China setzt sich für einen Ägäis-Donau-Kanal ein 27.04.2014 21:59
Eines der grossen, für den Balkan erstellten Infrastrukturprojekte
des
Marshall-Plans des Schiller-Instituts, der Morava-Vardar-Axios-Kanal, erhält
immer mehr Unterstützung. Das 650 km lange Projekt würde eine Verbindung von
der Donau bei Belgrad bis zur Ägäis bei Thessaloniki schaffen - dies über einen Kanal von der Morava in
Serbien zum Vardar, der Hauptverkehrsader Mazedoniens und eine der wichtigsten
Nord-Süd Verkehrsrouten in Südosteuropa; der Vardar fliesst nach Griechenland, wo er den
Namen Axios trägt;
der Axios mündet westlich von Chalastra in unmittelbarer Nähe der Stadt
Thessaloniki in die Ägäis. Dazu sind entlang der Strecke 11 fünfstufige
Schleusen vorgesehen; hinzu kämen 7 Wasserkraftwerke. Diese Verbindung würde
den Binnenwasserweg zum östlichen Mittelmeer und somit zum Anschluss an den
Seetransport über den Suezkanal nach Asien um 1200 km verkürzen. Die von Serbien
in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie
ist vom staatlichen chinesischen Bauunternehmen ›China Gezuba
Corporation‹ ausgeführt worden; dieses stellte die vorläufigen
Ergebnisse dem serbischen Präsidenten Tomislav Nikolic anlässlich seines China-Besuchs
Ende letzten Jahres vor. Die Studie ist bislang noch nicht veröffentlicht worden,
aber dem Vernehmen nach würde China für den Bau einen Kredit in Höhe von bis zu
10 Milliarden $ bereitstellen. Der griechische Reederverband hat seine volle
Unterstützung für das Vorhaben erklärt. China hat bereits den Containerhafen
von Piräus als Hauptumschlagsplatz für seine Einfuhren nach Europa gepachtet
und hilft den Ländern entlang des Europäischen Korridors - Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn,
Rumänien, Bulgarien - beim Wiederaufbau
ihrer Bahnverbindungen als Alternative zum LKW-Transport der Container. Der
Kanal würde die Ausfuhr von Agrarprodukten aus Osteuropa und vom Balkan nach
China wesentlich erleichtern. Dieses Agrarpotential wird bislang infolge der von
Kartellen beherrschten EU-Politik viel zu wenig genutzt. [1]
Ungeachtet eines
positiven Vorhabens dieser Art plant Obama eine Eskalation der Konfrontation mit China. Zwar spricht er gerne von der ›guten Zusammenarbeit‹ mit China, in Wirklichkeit aber
treibt er die Einkreisungs- und Kriegspolitik gegen China aggressiv voran. Eine
Ankündigung von Obamas Politik hatte der für die Asien-Pazifik-Angelegenheiten
zuständige Daniel Russell geliefert, indem er China direkt eine ›Russland-Behandlung‹ androhte, falls es sich im Südchinesischen
oder Ostchinesischen Meer provokativ verhalte. Das Gleiche, nur noch etwas
detaillierter, hatte Verteidigungsminister Chuck Hagel bei seinem jüngsten
dreitägigen China-Besuch erklärt. Nachrichtdienstexperten aus Washington bestätigen,
dass Hagel vom Weissen Haus und von Sicherheitsberaterin
Susan Rice instruiert worden war, diese scharfe Äusserung auszusprechen. Hagel
kündigte zudem eine zusätzliche Stationierung von Aegis-Zerstörern der
US-Marine in Japan an, wodurch das Raketenabwehrschild in Chinas Umfeld
ausgebaut wird. Die chinesische Führung reagierte auf Washingtons Drohungen
ungewöhnlich scharf. Verteidigungsminister Chang Wanquan warnte die USA in
seiner Pressekonferenz mit Hagel vor Versuchen, China ›einzudämmen‹, was
unmöglich wäre. Wanquan machte auch deutlich, dass sich China beim Schutz
seiner territorialen Souveränität auf keinen Fall auf Kompromisse einlassen
wird: »In dieser Frage werden wir keinen Kompromiss
eingehen, keine Zugeständnisse, auch nicht die geringste Verletzung ist
erlaubt....« Unter der neuen US-Militärdoktrin ›Air-Sea-Battle‹ sind
präventive Militärschläge der USA gegen strategische Ziele auf dem chinesischen
Festland möglich, dies unter dem Vorwand, Chinas Fähigkeit, den Zugang zu
bestimmten Gebieten zu versperren, auszuschalten. Als Reaktion darauf haben
Mitglieder der chinesischen Führung öffentlich erklärt, China könnte sich
gezwungen sehen, seine traditionelle Politik des Verzichts auf den Ersteinsatz
von Kernwaffen aufzugeben. Ähnlich wie Russland und die USA verfügt China über
eine wachsende Flotte von kernwaffentauglichen U-Booten, die die Westküste der USA treffen
können. Somit ist die Asien-Pazifik-Region, zusätzlich zu dem
europäischen Schauplatz mit den gegen Russland gerichteten Aktivitäten, ein möglicher
