Die Mafia Italiens 19.09.2008 22:39
Wie am 18. 9. 08 gemeldet, ist der Chef des kalabrischen Pelle-Vottari-Clans, der auch in die Mafiamorde von Duisburg verstrickt sein soll, festgenommen worden. Der 32jährige soll der Auftraggeber für den Mord an der Frau des rivalisierenden Clan-Bosses Giovanni Nirta an Weihnachten 2006 gewesen sein. Die Ermordung der Frau des Chefs des mit Pelle verfeindeten Mafiaclans Nirta-Strangio gilt als Hintergrund der Schiesserei vor einer Duisburger Pizzeria im August 2007, bei der sechs Italiener im Alter zwischen 16 und 38 Jahren regelrecht hingerichtet wurden. Was dieses Geschehen betrifft, so ist die Lektüre des nachfolgenden Artikels von Jürgen Roth gewissermassen unerlässlich:
Mafia in Deutschland »Geldwäsche ist hier einfacher« - Von Jürgen Roth Durch den Sechsfachmord von Duisburg vom August 2007 geriet die italienische Mafia in den Blickpunkt der deutschen Öffentlichkeit. Doch das Interesse flaute bald wieder ab. Nun kommt mit ›Gomorrha‹ ein Film in die Kinos, der wieder für Gesprächsstoff sorgt. Und die Frage aufwirft: Welche Rolle spielt die Mafia eigentlich in Deutschland? In der Nacht zum 15. August 2007 wurden in der Duisburger Innenstadt sechs Männer regelrecht hingerichtet. In ihren Autos, die vor der Pizzeria Da Bruno parkten, wurden die Italiener von Dutzenden Kugeln durchsiebt. Alle starben letztlich durch gezielte Kopfschüsse, die Killer entkamen. Wie die eilig einberufenen Ermittlungen ergaben, stammen Opfer als auch Täter aus dem kalabrischen Bergdorf San Luca. Die Bluttat war der vorläufige Höhepunkt einer Fehde zweier rivalisierender Familien der kalabrischen Mafia, der ’Ndrangheta. Der tödliche Streit zwischen den Clans Strangio-Nirta und der Pelle-Vottari hatte schon in den 90er Jahren begonnen. Im Zuge ihrer Ermittlungen verhaftete die italienische Polizei mehrere Personen, die indirekt an den Duisburger Morden beteiligt waren. Unter anderem wurde der 31jährige Clan-Chef Paolo Nirta in San Luca gefasst. Die Killer von Duisburg sind weiter auf der Flucht. In den Monaten nach der Bluttat war der Druck auf die deutschen Ermittler enorm. Die Bürger wollten wissen, warum die italienische Mafia jetzt schon auf deutschem Gebiet töten konnte. Eilig wurde eine deutsch-italienische Task Force gegründet, die bei der Aufklärung der Morde zusammenarbeiten sollte. Die Ergebnisse dieser Ermittlungen werden noch immer ausgewertet. Unterdessen verschwand das Thema ›Italienische Mafia‹ schnell wieder aus der öffentlichen Diskussion. Keine Morde, keine Publicity - der Mafia konnte dieses Schweigen nur recht sein. Sie ging wieder dezent ihren Geschäften nach, auch in Deutschland. Mit ›Gomorrha‹ kommt nun ein Film in die Kinos, der die öffentliche Aufmerksamkeit erneut auf das Thema lenkt. Dieser ist die Verfilmung des gleichnamigen Buches von Roberto Saviano, das allein in Italien mehr als 1,3 Millionen Mal verkauft wurde. Mit seiner wütenden Anklageschrift gegen die neapolitanische Camorra schaffte es Saviano auch in Deutschland in die Bestseller-Listen. Aus den unzähligen Details, die der Autor in seinem Buch auflistet, destilliert der Film fünf packende Einzelschicksale heraus (Rezension). In nüchternen Bildern zeigt der Film die brutale Parallelwelt, die von der Camorra in und um Neapel errichtet wurde. Zustände, die auch hierzulande drohen? ›Deutsche Angelegenheit‹ »Die deutsche Aufgabe nach der Tragödie von Duisburg ist es, das Problem als deutsche, als europäische Angelegenheit zu verstehen«, hat Roberto Saviano vergangenes Jahr in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung gewarnt. Seit »mindestens zwanzig Jahren« würde die Mafia auch in Deutschland investieren [Anmerkung politonline: Dies wird durch folgende Meldung der Basler Zeitung vom 13. 12. 