China setzt sich für einen Ägäis-Donau-Kanal ein

Eines der grossen, für den Balkan erstellten Infrastrukturprojekte

des Marshall-Plans des Schiller-Instituts, der Morava-Vardar-Axios-Kanal, erhält immer mehr Unterstützung. Das 650 km lange Projekt würde eine Verbindung von der Donau bei Belgrad bis zur Ägäis bei Thessaloniki schaffen  - dies über einen Kanal von der Morava in Serbien zum Vardar, der Hauptverkehrsader Mazedoniens und eine der wichtigsten Nord-Süd Verkehrsrouten in Südosteuropa; der Vardar fliesst nach Griechenland, wo er den Namen Axios trägt; der Axios mündet westlich von Chalastra in unmittelbarer Nähe der Stadt Thessaloniki in die Ägäis. Dazu sind entlang der Strecke 11 fünfstufige Schleusen vorgesehen; hinzu kämen 7 Wasserkraftwerke. Diese Verbindung würde den Binnenwasserweg zum östlichen Mittelmeer und somit zum Anschluss an den Seetransport über den Suezkanal nach Asien um 1200 km verkürzen. Die von Serbien in Auftrag gegebene  Machbarkeitsstudie ist vom staatlichen chinesischen Bauunternehmen China Gezuba Corporation ausgeführt worden; dieses stellte die vorläufigen Ergebnisse dem serbischen Präsidenten Tomislav Nikolic anlässlich seines China-Besuchs Ende letzten Jahres vor. Die Studie ist bislang noch nicht veröffentlicht worden, aber dem Vernehmen nach würde China für den Bau einen Kredit in Höhe von bis zu 10 Milliarden $ bereitstellen. Der griechische Reederverband hat seine volle Unterstützung für das Vorhaben erklärt. China hat bereits den Containerhafen von Piräus als Hauptumschlagsplatz für seine Einfuhren nach Europa gepachtet und hilft den Ländern entlang des Europäischen Korridors  - Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien -  beim Wiederaufbau ihrer Bahnverbindungen als Alternative zum LKW-Transport der Container. Der Kanal würde die Ausfuhr von Agrarprodukten aus Osteuropa und vom Balkan nach China wesentlich erleichtern. Dieses Agrarpotential wird bislang infolge der von Kartellen beherrschten EU-Politik viel zu wenig genutzt.  [1] 

Ungeachtet eines positiven Vorhabens dieser Art plant Obama eine Eskalation der Konfrontation mit China. Zwar spricht er gerne von der guten Zusammenarbeit mit China, in Wirklichkeit aber treibt er die Einkreisungs- und Kriegspolitik gegen China aggressiv voran. Eine Ankündigung von Obamas Politik hatte der für die Asien-Pazifik-Angelegenheiten zuständige Daniel Russell geliefert, indem er China direkt eine Russland-Behandlung androhte, falls es sich im Südchinesischen oder Ostchinesischen Meer provokativ verhalte. Das Gleiche, nur noch etwas detaillierter, hatte Verteidigungsminister Chuck Hagel bei seinem jüngsten dreitägigen China-Besuch erklärt. Nachrichtdienstexperten aus Washington bestätigen, dass Hagel vom Weissen Haus und von Sicherheitsberaterin Susan Rice instruiert worden war, diese scharfe Äusserung auszusprechen. Hagel kündigte zudem eine zusätzliche Stationierung von Aegis-Zerstörern der US-Marine in Japan an, wodurch das Raketenabwehrschild in Chinas Umfeld ausgebaut wird. Die chinesische Führung reagierte auf Washingtons Drohungen ungewöhnlich scharf. Verteidigungsminister Chang Wanquan warnte die USA in seiner Pressekonferenz mit Hagel vor Versuchen, China einzudämmen, was unmöglich wäre. Wanquan machte auch deutlich, dass sich China beim Schutz seiner territorialen Souveränität auf keinen Fall auf Kompromisse einlassen wird: »In dieser Frage werden wir keinen Kompromiss eingehen, keine Zugeständnisse, auch nicht die geringste Verletzung ist erlaubt....« Unter der neuen US-Militärdoktrin Air-Sea-Battle sind präventive Militärschläge der USA gegen strategische Ziele auf dem chinesischen Festland möglich, dies unter dem Vorwand, Chinas Fähigkeit, den Zugang zu bestimmten Gebieten zu versperren, auszuschalten. Als Reaktion darauf haben Mitglieder der chinesischen Führung öffentlich erklärt, China könnte sich gezwungen sehen, seine traditionelle Politik des Verzichts auf den Ersteinsatz von Kernwaffen aufzugeben. Ähnlich wie Russland und die USA verfügt China über eine wachsende Flotte von kernwaffentauglichen U-Booten, die die Westküste der USA treffen können. Somit ist die Asien-Pazifik-Region, zusätzlich zu dem europäischen Schauplatz mit den gegen Russland gerichteten Aktivitäten, ein möglicher Auslöser eines Konflikts, der rasch eskalieren könnte.  [2] 