Auslöser eines Konflikts, der rasch eskalieren könnte. [2]
Der Verschärfung der Spannungen zwischen China
und der USA, wie sie etwa im Territorialstreit um die Inselgruppen im ost- und
im südchinesischen Meer droht, hatte sich die Hamburger Körber-Stiftung schon
2011 gewidmet. Ihre Schlussfolgerung geht dahin, dass sich Berlin in dem
Konflikt zwischen Washington und Beijing trotz massiver Wirtschaftsinteressen
in China auf Grund der Stärke der transatlantischen Wirtschaftsbindungen - und um die globale Dominanz des Westens zu
sichern - auf die Seite der Vereinigten
Staaten schlagen wird. Einem Bericht von Paul Craig Roberts zufolge, arbeitet Washington daran, neue
Luftwaffen- und Marinestützpunkte auf den Philippinen, in Südkorea, Vietnam,
Thailand und in Australien zu errichten, um von dort aus die Zufuhr von Erdöl und
anderen Rohstoffen nach China zu blockieren. Washington arbeitet auch
daran, China mit der transpazifischen Partnerschaft zu isolieren, ist aber
zurzeit in erster Linie darauf konzentriert, Russland zu destabilisieren und zu
isolieren. Die Einkreisung Russlands durch US-Raketenstellungen beeinträchtigt
Russlands Souveränität und Unabhängigkeit und schwächt somit auch die BRICS-Staaten
als eine Washington entgegenwirkende Kraft.
[3]
Ein
Jahrzehnt geopolitischer Fehlschläge Im
Zusammenhang mit China veröffentlichen wir nachfolgend einen Artikel von Kishore
Mahbubani, Dekan
der Lee Kuan Yew School of Public Policy an der National University of
Singapore:
Ein Blick auf China lehrt
Klugheit im Umgang mit Russland Der britischer
Historiker Niall Ferguson hat zur Hälfte recht. Es gab eine geopolitische
Verengung, aber nicht von der Art, die er meinte; es gab eine Verengung der
westlichen geopolitischen Weisheit. Hat jemand die Serie westlicher geopolitischer
Fehlschläge während eines Jahrzehnts bemerkt? Trotz massiver
militärischer und finanzieller Interventionen sind der Irak und Afghanistan ein
Misserfolg. Vor drei Jahren kündigte die USA an: »Es ist an der Zeit, dass Präsident Assad dem syrischen Volk zuliebe
zurücktritt.« Er ist noch immer im Amt. Und nun steht der
Westen kurz davor, China ein geopolitisches Geschenk zu machen, indem er sich
Russland entfremdet.
Wie sind
diese Misserfolge zu erklären? Es ist überraschend einfach. Nach zwei
Jahrhunderten von Erfolgen gehen die Führer des Westens davon aus, dass ihre
Rolle in der Aufrechterhaltung der westlichen Macht bestehe. Nicht einer von
ihnen hat die neue unabweisbare Tatsache erfasst: Die wirkliche Herausforderung für
den Westen besteht darin, seinen Niedergang zu handhaben. Diese fehlerhafte
Geisteshaltung zeigt sich in einer einfachen Aussage Barack Obamas. Der US-Präsident
verkündete, Russland sei ›auf der
falschen Seite der Geschichte‹, was soviel
besagt wie ›der Westen sei auf der richtigen Seite der
Geschichte‹. Aber ist das so? Im Laufe der nächsten Jahrzehnte werden sich
einige Trends als irreversibel erweisen. Der Anteil des Westens an der
Weltbevölkerung, seine wirtschaftliche Bedeutung, und zwangsläufig auch seine
politische und militärische Macht, werden abnehmen. Die jüngsten Rückschläge
der Schwellenländer gaben Anlass zu Wunschvorstellungen, gemäss denen der
Westen wieder zurück sei. Ja, vielleicht für ein oder zwei Jahre. Aber die
Logik des langfristigen Trends zum Abstieg wird sich nach dieser kurzzeitigen
Veränderung fortsetzen.
Wie also
sollte der Westen seinen Abstieg bewältigen? Drei einfache Schritte könnten
einen grossen Unterschied
ausmachen. Erstens: Beendet den
ideologischen Kreuzzug zur Förderung der Demokratie.
In der Tat ist das ukrainische Fiasko direktes Resultat des Fakts, dass der
Westen die Strassenproteste förderte, anstatt den politischen Kompromiss
zwischen den beiden Lagern zu unterstützen. Dieses rücksichtslose geopolitische
Verhalten war die direkte Folge des Glaubens, dass, in Anlehnung an den Satz
des Sowjetführers Nikita Chruschtschow, ›die Geschichte
auf unserer Seite ist‹. In
Wirklichkeit wäre es, wie der realistische amerikanische [Ex-]Aussenminister
Henry Kissinger kürzlich wohlweislich betonte, unklug, vitale russische
Interessen in der Ukraine zu ignorieren. Wird sich die Demokratie nicht mehr
weiterverbreiten, wenn der Westen aufhört, sie voranzutreiben? Natürlich nicht.
