Doris Auerbach - Die 42. Münchner Sicherheitskonferenz im Spiegel der Worte Harold Pinters

Die Konferenz ist beendet. Sie hat bei vielen Bürgern durch ihre unverhohlene Befürwortung kriegerischer Aggressionen eine tiefe Beklemmung ausgelöst. Erst letzten Dezember machte Harold Pinter in seiner Rede, die er anlässlich der Verleihung des Nobelpreises für Literatur verfasst hatte, auf die der Menschheit durch die Strategien der USA drohenden Gefahren aufmerksam. Nichts deutet indessen darauf hin, dass auch nur einer seiner Gedankengänge von den in München anwesenden Teilnehmern verinnerlicht worden wäre. Auch in der Neuen Zürcher Zeitung stiessen Pinters Worte offenbar nicht auf Gegenliebe, was in dem für meine Begriffe mit einigen recht hämischen Seitenhieben auf Pinter durchsetzten Artikel von Andreas Breitenstein * zum Ausdruck kam. Angesichts des bei den gegenwärtig gegen den Iran ausgestossenen Drohungen erneut praktizierten Rückgriffs auf Lügen gewinnt die Rede Harold Pinters zusätzliches Gewicht, so dass einige seiner Aussagen den auf der Konferenz geäusserten Behauptungen gegenübergestellt seien, dies unter Einbezug der ihm von Breitenstein zuteil gewordenen Kritik.

Die USA hat sich in München auch jetzt wieder als die alles beherrschende Macht manifestiert, der niemand entgegentrat. Ein Grund hierfür mag darin liegen, dass, wie Pinter sagt, ihre Verbrechen in der Nachkriegszeit „nur oberflächlich protokolliert, geschweige denn dokumentiert, geschweige denn eingestanden, geschweige denn überhaupt als Verbrechen wahrgenommen worden sind.“ Die Verbrechen der USA im Zuge ihrer Politik nach dem Zweiten Weltkrieg waren, so Pinter, „systematisch, konstant, infam, unbarmherzig, aber nur sehr wenige Menschen haben wirklich darüber gesprochen.“ So hatte Rumsfeld in München keine Bedenken, die Versammelten als seine Freunde anzusprechen, was sicherlich die meisten von uns empört von sich weisen würden, und auf die Werte und den unvergänglichen Glauben an die Demokratie, die ihnen allen gemeinsamen seien, hinzuweisen. Diese Sprache kann nach allem, was der Irakkrieg gezeitigt hat, kaum mehr überraschen. Denn, so Pinter, „die Mehrheit der Politiker hat nach den uns vorliegenden Beweisen an der Wahrheit kein Interesse, sondern nur an der Macht und am Erhalt dieser Macht. Damit diese Macht erhalten bleibt, ist es unabdingbar, dass die Menschen unwissend bleiben, dass sie in Unkenntnis der Wahrheit leben, sogar der Wahrheit ihres eigenen Lebens. Es umgibt uns deshalb ein weitverzweigtes Lügengespinst, von dem wir uns nähren.“ Dieses betrachte ich als durch
die NATO fortwährend gestützt und weitergewoben.
 
Rumsfelds Werte haben eine mörderische Kehrseite. Sie stehen für einen langen Krieg, den niemand von uns möchte. Aber weder wir als Bürger noch die zahllosen Friedensbewegungen sind  auf dieser Werteskala verzeichnet. Man ist fassungslos, dass Rumsfeld angesichts der in der USA wachsenden Überzeugung, dass der 11.9. allein seinem Land selbst anzulasten ist, diesen in München erneut als Rechtfertigung für die unter dem Deckmantel der Vermittlung der Demokratie laufenden weltumspannenden Unterwerfungspläne Washingtons benutzt. Um die offizielle, auch von der Presse ständig nachgebetete Version, der Anschlag wäre den Arabern zuzuschreiben, aufrechtzuerhalten, ist die Täterschaft des 11. 9. 2001 jetzt zweckmässigerweise auch noch erweitert worden, erklärte Bush den Amerikanern doch im August 2005, dass auch die Nummer 2 von Al Kaida, Ayman Al-Zawahiri, am 11.9. beteiligt gewesen sei. Selbstverständlich ohne Beweise. Fast alle Experten, Piloten, resp. Angehörige von Geheimdienst und Militär in den Staaten sind sich inzwischen darin einig, dass die Terroranschläge vom 11. September ohne Mitwirkung höchster US-Kreise unmöglich gewesen wären. Es muss, wie es heisst, eine Internationale Bewegung entstehen, die George W. Bush des Amtes enthebt.
 