2007 bestätigt: »Italien warnt europäische Partner vor Mafia-Geldern - Italien hat die Staaten der EU vor dem wachsenden Einfluß der Mafia, die mittlerweile in allen Ländern und sämtlichen Wirtschaftszweigen investiere. Die Gesetzgebung sei in vielen europäischen Ländern unzureichend. »Schmutziges Geld aus kriminellen Aktivitäten ist in der ganzen EU in legale Aktivitäten investiert worden«, sagte Francisco Forgione, Vorsitzender des Mafia-Ausschusses im italienischen Parlament. »Niemand sollte vergessen, dass diese Gelder auch dann noch von Mafiosi verwaltet werden, wenn sie in den legalen Kreislauf eingeführt wurden«, so Forgione, dessen Ausschuss seit einem Jahr Anhörungen zum organisierten Verbrechen abhält. Während ein kürzlich veröffentlichter Bericht der italienischen Behörden den Umsatz der Mafia allein in Italien auf 90 Milliarden € schätzte, geht Forgione von 100 bis 150 Milliarden € aus. »Es fängt immer mit schmutzigem Geld aus dem Handel mit Drogen, Waffen oder Giftabfällen an, Einnahmen aus Menschenhandel und Erpressung«, sagt der Parlamentarier. Danach würde das Geld in ›sauberen‹ Aktivitäten wie der Bauindustrie, dem Tourismus, Immobilien, Einkaufszentren oder an der Börse gewaschen.« Bedenkt man die Zeitspanne von 20 Jahren, so stellt sich immer wieder dieselbe Frage: Wieso bezahlen wir zahllose EU-Funktionäre, EU-Abgeordnete in Strassburg sowie nationale Parlamentarier, ohne dass diese Vorgänge grundlegend abgestellt werden? Hingegen scheint es denselben Kräften ein Leichtes, ihre Bürger bis ins Mark zu überwachen und ihre gesamten Finanzen zu durchleuchten. Was spielt sich hier eigentlich ab resp. was ist der Grund dafür, dass wir derart preisgegeben sind? Weil es, wie Roth darlegt, »enge Beziehungen zu wirtschaftlichen und damit zu politischen Entscheidungsträgern gibt« oder auch deswegen, weil anzunehmen ist, dass sich die Mehrheit unserer Volksvertreter nach der Lektüre des Sachverhalts bequem zurücklehnt ?] Ähnlich sieht Buch-Autor Jürgen Roth, Experte für Organisierte Kriminalität (OK), die Situation. »Die italienische Mafia ist auf jeden Fall viel Einflußreicher, als es die offiziellen Stellen bisher zugegeben haben«, sagt Roth gegenüber dem tagesspiegel.de. Aber was sagen die deutschen Behörden, das Bundes- und die Landeskriminalämter, dazu? »Die Anzahl italienisch dominierter OK-Gruppen (19) ist im Vergleich zum Vorjahr (26) gesunken«, heißt es im Lagebericht des Bundeskriminalamts (BKA) von 2007, der Ende August 2008 in Berlin vorgestellt wurde. Also eine gute Nachricht? Das vom BKA vermittelte Bild sei »ganz sicher falsch«, kritisiert Mafia-Experte Roth: »Ich war vorige Woche wieder in Kalabrien und habe dort mit Staatsanwälten und Ermittlern gesprochen, die sagen genau das Gegenteil.« In Deutschland sei der Einfluß der ’Ndrangheta, aber auch der sizilianischen Cosa Nostra und der kampanischen Camorra, in den letzten Jahren ständig gewachsen. Roth sieht schwere Versäumnisse in der Mafia-Bekämpfung und -Aufklärung hierzulande: »Wenn einzelne Landeskriminalämter keine Mafia-Aktivitäten melden, weil sie überhaupt nicht ermitteln, dann kann das Bundeskriminalamt natürlich beruhigt sagen: Ja, sie sind zurückgegangen.« Weniger kritisch sieht der Kriminologe Klaus von Lampe die Arbeit der Ermittlungsbehörden: »Die deutsche Polizei hat seit Jahrzehnten italienische Straftäter im Visier, nimmt diese sehr ernst und ist hier wohl auch schneller als bei anderen ethnischen Gruppen geneigt, von organisierter Kriminalität auszugehen.« Allerdings räumt auch von Lampe ein, dass im Kampf gegen die italienische Mafia Kapazitäten fehlen: »Nach dem 11. September 2001 wurden viele Ressourcen in die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus verlagert.