Zum Fall Nawalny

d.a. Bevor man sich mit dem Vergiftungsfall Nawalny auseinandersetzt, dürfte es

durchaus zweckmässig sein, sich zuvor den in der Presse unendlich ausgewalzten Fall Skripal nochmals bewusst zu machen: Am 4. März 2018 waren in Salisbury der ehemalige russische Militäroffizier und danach Doppelagent für den britischen Geheimdienst Sergei Skripal und seine Tochter Julia angeblich durch eine Chemiewaffe mit Namen »Nowitschok« vergiftet worden. Russland hatte die Anschuldigungen aufs schärfste bestritten und seine Mithilfe bei der Aufklärung angeboten, die jedoch barsch abgelehnt wurde. Dies vor allem deswegen, weil dieser Anschlag in der Folge praktisch lautlos verebbte. Eine der letzten Meldungen hierzu lautete wie folgt: »Scotland Yard findet keine Beweise für Putins Rolle im Fall Skripal«. »Die Suche nach mutmaßlichen Hintermännern in den obersten Etagen der russischen Führung«, heisst es unter anderem, »bleibt bislang allerdings ohne nennenswerte Ergebnisse. Die britische Polizei muß den ausbleibenden Erfolg auf der Suche nach Beweisen für Putins Verwicklung in die Skripal-Vergiftung eingestehen«.  [1]   

Nicht uninteressant dürfte ferner der Umstand sein, dass auch noch ein Jahr nach dem Attentat nichts über den Aufenthaltsort der Skripals bekannt geworden war, woran sich bis heute nichts geändert hat, es sei denn, ich hätte eine Meldung übersehen.  [2]   

Der zum Fall Skripal vorliegende Bericht der Organisation für das Verbot chemischer Waffen OPCW hält fest, dass die Ergebnisse der von den Laboren der OPCW durchgeführten Analyse der Umweltproben das Vorhandensein dieser giftigen Chemikalie in den Proben zeigen; es werden jedoch keinerlei Angaben zur möglichen Herkunft des Giftes gemacht. Ferner bestätigen die Ergebnisse der Analyse der vom OPCW Team gesammelten Umweltproben und biomedizinischen Proben die Ergebnisse des Vereinigten Königreichs in Bezug auf die Identität der in Salisbury verwendeten toxischen Chemikalie.  [3]

Alexej Nawalny, der am 20. August auf einem Flug von Tomsk nach Moskau das Bewusstsein verloren hatte, woraufhin das Flugzeug unverzüglich in Omsk landete, war dort in ein Krankenhaus gebracht und in ein künstliches Koma versetzt worden. Nachdem ihn die Omsker Ärzte für transportfähig erklärt hatten, wurde Nawalny auf Drängen seiner Familie in die Berliner Charité verlegt, wo seine Behandlung am 22. August einsetzte. Vorausgeschickt sei, dass nach wie vor kein Beweis für den Vorwurf vorliegt, russische Staatsstellen hätten Nawalny, womöglich sogar im Auftrag von Präsident Wladimir Putin, mit dem Nervengift Nowitschok, das als Flüssigkeit, Gas oder feines Pulver zum Einsatz kommen kann, umzubringen versucht.  

Nowitschok und Gifte aus dessen Familie gehören zu den wirkungsvollsten Nervengiften, die schon in kleinsten Mengen zu Nervenlähmungen und zum Tod führen. Nun gibt es nicht wenige Presseberichte, die darlegen, »dass dieses vom sowjetischen Militär in den 70er Jahren entwickelt und Anfang der 90er Jahre vom russischen Militär übernommen und weiter erforscht worden sei, und dass Experten glauben, der Zugang zu Nowitschok sei in Russland im Wesentlichen auf militärische und staatliche Stellen beschränkt«.  [4] 