Auch Al Kaida diente in München als d i e  Begründung, die dazu ermächtigt, sich den Auflagen des US-Demokratiekonzepts widersetzende Länder je nach Bedarf in ein Schlachtfeld zu verwandeln. Wir sollten, so Rumsfeld, keine Zweifel daran hegen, dass die Terroristen noch mehr Leute zu töten beabsichtigten. Stellen Sie sich vor, wie sich unsere Welt verändern würde, wenn es einer Handvoll von Terroristen über Nacht gelänge, München, Paris oder New York mit „chemischen, biologischen oder radioaktiven“ Waffen anzugreifen. Szenarien dieser Art dienen seit geraumer Zeit dazu, die Militarisierung vorantreiben zu können. Dies ungeachtet der Tatsache, dass Al Kaida von Experten bereits seit langem als eine Erfindung der USA enttarnt ist. So glaubt Thierry Meyssan von Réseau Voltaire, dass es sich hier nicht um eine strukturierte Organisation handelt, sondern um einen Gattungsbegriff, mit dessen Hilfe die USA alle Arten von unterschiedlichen Dingen bezeichnet, zwischen denen keinerlei Zusammenhang besteht. Für Mathias Bröckers ist es über alle Massen wahrscheinlich, dass Al Kaida von Doppelagenten unterwandert war und ist, ein Werkzeug der inoffiziellen US-Aussenpolitik darstellt und aus saudischen Quellen gespeist wird. Dieses Gespenst also wird nicht etwa hinterfragt, sondern hat als Begleiter des uns täglich suggerierten Terrors grünes Licht in allen Belangen
 
Der Geheimdienst der Türkei 1 hält  es für möglich, dass Al Kaida genau genommen keine Organisation, sondern ein Element einer ‚verdeckten Geheimdienstoperation’ darstellt. Experten des türkischen Geheimdiensts gehen darin einig, dass es Al Kaida gar nicht gibt, sondern dass Al Kaida vielmehr der Name einer Operation der secret services ist. Das Konzept der Bekämpfung des Terrors sei der Hintergrund der in der monopolaren Weltordnung erfolgenden Kriegsführung niedriger Intensität. Al Kaida verkörpert das
Motiv dieser Strategie der Spannung. Man beachte hier, so der Bericht, die offensichtliche Bezugnahme auf Gladio, die Geheimorganisation von NATO, CIA und des britischen MI6, das Netzwerk, das vom Staat geförderte Terroraktivitäten in Italien durchführte 2. Der türkische Geheimdienst würde damit einräumen, dass der Kampf der Neokonservativen gegen den Terror ein künstliches Konstrukt darstellt, was ein Wolfgang Schäuble sicherlich weit von sich weisen würde, entzöge eine solche Entschlüsselung des Begriffs dem für uns geplanten Überwachungskorsett doch den Boden. Die Veröffentlichung derart brisanter Feststellungen in einer türkischen Tageszeitung, in Zaman, der fünftgrössten Zeitung des Landes, ist beachtlich, wenn man bedenkt, wie eng die Türkei mit der USA verbunden resp. von ihr abhängig ist.
 
