Politik oder Prostitution? Das gekaufte Parlament - Von Lukas Reimann

Natürlich soll die Politik in engem Kontakt mit der Wirtschaft stehen. Neulich zeigten mir Gewerbeunternehmer ordnerweise

 ihren Bürokratie- und Gebührenkampf mit den Behörden auf. Das hat mich überzeugt, für den Bürokratie- und Gebührenabbau etwas zu tun. Das Wichtigste beim Kontakt mit Interessengruppen ist aber, dass der Politiker unabhängig bleibt und keiner Lobby verpflichtet ist, sondern nur seinen Wählern. Im heutigen Parlament ist dies ein Wunschtraum. Während der Session treiben sich da auf einen Nationalrat 10 Lobbyisten herum. Aktuelle und haarsträubende Beispiele gibt es genug: Die CVP lässt sich von der mit Steuergeld gestützten UBS 100.000 Franken zusichern. Dass man jetzt nach Parteiaustritten zurückkrebst, ändert nichts daran, dass nur ein Tag nach der Spendenzusicherung auffällig

viele CVP-Ständeräte ihre Meinung änderten und nichts mehr von einem Lohndeckel für die UBS wissen wollten. Werner Messmer (FDP) versuchte der SUVA mehr Freiheiten zu geben. Die Versicherungsbranche fürchtete die Konkurrenz und droht der FDP mit Geldentzug, wenn Messmer weiterhin in der zuständigen Kommission wirke. Messmer war seither nicht mehr an den Sitzungen. Andrea Hämmerle (SP) präsidiert die Fernmeldekommission. Auch war er Präsident der Nationalparkkommission und bekam von Hauptsponsor Swisscom hohe Spenden. In der Kommission hat er gemäss Handelszeitung mit 13 zu 12 Stimmen den Stichentscheid gegen eine Vorlage gegeben, welche die Telefon- und Internetkosten senken können hätte.
 
Besonders eklatant scheint der Lobbyismus im Gesundheitswesen zu sein. Politiker fast aller Lobby-Bereiche von der Pharma über die Krankenkassen bis hin zu den Apothekern und Ärzten sitzen in der Gesundheitskommission. Die verschiedenen Allianzen verhindern damit, dass die Krankenkassenprämien sinken, denn keiner Lobby soll es weh tun. Und als es um die Ventilklausel, also die Einführung von Kontingenten ging, um die unkontrollierte Einwanderung und die steigende Arbeitslosigkeit wenigstens vorübergehend während der Krise zu bremsen, kam eisiger Widerstand. Sofort waren die Lobbyisten da und forderten die weiterhin unkontrollierte Einwanderung, schliesslich bräuchten gewisse Branchen jetzt erst recht Billigarbeiter aus dem Ausland. In der Sommersession lud UBS-Chef Grübel ausgewählte Parlamentarier zum 5-Gang-Menü im 5-Sterne-Hotel ein. Andere Parlamentarier lassen sich beschenken. Wieder andere  bekommen nach Abwahl oder Rücktritt tolle Jobs bei Firmen, für welche sie jahrelang politisiert haben. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.
 
Natürlich sagen alle, sie seien trotz lukrativen Jobs und schönen Spenden unabhängig. Nur in der Praxis passiert oft genau das Gegenteil. Politiker werden zu Marionetten ihrer Geldgeber. Wenn man von einem Sektor viel Geld erhält, soll man mir bitte nicht erklären, man sei nicht befangen, wenn im Parlament über genau diesen Bereich ein Entscheid zu fällen ist. Es braucht viel strengere Regeln bezüglich der Interessenbindungen und volle Transparenz. Wir wollen wissen, wer von wem eigentlich geführt wird.
 
Es gab verschiedene Anträge in Bern, welche Verbesserungen schaffen wollten. Oskar Freysinger (SVP) stellte einen Antrag auf volle Transparenz der Parlamentariereinkünfte. Politiker sollen alle Einkünfte offenlegen müssen. Der Antrag wurde im Ständerat aber deutlich abgeschmettert. Sind wir bereits soweit, dass die Mehrheit der Bundespolitiker etwas zu verbergen hat, wenn so ein Antrag abgelehnt wird? Anita Fetz wollte, dass wenigstens betroffene Politiker bei Interessenbindungen in den Ausstand treten sollen. Also zum Beispiel Krankenkassen- oder Pharma-Verwaltungsräte im Parlament: sie sollen sich bei Geschäften zu den Krankenkassenprämien doch bitte raushalten. Auch ihr Antrag scheiterte kläglich. Vielleicht wäre der Rat bei gewissen Geschäften ja nicht mehr beschlussfähig gewesen, hätten mehr als die Hälfte in den Ausstand treten müssen. Wer sich selbst verkauft, ist auch bereit, Land und Leute zu verkaufen. Der Schriftsteller Thomas Mann nannte den Politiker schon 1918 ein «niedriges und korruptes Wesen». Als Bürger fragt man sich, ob man unter solchen Umständen überhaupt noch wählen gehen soll? Unbedingt! Denn nur die Wähler haben es in der Hand, dies zu ändern. Politiker, die auf dem Buckel des Volkes abzocken, gehören abgewählt!
 
Ein guter Politiker kontrolliert die Mächtigen, statt von ihnen kontrolliert zu werden: Unbestechlich für das Volk! Das muss für alle Politiker aller Parteien gelten.
 
 
Quelle: DIE IDEE, Ausgabe 2/2010
Lukas Reimann ist Nationalrat in Wil SG