Wie sich dies in Wirklichkeit verhält, hat Igor Nikulin, ein vormaliges Mitglied der UNO-Kommission für Bio- und Chemiewaffen, ausgeführt: »Russland hat das Nervengift Nowitschok auf seinem Territorium niemals produziert«. Ob überhaupt resp. unter welchen Umständen womöglich doch eine Produktion des Nervengifts in Rußland erfolgte, wird sich vermutlich nie mehr konkret nachweisen lassen. Um dieses Gift geht es auch in einem Artikel der New York Times vom 25. Mai 1999, in dem sich diese auf die Worte des sowjetischen Erfinders und Überläufers Vil Mirzayanov beruft; gemäss der NYT wurde »das Gas Ende der 1980er Jahre entwickelt. Es ist ein binärer Kampfstoff und besteht aus zwei Komponenten, die, voneinander getrennt, ungefährlich sind.« Wie Nikulin seinerseits hierzu festhält, »verwandeln sich diese, sobald sie in Reaktion treten, in ein tödliches Gas«; der Militärexperte spricht für diese im Jahr 1991 gemachte Entdeckung von zwei Erfindern, die dafür eine Staatsauszeichnung erhielten. »Danach floh einer derselben, nämlich Vil Mirzayanov, nach Amerika.«  

»Das Gift«, so Nikulin ferner, »sei in der Stadt Nukus in Usbekistan hergestellt worden. 1992 sei das Unternehmen unter der Kontrolle der Amerikaner demontiert worden. Demnach würde die USA über Proben dieses Stoffes verfügen. Im Fall der Nutzung von Nowitschok würde ich nach keiner russischen Spur suchen, sondern nach einer usbekischen, oder besser, nach einer US-amerikanischen. Das wird näher an der Wahrheit sein.« Dabei betonte er, dass dieses Nervengift niemals im Dienst der russischen Armee verwendet worden sei. Was die Produktion des Gases auf dem Territorium von Usbekistan betrifft, so zitiert die NYT ihrerseits Aussagen Mirzayanovs. Wie aus diesen hervorgeht, »hatten sich die USA und die Regierung von Islam Karimow auf eine Dekontaminierung und den Abbau des sowjetischen Forschungs- und Testgeländes in der Stadt Nukus geeinigt. Demnach sollen die Amerikaner den Zugang zu den Anlagen, die in Usbekistan von 1986 an für alle Wissenschaftler  - außer für sowjetische -  gesperrt gewesen seien, 1992 erhalten haben. Alarmiert durch die gesundheitlichen und ökologischen Auswirkungen der sowjetischen Aktivitäten zur Produktion und großangelegter Erprobung illegaler chemischer und keimtötender Waffen in Usbekistan, verzichtete Präsident Karimow auf Massenvernichtungswaffen.« »Seitdem«, so die NYTferner, »arbeitete seine Regierung eng mit amerikanischen Verteidigungsbeamten zusammen und gewährte ihnen den Zugang zu den Lokalitäten«.  [5]

Befunde 
Nach wie vor dominieren Unklarheiten die Vorwürfe deutscher Politiker gegen Russland. Das betrifft vor allem die Analyse eines Bundeswehrlabors, Nawalny sei mit dem Nervengift Nowitschok vergiftet worden; sie wird explizit oder implizit mit der Behauptung verbunden, daraus lasse sich die Täterschaft russischer Staatsstellen, möglicherweise gar ein Auftrag von Präsident Wladimir Putin persönlich, zwingend folgern. Mit Blick auf die zahlreichen Drohungen wiegt umso schwerer, dass Berlin, wie eine Sprecherin des russischen Aussenministeriums berichtet, Moskaus Bemühungen um die Aufklärung der Vorwürfe torpediert.  [6]

Im Zusammenhang mit dem Krankenhausaufenthalt Nawalnys war von der Direktion für Verkehrswesen des Innenministeriums der Russischen Föderation im Sibirischen Föderalbezirk eine Voruntersuchung durchgeführt worden, bei der mehr als 100 Gegenstände, die einen Beweiswert haben könnten, beschlagnahmt wurden. Zudem waren die Daten aus den Videoüberwachungssystemen analysiert sowie mehr als 20 verschiedene kriminaltechnische Untersuchungen [forensisch, biologisch, physikalisch und chemisch] durchgeführt worden. Dem Bericht zufolge konnten keine stark wirksamen oder narkotischen Substanzen nachgewiesen werden.  [7]  Die Ergebisse der diagnostischen Tests sind den deutschen Ärzten im übrigen vollständig übergeben worden.     

