EU-Gipfel: Vorstoß für eine europäische Diktatur

Wie »Strategic Alert« darlegt, taten die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer auf dem EU-Gipfel in Brüssel am 11. Februar nichts,

um den sich abzeichnenden Zusammenbruch des Eurosystems abzuwenden. Sie beteuerten nur formal ihre Solidarität mit Griechenland, damit die dortige Regierung die von der EU diktierte Sparpolitik durchsetzt. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy machte auf der anschließenden Pressekonferenz deutlich, daß die EU eine Diktatur schaffen will, in der der Europäische Rat als imperiale Junta mit zunehmender Macht über die Mitgliedsstaaten dienen soll. Wie an die britische Zeitung The Independent durchsickerte, hatte Van Rompuy vor dem Gipfel einen Brief an die Regierungschefs geschickt, dessen Anhang folgendes ausführt:
 
»Die Mitglieder des Europäischen Rats sind für die Wirtschaftsstrategie ihrer Regierung verantwortlich. Sie sollten das gleiche auf der Ebene der EU tun. Ob man es Koordination der Politik oder Wirtschaftsregierung nennt, nur der Europäische Rat ist in der Lage, eine gemeinsame europäische Strategie für mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze in Gang zu setzen und aufrechtzuerhalten. ….. Haushaltspläne, Strukturreformpläne und Berichte zum Klimawandel sollten gleichzeitig der Kommission vorgelegt werden. Das wird einen umfassenden Überblick bieten.« Van Rompuy weiter: »Jüngste Entwicklungen in der Eurozone werfen ein Schlaglicht auf die dringende Notwendigkeit, unsere Wirtschaftsregierung zu stärken. In unseren ineinander verflochtenen Volkswirtschaften müssen die Reformen koordiniert werden, um deren Wirkung zu maximieren. ….. Die Krise hat unsere Schwächen offenbart. Unsere strukturelle Wachstumsrate ist zu niedrig, um neue Arbeitsplätze zu schaffen und unsere Sozialsysteme zu erhalten.« Bei der Pressekonferenz sprach Van Rompuy zwar nicht von einer Wirtschaftsregierung, verwendete aber die ansonsten gleichen Formulierungen. Der Europäische Rat sei »sehr ehrgeizig«, betonte er. »Wir wollen Besitzrechte, wir wollen führen, aber natürlich in Absprache mit den Mitgliedsstaaten. Deshalb schlage ich vor, daß der Rat sich regelmäßig jeden Monat trifft.«
 
Noch unverhohlener beschrieb Alberto Giovannini, einer der wichtigsten Akteure im Eurosystem, die imperialen Pläne der EU am 10. 2. in der italienischen Tageszeitung Il Sole 24 Ore: »Die Geschichte lehrt uns, daß Imperien immer effizienter sind und großen Wohlstand erreichen, denn das imperiale Modell ist bei einer ausgedehnten Geographie erfolgreich, indem ein Zentrum eine effektive und funktionale politische Rolle einnimmt.« Giovannini, ein Schüler Robert Mundells, des Gurus der Weltwährung, leitet eine Beratergruppe der EU ( die Giovannini-Gruppe), die ursprünglich gegründet wurde, um den Übergang von nationalen Währungen zum Euro zu überwachen. Zu seinen negativen Referenzen gehört auch, daß er im Vorstand des berüchtigten Spekulationsfonds LTCM saß und die Plattform für elektronischen Handel mit Staatsanleihen EuroSTMS schuf. In dem Interview wirbt Giovannini auch für ein Arbeitspapier der EU-Kommission, in dem gefordert wird, 80 % der Staatsschulden der EU-Länder als EU-Schulden zu deklarieren, so daß nur noch der Rest als nationale Schuld dem Risiko eines Staatsbankrotts ausgesetzt wäre. Die  Giovannini-Gruppe habe über einen Eurobond-Plan diskutiert: »Wir haben verschiedene Mechanismen ausgearbeitet. Technische Lösungen lassen sich finden, das Problem ist ein politisches. Wir brauchen eine politische Einheit, eine politische Union, dann kommen die  Bonds.« Das politische Problem sei »das Geld: Wer macht die Schulden? Wer zahlt sie und wer garantiert sie?« [Eine Frage, die er sich offenbar recht spät stellt. Anmerk. d. Red.] Bisher hätten sich in der EU die Sonderinteressen durchgesetzt. Als Lösung regte er an, »in Verbindung mit der europäischen Anleihe eine europäische, nicht-nationale Steuer einzuführen. Das Europäische Parlament, das gegenwärtig ein Gewirr von Partikularinteressen ist und keine maßgebliche Rolle spielt, könnte gestärkt werden, um Ausdruck einer europäischen politischen Union zu sein.«
 
