Streitfrage Zuwanderung

Das Zeitalter freier Einwanderung auf der Grundlage uneingeschränkter

EU-Personenfreizügigkeit, so Ulrich Schlüer, ist für Frankreich vorbei. Macron will die Personenfreizügigkeit für sein Land begrenzen und unterstellt die Kontrolle über die Einwanderung nach Frankreich wieder der französischen Regierung.

Die neuesten Anordnungen Macrons zur Eindämmung der Masseneinwanderung könnten aus dem Forderungskatalog der SVP-Begrenzungsinitiative abgeschrieben worden sein. Der Präsident will die Zahl der Einwanderer deutlich einschränken und dafür allenfalls Kontingente festlegen. Seine Massnahmen ähneln in der Tat auffällig den Forderungen der SVP-Begrenzungsinitiative, welche den Schweizer Stimmbürgern voraussichtlich im kommenden Mai zur Abstimmung vorgelegt wird. Klar dabei ist: Macron will Zustände, die in Frankreich in jeder Beziehung unhaltbar geworden sind, deutlich korrigieren. Dass er mit seinen Massnahmen auch seine Ausgangslage hinsichtlich einer zweiten Amtsdauer als Staatspräsident im Auge hat, ist offensichtlich. Er will Wähler zurückgewinnen.

Mit den von ihm angeordneten Schritten bricht Macron offen mit der EU-Personenfreizügigkeit. Wer solches tut, versucht der Schweizer Wirtschafts-Dachverband Economiesuisse der Öffentlichkeit einzureden, der scheide aus der EU aus. Ja, er werde zwingend aus der EU ausgestossen. Weil die Personenfreizügigkeit für die EU zum grundlegenden, auch in Details nicht angreifbaren Fundament gehöre.  

Indessen macht Brüssel keinerlei Anstalten, gegen Frankreich vorzugehen. Brüssel bleibt stumm und bislang wurde nicht die geringste Kritik an Macrons Vorhaben laut. Möglicherweise wird in Brüssel vielmehr erkannt, dass Sturheit in Sachen Personenfreizügigkeit die EU insgesamt ins Wanken bringen könnte, nachdem sich der Nettozahler England zu dem für Brüssel schmerzhaften Abschied von der EU-Zentrale entschlossen hat. Gleiches will man mit Frankreich nicht erleben, obwohl Frankreich alles andere als ein Nettozahler ist.

Macron erweist sich mit seinen Massnahmen zur Eindämmung der Masseneinwanderung als Realist. Denn Europa steht vor der höchst bedenklichen Tatsache, dass die Europäer  - Einwanderer aus Arabien und Schwarzafrika nicht eingerechnet -  heute nur noch 7 % der Weltbevölkerung ausmachen. Tendenz sinkend. Immerhin erarbeitet Europa aber noch 17 % der weltweiten Wirtschaftsleistung, Tendenz allerdings ebenfalls sinkend. Mit der Ermordung der jahrzehntelang so erfolgreichen deutschen Automobilproduktion durch die dortigen Klima-Ideologen wird sich Europas wirtschaftlicher Niedergang sogar noch beschleunigen. Es zeichnen sich verhängnisvolle Entwicklungen ab, denn auf den Europäern lasten 50 % der weltweit anfallenden Sozialleistungen, bei denen sich als Folge der Masseneinwanderung die Tendenz zeigt, dass sie  bedenklich steigen werden. 

Macron scheint  - in deutlichem Gegensatz zur Economiesuisse -  erfasst zu haben, dass die sich in diesen Zahlen spiegelnde Entwicklung dem abendländischen Europa den Garaus machen wird, dies noch im laufenden Jahrhundert! Das sich in diesen Zahlen dokumentierende Missverhältnis zwischen Leistung, Leistenden und blossen Verbrauchern von Geleistetem droht Europa mitsamt seiner Kultur, seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, seinen Demokratien, seinen freiheitlichen Idealen, seinem Wohlstand zum Verschwinden bringen. Macron gibt Gegensteuer – Personenfreizügigkeit hin oder her.

Die Economiesuisse jedoch bleibt bei ihrer Behauptung: Wer die für alle westeuropäischen Staaten, auch für die Schweiz, untragbare Personenfreizügigkeit nicht buchstabengetreu von Brüssels Funktionärsbürokratie übernehme, werde von Brüssel ausgestossen, von allem Handel, von allem Wirtschaftsverkehr in Europa abgenabelt.