Die Ärzte in Omsk hatten als vorläufige Diagnose eine Stoffwechselstörung angegeben, die ein drastisches Absinken des Blutzuckerspiegels verursacht haben soll. Dem stellvertretenden Leiter des Omsker Krankenhauses, Anatoli Kalinitschenko, zufolge, seien in Nawalnys Blut und Urin kein Gift oder Spuren davon entdeckt worden. Nachdem Nawalny zwei Tage später, am 22. 8. 20, in die Berliner Charité überführt worden war, hiess es dort, dass es Anzeichen für eine Vergiftung mit einer Substanz aus der Wirkstoffgruppe der Cholinesterase-Hemmer geben soll, ein genauer Befund lag jedoch noch nicht vor. Wie mitgeteilt wurde, wurde Nawalny mit Atropin behandelt. Wie Alexander Murachowski, der Chefarzt des Omsker Notfallkrankenhauses, hierzu feststellte, sei die Diagnose Vergiftung die Hauptdiagnose gewesen, als der Patient aufgenommen wurde; die Labortests hätten dies jedoch nicht bestätigt.  [8]       

Wie der italienische Professor Igor Pellicciari von der Universität Urbino in Rom in einem Artikel für das Nachrichtenportal Formiche schreibt, haben russische Ärzte offenbar alles dafür getan, um Nawalny zu retten. Seine Einschätzung teilen auch Experten aus anderen Ländern. Ihnen zufolge widersprechen die schnelle Einlieferung Nawalnys ins Krankenhaus und die Professionalität der Omsker Ärzte, die den Patienten 44 Stunden lang behandelten, der Version von der durch die Behörden organisierten Vergiftung. Nawalny sei eine Figur, die in Russland für viel Zwist sorgt, die Liste seiner Feinde ist so lang, dass es einfacher wäre zu fragen, wer als Drahtzieher des Giftanschlags gelten könnte - als wer nicht. Dennoch sei es kaum glaubwürdig, dass diese Aktion im Auftrag des Kremls und persönlich von Wladimir Putin oder seinen engsten Vertrauten ausgedacht wurde. Der Westen betrachte Russland gerne von oben herab und stellt sich vor, dass jede Anordnung auf den Präsidenten zurückgeht. Doch es gebe Beweise, die die Hypothese der Vergiftung durch die Behörden zusammenfallen lassen. Gegenstandslos ist laut dem italienischen Historiker auch die Version, dass der Kreml versuchte, den Oppositionsführer loszuwerden, weil die Opposition in Russland deutlich vielfältiger sei, als sie im Westen dargestellt werde, und es sehr viele andere Politiker gebe, für die es vorteilhafter wäre, wenn Nawalny von der politischen Bühne verschwände. Der Präsident der Stiftung für die Entwicklung der russisch-französischen historischen Initiativen, Pierre Malinowski, ist sich ebenfalls sicher, dass Nawalny dank der Ärzte in Omsk, die um das Leben des Patienten stundenlang kämpften, überlebte. [9]    

Am 2. September erfolgte dann die Meldung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, »dass Alexej Nawalny mit einem chemischen Nervenkampfstoff der Nowitschok-Gruppe vergiftet wurde. Wie die Bundesregierung mitteilte, sei der zweifelsfreie Nachweis in einem Bundeswehr-Speziallabor erbracht worden. Die Möglichkeit, dass Nawalny auf der letzten Station seiner Reise mit Nowitschok vergiftet worden sein könnte, stand schon seit voriger Woche im Raum. Da hatte die Charité von einer Intoxikation mit einer Substanz aus der Wirkstoffgruppe der Cholinesterasehemmer gesprochen, denn zu den Wirkstoffen zählt Nowitschok, das Nawalnys Mitstreiter sofort im Verdacht hatten«.  [10] 

