Syrien steht im Zentrum des Kriegs um Erdgas - Von Imad Fawzi Shueibi 17.06.2012 21:02
Der mediale und militärische Angriff gegen Syrien betrifft direkt den Weltwettbewerb
um
Energie, erklärt Professor Imad Shueibi, Vorsitzender des ›Center for Strategic Studies and Documentation‹ in Damaskus, in dem nachfolgenden meisterhaften Artikel:
Zu einem
Zeitpunkt, an dem die Eurozone einzubrechen droht, eine akute Wirtschaftskrise
die USA in die Schuldenfalle von 14.940 Milliarden $ geführt hat und ihr Einfluss
auf die Schwellenländer der BRICS-Staaten schrumpft, wird es klar, dass der
Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg und der politischen Dominanz vor allem
bei der Kontrolle über die Energie des 21. Jahrhunderts liegt: dem
Gas. Dies ist der Grund, warum Syrien, das im Herzen kolossaler Gasreserven
des Planeten liegt, angegriffen wird. Die Kriege des letzten Jahrhunderts waren
diejenigen des Öls, jedoch beginnt eine neue Ära, nämlich die der Gaskriege. Nach
dem Fall der Sowjetunion wurde es den Russen zunehmend klar, dass das
Wettrüsten sie geschwächt hatte, dies insbesondere wegen fehlender
Energieressourcen, die für alle industrialisierten Länder unabdingbar sind. Die
USA konnte sich dank ihrer Präsenz in den erdölreichen Gebieten ohne allzu
grosse Schwierigkeiten entwickeln und die internationale Politik über
Jahrzehnte bestimmen. Aus diesem Grund wandten sich die Russen den
Energieressourcen zu, insbesondere dem Gas und dem Öl. In Anbetracht dessen,
dass der Erdölsektor auf Grund seiner internationalen Aufteilung wenig
Marktperspektiven bot, strebte Moskau beim Erdgas danach, die Produktion, den
Transport und den Handel in grossem Massstab zu kontrollieren.
Den Anfang
nahm diese Entwicklung im Jahr 1995, als Wladimir Putin seine Gazprom-Strategie
in Gang setzte: ausgehend von den Gasgebieten Russlands über Aserbaidschan,
Turkmenistan, Iran (für den Vertrieb) bis zum Nahen Osten. Es ist sicher, dass
die Projekte «Nord Stream» und «South Stream» als Wladimir Putins Verdienst in
die Geschichte eingehen werden, indem sie Russland in die internationale Arena
zurückbrachten und seinen Einfluss auf die europäische Wirtschaft verstärkten,
die für Jahrzehnte als Alternative vom Gas oder vom Gas als präferierte
Ergänzung zum Öl abhängig sein wird. Zu diesem Zeitpunkt wurde es für
Washington dringlich, das Projekt «Nabucco» möglichst rasch zu lancieren, um
mit den russischen Projekten zu konkurrieren. Damit hoffte die USA, eine
internationale Aufteilung zu erreichen, auf deren Basis eine politische und
strategische Dominanz für die nächsten hundert Jahre möglich werden würde. Gas
wird die Hauptenergiequelle des 21. Jahrhunderts sein: sowohl als Alternative
zu den schwindenden weltweiten Ölreserven als auch als saubere Energiequelle.
Daher ist davon auszugehen, dass die Kontrolle über die Gasgebiete der Welt –
durch die alten wie auch die neuen Mächte – zur Ursache internationaler
Konflikte wird, die sich jeweils regional manifestieren werden. Offensichtlich
studierte Russland die Karten gut und lernte seine Lektion aus der
Vergangenheit, denn für den Zusammenbruch der Sowjetunion war die mangelnde Kontrolle
über die globalen Energieressourcen verantwortlich; und letztere sind für das
Einschiessen von Kapital und Energie in die industrielle Struktur unerlässlich.
Russland erkannte somit, dass Gas die Energiequelle des 21. Jahrhunderts sein
wird.
