Bolivien - Umsturz

Nach den Lichtblicken mit der Präsidentenwahl in Argentinien und der

zumindest vorläufigen Freilassung von Lula da Silva in Brasilien ist nun mit dem Putsch gegen Evo Morales ein tragischer Rückschritt im Unabhängigkeitskampf der Völker Lateinamerikas gegen den Hegemon USA zu verzeichnen. Ein angeblicher Wahlbetrug nach einem 24stündigen Unterbruch bei der Auszählung der Stimmen sei höchstwahrscheinlich, hatte die NZZ berichtet. Eher handelt es sich dabei jedoch um die Bestätigung der Stimmen aus abgelegenen Gebieten mit einem hohen Anteil von Indigenen, die schlussendlich die Wiederwahl von Evo Morales bewirkten. Im Blick schrieb man hingegen mit Genugtuung über Boliviens geschassten, tyrannischen Präsidenten.   

Nachdem zunächst die Polizei und danach das Militär dem wiedergewählten Präsidenten die Unterstützung entzogen hatten, blieb dem indigenen, nicht-gewaltgeübten Morales nur die Flucht vor dem gewalttätigen CIA-instruierten Mob.        

Was die Wahl selbst angeht, so hatten z.B. Spanien und Argentinien das Agieren des Militärs kritisiert - im Gegensatz zu Deutschland. Regierungssprecher Steffen Seibert hatte am 11. November auf der Bundespressekonferenz mehrere Behauptungen zu den Vorgängen in Bolivien aufgestellt, die einer faktenbasierten Überprüfung nicht standhalten. So hatte er auf dieser im Namen der Bundesregierung hochoffiziell erklärt: »Ich erinnere daran, dass die Wahlüberprüfungsmission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS )auf Grund der von ihr nachgewiesenen schweren Unregelmässigkeiten die Ausrichtung von Neuwahlen ebenso empfohlen hat. Wir haben zur Kenntnis zu nehmen, dass die OAS von weit verbreiteten, schwerwiegenden Unregelmässigkeiten spricht, dass sie davon spricht, dass es in beinahe jedem untersuchten Wahlbezirk Unregelmässigkeiten bei der Stimmauszählung gegeben habe und dass sie deswegen empfehle, dass es zu Neuwahlen kommt.« 

Keine der beiden Aussagen ist haltbar und die OAS hat mitnichten die von Seibert angeführten schwere Unregemässigkeiten nachgewiesen. 

Das OAS-Team bestand aus 18 Experten aus 13 Nationen, die innerhalb von wenigen Tagen in 5 von 9 Departementen Boliviens (Cochabamba, Pando, Beni, Tarija und La Paz) im Einsatz waren, um die Wahlergebnisse zu verifizieren. Die US-dominierte Organisation räumt selbst ein, dass die Analyse in sehr kurzer Zeit erarbeitet wurde und daher keine vollständige Überprüfung möglich war. Von den untersuchten Wahlprotokollen wurden laut OAS bei 78 nicht näher benannte ›Unregelmässigkeiten‹ festgestellt; bei einer Gesamtsumme von 34.555 Wahlprotokollen entspricht dies 0,22 %. Auf diesen geringen Prozentsatz an Unregelmässigkeiten verweist auch der Direkter der bekannten Denkfabrik Strategisches Zentrum für lateinamerikanische Geopolitik (CELAG), der  spanische Politikberater und Wissenschaftler Alfredo Serrano Mancilla. Spaniens Aussenminister Josep Borrell warnte, dass die Intervention von Militär und Polizei »in vergangene Zeiten der Geschichte Lateinamerikas zurückführe«, eine direkte Referenz an die 1970er-Jahren mit ihren blutigen Putschen, die unter anderem zu Militärdiktaturen in Chile und Argentinien führten. Selbst die rechtsliberalen Präsidenten Argentiniens und Chiles, der nach seiner Wahlniederlage nur noch für wenige Wochen amtierende Mauricio Macri, und Sebastián Pinera, die immer ein sehr distanziertes Verhältnis zu Evo Morales hatten, äusserten sich kritisch zum Agieren des Militärs in Bolivien. Argentiniens neu gewählter Präsident Alberto Fernandez sprach sogar ganz offen von einem Staatstreich.