Wie der Leiter der Abteilung für die Behandlung akuter Vergiftungen und somatisch-psychischer Störungen am Moskauer Sklifossowski-Institut, Michail Pozchwerija, in der Folge in einem Interview für den russischen Fernsehsender Rossija 24 am 3. September bekanntgab, hat eine Massenspektrometer-Analyse von biologischen Flüssigkeitsproben, die dem Körper von Nawalny entnommen worden waren, keine Cholinesterase-Inhibitoren ergeben, auch keine Giftstoffe. Bei der Untersuchung habe man ein US-amerikanisches Massenspektrometer verwendet, das einen Standardsatz von 240.000 Stoffen umfasst, die der digitalen Datenbank des Nationalen Instituts für Standards der USA entsprechen. In den untersuchten Flüssigkeiten wurden weder phosphororganische Verbindungen noch Cholinesterasehemmer entdeckt. Dem Experten zufolge seien dabei auch keine Spuren von anderen unbekannten Substanzen entdeckt worden.  [11]

Im Gegensatz hierzu hatte der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert am 2. 9. erklärt, das Bundeswehrlabor habe in Nawalnys Körper Giftspuren der Nowitschok-Gruppe gefunden. Seibert zufolge werde die Bundesregierung ihre Partner in der EU und der NATO über die Situation mit Nawalny informieren und in den kommenden Tagen eine gemeinsame Reaktion erörtern. »Im Auftrag der Charité-Universitätsklinik Berlin«, so Seibert, »hat ein Speziallabor der Bundeswehr eine toxikologische Untersuchung der Proben von Nawalny durchgeführt. Es wurde ein klarer Hinweis auf einen chemischen Nervenkampfstoff der Gruppe Nowitschok festgestellt«. Laut Seibert ist die Tatsache, dass Nawalny Opfer eines Angriffs mit chemischem Nervengas wurde, ein eklatanter Fall. »Die Bundesregierung verurteilt diesen Angriff auf das Schärfste. Sie fordert die russische Regierung auf, diesen Fall zu erklären«. Wie er ferner hinzufügte, würden sich die deutschen Behörden mit der OPCW in Verbindung setzen.  [12]

Beschuldigungen ohne Beweise
Wie die Bundeskanzlerin am Mittwoch, 2. 9., darlegte, stellten sich »sehr schwerwiegende Fragen, die nur die russische Regierung beantworten kann und muß«.  [13]  Sie zeigte sich bestürzt, dass Nawalny in Russland Opfer eines versuchten Giftmordes geworden sei.  [14]   
 

Man kann ruhig sagen, dass sich einige Politiker effektiv nicht zu schade waren, mit recht widerwärtigen und unvorstellbar überheblichen Anklagen gegen Putin, mit denen sie sich jedenfalls selbst diskreditieren, an die Öffentlichkeit zu treten......

So wies die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag in einem Statement darauf hin, dass dieses hochwirksame Gift nur in speziellen Labors entwickelt werden kann: »Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion liegt es daher auf der Hand, dass dieser Giftstoff nur mit Hilfe der russischen Regierung beschafft und hergestellt werden konnte. Folglich ist richtig, dass der russische Botschafter ins Auswärtige Amt einbestellt und mit diesem Analyseergebnis konfrontiert wurde«. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im deutschen Bundestag, Norbert Röttgen, äusserte am 2. 9. in einem Tweet, dass hinter dem Anschlag auf Nawalny nur Putin persönlich stehen kann: »Diesen Giftstoff kennen wir schon vom Fall Skripal, nachweislich begangen vom Geheimdienst. Wer jetzt  noch an Putins Unschuld glaubt, der will es einfach nicht wahrhaben«.