Webster Griffin Tarpley kommt zu ähnlichen Schlüssen. „Um es deutlich zu sagen: Für mich ist Al Kaida nur eine Filiale der anglo-amerikanischen Nachrichtendienste. Ich spreche vom »synthetischen Terrorismus«, einer artifiziellen Mischung, die die Dienste selbst hergestellt haben. Das Modell“  - hier decken sich seine Aussagen mit den türkischen -   „sind die italienischen Sprengstoffanschläge in den 70er und 80er Jahren, die sogenannte »Strategie der Spannung«, an denen die NATO-Untergrundkämpfer des geheimen Gladio-Programms beteiligt waren. Ich selbst habe untersucht, dass diese Seilschaften auch bei der Ermordung des christdemokratischen Parteiführers Aldo Moro im Jahre 1978 mitgemischt haben.

Interessant ist das Zusammenspiel des britischen Geheimdienstes MI5 mit Al Kaida gegen Ghaddafi. 1994 töteten Al Kaida-Leute zwei BND-Agenten in Libyen. 1995 gab es einen Anschlag auf Gaddafi selbst, mehrere Personen kamen dabei um. 1998 sagte der frühere MI5-Offizier David Shayler, dass der britische Geheimdienst das Attentat finanziert habe. In der Folge kam Libyen mit dem ersten internationalen Haftbefehl gegen Bin Laden heraus. Nach dem 11. September gab Ghaddafi Al Dschasira ein Interview und sagte: »Wenn es Amerika mit der Ausmerzung des internationalen Terrorismus ernst meinte, sollte es als erste Hauptstadt London mit Cruise Missiles angreifen. “
 
Tarpley geht von einer Geheimregierung in der USA aus, „die sich spätestens zu Beginn der 60er Jahre etabliert hat. Gründer waren CIA-Chef Allan Dulles, Aussenminister John Forster Dulles und Lyman Lemnitzer, der die Operation Northwood erfunden hat - mit entführten Flugzeugen sollten US-Städte angegriffen und das Ganze dann Kuba in die Schuhe geschoben werden. Später gründete er als NATO-Oberbefehlshaber in Europa die bereits erwähnten Gladio-Einheiten für verdeckte Operationen. Diese klandestine Struktur hat alles angezettelt: den Kennedy-Mord, den Tongking-Zwischenfall zur Entfesselung des Vietnamkriegs, die Iran-Contra-Affäre, den 11. September.“ Was die Täter als solche betrifft, so sagt Tarpley folgendes: Die Täter und die Auftraggeber sind beim synthetischen Terrorismus unterschiedliche Leute. Als Täter instrumentalisiert man gerne labile Menschen, die sich gut als Sündenbock eignen und mit deren Hilfe man Spuren in die falsche Richtung legen kann.
 
Der Filmemacher Adam Curtis schrieb im Zusammenhang mit den Terroranschlägen in London in 2005: “Die Furcht in London indes ist sehr reell, und sie ist es gerade [deswegen], weil sie nicht das Werk von Al Kaida ist.“ Es lässt sich nur noch schwer verheimlichen, wie viele Terroranschläge mit Wissen resp. auf Geheiss von Regierungen erfolgt sind und vermutlich auch weiterhin erfolgen werden. Diese Feststellungen sind in ihrer Gesamtheit jedem zugänglich, auch denjenigen, die in unserem Interesse in München in erster Linie den Frieden zu verteidigen gehabt hätten. An sie alle wäre die Forderung zu stellen, uns zu beantworten, wie es ihnen gelingt, diese Wahrheiten konstant zu umschiffen. Insofern kann  man auch die Ankündigung des Bundesrats vom September 05, die Terrororganisation Al Kaida für weitere zwei Jahre zu verbieten, nur belächeln. Es scheint den Urhebern solcher Vorschläge nicht aufzufallen, dass sie damit der Gefahr laufen, sich in den Augen all jener lächerlich zu machen, die sich über den wahren Sachverhalt informieren, was sie ihrerseits offenbar nicht als notwendig erachten. Es wird also kontinentübergreifend mit bewussten Täuschungen nebst abgrundtiefer Heuchelei und Verlogenheit gearbeitet.
 
