Das Recht - und wie es gehandhabt wird

Die Ausführungen von Professor Selenz werden durch einen in der Süddeutschen Zeitung vom 9. April erschienenen Kommentar von Frank Fahsel vollumfänglich gestützt: »Ich war von 1973 bis 2004 Richter am Landgericht Stuttgart und habe in dieser Zeit ebenso unglaubliche wie unzählige, vom System organisierte Rechtsbrüche und Rechtsbeugungen erlebt, gegen die nicht anzukommen war/ist, weil sie systemkonform sind. Ich habe unzählige Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte erleben müssen, die man schlicht »kriminell« nennen kann.

Sie waren/sind aber sakrosankt, weil sie per Ordre de Mufti gehandelt haben oder vom System gedeckt wurden, um der Reputation willen.....In der Justiz gegen solche Kollegen vorzugehen, ist nicht möglich, denn das System schützt sich vor einem Outing selbst - durch konsequente Manipulation. Wenn ich an meinen Beruf zurückdenke (ich bin im Ruhestand), dann überkommt mich ein tiefer Ekel vor meinesgleichen.‹« [1]
 
Herr v. Pierer und die Staatsanwälte - Von Prof. Hans-Joachim Selenz

Angela Merkel trennt sich von ihrem Berater Heinrich v. Pierer. Langsam wird es sogar der Kanzlerin peinlich. Der Ex-Siemens-Chef hat - inzwischen schriftlich belegt - schon früh von den schwarzen Kassen gewußt. Wie sollte es auch anders sein? Da verschwinden 1,4 Mrd. €  und der Chef kriegt nichts mit? An so etwas glauben in Deutschland bestenfalls der Osterhase und der Weihnachtsmann und natürlich der Staatsanwalt. Der muss es glauben. Er hat keine andere Wahl. Sein Glaube wird durch Eingebungen der Politik gespeist. Deutsche  Staatsanwälte sind weisungsgebunden. Das heißt, sie müssen unseren Politikern glauben. Und sei deren Wahrheit noch so unsinnig. Tun sie es nicht, drohen Versetzung oder das Ende der Karriere: EdeKa, so der Fachausdruck für das traurige Schicksal gesetzestreuer deutscher Staatsanwälte. Der Leiter der Staatsanwaltschaft München, Schmidt-Sommerfeld, beeilt sich daher, abzuwiegeln. Von Pierer habe vor diesem Hintergrund zwar grob fahrlässig gehandelt, so zu lesen in der Süddeutschen Zeitung; sein Verhalten sei indessen nur zivilrechtlich relevant, nicht aber strafrechtlich. Bei Untreue existiere kein Tatbestand der groben Fahrlässigkeit. Hier brauche es schon Absicht, so der Münchner Anwalt des Staates. Nur: die Grenze zwischen der sogenannten bewußten Fahrlässigkeit (bei Untreue straflos) und dem bedingten Vorsatz (bei Untreue strafbar) ist fließend.
 
Der BGH hält bereits diese Form des Vorsatzes bei der Verwirklichung des Straftatbestandes der Untreue (§ 266 StGB) für ausreichend. Danach handelt strafbar, wer »die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäfte eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, mißbraucht oder die ihm kraft Gesetz, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfte oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt.« Es genügt der bedingte Vorsatz (dolus eventualis), die schwächste Form des Vorsatzes. Um des angestrebten Zieles willen findet sich der Täter mit dem Risiko der Tatbestandsverwirklichung ab. Nach der Schuldtheorie - heute im Strafrecht grundsätzlich unbestritten - reicht für den Vorsatz schon die Kenntnis der Umstände, die den Pflichtverstoß begründen. Das Bewußtsein, etwas Unrechtes zu tun, ist nicht erforderlich; es genügt das Für-möglich-halten  (vgl. auch Habilitationsvortrag von Dr. Mark Deiters, ZIS, Heft 4, 2006, S. 152 – 160).
 
Was liegt bei Siemens vor? Briefe des ehemaligen Siemens-Korruptionswächters Schäfer vom Mai und April 2004 an v. Pierer - zur Kenntnis. Darin geht es um schwarze Kassen, eine völlig ineffiziente Aufsicht und Schmiergeldzahlungen als Unternehmensstrategie. Von Pierer wurde auch vor dem Einschreiten der amerikanischen Börsenaufsicht SEC gewarnt. Jetzt wird bekannt, daß er bereits 1998 persönlich aktiv eingeschaltet war. 10 Mio. $ Schmiergeld wurden trotz des Protestes von Mitarbeitern gezahlt. Diese sollten sich angeblich wie Soldaten von Siemens verhalten. Der oberste Siemens-General war also nicht nur bestens informiert, sondern sogar an der Korruptionsfront aktiv. Aktiv wurde er auch gleich zu Beginn des Siemens-Skandals bei der Politik. Von Pierer besuchte dazu Bayerns Innenminister Beckstein, Anfang Dezember 2006.
 