Geschichte des
grossen Gasspiels
Ein erstes
Studium der Gaskarte zeigt, dass sich dieses, was Vorkommen und Zugang zu den
Konsumgebieten betrifft, in folgenden Regionen befindet:
1. Russland: Wyborg und Beregovaya
2. Angrenzend an Russland: Turkmenistan
3. In mehr oder weniger unmittelbarer Nähe zu Russland:
Aserbaidschan und Iran
4. Russland entrissen: Georgien
5. Östliches Mittelmeer: Syrien und Libanon
6. Katar und Ägypten
Moskau
beeilte sich, auf zwei strategischen Achsen zu arbeiten: Die erste ist die
Errichtung eines langfristigen, auf dem Wirtschaftswachstum der Shanghaier
Organisation für Zusammenarbeit basierenden russisch-chinesischen Projekts; die
zweite Achse ist die Steuerung der Gasressourcen. So wurden die Grundlagen der
Projekte «Nord Stream» und «South Stream» entwickelt, als Antwort auf das
US-amerikanische «Nabucco»-Projekt, das von der Europäischen Union unterstützt
wurde und auf den Transport der Gasvorkommen im Schwarzen Meer und in Aserbeidschan
ausgerichtet ist. Was folgte, war ein strategischer Wettlauf zwischen diesen
zwei Initiativen um die Kontrolle Europas und der Gasvorkommen.
Was die Russische
Föderation betrifft, so verbindet das «Nord Stream»-Projekt Russland
durch die Ostsee bis Weinberg und Sassnitz unter Umgehung Weissrusslands direkt
mit Deutschland. Das «South Stream»-Projekt beginnt in Russland, führt durch
das Schwarze Meer nach Bulgarien und teilt sich zwischen Griechenland und Süditalien
einerseits sowie Ungarn und Österreich andererseits auf. Für die Vereinigten
Staaten geht das «Nabucco»-Projekt von Zentralasien und der
Schwarzmeerregion aus, verläuft dann durch die Türkei, wo die Speicherinfrastruktur
steht, und danach durch Bulgarien, durchquert anschliessend Rumänien und Ungarn,
führt nach Österreich und geht von dort in die Tschechische Republik, nach
Kroatien, Slowenien und Italien. Es sollte ursprünglich durch Griechenland
verlaufen, aber diese Idee wurde unter türkischem Druck aufgegeben. «Nabucco»
sollte mit den russischen Projekten konkurrieren. Ursprünglich für 2014
geplant, musste es aufgrund technischer Probleme auf 2017 verschoben werden. Von da
an wendete sich das Gaswettrennen zugunsten des russischen Projekts, aber beide
Parteien sind immer noch auf der Suche, ihr Projekt auf neue Gebiete zu
erweitern. Dies bezieht sich einerseits auf das iranische Gas, das die USA für
die «Nabucco»-Pipeline verfügbar machen und bis zum Knotenpunkt in Erzurum
(Türkei) transportieren will; andererseits auf das Gas aus dem östlichen
Mittelmeer: Syrien, Libanon und Israel.
Der Iran
traf seinerseits einen strategischen Entscheid, der im Juli 2011 in die
Unterzeichnung mehrerer Vereinbarungen über den Gastransport durch den Irak
nach Syrien mündete. Diese Vereinbarungen machen Syrien zusammen mit den
Gasreserven Libanons zu einem Zentrum für Lagerung und Produktion.