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die OAS  - die zu einem grossen Teil von US-Geldern finanziert wird -  bei Analysten allgemein als Durchsetzungsinstrument von US-Interessen in der Region gilt und daher auch in Lateinamerika nicht als neutral wahrgenommen wird.  [1]

Der bolivianische Putsch ist Alan MacLeod zufolge kein Putsch, da ihn die USA wollten. Armeegeneräle, die im Fernsehen auftauchen, um den Rücktritt und die Verhaftung eines gewählten zivilen Staatsoberhauptes zu fordern, erscheinen wie ein Lehrbuchbeispiel für einen Putsch. Und doch präsentieren die Konzernmedien die Ereignisse am Wochenendes in Bolivien sicherlich nicht als solchen. Kein Medienunternehmen des Establishments stufte die Aktion als Putsch ein; stattdessen trat Präsident Evo Morales zurück. So war von weit verbreiteten Protesten einer wütenden Bevölkerung die Rede, die über den Wahlbetrug der ausgewachsenen Diktatur empört waren.  

Die New York Times vom 10. November z.B. verbarg ihre Zustimmung zu den Ereignissen keineswegs und präsentierte Morales als machthungrigen Despoten, der schliesslich den Zugriff auf die Macht verloren hatte; wie sie behauptete, sei er von Protesten belagert und von Verbündeten und Sicherheitsdiensten verlassen worden. Seine autoritären Tendenzen, so der Artikel, bereiteten Kritikern und vielen Anhängern jahrelang Sorgen und erlaubten einer Quelle, zu versichern, dass sein Sturz das Ende der Tyrannei für Bolivien bedeute. Mit einem scheinbaren Versuch einer ausgewogenen Berichterstattung hielt die New York Times ferner fest, dass Morales kein Fehlverhalten zugab und beteuerte, er sei Opfer eines Putsches. Zu diesem Zeitpunkt war der Brunnen jedoch schon gründlich vergiftet. 

Die korporativen Medien ignorierten die Aussage des unabhängigen Washingtoner Think Tanks Center for Economic and Policy Research(CEPR), dass »weder die OAS-Mission noch eine andere Partei nachgewiesen hat, dass es bei den Wahlen weit verbreitete oder systematische Unregelmässigkeiten gab«. Der aktuelle detaillierte Bericht des CEPR, der behauptete, dass die  Wahlergebnisse mit den angekündigten Stimmenzahlen konsistentseien, wurde in den US-Konzernmedien überhaupt nicht veröffentlicht. Auch die Entführung und Folterung von Mandatsträgern, die Plünderung des Hauses von Morales, die Verbrennung öffentlicher Gebäude und der indigenen Wiphala-Flagge, die in den sozialen Medien weit verbreitet waren und eine ganz andere Interpretation der Ereignisse nahegelegt hätten, wurden kaum erwähnt.  

Morales war der erste indigene Präsident in einer mehrheitlich indigenen Nation, einem Land, das seit den Tagen der Konquistadoren von einer weissen europäischen Elite regiert wird. Während seiner Amtszeit hat es seine Partei Bewegung für Sozialismus geschafft, die Armut um 42 % und die extreme Armut um 60 % zu reduzieren, die Arbeitslosigkeit zu halbieren und eine Reihe beeindruckender Programme für öffentliche Arbeiten durchzuführen. Morales sah sich selbst als Teil einer dekolonisierenden Welle in ganz Lateinamerika, lehnte den Neoliberalismus ab und verstaatlichte die wichtigsten Ressourcen des Landes, wobei er die Einnahmen für Gesundheit, Bildung und bezahlbare Lebensmittel für die Bevölkerung ausgab. Seine Politik löste grossen Zorn bei der US-Regierung, westlichen Unternehmen und den Konzernmedien aus, die als ideologische Schocktruppen gegen linke Regierungen in Lateinamerika fungieren. Im Falle Venezuelas bezeichnen sich westliche Journalisten unironisch als den Widerstandgegen die Regierung und beschreiben es als ihr Ziel Nr. 1, Nicolas Maduro loszuwerden, während sie sich gleichzeitig als neutrale und unvoreingenommene Akteure präsentieren.  [2]

Einem Bericht von Jason Ditz zufolge ist die Oppositionspolitikerin und   selbsternannte Interimspräsidentin Jeanine Anez im Begriff, ein neues Kabinett einzurichten; wie sie vorschlug, sollte das Ziel darin bestehen, sobald wie möglich eine Neuwahl durchzuführen. Der sich im Exil in Mexiko aufhaltende Morales hat angedeutet, dass er bereit sei, zurückzukommen, wenn die Wähler es wünschten. Es ist nicht wahrscheinlich, so Ditz ferner, dass Anez letzterer Idee viel abgewinnen kann; das bolivianische Militär und die bolivianische Polizei ganz sicher nicht, da sie gewaltsam verhinderten, dass pro-Morales Abgeordnete am 13. 11. das Parlamentsgebäude betreten konnten. Die Rechtmässigkeit dieser Vorgangsweise wird ernsthaft in Frage gestellt, da das bolivianische Recht es Senatoren erlaubt, in den Senat zu gehen, um sich zu treffen, wann immer sie wollen. Für ihre Wahl zur Interimspräsidentin konnte Anez kein Quorum erreichen und  hat dieses Amt somit einseitig deklariert. Indessen hat das bolivianische Militär inzwischen einen Führungswechsel angekündigt und Anez Loyalität geschworen.