Erwartungsgemäss hat Rumsfeld den Iran als den heute in der Finanzierung des Terrorismus führenden Staat bezeichnet. Es muss doch in die Pläne passen. Ohne dass Teheran einen völkerrechtlichen Anlass bietet, droht Berlin mit kriegerischen Massnahmen, die als "Militärschlag" bezeichnet werden. So wandelt auch Angela Merkel getreu in den Fusstapfen Washingtons, indem sie die Bedrohung durch den Terrorismus, korrekterweise, wie Rumsfeld bestätigte, als die grösste Bedrohung unserer Sicherheit im 21. Jahrhundert bezeichnet. Die grossen, in der NATO verankerten Demokratien der Welt, müssten angesichts dieser Herausforderung vereint bleiben. Auch der schrankenlose Missbrauch des Begriffs Demokratie gehört auf Regierungsebene zum täglichen Repertoire. Es ist nicht zu erkennen, dass begriffen würde, dass der nächste Flächenbrand sie alle treffen wird, auch Frau Merkel in ihrem, wie sie vermutlich glaubt, wohlabgesicherten Berlin. Wir haben unsere Regierungen zwar dazu ermächtigt, uns zu regieren, aber nicht dazu, uns zu vernichten; denn diese Art von Sicherheitspolitik trägt den Keim der Zerstörung in sich.
 
Die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, müsse, so Rumsfeld, mit allen Mitteln verhindert werden, damit sie nicht in die Hände von Terroristen fallen. Je mehr die USA jedoch von diesen herstellt, desto grösser wird das Risiko, dass sie von ihnen selbst bedroht wird, denn der illegale Fluss von Waffen war noch nie gänzlich zu unterbinden. Weiter legte Rumsfeld dar, dass die USA und ihre Verbündeten die besten Männer und Frauen in den Irak geschickt hätten, um dort eine sich von Saddam Husseins Regime unterscheidende Regierung aufzubauen. Man wüsste gerne, wie das, was ich als einen glänzend operierenden Verdrängungsmechanismus bei Rumsfeld konstatiere, funktioniert, blendet er doch völlig aus, dass die USA den Diktator den Irakern selbst beschert hat, indem sie ihn aufbaute, für den Krieg gegen den Iran benutzte und ihm anschliessend die Grenzen zog, die den Niedergang des Landes beschleunigten. Die Blutbäder, die Rumsfelds ‚Samariter’ angerichtet und, indem sie die Bewohner zum Widerstand zwingen, weiterhin zu verantworten haben, werden komplikationslos als Kollateralschäden abgehakt. Harold Pinter sieht es richtig, wenn er ausführt, „dass die USA weltweit eine ziemlich kühl operierende Machtmanipulation betrieben hat und sich dabei als Streiter für das universelle Gute gebärdet. Ein glänzender, sogar geistreicher, äusserst erfolgreicher Hypnoseakt. Ein brillanter Trick. Mit Hilfe der Sprache hält man das Denken in Schach.“ Was den dabei jeweils beschrittenen Weg betrifft, so sagt Pinter: „Ist die Bevölkerung unterjocht oder totgeprügelt worden, es läuft auf dasselbe hinaus; und sitzen die eigenen Freunde, das Militär und die grossen Kapitalgesellschaften bequem am Schalthebel, tritt man vor die Kamera und sagt, die Demokratie habe sich behauptet. Das war in den Jahren, auf die ich mich hier beziehe [die Nachkriegszeit], in der Aussenpolitik der USA gang und gäbe.“ Ferner: „Nach dem  Ende des Zweiten Weltkriegs unterstützten die Vereinigten Staaten jede rechtsgerichtete Militärdiktatur auf der Welt und in vielen Fällen brachten sie sie erst hervor.“
 