Es entsteht so in puncto Strategie und Energie eine ganz neue Einflusssphäre,
die sich geographisch vom Iran über den Irak bis zu Syrien und den Libanon
erstreckt. War diese Sphäre bislang über Jahre unterdrückt, treten nun die
Kämpfe um die Kontrolle von Syrien und dem Libanon mit zunehmender Intensität
zutage und lassen auch die aufstrebende Rolle Frankreichs erkennen, das das östliche
Mittelmeer als sein historisches Einflussgebiet mit ewigen
Interessensansprüchen betrachtet. Der heutige Anspruch Frankreichs folgt einer
langen Phase strategischer Abwesenheit nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit anderen
Worten: Frankreich will eine Rolle in der Welt (der Gasversorgung) spielen, in
der es in gewisser Weise seine «Krankenversicherung» in Libyen erworben hat und
nun eine «Lebensversicherung» in Syrien und Libanon erwerben will. Was die
Türkei betrifft: Sie merkt, dass sie von diesem Kampf ums Gas ausgeschlossen
bleibt, solange das «Nabucco»-Projekt im Verzug ist. Da die Türkei nicht an den
Projekten «South Stream» und «Nord Stream» beteiligt ist, weiss sie nur zu gut,
dass das Gas des östlichen Mittelmeers ausserhalb des «Nabucco»-Projekts und
damit ausserhalb ihres Einflusses ist.
Die Achse
Moskau–Berlin Für die
«Nord-» und «South-Stream»-Projekte gründete Moskau in den 1990er Jahren das
Unternehmen Gazprom. Deutschland, das sich ein für alle Mal von den
Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs befreien wollte, entschloss sich, sich
aktiv zu beteiligen, sei es bei den Installationen, der Überprüfung der
Nord-Pipeline oder bei den Gasspeicherorten am Ende der «South Stream»-Pipeline
in der deutschen Nachbarschaft, insbesondere in Österreich. Die deutsche
Gazprom-Tochter, ›Gazprom Germania‹, wurde in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim
Gornig gegründet, einem Moskau-nahen Deutschen, der in der DDR als Vizeminister
für Kohle und Energie die Aufsicht über das Erdgasleitungsnetz der DDR innehatte,
und bis Oktober 2011 von Wladimir
Kotenev, dem ehemaligen russischen Botschafter in Deutschland, geführt. Gazprom
hat eine Anzahl von Transaktionen mit
deutschen Unternehmen unterzeichnet, vor allem mit jenen, die mit «Nord Stream»
zusammenarbeiten, z. B. mit dem Energie-Riesen E.ON und der BASF für
Chemikalien; dies mit Klauseln für E.ON, die Vorzugstarife bei Preiserhöhung
gewährleisten, was einer gewissen «Unterstützungspolitik» des deutschen
Energiesektors durch Russland gleichkommt. Moskau nutzte die Liberalisierung
des europäischen Gaskartells, bei der die Verteilungsnetze von den
Produktionsanlagen getrennt wurden. Nach der Zeit der Zusammenstösse zwischen
Russland und Berlin begann eine Phase wirtschaftlicher Zusammenarbeit zugunsten
einer Erleichterung der auf Deutschlands Schultern lastenden immensen Schulden,
einer
dem amerikanischen Joch zu verdankenden Schuldenlast Europas.
Deutschland sieht den deutschsprachigen Raum - Deutschland, Österreich, Tschechien, Schweiz
- dazu bestimmt, das Herz Europas zu
werden, er soll jedoch weder die Konsequenzen der Überalterung eines ganzen
Kontinents noch den Sturz einer anderen Supermacht ertragen.
Die
deutschen Initiativen von Gazprom umfassen das Joint-Venture von Wingas mit
Wintershall AG, einer Tochtergesellschaft der BASF, das der grösste Produzent
von Öl und Gas in Deutschland ist und 18 % des Gasmarkts kontrolliert. Gazprom
verkaufte den wichtigsten deutschen Partnern beträchtliche Beteiligungen an
seinen russischen Vermögenswerten. BASF und E.ON kontrollieren jeweils fast ein
Viertel der Loujno-Rousskoïé-Gas-Felder, die «Nord Stream» zum Grossteil
beliefern; und es ist daher nicht reiner Zufall, wenn die deutsche Tochter von
Gazprom, ›Gazprom Germania‹, bis zu 40 % des österreichischen
Unternehmens Austrian Centrex Co besitzen wird; dieses ist auf die Lagerung von
Gas spezialisier und soll sich bis nach Zypern ausdehnen: eine Erweiterung, die
der Türkei sicher nicht gefällt.