Hermann Gröhe zeigte sich ebenso von der Schuld des russischen Präsidenten überzeugt und forderte am 2. 9. eine starke gemeinsame Reaktion von Seiten der EU und der NATO: »Nervenkampfstoff bei Navalny nachgewiesen! Empörend! Ohne Wissen, ja Weisung von Putin undenkbar! Starke, gemeinsame Reaktion von EU und NATO zwingend erforderlich!«   [15]  Und die Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer meinte ihrerseits am 3. 9.: »Das System Putin ist ein aggressives Regime«.  [16]  Auch für den Grünen-Politiker Cem Özdemir steht fest: »Der Kreml läßt Opposition vergiften«. Bereits am 22. August hatte er einen Kommentar für die Bild-Zeitung mit dem reißerischen Titel: Das Putin-Regime geht über Leichenverfasst. Auch wenn Özdemir im ersten Satz seines Kommentars zugibt, die ungeheuren Anschuldigungen womöglich niemals belegen zu können, fordert er dennoch »so wenig Zusammenarbeit mit dem Kreml wie möglich«. Am Freitag, 4. 9., sagte er in einem Tweet, man könne »keinen Unterschied machen zwischen Putin, dem Gashändler, und Putin, der die Opposition vergiftet«.  [17]

Ebenfalls am 4. September liess sich Bundespräsident Steinmeier wie folgt vernehmen; gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) sagte er, »dass der Fall Nawalny die deutsch-russischen Beziehungen schwer belastet und die Kooperation zwischen den zwei Ländern erschwert«. Ferner: »Dass Oppositionelle und kritische Stimmen in Russland in Serie um ihre Gesundheit oder ihr Leben fürchten müssen, ist ohne Zweifel eine schwere Belastung für die Glaubwürdigkeit der russischen Führung und erschwert die Zusammenarbeit«. Unrecht müsse klar benannt werden. »Und hier ist ein Verbrechen verübt worden, dessen Verantwortliche nur in Russland zu finden sein werden«. Die Ergebnisse der sorgfältigen Untersuchung hätten Steinmeier zufolge die schlimmsten Befürchtungen bestätigt: »Nawalny ist schwer vergiftet worden, mit dem Ziel, ihn zum Schweigen zu bringen«. »Die drängendsten Fragen richten sich nun an die Regierung in Moskau«, so der Bundespräsident. Diese sei zur Aufklärung aufgefordert.  [18]  Aussenminister Heiko Maas kündigte am 6. 9. an, »wenn es in den nächsten Tagen auf der russischen Seite keine Beiträge zur Aufklärung« gebe, »werden wir mit unseren Partnern über eine Antwort beraten müssen; das ist ein schwerer Verstoß gegen internationales Recht«.  [19]

Auch der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, geht mit Putin nicht schlecht ins Gericht. Nach der mutmaßlichen Vergiftung des russischen Oppositionellen Nawalny »sieht er das Ende der strategischen Partnerschaft zwischen Deutschland und Russland gekommen und fordert eine härtere Gangart gegen Moskau. Ischinger ist nicht mehr ganz von der Strahlkraft der transatlantischen Allianz überzeugt. Deshalb müsse die Europäische Union endlich selbst zu einem geostrategischen Machtfaktor werden, den man global ernst nimmt. Und das könne nur durch glaubhafte Abschreckung mit militärischer Hard Power geschehen«. Wie er des Weiteren darlegt, »haben wir sowohl im Fall Skripal als auch bei dem Mord im Tiergarten erlebt, dass Moskau rein gar nichts unternimmt, um diese Verbrechen aufzuklären. So wird es wohl leider auch bei Nawalny sein. Insofern macht es fast keinen Unterschied, ob der Kreml direkt für den Giftangriff verantwortlich ist oder irgendwelche anderen Akteure auf eigene Faust gehandelt haben. Die russische Regierung muß das auf ihre Kappe nehmen«.  [20]

Die EU hatte schon zuvor Sanktionen in Erwägung gezogen; NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg äusserte, das westliche Kriegsbündnis betrachte »jeden Einsatz chemischer Waffen als Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit«. Berichterstatter weisen darauf hin, dass diese Formulierung, sofern sie in Resolutionen des UN-Sicherheitsrats verwendet wird, friedenserzwingende Maßnahmen erlaubt.  [6]  Unter diese fallen eben auch Kriege.