Wie uns Rumsfeld wissen lässt, fliessen heute aus jedem versteuerten amerikanischen Dollar 3,7 % in die nationale Verteidigung sowie in die der Freunde und Verbündeten der USA. Er übersieht, dass er sich hinsichtlich unserer Verteidigung keinerlei Sorgen zu machen bräuchte, würde die anglo-amerikanische Ölmacht von der Anzettelung neuer Kriege absehen. Die EU unterliegt keinen Attacken, auch wenn man sie ständig herbeizureden sucht. Die NATO-Mitgliedstaaten müssen daher ihre Rüstungsetats, die sich laut German Foreign Policy 4 auf bis zu 600 Milliarden US-Dollar belaufen, entschieden aufstocken, um die entsprechenden US-Budgets zu entlasten. Der Missbrauch meiner Arbeitskraft für die Kriegsführungsgelüste einer Handvoll Leute nimmt immer eklatantere Formen an. Die Permanenz westlicher Kriege, so GFP, bedroht die Kassen der westlichen Führungsmacht. Als Ziel gelten in Brüssel 2% des Bruttoinlandsproduktes. Wollte Deutschland diesen Wert erreichen, wäre eine Aufstockung des Verteidigungshaushalts um eine zweistellige Milliardensumme unumgänglich. Die Art und Weise, wie uns unsere Regierungen über den „Tribut“ hinaus, den wir als Internationale Gemeinschaft bereits für die Folgen aller Kriege, die wir nicht auf dem Gewissen haben, an die Urheber und Betroffenen entrichten müssen, auch noch zu finanziellen Vasallen der USA zu degradieren gedenken, läuft für mich auf die Vernichtung des europäischen Fundaments hinaus. Aber auch in dieser Beziehung hat die Mehrheit unserer Volksvertreter offenbar mittels undurchlässiger Scheuklappen vorgesorgt: Es berührt kaum einen von ihnen und es sind kaum Bemühungen auszumachen, die Dinge zu Ende zu denken. 
 
Die Pläne, die Merkel auf dem Münchner Rüstungstreffen bekanntgab, erweitern das militärisch-finanzielle Potential des transatlantischen Pakts und ergänzen Pläne der USA. Das deutsch-amerikanische Programm will die NATO bis ins Chinesische Meer vorschieben; es richtet sich eindeutig gegen Beijing. Gemäss Merkel, soll die NATO ihre  Kriegsfähigkeit durch die Expansion auf sämtliche Kontinente ausweiten und die Zusammenarbeit mit Drittstaaten entschieden vergrössern. Das Wort Frieden, immerhin Gegenstand einiger uns in 2000 allseits vorgetragener Gelöbnisse, sehe ich dadurch als sang- und klanglos zu Grabe getragen. Eine Bedrängung Chinas dürfte zumindest den Konzernen höchst ungelegen kommen, steht doch zu befürchten, dass ihnen die Chinesen bei der Umsetzung dieser Strategien über Nacht sämtliche joint ventures kündigen könnten, was für sie selbst vermutlich nur minime Nachteile hätte, da sie dem Westen das für sie notwendige technische Know-how längst abgepresst haben. Hinsichtlich dieser Pläne seien hier Pinters Worte eingefügt: „Den Vereinigten Staaten liegt nichts mehr am low intensity conflict. Sie sehen keine weitere Notwendigkeit, sich Zurückhaltung aufzuerlegen oder gar auf Umwegen ans Ziel zu kommen. Sie legen ihre Karten ganz ungeniert auf den Tisch. Sie scheren sich einen Dreck um die Vereinten Nationen, das Völkerrecht oder den kritischen Dissens, den sie als machtlos und irrelevant betrachten. Sie haben sogar ein kleines blökendes Lämmchen, das ihnen an einer Leine hinterher trottelt, das erbärmliche und abgeschlaffte Großbritannien.“
 