Die Türkei
vermisst es sehr, die ihr zugedachte, jedoch nun verzögerte Rolle im Rahmen des
«Nabucco»-Projekts auszufüllen, dergemäss sie zunächst 31 und später bis zu 40
Mrd. m3 Gas pro Jahr
speichern, vermarkten und transportieren soll; ein Projekt, das Ankara immer
mehr den Beschlüssen von Washington und der NATO unterordnet, ohne auf einen
Beitritt zur EU, der der Türkei bereits mehrfach verweigert wurde, insistieren
zu können. Die an Gas gebundenen strategischen
Verknüpfungen gewinnen auch auf der Ebene der Politik immer stärker an Bedeutung,
da Moskau ein effektives Lobbying bei der deutschen Sozialdemokratischen Partei
in Nordrhein-Westfalen betreibt, einer industriellen Schwerpunktregion und
Heimat der deutschen Grosskonzerne RWE und E.ON. Dieser Einfluss wurde von
Hans-Josef Fell, dem Verantwortlichen der Grünen für Energiepolitik,
beschrieben: ihm zufolge nehmen vier deutsche Unternehmen mit Verbindungen zu
Russland eine wichtige Rolle in der Ausformulierung der deutschen
Energiepolitik ein. Sie stützen sich dabei auf ein kompliziertes Lobby-Netzwerk
mit Zugang zu den Ministerien und beeinflussen die öffentliche Meinung über den
Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft, der die deutschen Unternehmen vertritt
und enge Wirtschaftskontakte mit Russland und weiteren Ländern der früheren
Sowjetunion pflegt. Vor diesem Hintergrund besteht in Deutschland
unverzichtbares Schweigen angesichts des wachsenden russischen Einflusses.
Dieses Schweigen basiert auf der Notwendigkeit, die «Energiesicherheit» Europas
zu verbessern. Es ist interessant festzustellen, dass Deutschland die
Auffassung vertritt, die Politik der Europäischen Union zur Lösung der
Eurokrise könnte die deutsch-russischen Investitionen behindern. Dies erklärt
unter anderem, warum Deutschland bei der Rettung des durch europäische Schulden
erkrankten Euros so zaudert, obwohl es zusammen mit den anderen Ländern im
deutschsprachigen Raum allein diese Schulden tragen könnte. Jedes Mal, wenn die
Europäer sich der deutschen Politik gegenüber Russland in den Weg stellen,
behauptet Deutschland, dass die utopischen Pläne von Europa nicht machbar seien
und Russland dazu bewegen könnte, sein Gas in Asien zu verkaufen, und die
europäische Energiesicherheit damit in Gefahr bringen könnte. Das
russisch-deutsche Verhältnis war nicht unbelastet, als Putin das Erbe des
Kalten Krieges mit den drei Millionen russischsprachigen Bewohnern Deutschlands
antrat, welche nach den in Deutschland lebenden Türken die zweitgrössten
Gemeinschaft bildeten. Putin war auch geschickt beim Aufbau eines Netzwerks mit
ehemaligen ostdeutschen Funktionären, die angeworben wurden, um die Interessen
der russischen Unternehmen in Deutschland zu vertreten, ganz zu schweigen von
der Einstellung
von Ex-Agenten des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit, der
Stasi. Laut dem «Wall Street Journal» sollen beispielsweise die Personal- und
Finanzdirektoren von ›Gazprom
Germania‹ oder auch der Finanzdirektor
des «Nord Stream»-Konsortiums, Matthias Warnig, Putin dabei geholfen haben,
Spione in Dresden anzuheuern, als er noch ein junger Offizier des KGB war. Man muss
jedoch zugeben, dass Russlands Verwendung der ehemaligen Beziehungen für Deutschland
keinen Schaden verursachte, weil die Interessen beider Parteien gewahrt wurden,
ohne dass die eine die andere dominierte.
Das
Projekt «Nord Stream», die Hauptverbindung zwischen Russland und Deutschland,
wurde vor kurzem mit Pipeline-Kosten in Höhe von 4,7 Milliarden € eröffnet.