Wenigstens hat der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki darauf hingewiesen, es gebe »auch Kräfte in der russischen Administration, die teilweise ein Eigenleben führen«. Er warnte deshalb bereits am 4. 9. vor voreiligen Schlüssen.  [6]  So hat auch Bernd Riexinger von den Linken vor vorschnellen Schlüssen im Fall Nawalny gewarnt. Es müsse jetzt eine konsequente Aufklärung erfolgen. Sanktionen gegen Russland lehne er aber ab.  [21] 

Die Frage einer Zusammenarbeit  
Der Pressesprecher des Präsidenten der Russischen Föderation, Dmitri Peskow, bestätigte bereits am 2. 9. die Bereitschaft der russischen Seite, mit Deutschland umfassend zusammenzuarbeiten, um die Situation um den Oppositionsführer Nawalny zu klären. Er stellte jedoch fest, dass Berlin auf die zuvor zugesandten offiziellen Anfragen keine Antwort gegeben hat. Dem Kreml fiele es im Moment schwer zu sagen, wie die Russische Föderation auf die Aussagen Deutschlands reagieren wird, dass in Navalnys Körper Spuren von Gift der Nowitschok-Gruppe gefunden wurden. »Im Allgemeinen«, so Peskowr, »bestätigen wir, dass wir bereit und interessiert sind, mit Deutschland zu diesem Thema vollständig zu interagieren und Daten auszutauschen«.  [22] 

Am 4. 9. wies dann der russische Aussenminister Sergei Lawrow darauf hin, dass Russland von deutscher Seite noch immer keine Beweise für die Vergiftungsanschuldigungen im Fall Nawalny erhalten habe, obwohl versprochen worden war, in naher Zukunft konkrete Fakten über die Situation Nawalnys zu liefern. Die Ankündigung Lawrows erfolgte auf einer Videokonferenz mit der Presse nach einem Treffen der Aussenminister der BRICS-Länder.  [23]

Jedenfalls hat Russland Deutschland am 6. 9. erneut vorgeworfen, die Bemühungen zur Aufklärung des Giftanschlags auf Kreml-Kritiker Nawalny zu blockieren, da die Bundesregierung nicht auf ein Rechtshilfeersuchen der russischen Staatsanwaltschaft vom 27. August reagiert habe. Man sei sich nicht sicher, ob Deutschland nicht ein doppeltes Spiel spiele.  [24]  Was Letzteres betrifft, so hatte es am Donnerstag, 10. 9., geheissen, die Bundesregierung habe die Laborergebnisse im Fall Nawalny, die eine Vergiftung zweifelsfrei belegen sollen, an die OPCW in Den Haag übergeben. Dies allerdings ist von einem russischen OPCW Vertreter dementiert worden. Bis Donnerstagmorgen sei noch nichts abgegeben worden, sagt Alexander Schulgin. Am 9. September beschuldigte das russische Aussenministerium Deutschland, eine Desinformationskampagne in der Causa Nawalny gegen Moskau zu führen. Man beklage auch die nicht konstruktive Herangehensweise der Behörden in Berlin.  [25]