Der Verschärfung der Spannungen zwischen China und der USA, wie sie etwa im Territorialstreit um die Inselgruppen im ost- und im südchinesischen Meer droht, hatte sich die Hamburger Körber-Stiftung schon 2011 gewidmet. Ihre Schlussfolgerung geht dahin, dass sich Berlin in dem Konflikt zwischen Washington und Beijing trotz massiver Wirtschaftsinteressen in China auf Grund der Stärke der transatlantischen Wirtschaftsbindungen  - und um die globale Dominanz des Westens zu sichern -  auf die Seite der Vereinigten Staaten schlagen wird. Einem Bericht von Paul Craig Roberts zufolge, arbeitet Washington daran, neue Luftwaffen- und Marinestützpunkte auf den Philippinen, in Südkorea, Vietnam, Thailand und in Australien zu errichten, um von dort aus die Zufuhr von Erdöl und anderen Rohstoffen nach China zu blockieren. Washington arbeitet auch daran, China mit der transpazifischen Partnerschaft zu isolieren, ist aber zurzeit in erster Linie darauf konzentriert, Russland zu destabilisieren und zu isolieren. Die Einkreisung Russlands durch US-Raketenstellungen beeinträchtigt Russlands Souveränität und Unabhängigkeit und schwächt somit auch die BRICS-Staaten als eine Washington entgegenwirkende Kraft.  [3]  

Ein Jahrzehnt geopolitischer Fehlschläge 
Im Zusammenhang mit China veröffentlichen wir nachfolgend einen Artikel von Kishore Mahbubani, Dekan der Lee Kuan Yew School of Public Policy an der National University of Singapore:  

Ein Blick auf China lehrt Klugheit im Umgang mit Russland    
Der britischer Historiker Niall Ferguson hat zur Hälfte recht. Es gab eine geopolitische Verengung, aber nicht von der Art, die er meinte; es gab eine Verengung der westlichen geopolitischen Weisheit. Hat jemand die Serie westlicher geopolitischer Fehlschläge während eines Jahrzehnts bemerkt? Trotz massiver militärischer und finanzieller Interventionen sind der Irak und Afghanistan ein Misserfolg. Vor drei Jahren kündigte die USA an:
»Es ist an der Zeit, dass Präsident Assad dem syrischen Volk zuliebe zurücktritt.« Er ist noch immer im Amt. Und nun steht der Westen kurz davor, China ein geopolitisches Geschenk zu machen, indem er sich Russland entfremdet. 

Wie sind diese Misserfolge zu erklären? Es ist überraschend einfach. Nach zwei Jahrhunderten von Erfolgen gehen die Führer des Westens davon aus, dass ihre Rolle in der Aufrechterhaltung der westlichen Macht bestehe. Nicht einer von ihnen hat die neue unabweisbare Tatsache erfasst: Die wirkliche Herausforderung für den Westen besteht darin, seinen Niedergang zu handhaben. Diese fehlerhafte Geisteshaltung zeigt sich in einer einfachen Aussage Barack Obamas. Der US-Präsident verkündete, Russland sei auf der falschen Seite der Geschichte, was soviel besagt wie der Westen sei auf der richtigen Seite der Geschichte. Aber ist das so? Im   Laufe der nächsten Jahrzehnte werden sich einige Trends als irreversibel erweisen. Der Anteil des Westens an der Weltbevölkerung, seine wirtschaftliche Bedeutung, und zwangsläufig auch seine politische und militärische Macht, werden abnehmen. Die jüngsten Rückschläge der Schwellenländer gaben Anlass zu Wunschvorstellungen, gemäss denen der Westen wieder zurück sei. Ja, vielleicht für ein oder zwei Jahre. Aber die Logik des langfristigen Trends zum Abstieg wird sich nach dieser kurzzeitigen Veränderung fortsetzen. 