Obwohl die Leitung Russland mit Deutschland verbindet, erkannten auch die
anderen europäischen Staaten, dass dieses Projekt einen Beitrag zur
europäischen Energiesicherheit bedeutet, und liessen Frankreich und Holland
eilig erklären, dass es sich um ein «europäisches» Projekt handle. In diesem
Zusammenhang ist es interessant zu erwähnen, dass Herr Lindner, der
Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, ohne Zögern
erklärte, dass es wirklich «ein europäisches Projekt und kein deutsches, sei,
und dass er Deutschland nicht in eine grössere Abhängigkeit von Russland
bringen wolle». Eine solche Erklärung bestätigt die Besorgnis um die Zunahme
des russischen Einflusses in Deutschland. Tatsache bleibt, dass das «Nord
Stream»-Projekt strukturell der Planung Moskaus entspricht, nicht der Planung
der EU. Die Russen können die Energieverteilung in Polen und in mehreren
anderen Ländern lähmen, wie sie wollen; ebenso sind sie in der Lage, Gas an den
Meistbietenden zu verkaufen. Die Bedeutung Deutschlands für Russland liegt
allerdings in der Tatsache, dass es die Plattform darstellt, von der aus
Russland seine kontinentale Strategie entwickeln kann: ›Gazprom Germania‹
besitzt Beteiligungen an 25 Gemeinschaftsprojekten in Grossbritannien, Italien,
in der Türkei, in Ungarn und in anderen Ländern. Diese Fakten veranlassen uns
zu der Annahme, dass Gazprom – in naher Zukunft – eines der grössten, wenn
nicht das grösste Unternehmen der Welt werden wird.
Eine neue Landkarte
von Europa und dann von der Welt zeichnen Die
Führung von Gazprom hat dieses Projekt nicht nur verwirklicht, sondern hat auch
versucht, das «Nabucco»-Projekt zu stören, dessen Fertigstellung – wie bereits
erwähnt – auf das Jahr 2017 hinausgeschoben werden musste und als eine ernste Herausforderung
eingestuft wurde. So begann Gazprom, das 30 % eines Projekts einer zweiten
Pipeline nach Europa mit ungefähr der gleichen Strecke wie «Nabucco» hält, was
selbst Gazprom-Befürwortern zufolge ein rein «politisches» Projekt ist, nämlich
einen politischen Bieterwettbewerb, um das «Nabucco»-Projekt zu stoppen oder zu
lähmen und so die eigenen Muskeln zu zeigen. Moskau ist eilig dabei, Gas in
Zentralasien und im Kaspischen Meer zu kaufen, mit dem Ziel, «Nabucco» zu
unterbinden und Washington gleichzeitig politisch, wirtschaftlich und
strategisch lächerlich zu machen. Gazprom betreibt Gaseinrichtungen in
Österreich, d.h. im strategischen Nahbereich von Deutschland, und mietet auch
Einrichtungen in Grossbritannien und Frankreich. Die wichtigen Speicheranlagen
sind jedoch in Österreich. Sie werden dazu verwendet, die Energie-Europakarte
neu zu zeichnen, da sie Slowenien, die Slowakei, Kroatien, Ungarn, Italien und
Deutschland beliefern. Zu diesen Einrichtungen gehört auch der Erdgasspeicher
mit dem Namen «Katharina», den Gazprom in Zusammenarbeit mit dem ostdeutschen
Gasversorger VNG in Sachsen-Anhalt baut, um Gas in die wichtigsten
Verbrauchszentren von Westeuropa exportieren zu können. Ferner hat Gazprom eine
gemeinsame Anlage mit Serbien aufgebaut, um Bosnien-Herzegowina und Serbien
selbst Gas anzubieten. Machbarkeitsstudien über ähnliche Speicherformen wurden
in der Tschechischen Republik, Rumänien, Belgien, Grossbritannien, der
Slowakei, der Türkei, Griechenland und sogar in Frankreich durchgeführt.