Zu Nawalny hatte der italienische Geograph und Geopolitiker Manlio Dinucci bereits 2017 folgendes festgehalten: »Die westliche Presse inszeniert den russischen Oppositionellen Alexei Navalny, einen Blogger, der durch die NED/CIA finanziert wird. Abgesehen davon, dass er nur bei der Bourgeois-Bohème von Moskau und St. Petersburg Gehör findet, verdeckt seine Sichtbarkeit die wahre russische innenpolitische Opposition: Im Kreml bereuen viele hohe Beamte die Zeit, als sie ihre Wochenenden im Westen verbringen konnten. Wie man in seinem offiziellen Profil lesen kann, wurde er als Fellow an der amerikanischen Yale Universität im Greenberg World Fellows Program ausgebildet, ein im Jahr 2002 gegründetes Programm, für das jedes Jahr weltweit nur 16 Leute zugelassen werden, um mit ihren besonderen Fähigkeiten globale Leader zu werden. Sie sind Teil eines derzeit aus 291 Fellows aus 87 Ländern bestehendes Netzwerk von verpflichteten globalen Führern, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Diese stehen untereinander in Verbindung, ebenso in Kontakt mit dem American Yale Center. Navwalny ist zur gleichen Zeit Mitbegründer  der Bewegung Demokratische Alternative, eine der Nutznießer des National Endowment for Democracy (NED), eine leistungsstarke US-amerikanische private gemeinnützige Stiftung, die mit den offen oder heimlich auch durch den Kongreß zur Verfügung gestellten Mitteln, Tausende von NGOs in mehr als 90 Ländern finanziert, um die Demokratie zu fördern. In Russland, wo unerwünschte nicht-Regierungs-Organisations-Aktivitäten verboten wurden, hat das NED dennoch nicht aufgehört, seine Kampagne gegen die russische Regierung zu führen; ihm wird vorgeworfen, eine aggressive Außenpolitik zu betreiben, um alle früheren Staaten der ehemaligen Sowjetunion seiner Einflußsphäre einzuverleiben. Das ist die Grundlage der Strategie für die USA/NATO gegen Russland. Die jetzt schon konsolidierte Technik, ist die der Orangenen Revolution: Sich auf reale oder erfundene Korruptionsfälle und auf andere Ursachen der Unzufriedenheit zu stützen, um eine Rebellion gegen die Regierung zu schüren, und um den Staat von innen her zu schwächen, während von außen der militärische, politische und wirtschaftliche Druck auf ihn wächst. Das ist der Rahmen der Aktivität des in Yale ausgebildeten Alexei Nawalny, der als Verteidiger der Schwachen gegen den Mißbrauch der Mächtigen operiert«.  [26]

Der CDU-Politiker Friedrich Merz hat nach dem Giftanschlag einen zweijährigen Baustopp für die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 verlangt. In einer Mitteilung an die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schrieb er am 4. 9., dass er den Weiterbau der Pipeline, die kurz vor der Fertigstellung steht, trotz mancher Bedenken bisher für richtig gehalten habe. »Aber nach dem erneuten Einsatz des Nervengifts Nowitschok, dessen Herstellung völkerrechtlich auch Russland verboten ist, und dem erneuten offensichtlichen Mordversuch an einem Oppositionspolitiker in Russland mit diesem Gift, ist jetzt eine klare und unmißverständliche Antwort notwendig«. Die EU solle »mit sofortiger Wirkung einen Baustopp über die nächsten zwei Jahre verfügen«. Europa müsse in dieser Zeit daran arbeiten, »seine Abhängigkeit von russischem Öl und Gas schrittweise zu reduzieren«.  [27]

Die inmitten der gegen Putin gerichteten Anklagen von zahlreichen Stimmen vorgetragene Forderung, die Fertigstellung von Nord Stream 2 zu verhindern, wird jeder, der sich in diesen wirren Corona-Zeiten noch ein Quentchen an Verstand bewahren konnte, als absolut absurd betrachten, allein schon deswegen, weil die erforderlichen Beweise dafür, dass es sich tatsächlich um einen Giftanschlag handelt, bislang noch immer nicht erbracht worden sind, und der wirtschaftliche Schaden zu Lasten der sich in einer Dauerfinanzierungs-Fron befindlichen Steuerzahler zu einem Milliardengrab würde ......