Deutschland könnte zurückschlagen
Der kaum verhüllte Vorstoß zu einer Wirtschaftsdiktatur, den Ratspräsident Herman Van Rompuy am 11.2. verkündete, droht nicht nur Griechenland, sondern alle 27 Mitgliedsländer der EU zu Protektoraten des Systems des Lissabon-Vertrags zu machen. Das Ziel ist dabei offensichtlich, die nächste Runde der Bankenrettung durchzusetzen, wofür die 400 Mio. Bürger der EU zahlen und die Länder die Souveränität über ihren Staatshaushalt aufgeben sollen. Diese Politik wird aber nicht nur auf massiven Widerstand der Gewerkschaften stoßen, sondern möglicherweise auch bei den Gerichten. Eine besonderer Fall ist hier Deutschland, da das Verfassungsgericht in Karlsruhe im Juni 2009 ausdrücklich geurteilt hatte, daß die EU kein Bundesstaat sei, und in diesem Zusammenhang die Souveränität der EU-Mitgliedsstaaten sowie deren eigene Kontrollkompetenz bekräftigt hatte. Im Maastricht-Urteil vom Oktober 1993 hatte Karlsruhe jeder deutschen Regierung das Recht zugesprochen, die Währungsunion zu verlassen, falls sich die Stabilität des Euro als Trugschluß herausstellen und hinter dem Währungsstandard der D-Mark zurückbleiben sollte. Angesichts der akuten Krise des Euros wurde dies in führenden Medien in England (London Times, The Telegraph), Frankreich (Les Echos) und anderen europäischen Ländern angesprochen. Die Kommentatoren weisen darauf hin, daß Klagen gegen die deutsche Regierung angestrengt werden könnten, um zu verhindern, daß der deutsche Steuerzahler für die finanzielle Rettung anderer EU-Länder bluten muß. Selbst die Frankfurter Allgemeine Zeitung, traditionelles Sprachrohr monetaristischer Frankfurter Bankeninteressen, publizierte am 11. 2. einen entsprechenden Leitkommentar von FAZ-Herausgeber Holger Steltzner: »Im Klartext heißt das: Deutschland soll für die Schulden Griechenlands einstehen. Aber so hat man den Deutschen den Euro nicht verkauft. Vor dem Abschied von der Deutschen Mark wurde feierlich der Maastrichter Vertrag unterzeichnet, der ausdrücklich verbietet, daß ein Mitglied der Währungsunion für die Schulden eines anderen  haftet. Wenn dieses zentrale Gebot finanzpolitischer Stabilität nicht mehr gilt, dann sind der Maastrichter Vertrag, der Stabilitäts- und Wachstumspakt und auch die Schuldengrenze im Grundgesetz das Papier nicht wert, auf dem die Stabilität gelobt wird. Dann werden sich die Deutschen die Mark zurückwünschen.«
 
In der Tat werden die europäischen Nationen nur überleben, wenn sie die Souveränität über ihre eigene Währung und Wirtschaftspolitik wiedererlangen. Und sie werden auch nur überleben, wenn die Hochrisiko-Spekulation, die die G-20-Regierungen seit dem Ausbruch der Krise vor 27 Monaten immer wieder abgesegnet haben, ein für allemal durch die Wiedereinführung des amerikanischen Glass-Steagall-Standards beendet wird, bei dem die Tätigkeiten von Geschäfts- und Investmentbanken strikt getrennt und wertloser Giftmüll gestrichen wird. Wir werden sehen, wie das Karlsruher Verfassungsgericht auf den jüngsten EU-Gipfel reagiert. In dieser hochdramatischen und hochgefährlichen Situation ist es unerläßlich, daß mit Mythologien aufgeräumt und die Wahrheit wiederhergestellt wird. Ein solcher Mythos ist es, daß Banken einen systemischen Charakter hätten und sie deshalb immer wieder vom Steuerzahler gerettet werden müßten. Wenn etwas systemischen Charakter hat, dann ist es die Realwirtschaft, das Allgemeinwohl und das Leben der Bürger. 1
 