Gazprom stärkt so die Position von Moskau als dem Lieferanten von 41 % der von
Europa benötigten Gaslieferungen. Dies bedeutet ohne Zweifel einen
substantiellen Wandel in den Beziehungen zwischen Ost und West, in kurz-,
mittel- und langfristiger Hinsicht. Es kündigt auch ein Abebben des
US-Einflusses oder eine Kollision in Vorbereitung an, wenn man den US-Nato-Raketenschild
zur Etablierung einer neuen Weltordnung, in der Gas als der wichtigste
Stützpfeiler anzusehen ist, in Betracht zieht. Dies ist ein deutlicher Hinweis
auf die intensivierten Kämpfe im Nahen Osten um
das Gas an der Ostküste des Mittelmeers.
«Nabucco» und die Türkei in
Schwierigkeiten «Nabucco»
wurde aus der Taufe gehoben, um Gas über 3900 Kilometer von der Türkei nach Österreich
zu transportieren, und so konzipiert, dass 31 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro
Jahr aus dem Nahen Osten und dem Kaspischen Becken zu den europäischen Märkten
geliefert werden können. Die Eile der NATO-USA-Frankreich-Koalition, alle
Probleme im Nahen Osten, insbesondere in Syrien und Libanon, entschieden in
Übereinstimmung mit den eigenen Interessen zu beenden, folgt der Notwendigkeit,
stabile Bedingungen zu schaffen, um die eigenen Investitionen und den Transport
des Erdgases zu schützen. Die syrische Reaktion war ein
Vertrag, der den Transport von iranischem Gas durch den Irak nach Syrien
vereinbarte. Tatsächlich ist es das syrische und das libanesische Gas selbst,
das im Mittelpunkt des Kampfes steht, insofern es um die Entscheidung geht, ob
es an die Gasreserven für das «Nabucco»- Projekt oder ob es an Gazprom und sein
«South Stream»-Projekt angeschlossen werden wird. Das «Nabucco»-Konsortium
besteht aus mehreren Unternehmen: der deutschen RWE, der österreichischen ÖMV,
der türkischen Botas, der bulgarischen Energie Holding Company und der
rumänischen Transgaz. Vor 5 Jahren wurden die anfänglichen Kosten für das
Projekt auf 11,2 Mrd. $ geschätzt, aber sie könnten 2017 21,4 Mrd. erreichen.
Dies wirft viele Fragen hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Lebensfähigkeit
auf, insbesondere auf Grund des Umstands, dass Gazprom Verträge mit verschiedenen
Ländern, die die Überschusskapazität des turkmenischen Gases abschöpfen können,
abschliessen konnte, dies in dem Versuch, «Nabucco» auszubooten. Das «Nabucco»-Unternehmen
ist darüber hinaus in Frage gestellt, weil sich das iranische Gas als unerreichbar
herausstellt. Dies ist eines der verkannten Geheimnisse des Krieges um
den Iran, der die rote Linie mit seiner Herausforderung gegenüber der USA und
Europa überschritten hat, indem er Syrien und den Irak als Teil seiner
Gastransportwege gewählt hat. Die beste Aussicht für Gaslieferungen bieten für
«Nabucco» Aserbaidschan und die Shah-Deniz-Lagerstätte, die fast die einzigen
Bezugsquellen für ein Projekt geworden sind, das zum Scheitern verurteilt
scheint, bevor es noch begonnen hat. Dies zeigt sich einerseits an der
Beschleunigung der Vertragsunterzeichnungen Moskaus für den Erwerb der Quellen,
die zunächst für «Nabucco» bestimmt waren, und andererseits an den Schwierigkeiten,
geopolitische Veränderungen im Iran, in Syrien und im Libanon zu bewirken. Gleichzeitig
bemüht sich die Türkei, ihren Anteil am «Nabucco»-Projekt zu behaupten, sowohl
durch Unterzeichnung eines Vertrags mit Aserbaidschan für den Erwerb von 6
Milliarden m3 Gas im Jahr
2017, wie auch durch seine Versuche, sich an Syrien und Libanon zu vergreifen,
in der Hoffnung, den Transit von iranischem Öl zu blockieren oder einen Anteil
an dem libanesisch-syrischen Gasreichtum zu bekommen. Das Rennen um einen Platz
in der neuen Weltordnung eskaliert über Erdgas und andere Dinge, die von
militärischer Unterstützung bis hin zur Beherbergung von strategischen
Raketenschutzschild-Anlagen reichen.