Damit bleibt Morales vorläufig in Mexiko und seine Abgeordneten können nicht am Senat teilnehmen. Die Trump-Administration scheint mit dieser Wendung der Ereignisse völlig zufrieden zu sein, hat die militärische Übernahme zu Anfang dieser Woche unterstützt und Anez dafür gelobt, dass sie
aufgestandenist und sich selbst zur neuen Herrscherin erklärt hat. Es ist nicht klar, wer zwischen Anez und dem Militär wirklich das Sagen hat, aber die Vereinigten Staaten scheinen sich mit beiden zufrieden zu geben, da sie alles, was nach Morales kommt, als notwendigerweise einen Schritt in Richtung Demokratie sehen, egal wie sehr es den Eindruck eines Militärputsches erweckt.  [3]

Für Morales’ raschen Rücktritt wird Militärchef Williams Kaliman als massgeblich verantwortlich bezeichnet. Kurz nachdem Kaliman Morales am 10. 11. zum Rücktritt aufforderte, um »Frieden und die Stabilität in Bolivien aufrechterhalten zu können«, gab dieser auf. 

Das Joint Venture mit der deutschen ACISA zur Lithium-Gewinnung  [4]  ist infolge der massiven Proteste von Boliviens Regierung inzwischen annulliert worden. Wie der Gouverneur des Departements Potosí erklärte, wurde das Projekt von Morales per Dekret gestoppt. Die Demonstranten hatten argumentiert, Bolivien liefere seine Bodenschätze internationalen Firmen aus.  [5]

Morales, legt Hartmut Barth-Engelbart, dar, ist in vielem mit Gaddafi zu vergleichen, mit dessen Land und seiner Entwicklung. Ziele Gaddafis waren die Schaffung einer afrikanischen Entwicklungsbank, einer afrikanischen Einheitswährung auf Goldbasis für ganz Afrika und die Loslösung von Dollar, Weltbank und IWF, was eigenständige Perspektiven eröffnet hätte. Solche Vorbilder müssen unbedingt zerstört werden.

Die Kriege um Uran, Öl und Erdgas werden durch Kriege um Lithium, Coltan, seltene Erden und Wasser auf Platz 2 verdrängt. Es geht um die Wasserwerke Afrikas und Asiens, um Libyen und Tibet, um Tantal/Koltan in Zentralafrika, die seltenen Erden der Mongolei und die Lithium-Lagerstätten in Südamerika. Die Entwicklungskooperation lateinamerikanischer Staaten mit China und der russischen Föderation muss zurückgedrängt, wenn nicht ganz gekappt werden. Insofern kann man bezüglich Bolivien von einem Kapp-Putsch sprechen, wie der in Venezuela gescheiterte auch ein solcher war.

Und weil die Green-Economy das Lithium braucht, kriegt der Putsch auch seinen grünen Segen.  [6]  


[1]  https://deutsch.rt.com/meinung/94547-wen-interessieren-schon-fakten-regierungssprecher-seibert-ueber-bolivien-und-oas-wahlbericht/
12. 11. 19   Wen interessieren schon Fakten: Regierungssprecher Seibert über Bolivien und den OAS-Wahlbericht – Von Florian Warweg

[2]   http://antikrieg.com/aktuell/2019_11_13_derbolivianische.htm  13. 11. 19
Der bolivianische Putsch ist kein Putsch - weil die USA ihn wollten – Von Alan MacLeod

[3] 
http://antikrieg.com/aktuell/2019_11_14_boliviens.htm    14. 11. 19
Boliviens Polizei blockiert Pro-Morales-Abgeordnete von der Legislative – Von Jason Ditz

[4]  http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2975   
27. 10. 19  Blick auf Bolivien

[5]  https://www.dw.com/de/bolivien-stoppt-lithium-projekt-mit-deutscher-firma/a-51100927    4. 11 19

[6]  http://www.barth-engelbart.de/?p=217922http://www.barth-engelbart.de/?p=217922    15. 11. 19
Green Economy, der Lithiumputsch in Bolivien & die Baerbock’sche
Wucht der Märkte