicht abwesend. Präsent, sehr stark präsent, sind einzig die Medien. Die Medien, sonst eigentlich sog. Berichterstatter, ersetzen die Parteien. Und blasen zum Kampf. Mit selten gesehener Vehemenz. Ihr Gegner ist allerdings weniger eine Initiative. Ihr Gegner ist die SVP, insbesondere der bedeutendste, während Jahrzehnten profilierteste Exponent der SVP, Christoph Blocher. Die finanzstarken grossen Verbände, die staatsbürgerlichen Organisationen: Sie schweigen. Wie die Parteien. Einbürgerung bewegt sie nicht. Im Kampf der Medien gegen Blocher markieren sie die desinteressierten Zuschauer.
 
Rache-Feldzug
Die Medien wittern derweil eine Chance. Sie halten Christoph Blocher nach dem 12. Dezember für angeschlagen. Sie wähnen die Stunde der Abrechnung für gekommen. Nie haben sie Blocher verziehen, dass es ihm damals, 1992, gelungen ist, eine geschlossene, unschlagbar scheinende, unglaublich gehässig auftretende Front von Medien und Classe politique zu schlagen und die von dieser Einheitsfront angestrebte Unterordnung der Schweiz unter Brüssels Bürokratieapparat zu verhindern. Ebensowenig haben sie Blocher den ihm vor zwei Jahren gelungenen Sieg verziehen, welcher eine grundlegende Neuausrichtung der Schweizer Asylpolitik weg vom notorischen Asylrechtsmissbrauch einleitete. Seit dem 12. Dezember 2007 wittern die Medienleute die Chance, Blocher zur Strecke zu bringen. Allein darum geht es ihnen. Der dafür zu bezahlende Preis - Verlust der Demokratie beim  Einbürgerungsentscheid, Masseneinbürgerungen, Preisgabe tragender Säulen schweizerischer Freiheit - all das interessiert die rachedurstigen Medien weniger bis gar nicht. Ihre Methode? Sie stützen sich auf eine Verbündete. Eine Verbündete, die zwar der gleichen Partei anzugehören behauptet, die aber, Eveline Widmer-Schlumpf mit Namen, alles verbissen bekämpft, wofür diese Partei, die SVP, ihre Mitglieder und ihre Reserven mobilisiert.
 
MMM
Im übrigen zählen die Medien auf alte Stützen. Das Fernsehen mobilisiert seinen Umfrage-Guru, welcher der Öffentlichkeit allen Ernstes verkaufen will, innert dreier Wochen habe sich die Stimmung zur Einbürgerungsfrage in der Bevölkerung um hundertachtzig Grad gedreht. Die Methode, wie er zu diesem abenteuerlichen Resultat kommt, bleibt der Öffentlichkeit, wie immer, verborgen. Und sein Auftraggeber, die Institution MMM - Manipulier-Monopol-Medium - hütet sich, die Methoden des sich so oft irrenden Umfrage-Spezialisten genauer zu hinterfragen. Um so sorgfältiger verbirgt unser Gebühren-Fernsehen, dass der dem Publikum als sogenannt «unabhängiger Umfrager» präsentierte Claude Longchamps (SP) in manchem Abstimmungskampf, in dem er dem Fernsehpublikum als über allen Parteien stehender «Experte» präsentiert wird, der einen Partei für gutes Geld gleichzeitig als Berater dient. Offenlegungspflichten gelten, meint das Schweizer Fernsehen, allenfalls für Politiker - das gebührenfinanzierte faktische Monopol-Medium dagegen dispensiert sich selbst grosszügig von der gleichen Pflicht . . .
 
Als nächstes die Aussenpolitik
Sie, Medien und Classe politique, scheinen geradezu darauf versessen, den Bürgerinnen und Bürgern zunächst in der Frage der Einbürgerung das letzte Wort, die Souveränität, die unanfechtbar letzte Entscheidung zu rauben. Gelingt ihnen dies, dann dürften sie alsbald weitere «Politikbereiche» präsentieren, in denen - wie sie meinen - der Bürger eigentlich «überfordert» sei, die jeweilen «richtige» Entscheidung «frei aller Willkür» zu treffen. Die Aussenpolitik sei, werden sie behaupten, ein solches Feld. Weil der Bürger die Vorgaben, die aus «völkerrechtlichen Verpflichtungen» resultierten, kaum «richtig einzuordnen» in der Lage sei,. Wobei sie als «völkerrechtliche Verpflichtung» allzu oft nur das sehen, wofür sie auf demokratischem Weg die Zustimmung des Souveräns nie erhalten würden. Man «entlaste», werden sie behaupten, den Bürger von «schwerer Bürde», wenn man ihn von Stellungnahmen befreie, die «richtig zu beurteilen» seinen Horizont ohnehin übersteigen würden. Nur allzubald stünde auf diese Weise das Tor in Richtung Brüssel dann sperrangelweit offen . . .
 
Das Opfer
Geopfert - das zuzugeben sind heute freilich weder Medien noch Classe politique bereit - würde mit solchem Medien-Sieg über Blocher die direkte Demokratie, das Recht auf das letzte Wort der Bürgerinnen und Bürger zu allen wichtigen Sachentscheiden im Land. Irgend welche als «weitsichtig» etikettierte Experten würden die Bürger als Souverän, als unanfechtbar oberste Instanz im Staat dann ablösen. Es ist die direkte Demokratie, welche die Schweiz zum weltweit einzigartigen Sonderfall gemacht und ihren Bürgern weltweit am meisten Freiheitsrechte garantiert hat. Wer die Errungenschaft der direkten Demokratie - zunächst bei Einbürgerungsentscheiden, bald darauf dann auch zu aussenpolitischen Verpflichtungen und Bindungen - aushebelt, tötet den Sonderfall Schweiz. Weil die direkte Demokratie dann nicht mehr den Sonderfall jenes Landes begründen kann, dessen Bürger mehr Freiheit besitzen als die Bürger jedes anderen Landes. Die direkte Demokratie wäre dann bestenfalls noch eine Fussnote, die den Charakter einer bestimmten, dann allerdings der Vergangenheit angehörenden Epoche der Geschichte unseres Landes präzisiert.
 
Es geht wahrhaftig um Wichtiges am 1. Juni dieses Jahres