Wie also sollte der Westen seinen Abstieg bewältigen? Drei einfache Schritte könnten einen grossen Unterschied ausmachen. Erstens: Beendet den ideologischen Kreuzzug zur Förderung der Demokratie. In der Tat ist das ukrainische Fiasko direktes Resultat des Fakts, dass der Westen die Strassenproteste förderte, anstatt den politischen Kompromiss zwischen den beiden Lagern zu unterstützen. Dieses rücksichtslose geopolitische Verhalten war die direkte Folge des Glaubens, dass, in Anlehnung an den Satz des Sowjetführers Nikita Chruschtschow, die Geschichte auf unserer Seite ist. In Wirklichkeit wäre es, wie der realistische amerikanische [Ex-]Aussenminister Henry Kissinger kürzlich wohlweislich betonte, unklug, vitale russische Interessen in der Ukraine zu ignorieren. Wird sich die Demokratie nicht mehr weiterverbreiten, wenn der Westen aufhört, sie voranzutreiben? Natürlich nicht. Sie wird sich organisch herausbilden und dadurch natürlicherweise nachhaltig sein. Man blicke nur nach Indonesien, dem bevölkerungsreichsten islamischen Land der Welt. 1999 war es beinahe ein gescheiterter Staat. Fünfzehn Jahre später steht es kurz davor, Joko Widodo, weitherum als Jokowi bekannt, zu wählen, eine der kompetentesten Führungskräfte der Welt. Wie kam es dazu? Freundliche Nichtbeachtung des Westens ist eine Antwort. Präsident Obama hat Indonesien, die Heimat seiner Kindheit, dreimal enttäuscht, indem er seinen Besuch dreimal absagte. Dennoch hat sich das Land weiterhin in eine positive Richtung weiterbewegt. 

Zweitens: Begrüsst Russland mit offenen Armen und tut es wirklich. Die westlichen Medien haben eine Kaskade von Beleidigungen gegen Präsident Vladimir Putin und Russland losgelassen. Trotzdem haben einige wenige darauf hingewiesen, dass der Westen Präsident Putin in die Ecke gedrängt und ihm keinen Ausweg gelassen hat. Westliche Führer hatten dem Sowjetführer Michael Gorbatschow wiederholt versichert, dass sich die NATO nicht nach Osten erweitern würde. Diese Zusicherungen wurden missachtet. Kann heute irgendein russischer Staatschef irgendeiner westlichen Zusicherung glauben, wonach keine NATO-Marinebasis auf der Krim errichtet würde, wenn sich Russland zurückzöge? Die unkluge westliche NATO-Erweiterung hat die Sicherheit des Westens nicht erhöht. Sie hat nur Russland aufgebracht. Wenn der Westen jedoch endlich aufwachte, um sich mit einem aufsteigenden China auseinanderzusetzen, würde Russland genau jene Art von geopolitischem Gewicht bieten, die es bräuchte, um die Macht Pekings aufzuwiegen. In direkter Missachtung seiner eigenen langfristigen geopolitischen Interessen treibt der Westen heute Russland in Richtung China. Er kann es sich nicht verkneifen, Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Dieser Zwang, gegen seine eigenen Interessen zu handeln, illustriert den Niedergang westlicher geopolitischer Klugheit ganz ausgezeichnet.  

Indessen ist es nicht zu spät, aufeinander zuzugehen. Aber der Westen muss von seinem hohen moralischen Ross heruntersteigen. Eine einfache Beobachtung könnte ihm helfen, das zu tun. Hat irgend jemand in der Region registriert, dass nur wenige seinen Kreuzzug in der Ukraine befürworten? Wirklich: Kann jemand ein bedeutendes nicht-westliches Land nennen, das den Westen dabei unterstützt? Die grösste Demokratie der Welt ist Indien. Die Inder, so wie viele andere auf der Welt, schauen ungläubig auf den Westen und fragen sich, wie man so destruktiv gegen seine eigenen Interessen sein kann.

Drittens sollte der Westen China beobachten und von ihm lernen. Peking hat beinahe ein geopolitisches Wunder vollbracht, indem es zur Macht Nummer zwei aufgestiegen ist, ohne die Weltordnung zu erschüttern. Wie hat es das erreicht? Es praktizierte strategische Zurückhaltung. Trotz einiger Beinahe-Missgeschicke im Südchinesischen Meer, im Ostchinesischen Meer und an der indischen Grenze verblieb China in Frieden. In noch wunderbarerer Weise hat es einen der grössten Unruheherde der Welt, die Formosa [oder Taiwan]-Strasse entschärft. Ironischerweise besteht gerade bei absteigenden Mächten  - und nicht bei aufsteigenden Mächten -  eine grössere Notwendigkeit, strategische Zurückhaltung zu üben. Wenn der Westen Chinas strategische Zurückhaltung nachahmen könnte, könnte er vielleicht sein Jahrzehnt geopolitischer Fehlschläge endlich beenden.  [4] 

 

[1]  Strategic Alert Jahrgang 27, Nr. 8 vom 19. 2. 14  
[2]  Stragegic Alert Jahrg. 27, Nr. 16/17 vom 16. April 2014 
[3]  http://antikrieg.com/aktuell/2014_03_08_obama.htm  7.
3. 2014   
[4]  http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=1772 
Zeit-Fragen  Nr. 9 vom 22.4.2014  
Der Autor ist Dekan der Lee Kuan Yew School of Public Policy an der National University of Singapore und fru
?herer permanenter Vertreter von Singapur bei den Vereinten Nationen;  Niall Ferguson ist Laurence-A.-Tisch-Professor of History an der Harvard University 
Der Originalartikel erschien in der
Financial Times London vom 21. 3. 2014