« ›Schlechtere Gesetze‹ Für Jürgen Roth sind es vor allem auch die im Vergleich zu Italien ›schlechteren Gesetze‹, die ein wirkungsvolles Vorgehen gegen mafiose Strukturen in Deutschland behindern: »Mir sagen dann immer die Staatsanwälte oder auch die Finanzpolizei: ›Hier in Italien hat die Mafia Angst, dass ihr Kapital beschlagnahmt wird, weil schon auf Verdacht beschlagnahmt werden kann. Die Mafia geht nach Deutschland, weil die Gesetze dort andere sind und man viel besser Geldwäsche betreiben kann‹.« Deutschland sei eben viel mehr als nur ein Rückzugsraum für untergetauchte Mafiosi. Geldwäsche ist ein abstrakter Begriff, konkret bedeutet er, dass die Mafia Aktien oder Fondsanteile kauft. Auch investiert sie ins Baugewerbe, in Transportunternehmen, Handelsgesellschaften und Hotels. Roth erzählt, wie ihm ein Ermittler der DIA (Direzione Investigativa Antimafia) im kalabrischen Cosenza von einer Telefon-Abhöraktion berichtete. Ein Mafioso aus Süddeutschland habe eine Immobilie in Deutschland kaufen wollen. Sein Mafia-Clan in der Heimat habe nur müde abgewunken: »Lass’ es, uns gehört doch schon die ganze Häuserzeile.« Auch Roberto Saviano sieht das Bauwesen - vor allem in Ostdeutschland - durch die ’Ndrangheta und die Camorra infiziert: »Hunderte von Firmen, die als Subunternehmen arbeiten, sind mit den Clans verbunden.« Mafia-Outsourcing Neben der Geldwäsche betreibt die italienische Mafia in Deutschland Waffenhandel, Schutzgelderpressung, Kfz-Verschiebung und natürlich Drogenhandel, vor allem mit Kokain. Laut BKA-Bericht ist die Bedeutung der italienischen OK-Gruppen beim Handel und Schmuggel mit Kokain zurückgegangen; deutsche, türkische und nigerianische Banden würden den Markt dominieren. Allerdings hält Klaus von Lampe es auch hier für schwierig, den genauen Einfluß von Camorra, ’Ndrangheta und Cosa Nostra beim Drogenhandel zu bemessen: Häufig arbeite die Mafia mit anderen Gruppierungen zusammen, die unter ihrem Schutz stünden und im Gegenzug einen Teil ihrer Erträge ablieferten. Solche Feinheiten tauchen in der öffentlichen BKA-Statistik nicht auf. Der weitreichende wirtschaftliche Einfluß der Mafia tritt allerdings immer dann in den Hintergrund, sobald es Tote gibt wie in Duisburg. Blutige Mafia-interne Streitigkeiten scheinen die Menschen sehr viel stärker zu faszinieren als unsichtbare Geldströme - auch die Handlung des Films ›Gomorrha‹ lebt in erster Linie von der bewaffneten Auseinandersetzungen zweier verfeindeter Camorra-Clans. Grenzüberschreitende Verflechtungen werden im Film nicht thematisiert - im Gegensatz zum Buch, in dem Saviano zahlreiche Beispiele für den weltumspannenden Einfluß der Mafia nennt. Jürgen Roth ist der Ansicht, dass es in Deutschland, wie in Italien, »enge Beziehungen zu wirtschaftlichen und damit zu politischen Entscheidungsträgern gibt«. Und legt nach: »Den politischen Entscheidungsträgern ist es aber eher ein Dorn im Auge, dass dieses Thema, auch durch kritische Kriminalisten, wegen der Morde problematisiert wurde.« Klaus von Lampe formuliert es vorsichtiger: »Gerade wo es um Verflechtungen zwischen legalen und illegalen Strukturen geht, ist allerdings auch Transparenz von Politik und Verwaltung ein entscheidender Punkt.« Dafür wird es wohl mehr als einen Film oder ein Buch brauchen. Erschienen auf http://www.tagesspiegel.de/politik/deutschland/Mafia-Camorra-Cosa-Nostra-Gomorrha-Roberto-Saviano;art122,2612913 15.9.08; alle Hervorhebungen durch politonline; Bücher des Autors finden Sie auf unserer Bücherseite vorgestellt. Siehe auch http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=1014 Arbeitswelt: Der Horror - Die Kehrseite der »EU-Werte-Demokratie« sowie http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=956 Kosovo - Kosten ohne Ende: Das Kosovo auf dem Weg in die Unabhängigkeit - Rechtsstaat? Lieber nicht! Von Jürgen Roth
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