Ein derartiger Unsinn verfängt in Frankreich offensichtlich nicht mehr; England glaubt schon seit Jahren nicht mehr an diese Schreckensbilder zur Einschüchterung der Wähler. Nur in den Betonköpfen der Funktionäre der Economiesuisse  - die den Managern hiesiger Grosskonzerne unter internationaler Führung hörig sind -  lebt der Glaube an die Personenfreizügigkeit und an den Brüsseler Zentralismus weiter, ungeachtete der daraus resultierenden Ausverkaufspolitik.  [1]

Man darf hierbei nicht übersehen, dass  - wie dies Peter Helmes darlegt -  jeder politisch halbwegs Orientierte weiss, dass die Volksseele in Frankreich lodernder kocht als z.B. in Deutschland. Frankreich, um es anders auszudrücken, hat eine radikalere Protestkultur als die Deutschen. Dies hat sich im gerade ablaufenden Jahr wieder einmal bewiesen: Die Gelbwesten  [2]  haben die französischen Oberen das Fürchten gelehrt.

Der grosse Umsturz blieb zwar aus, aber die  Strassenkämpfe hinterliessen schmerzende Wunden. Und: Es war mehr als ein Schock; denn es offenbarte (wieder einmal) die Kluft zwischen Volk und Herrschenden. Noch hat die Bewegung ihr Ziel, sich als politische Kraft zu formieren, verfehlt, aber die Gelbwesten haben Präsident Macron zu einem Kurswechsel und damit zu einem neuen Dialog mit den Bürgern gezwungen. So diffus ihre Forderungen auch waren: Ihre Proteste gegen die Reformpolitik Macrons haben Frankreich verändert. Sie haben gezeigt, wie gross die Entfremdung zwischen Präsident und Bevölkerung inzwischen ist und wie viele sich von der Regierung in Paris  - und darüber hinaus von Europa -  allein gelassen fühlen. Die Gelbwesten haben so der abgehängten Provinz eine Stimme gegeben und eine verborgene Seite Frankreichs sichtbar gemacht, nämlich die der insbesondere im ländlichen Raum verarmten Mittelschicht - ein verarmendes Bürgertum.

Ein Jahr nach dem Beginn der Unruhen sind die sozialen, geographischen und politischen Risse längst nicht gekittet. Im Gegenteil, sie haben ansteckend gewirkt; es gibt sie nicht nur in Frankreich, sondern in vielen westlichen Demokratien. Und das ist nicht nur auf die zunehmende Entfremdung bzw. die wachsende Islamisierung zurückzuführen. Es ist ein Problem von grosser ökonomischer, sozialer und ideologischer Tragweite, das allerdings an den sozialen Brennpunkten (sic!) durch die Überfremdung verstärkt wird. Insoweit ist das Phänomen der Gelbwesten eine Warnung für ganz Europa.  

So lebt die Frankreichs Regierung auch ein Jahr nach dem Beginn der  Gelbwesten-Bewegung in ständiger Furcht vor einem erneuten Aufflammen der sozialen Proteste. Vor allem aber befürchtet sie eine Koalition der  Unzufriedenen, eine sich perpetuierende Massenbewegung, die irgendwann Einzug in die Politik halten könnte. Denn die Gelbwesten haben eines besonders deutlich gezeigt: Sie haben das Stadt/Land-Gefälle schonungslos offengelegt, so z.B. bezüglich fehlender öffentlichen Dienstleistungen in grossen Teilen des Landes, ebenso die Konzentration der meisten politischen Gestaltungsinstrumente auf einige wenige Grossräume, insbesondere auf Paris.

Der Präsident hat unter dem Eindruck brennender Autoreifen an den Verkehrskreiseln, zertrümmerter Fensterscheiben und geplünderter Geschäfte Zugeständnisse gemacht. Die Steuererhöhung auf Diesel und Benzin wurde zurückgenommen, für Geringverdiener gab es mehr staatliche Zuschüsse, und es sind Diskussionen im Gange, wie die Steuerlast für Durchschnittsverdiener gesenkt werden kann. Zwar haben es die Gelbwesten bislang abgelehnt, sich von anderen Interessengruppen, sei es Gewerkschaften oder Parteien, vereinnahmen zu lassen, weil sie sich eben nicht als Teil des Systems verstehen. Dennoch wird es für die Gelbwesten, die nach mehr sozialer Gerechtigkeit rufen, immer klarer: Sie müssen ihre Forderungen irgendwie in politische Bahnen lenken. Sie müssen sich des politischen Systems bedienen, wenn Sie Erfolg haben wollen.

Was das heisst, dürfte auch uns zu denken geben: Schluss mit der Abgehobenheit, der Entscheidungen in Hinterzimmern, der Ausgrenzung Andersdenkender - und vor allem des blinden Vorrangs der Ökologie vor der Ökonomie!  [3] 


Quellen:  

[1]  Präsident Macron auf SVP-Spuren - Frexit ?
Der aktuelle Freitags-Kommentar der «Schweizerzeit» von Ulrich Schlüer
Ausgabe vom 15. 11. 2019   
www.schweizerzeit.ch

[2]  http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2906
17. 2. 19  Frankreichs Gelbwesten  

[3]  https://conservo.wordpress.com/2019/11/18/gelbwesten-in-deutschland-ausgegrenztes-buergertum/   18. 11. 19
Gelbwesten in Deutschland? - Ausgegrenztes Bürgertum - Von Peter Helmes