d.auerbach@gmx.ch   


[1]  https://deutsch.rt.com/europa/91041-bislang-nur-spekulationen-scotland-yard-keine-beweise-fall-skripal/   8. 8. 19  
[2] 
https://deutsch.rt.com/europa/85231-jahr-nach-skripal-attentat-noch/
4. 3. 19
[3]  https://deutsch.rt.com/europa/69456-dokumentiert-opcw-bericht-zum-fall-skripal-deutsch/   5. 5. 2018  -  Der OPCW-Bericht zum Fall Skripal in deutscher Übersetzung
[4]  https://www.bazonline.ch/merkel-nawalny-mit-nowitschok-vergiftet-956927038082   2. 9. 20

[5]  http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2773
18. 3. 18   Der Doppelmordversuch von Salisbury  sowie
http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2815
2. 7. 18  Der Fall Skripal – Vom Winde verweht
[6]  https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8372/   7. 9. 20
Der Fall Nawalny
[7]  https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/putins-sichert-belarus-waffenhilfe-im-extremfall-zu-16925456.html   27. 8. 20
[8] 
https://de.sputniknews.com/politik/20200830327843754-fall-nawalny-rechtshilfeersuchen-russland/   30. 8. 20
[9]  https://de.sputniknews.com/interviews/20200831327850804-nawalnys-vergiftung-erklaert/   31. 8. 20
[10]  https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/giftangriff-auf-nawalnyj-der-drahtzieher-war-maechtig-16935433.html   2. 9. 20
[11]  https://deutsch.rt.com/russland/106278-neue-analyse-von-nawalny-proben-keine-gifte-nachgewiesen/   3. 9. 20
[12]  http://www.russland.news/bundeswehrlabor-findet-nowitschok-in-nawalnis-koerper-eu-und-usa-besorgt/   3. 9. 20
[13]  Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3. 9. 20 - Merkel: Nawalnyj wurde Opfer eines Verbrechens
[14]  https://www.bazonline.ch/merkel-nawalny-mit-nowitschok-vergiftet-956927038082   2. 9. 20  
[15]  https://deutsch.rt.com/europa/106252-wer-jetzt-noch-an-putins-erste-reaktionen-nowitschok-vergiftung-nawalnys/   2. 9. 20
[16]  https://rp-online.de/politik/deutschland/verteidigungsministerin-annegret-kramp-karrenbauer-das-system-putin-ist-ein-aggressives-regime_aid-53135353
3. 9. 20
[17]  https://deutsch.rt.com/inland/106294-fall-nawalny-grunen-als-vorreiter/
4. 9. 20
[18] 
https://de.sputniknews.com/deutschland/20200904327880545-steinmeier-nawalny-zusammenarbeit-russland/   4. 9. 20
[19] 
www.auswaertiges-amt.de   6. 9. 2020
[20] 
https://deutsch.rt.com/europa/106124-ischinger-hard-power-gegen-russischen/   31. 8. 20
[21]  https://www.swr.de/swraktuell/radio/linken-chef-riexinger-leider-gottes-kann-man-nicht-alles-gleichzeitig-machen-100.html   4. 9. 20
[22] 
http://www.russland.news/kreml-und-russisches-aussenministerium-bisher-keine-fakten-ueber-nowitschok-vergiftung-und-daher-kompetente-reaktion-unmoeglich/    3. 9. 20
[23] 
https://deutsch.rt.com/russland/106342-lawrow-haben-noch-keine-beweise/   4. 9. 20
[24] 
https://www.br.de/nachrichten/meldungen/nachrichten-bayerischer-rundfunk100.html#n3   6. 9. 20
[25]  
https://deutsch.rt.com/europa/106553-russischer-opcw-vertreter-dementiert-deutschland/    10. 9. 20
[26]  https://www.voltairenet.org/article195844.html   4. 7. 2017   
Nawalny - Demokrat Made in USA - Von Manlio Dinucci
[27]  https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/nawalnyj-merz-verlangt-baustopp-fuer-nord-stream-2-16938345.html    4. 9. 20