Pinter stuft die Invasion des Iraks als "Banditenakt" sowie als "Akt von unverhohlenem Staatsterrorismus" ein, bei dem der Tod von mindestens 100'000 Irakern für US-Präsident George W. Bush und den britischen Premierminister Tony Blair eine bedeutungslose Lappalie darstellt. „Wir haben dem irakischen Volk Folter, Splitterbomben, abgereichertes Uran, zahllose willkürliche Mordtaten, Elend, Erniedrigung und Tod gebracht und nennen es dem mittleren Osten Freiheit und Demokratie bringen.“ Zu den Folgen zählen Missbildungen, die erschütternderweise noch grauenhafter als die in Vietnam sind.
 
Andreas Breitensteins Ansichten hingegen sind auf einer gänzlich anderen, nicht  nachvollziehbaren Ebene angesiedelt. Er schreibt doch tatsächlich, dass wenn der US-Plan gelänge, das Prinzip Freiheit im Irak durchzusetzen, dieser zur Keimzelle für einen demokratischen Wandel in der von Potentaten und Diktatoren beherrschten arabi­schen Welt werden könnte, wobei er es unterlässt hinzuzufügen, dass diese zum Schaden ihrer eigenen Bevölkerung mehrheitlich Verbündete des Westens waren und sind. Wie kann von Freiheit die Rede sein, wenn eine der ersten Handlungen der Besatzer darin bestand, die Samenbank der Iraker, eine der wertvollsten und ältesten der Welt, zu zerstören; die neue Regierung muss von zahlreichen Marionetten durchsetzt sein, die nicht davor zurückgeschreckt sind, die irakischen Bauern durch die Order 81, das Verbot des Anbaus landeseigener Samen, den grossen Konzernen wie Monsanto, Bayer und Syngenta auszuliefern. Ferner unternahm es die USA, das von Saddam Hussein im November 2000 auf Euro umgestellte, von der UNO verwaltete irakische Guthaben aus den Ölverkäufen sofort wieder in Dollar zu überführen, um ihre eigene Währung nicht zu gefährden. Die Privatisierung des irakischen Erdöls ist bereits Gegenstand von Verhandlungen mit BP und Chevron, so dass laut einer Studie des britischen Wirtschaftsforscher Greg Muttitt die irakische Volkswirtschaft zwischen 74 und 194 Milliarden US-$ verlieren wird, sofern sich die multinationalen Erdölkonzerne dort etablieren. Der Ausgleich dieser Differenz dürfte für uns als Internationale Gemeinschaft bereits vorprogrammiert sein. Und wo lässt sich noch von Freiheit reden, wenn die Dreiteilung des Iraks schon vor dem Irakkrieg ein Thema war und diese Forderung im Oktober 2005 offen wiederholt wurde? 5
 
Breitenstein wirft Harold Pinter nicht nur vor, die Dinge verquer darzulegen, sondern unterstellt ihm auch Amerikahass. Hass sehe ich eher in seinen eigenen Zeilen angesiedelt, da er es vermutlich nicht erträgt, dass das für meine Begriffe von der NZZ stets mit zuviel Wohlwollen bedachte American Empire öffentlich  - und, füge ich hinzu, verdientermassen -  derart schonungslos angeprangert wird. Pinter ging es darum, der sowohl von der Presse als auch auf Regierungsebene praktizierten Beschönigung Washingtons die Maske vom Gesicht zu reissen, wofür wir ihm zu grossem Dank verpflichtet sind. Bush hat Ende Januar in seiner Rede zur Lage der Nation den Führungsanspruch der USA erneut bekräftigt. «Nur die USA könnten der Welt Gutes tun. Die USA, so Bush,  wird auch künftig weltweit für die Verbreitung der Freiheit kämpfen. …. Wenn wir uns zurückziehen würden, dann würden wir das Terrain nicht nur den Terroristen überlassen, sondern wir würden eine phantastische Gelegenheit verpassen, die Freiheit zu verbreiten.“ Ein einmaliger Standpunkt, dessen menschenverachtende Fratze uns Rumsfeld in München nochmals in aller Deutlichkeit vorführte. 
 