Was
vielleicht die grösste Bedrohung für «Nabucco» bedeutet, ist der russische
Versuch, es zum Scheitern zu bringen, indem von Gazprom für «Nord Stream» und
«South Stream» bessere Verträge als für
«Nabucco» ausgehandelt werden. Dies würde sämtliche Einflussbemühungen der USA und
Europas sowohl in allgemeiner als auch in energiepolitischer Hinsicht
vereiteln, sei es in Bezug auf den Iran oder auf die Mittelmeerregion. Darüber
hinaus könnte Gazprom einer der grössten Investoren oder Betreiber der neuen
Lagerstätten von Gas in Syrien oder im Libanon werden. Es ist kein Zufall, dass
das syrische Ölministerium am 16. 8. 2011 die Entdeckung eines Gaslagers in der
Gegend von Qara, in der Nähe von Homs, ankündigte. Seine Produktionskapazität
wäre 400 000 m3 pro Tag
(146 Millionen m3). Wie
auch immer, das syrische Energieministerium hat es bislang vermieden, auch nur
eine Silbe zu den Gasvorkommen im Mittelmeer verlauten zu lassen. Die «Nord
Stream» und «South Stream»-Projekte haben also den US-politischen Einfluss
reduziert, der nun weit hinten liegt. Die Geschichte der Feindseligkeiten
zwischen den Staaten in Mitteleuropa und Russland ist verebbt; Polen lässt
ebenfalls einen Meinungsumschwung erkennen, und die Vereinigten Staaten
scheinen zu einer Umkehr bereit. In der Tat kündigten sie Ende Oktober 2011 die
Änderung ihrer Energiepolitik an, als europäische Kohlelager entdeckt wurden,
die die Abhängigkeit von Russland und dem Nahen Osten reduzieren könnten. Dies
erscheint als ein ehrgeiziges und auch langfristiges Ziel, da noch eine Anzahl
von Verfahrenstechniken entwickelt werden müssen, bevor eine kommerzielle
Produktion begonnen werden kann. Diese Kohle befindet sich in Sedimentgestein,
Tausende Meter unter dem Boden, und erfordert Hochdruck-Techniken zum
hydraulischem Aufbrechen [shale Gas fracking], ohne von den Umweltrisiken zu
sprechen.
Chinas Teilnahme Die
chinesisch-russische Zusammenarbeit im Energiebereich ist der Motor für die
strategische Partnerschaft zwischen den beiden Giganten. Sie ist laut Experten
die «Basis» ihres neuerdings vor dem UNO-Sicherheitsrat doppelt eingelegten Vetos
zugunsten von Syrien. Diese Zusammenarbeit im Energiebereich beschleunigt die
Partnerschaft zwischen den beiden Ländern. Es handelt sich nicht nur um
Gaslieferungen an China zu Vorzugsbedingungen, sondern es ist ein Prozess, der
China dazu drängt, sich auch durch den Verkauf von Anlagen und Einrichtungen an
der Gasverteilung zu beteiligen und darüber hinaus zu versuchen, die Verwaltung
der Vertriebsnetzwerke gemeinsam zu kontrollieren. Moskau zeigt eine gewisse
Flexibilität bezüglich des Gaspreises, unter dem Vorbehalt, dass es Zugang zum
profitablen chinesischen Binnenmarkt erhält. Es wurde vereinbart, dass die
russischen und chinesischen Experten in folgenden Bereichen zusammenarbeiten:
«Koordinierung der Energiestrategien beider Länder, Prognose und Entwicklung
von Szenarien, Marktentwicklung, Energieeffizienz und alternative
Energiequellen.»