Massenstreik gegen EU-Bankendiktatur?
Mit Hilfe ihrer zusätzlichen Machtbefugnisse aus dem Lissabon-Vertrag treibt die EU- Kommission die Bankendiktatur voran. Bei der Bewilligung des Austeritätsplans der griechischen Regierung berief sie sich auf Art. 121 des Vertrags, der ihr eine Einmischung in die Mitgliedsstaaten erlaubt, wenn deren Politik gegen europäische Wirtschaftsvorschriften verstößt oder sie gefährdet. So wurde Griechenland von der Kommission unter strenge finanzielle Aufsicht gestellt und muß über seine Fortschritte bei der Umsetzung der Sparpläne vierteljährlich Bericht erstatten. Gelingt es der Regierung nicht, das Haushaltsdefizit zu senken, will die Kommission sie zwingen, zusätzliche Sparmaßnahmen zu ergreifen, und falls die Regierung sich weigert, können Sanktionen verhängt werden. Griechenland ist natürlich nur das erste Land, das diesem Regime unterworfen werden soll; Spanien und Portugal werden die nächsten sein. Die Gewerkschaften planen inzwischen Streiks gegen die von Papandreou angekündigten Sparmaßnahmen: Gehaltsbegrenzungen, Einstellungsstop im öffentlichen Dienst, Kürzungen staatlicher Leistungen, eine Treibstoffsteuer und die Erhöhung des Rentenalters. Bloomberg.com http://www.bloomberg.com schrieb in dem Zusammenhang von einem drohenden Massenstreik: man weiß, wie die Reaktion in Griechenland sein wird. Man geht nicht so vor, wenn man nicht auch die Reaktion auslösen will.
 
Der griechische Gewerkschaftsverband GSEE, der 2 Mio. Arbeitnehmer aus der privaten Wirtschaft vertritt, hat unter dem Motto Erst die Menschen, dann die Märkte und Profitezu einem Generalstreik am 24. 2. aufgerufen. GSEE-Sprecher Statish Anestis warf der Regierung vor, sich den Märkten zu unterwerfen. Am 4.2. und 5.2. gingen Mitglieder der Gewerkschaft der Steuer- und Zollbeamten auf die Straßen und blockierten die Zugänge zum Wirtschafts- und Finanzministerium. Nimmt man die Gewerkschaftsmitglieder sowie die nicht genau erfaßte Zahl mobilisierter Bauern zusammen, so ist etwa ein Drittel der 10 Mio. Einwohner Griechenlands bereit, gegen die EU-Politik auf die Straße zu gehen. Unterdessen drohen in Spanien die Gewerkschaften mit massiven Protesten gegen Regierungspläne für Haushaltskürzungen, Erhöhung des Rentenalters und Lohn- und Gehaltsbeschränkungen. In Portugal erklärte Finanzminister Teixeira Dos Santos, Griechenland und Portugal seien Opfer des animalischen Geistes der Finanzmärkte. Dennoch verteidigt er vehement die Austeritätspolitik seiner Regierung. Man rechnet damit, daß die portugiesischen Schulden bis Ende des Jahres auf 75 – 85 % des BIP ansteigen werden. Die Regierung will dies zum Teil durch Verkauf von Staatsbesitz ausgleichen, für den sie Einnahmen von 960 Mio. € erwartet. Ihre Pläne haben scharfe Kritik der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes ausgelöst, die traditionell die kämpferischste im Land ist. 2
 
 
1 Strategic Alert, Jahrg. 24, Nr. 7 vom 17. Februar 2010
2 Strategic Alert, Jahrg. 24, Nr. 6 vom 11. Februar 2010