Es bleibt ungeklärt, ob die Anwesenden, die Rumsfelds Rede offenbar ohne Widerspruch hingenommenen haben, dem Machthunger oder anderen, noch schlimmeren, uns nicht bekannten Faktoren erlegen sind, denn Ignoranz kann hier nicht ins Spiel kommen. Die in München an die NATO ergangenen Forderungen deuten auf die Fortführung im Interesse westlicher Wirtschaftsbelange verfolgter Ziele hin. In Pinters Worte gekleidet: „Ich sagte vorhin, die Vereinigten Staaten würden ihre Karten jetzt völlig ungeniert auf den Tisch legen. Dem ist genau so. Ihre offiziell verlautbarte Politik definiert sich jetzt als „full spectrum dominance“. Der Begriff stammt nicht von mir, sondern von ihnen. „Full spectrum dominance“ bedeutet die Kontrolle über Land, Meer, Luft und Weltraum, sowie aller zugehöriger Ressourcen. Eines wissen wir allerdings, nämlich dass dieser infantile Irrsinn, der Besitz und der angedrohte Einsatz von Nuklearwaffen, den Kern der gegenwärtigen politischen Philosophie Amerikas bildet.“
 
Es steht zu vermuten, dass die von Breitenstein in seinem Artikel gegen Pinter ins Feld geführten Argumente generell viel Unmut hervorgerufen haben. Ich füge daher den von Said Huber an die NZZ-Redaktion gerichteten und von dieser nicht veröffentlichten Leserbrief hier ein, da er mit aller Deutlichkeit aufzeigt, an was Politik und Konzerne kranken.
 
„Pinter: unnötiges Scherbengericht oder wer hat den Balken im Auge?
Die Verbitterung, mit der Andreas Breitenstein in seiner Rezension "Der zerbrochene Spiegel" die Nobelvorlesung Harold Pinters wortgewaltig zerschmetterte, darf uns nicht überraschen. Der Rechte Breitenstein erschauerte, als er in den vom Linken Pinter vorgehaltenen Spiegel blickte. Und es ist nur zu begreiflich, dass Breitenstein diesen Spiegel zerbrach, weil er ihn nicht ertrug. Denn Pinters verkündete Wahrheiten spiegeln ja nur dessen subjektive Wahrnehmungen wider, nicht aber die objektive Wahrheit, die zu offenbaren vorab die NZZ in Anspruch nimmt. In diesem Zusammenhang kann man Pinter durchaus vorwerfen, dass er die aus neoliberaler Sicht wichtigste Dimension der menschlichen Existenz zu Unrecht nicht erwähnt hat: die ethikfreie Ökonomie, die in ihrem Wirklichkeitskalkül ethisch-religiöse Überlegungen als "ausserökonomische" Kategorien ausblenden muss. Aus diesem Blickwinkel muss Pinters einseitig antiamerikanischer Rundumschlag als abenteuerlich erscheinen, soweit er unterstellt, dass (die freilich nicht nur von den USA weltweit geführten) Kriege ausschliesslich aus Macht- oder Geschäftsgründen "veranstaltet" werden. Denn im heute real existierenden Neoliberalismus hat sich nach zwei qualvollen Weltkriegen und dem Untergang des Kommunismus die Einsicht durchgesetzt, dass der Einsatzfaktor "Mensch" viel zu kostbar ist, um ihn nur als Menschenmaterial zu verheizen, zumal er als Humankapital eingesetzt viel interessantere Renditen zu generieren vermag. Das aber bedingt Demokratie und Freiheit. Nach den Ausführungen Breitensteins seien im Falle des Iraks "gute Gründe" vorhanden gewesen, um "das Prinzip Freiheit (...) mit entsprechenden Mitteln durchzusetzen" und "diese neue Strategie mit der Befreiung des Iraks vom Joch Saddam Husseins durchzuspielen"... "Durchspielen"?  Krieg gegen einen Tyrannen als Spiel, auch wenn grauenhafte "Kollateralschäden" in Kauf zu nehmen sind? Jedenfalls diesen common sense, Krieg letztlich nur als ein Spiel zu sehen, liess Pinter in seiner Nobelvorlesung vermissen. Folglich musste sein Spiegel in die Brüche gehen, als er den Angriffskrieg der USA gegen den Irak samt "Kollateralschäden" als abscheuliches Verbrechen brandmarkte und die unbequeme Frage stellte, die dringend beantwortet werden müsste, wenn das Ideal der Menschenwürde nicht länger als lebender Untoter durch kriegsgeschüttelte Landstriche geistern soll: «How many people do you have to kill before you qualify to be described as a mass murderer and a war criminal?» Vielleicht wird uns Andreas Breitenstein darauf antworten können? Seine liberalen Ordnungsvorstellungen interessieren uns sehr, denn das Zählen von Kriegsleichen ist kein Kinderspiel. Eine überzeugende Antwort wäre nobelpreiswürdig. In der Zwischenzeit werden wir warten (und auch den stechenden Verwesungsgeruch zu ertragen versuchen). Hoffentlich werden wir nicht allzu lange warten müssen, «denn Ordnung muss sein, Ruhe, Ordnung und die Zivilisation der christlichen Staaten», wie Tucholsky einmal treffend schrieb. Und: Wenigstens Kurt müssen wir ernst nehmen, denn er wusste, wovon er sprach. Daher sollte man sich hüten, mit dem Balken auf Harold einzuschlagen oder ihn als unverantwortlichen Hofnarren zu verspotten.“
 