Sie wird sich organisch herausbilden und dadurch natürlicherweise nachhaltig
sein. Man blicke nur nach Indonesien, dem bevölkerungsreichsten islamischen
Land der Welt. 1999 war es beinahe ein gescheiterter Staat. Fünfzehn Jahre
später steht es kurz davor, Joko Widodo, weitherum als Jokowi bekannt, zu
wählen, eine der kompetentesten Führungskräfte der Welt. Wie kam es dazu? Freundliche
Nichtbeachtung des Westens ist eine Antwort. Präsident Obama hat Indonesien, die
Heimat seiner Kindheit, dreimal enttäuscht, indem er seinen Besuch dreimal
absagte. Dennoch hat sich das Land weiterhin in eine positive Richtung
weiterbewegt.
Zweitens: Begrüsst Russland mit
offenen Armen und tut es wirklich. Die westlichen Medien haben eine Kaskade von Beleidigungen gegen Präsident Vladimir
Putin und Russland losgelassen. Trotzdem haben einige wenige darauf
hingewiesen, dass der Westen Präsident Putin in die Ecke gedrängt und ihm
keinen Ausweg gelassen hat. Westliche Führer hatten dem Sowjetführer Michael
Gorbatschow wiederholt versichert, dass sich die NATO nicht nach Osten
erweitern würde. Diese Zusicherungen wurden missachtet. Kann heute irgendein
russischer Staatschef irgendeiner westlichen Zusicherung glauben, wonach keine
NATO-Marinebasis auf der Krim errichtet würde, wenn sich Russland zurückzöge? Die
unkluge westliche NATO-Erweiterung hat die Sicherheit des Westens nicht erhöht.
Sie hat nur Russland aufgebracht. Wenn der Westen jedoch endlich aufwachte, um
sich mit einem aufsteigenden China auseinanderzusetzen, würde Russland genau
jene Art von geopolitischem Gewicht bieten, die es bräuchte, um die Macht
Pekings aufzuwiegen. In direkter Missachtung seiner eigenen langfristigen
geopolitischen Interessen treibt der Westen heute Russland in Richtung
China. Er kann es sich nicht verkneifen, Sanktionen gegen Russland zu
verhängen. Dieser Zwang, gegen seine eigenen Interessen zu handeln, illustriert
den Niedergang westlicher geopolitischer Klugheit ganz ausgezeichnet.
Indessen
ist es nicht zu spät, aufeinander zuzugehen. Aber der Westen muss von seinem
hohen moralischen Ross heruntersteigen. Eine einfache Beobachtung könnte ihm
helfen, das zu tun. Hat irgend jemand in der Region registriert, dass nur
wenige seinen Kreuzzug in der Ukraine befürworten? Wirklich: Kann jemand ein
bedeutendes nicht-westliches Land nennen, das den Westen dabei unterstützt? Die
grösste Demokratie der Welt ist Indien. Die Inder, so wie viele andere auf der
Welt, schauen ungläubig auf den Westen und fragen sich, wie man so destruktiv gegen seine
eigenen Interessen sein kann.
Drittens sollte der
Westen China beobachten und von ihm lernen. Peking hat beinahe ein geopolitisches
Wunder vollbracht, indem es zur Macht Nummer zwei aufgestiegen ist, ohne die
Weltordnung zu erschüttern. Wie hat es das erreicht? Es praktizierte
strategische Zurückhaltung. Trotz einiger Beinahe-Missgeschicke im
Südchinesischen Meer, im Ostchinesischen Meer und an der indischen Grenze
verblieb China in Frieden. In noch wunderbarerer Weise hat es einen der
grössten Unruheherde der Welt, die Formosa [oder Taiwan]-Strasse entschärft. Ironischerweise
besteht gerade bei absteigenden Mächten
- und nicht bei aufsteigenden Mächten - eine grössere Notwendigkeit, strategische
Zurückhaltung zu üben. Wenn der Westen Chinas strategische Zurückhaltung
nachahmen könnte, könnte er vielleicht sein Jahrzehnt geopolitischer Fehlschläge
endlich beenden. [4]
[1] Strategic Alert Jahrgang 27, Nr. 8 vom 19. 2.
14 [2] Stragegic Alert Jahrg. 27, Nr. 16/17 vom 16.
April 2014 [3] http://antikrieg.com/aktuell/2014_03_08_obama.htm 7. 3. 2014 [4] http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=1772 Zeit-Fragen Nr. 9 vom 22.4.2014 Der Autor
ist Dekan der Lee Kuan Yew School of Public Policy an der National University
of Singapore und fru?herer
permanenter Vertreter von Singapur bei den Vereinten Nationen; Niall Ferguson ist Laurence-A.-Tisch-Professor of History an der Harvard
University Der
Originalartikel erschien in der ›Financial Times‹ London vom 21. 3. 2014
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