Nahezu zeitgleich hatte ich eine bemerkenswerte Begegnung mit einem Schweizer Staatsanwalt. Bei einem Vortrag am 3. Dezember 2006 in Zürich lobte ich die Staatsanwälte in München für ihren Einsatz im Fall Siemens (Selenz Kommentar 23.11.2006 Siemens ist überall!). Ich verglich ihren Mut mit den VW-Aktivitäten ihrer Kollegen in Braunschweig. Denen wird - nicht nur aus Sicht korrekter Kollegen - ganz offen Strafvereitelung im Amt vorgeworfen. Mein Tischnachbar, für Rechtshilfe und Geldwäscherei zuständig, raubte mir jedoch sofort den letzten Glauben an eine auch nur im Ansatz korrekte Arbeit seiner deutschen Kollegen. Man sei in Liechtenstein und in der Schweiz über Schwarzgeldbelege von Siemens geradezu gestolpert. Hinweise an die Kollegen in München, tätig zu werden, seien dort aber stets verhallt. Im Herbst 2006 habe man die Unterlagen schließlich zusammengepackt und sie den Kollegen an der Isar auf den Schreibtisch geknallt - mit der ultimativen Aufforderung verbunden: »Das sind eure Ganoven - kümmert euch endlich darum«. Das altdeutsche Bermuda-Dreieck aus Wirtschaftskriminalität, Polit-Filz und Untertanen-Justiz stinkt mittlerweile weit über unsere Grenzen hinaus. Und das nicht nur im Fall v. Pierer/Siemens.
 
Prof. Dr.-Ing. Hans-Joachim Selenz, Peine, den 19. April 2008¸ www.hans-joachim-selenz.de
 
Schon am 21. 2. 2006 war auf der homepage von Professor Selenz folgendes zu lesen:
 
Kriminelle‹ Staatsanwälte - ›Criminal‹ Prosecutors/State-Attorneys
Die Rolle der Staatsanwälte in diesem unserem Lande ist vielen deutschen Bürgern nicht klar. 99 % aller Deutschen halten Staatsanwälte für Garanten von Recht und Gesetz. Für Hüter des Rechtsstaats. Ohne Ansehen der Person verfolgen sie Verstöße gegen unsere Rechtsordnung und übergeben ihre Erkenntnisse unabhängigen Richtern, die alsdann Recht sprechen. Das Ganze läuft unter dem Begriff Legalitätsprinzip. Vor dem Gesetz sind danach alle Deutschen gleich. So steht es auf dem Papier. Doch Papier ist bekanntlich geduldig. 60 Jahre nach Überwindung der Nazi-Diktatur haben sich in Deutschland gefährliche Standards ausgebildet. Seit Jahren weisen korrekte Richter und Staatsanwälte auf explizit kriminelles, d.h. aktiv ungesetzliches Verhalten von Kollegen hin. Ein Verhalten, das von ›oben‹ geduldet, bzw. angeordnet wird. Staatsanwälte an der Leine von Politikern. Insbesondere, wenn Partei-Genossen bzw. -Freunde im trüben Spiel sind. Für sie wird der Rechtsstaat zum juristischen Schlaraffenland. Die Verfolgung selbst schwerster Vergehen wird aktiv unterbunden. Viele Politiker an der Spitze unseres Landes halten sich schon lange nicht mehr an die Regeln. Was Normalbürgern verboten ist, reizt einige Politiker offenbar ganz besonders. Deutsche Politiker in gottgleicher Position. Staatsanwälte decken ihr Tun fürsorglich ab. Der Deutsche Richterbund spricht explizit von Regierungskriminalität. Er fordert seit Jahren die Aufhebung der Weisungsgebundenheit für Staatsanwälte. Der Anwalt des Staates - ganz urdeutscher Untertan - kehrt auf Weisung selbst schwerste Vergehen höchster Staatsvertreter unter den schmutzigen Justizteppich. Im juristischen Windschatten von Polittätern wie Johannes Rau [von 1999 bis 2004 Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland] tummeln sich befreundete Gangster in Nadelstreifen à la Neuber. Der Schutz krimineller Politiker und ihrer Entourage führt zur Mißachtung von Recht und Gesetz. Das ist zwar nur allzu menschlich, hat mit einem Rechtsstaat jedoch nicht einmal mehr im Ansatz etwas zu tun. Das illegale Verhalten lokaler Staatsanwaltschaften führt so geradezu zwangsläufig auch zu schwersten Schäden im In- und Ausland.    
 
1 Frank Fahsel, Fellbach [bei Stuttgart], in der Süddeutschen Zeitung, 9.4.2008        
Quelle: Nation & Europa 5/2008