Pinters trotz aller gegenteiliger Anzeichen Trost verheissende Worte sollen hier den Abschluss bilden: „Ich glaube, dass den existierenden, kolossalen Widrigkeiten zum Trotz die unerschrockene, unbeirrbare, heftige intellektuelle Entschlossenheit, als Bürger die wirkliche Wahrheit unseres Lebens und unserer Gesellschaften zu bestimmen, eine ausschlaggebende Verpflichtung darstellt, die uns allen zufällt. Sie ist in der Tat zwingend notwendig. Wenn sich diese Entschlossenheit nicht in unserer politischen Vision verkörpert, bleiben wir bar jeder Hoffnung, das wiederherzustellen, was wir schon fast verloren haben  - die Würde des Menschen.“
 
 
* Der zerschlagene Spiegel, Harold Pinters antiamerikanischer Rundumschlag in
Stockholm, NZZ  vom 10./11. Dezember 2005, Seite 47; die Rede Pinters ist auf
politonline zu finden
1 http://www.uruknet.info/?s1=1&p=14671&s2=16    uruknet.info
Turkish Intelligence: Al-Qaeda a U.S. Covert Operation - Kurt Nimmo, Another Day in the Empire  August 15, 2005
2 Daniele Ganser und Christian Nuenlist  -  Secret Warfare: Operation Gladio and NATO's Stay-Behind Armies; NATO’s Secret Armies
siehe auch http://de.wikipedia.org/wiki/Gladio sowie ‚Fakten zum Terror’ auf politonline
3 http://www.jungewelt.de vom 26. 7. 2005   Interview: Jürgen Elsässer
»MI 5 arbeitet schon lange mit Al Qaida zusammen« Ein Gespräch mit Webster Griffin Tarpley
4 http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56233  5.2.06
5 http://www.questionsquestions.net/docs04/iraq_partition.html  22. 12. 2003
"Let's Divide Iraq as We Did in Yugoslavia!" by Michel Collon  sowie ‚Wird der Irak
geteilt?’ auf politonline