Andere
strategische gemeinsame Interessen betreffen die durch das Projekt des US- «Raketenschilds» geschaffenen Risiken.
Washington hat nicht nur Japan und Südkorea einbezogen, sondern Anfang
September 2011 auch Indien zur Partnerschaft aufgefordert. Infolgedessen
treffen sich die Sorgen beider Länder an dem Punkt, wo Washington seine
Strategie in Zentralasien, das heisst auf der Seidenstrasse, reaktiviert. Diese
Strategie ist die gleiche, die schon George Bush betrieben hat [Great Central
Asia Project], um den Einfluss Russlands und Chinas durch die Zusammenarbeit
mit der Türkei zu verringern, die Situation in Afghanistan bis 2014 zu lösen
und der
gesamten Region die militärische NATO-Macht aufzuzwingen. Usbekistan
hat bereits verlauten lassen, dass es die NATO für ein solches Projekt
empfangen könnte, und Wladimir Putin ist der Ansicht, dass die Erweiterung des
Raumes von Russland–Kasachstan–Weissrussland in Gemeinschaft mit Peking eine
Möglichkeit wäre, um das westliche Eindringen zu umgehen und eine Einengung
Russlands durch die USA zu verhindern. Dieser Überblick über die Mechanismen
der aktuellen internationalen Auseinandersetzungen ermöglicht es, sich ein Bild
davon zu machen, wie der Prozess zur Bildung einer neuen Weltordnung verläuft. Er
basiert auf dem Ringen um militärische Vorherrschaft und auf der Kontrolle des
Hauptpfeilers unseres Zeitalters – der Energie, bei der an erster Stelle das Erdgas
steht.
Gas aus Syrien Als Israel
ab 2009 die Gewinnung von Öl und Gas startete, war es klar, dass der
Mittelmeerraum ins Spiel gekommen war und dass entweder Syrien angegriffen
würde oder die gesamte Region vom Frieden profitieren könnte, da das 21. Jahrhundert
angeblich das der sauberen Energie sei. Laut dem ›Washington Institute for Near East
Policy‹ [WINEP, dem think tank der
AIPAC] sind im Mittelmeerraum die grössten Reserven von Erdgas, und Syrien
wäre der erdgasreichste Staat. Dasselbe Institut hat auch
prognostiziert, dass sich der Kampf zwischen der Türkei und Zypern auf Grund
der türkischen Unfähigkeit, den Verlust des «Nabucco»-Projekts zu verdauen, verstärken
könnte [trotz des im Dezember 2011 mit Moskau unterzeichneten Vertrags für den
Transport eines Teils des «South Stream»-Gases über die Türkei]. Mit der
Offenbarung des Geheimnisses um das syrische Erdgas wird deutlich, wie gross
das «Spiel ums Gas» ist. Wer Syrien kontrolliert, könnte den Nahen
Osten kontrollieren. Und von Syrien aus, dem Tor zu Asien, hat er «den
Schlüssel des Hauses Russland», wie es die Zarin Katharina II. formulierte, und
kann den Fuss auf die Seidenstrasse setzen. Am wichtigsten jedoch ist, dass
diejenigen, die um des Erdgases willen nach Syrien vordringen, sich angesichts
dessen, dass dieses Jahrhundert das Jahrhundert des Erdgases werden wird, die
Mittel zur Weltherrschaft aneignen. Mit dem Vertrag, den Damaskus über den
Transport des iranischen Gases durch den Irak zum Mittelmeer abschloss, würde
sich der geopolitische Raum öffnen, und die sich auftuenden Gasvorkommen würden
das «Nabucco»-Szenerio beenden, das als Lebenslinie für Europa und die Türkei
galt. Syrien würde ohne Zweifel zum Schlüssel für eine kommende Epoche.
Quelle: www.voltairenet.org Syrien: Zentrum
des-Gases im-Nahost http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=882 Zeit-Fragen Nr. 24 vom 4. 6. 2012 Übersetzung:
Horst Frohlich und Zeit-Fragen; alle Hervorhebungen durch politonline
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