Eidgenössische Volksabstimmung vom 5. Juni 2016 - Von Dr. iur. Marianne Wüthrich 08.05.2016 20:38
Überlegungen zur Eidgenössischen Volksinitiative »Pro Service public«
In welche Richtung soll es mit dem Service
public in der Schweiz gehen? Eine der Vorlagen, über die das Schweizervolk am
5. Juni abstimmen wird, ist die Eidgenössische Volksinitiative »Pro Service public«. Die
Initiative will, dass öffentliche Unternehmungen in erster Linie das Gemeinwohl
zum Ziel haben müssen und nicht die Bundeskasse füllen sollen. Es geht vor
allem um die drei grossen nationalen Unternehmen: Die Schweizerischen
Bundesbahnen (SBB), die Post und die Swisscom. [Andere Service-public-Bereiche
wie Wasser- und Stromversorgung, Spitäler und Schulen sind Sache der Kantone
und Gemeinden.]
Hinter der Initiative stehen die
Konsumentenzeitschriften ›K-Tipp‹, ›Saldo‹, ›Bon à Savoir‹ und ›Spendere Meglio‹. Nun sollte es
eigentlich für jeden klar sein, dass die Post und die SBB, die beiden
Bundesbetriebe par excellence, zuallererst für die Bevölkerung da sind und
nicht für die Erzielung einer Rendite. Interessanterweise wird jedoch die
Volksinitiative »Pro Service public« von allen politischen Akteuren unisono abgelehnt: In der
Schlussabstimmung vom 25. 9. 2015 wurde sie dem Volk im Nationalrat mit 196 zu
null und im Ständerat mit 43 zu null Stimmen zur Ablehnung empfohlen, was
äusserst selten vorkommt. Dementsprechend haben sämtliche politischen Parteien
die Nein-Parole beschlossen, ebenso die wichtigsten Verbände, vom
Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) bis zum Unternehmerverband
économiesuisse, aber auch der Gemeindeverband (SGV), der Städteverband und die
SAB (Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete).
Was will die Volksinitiative »Pro Service public«? Warum wird sie so heftig bekämpft? Um sich
mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, ist es notwendig, sich auf die
eigentliche Bedeutung des Service public, also der vom Staat gewährleisteten
Grundversorgung zu besinnen, um von da aus die heutige Situation und die
mögliche künftige Entwicklung ins Auge zu fassen.
Der Initiativtext Art. 43?b Grundsätze für Leistungen der
Grundversorgung durch den Bund:
1.
Im Bereich der Grundversorgung strebt der Bund nicht nach Gewinn,
verzichtet auf die Quersubventionierung anderer Verwaltungsbereiche und
verfolgt keine fiskalischen Interessen.
2.
Die Grundsätze nach Absatz 1 gelten sinngemäss auch für Unternehmen, die
im Bereich der Grundversorgung des Bundes einen gesetzlichen Auftrag haben oder
vom Bund durch Mehrheitsbeteiligung direkt oder indirekt kontrolliert werden.
Der Bund sorgt dafür, dass die Löhne und Honorare der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter dieser Unternehmen nicht über denjenigen der Bundesverwaltung
liegen.
3.
Das Gesetz regelt die Einzelheiten; insbesondere grenzt es die
Grundversorgungsleistungen von den übrigen Leistungen ab und stellt sicher,
dass Transparenz über die Kosten der Grundversorgung und die Verwendung der
entsprechenden Einnahmen besteht.
Die Forderungen der Initiative Die Initianten erklären allgemeinverständlich
die drei Grundforderungen ihrer Initiative:
1.
Öffentliche Betriebe sollen das Wohl der Bevölkerung zum Ziel haben, und
nicht möglichst hohe Gewinne für die Bundeskasse. Guter Service muss wichtiger
sein als Profit.
2. Gewinne sollen in den Bundesbetrieben
bleiben und dort für deren Erhaltung und Verbesserung reinvestiert werden. Das
heisst: Gewinne der Bahn für die Bahn und Gewinne der Post für die Post. Heute
dagegen fliessen alle Überschüsse in die Bundeskasse.
Die Initiative stärkt also die Bundesbetriebe.
3. Die Cheflöhne der Bundesbetriebe sollen jene der Bundesverwaltung nicht
übersteigen. Es ist unverständlich, dass Bundesrätin Doris Leuthard pro Jahr
475 000
Franken verdient, während ihre De-facto-Untergebenen Andreas Meyer (Chef SBB)
mit 1 046 186 Franken das Doppelte und Urs Schäppi
(Chef Swisscom) mit 1 832 000
Franken gar das Dreifache einkassieren. Zumal es erwiesen ist, dass die
Leistungen eines Managers nicht besser werden, wenn seine Bezüge steigen.
[…]
Siehe http://proservicepublic.ch/
JA zu einem starken
Service Public! JA zu einer starken Post! JA zu einer starken Bahn! JA zu einer
guten landesweiten Grundversorgung! Nein zu Millionensalären für Manager von
Bundesbetrieben!
Liberalisierung vorantreiben oder bremsen? Die Gegner argumentieren, eine Annahme der
Initiative würde unternehmerische Freiheit und Wettbewerbsfähigkeit
einschränken, ein Verzicht auf Gewinnstreben bei der Grundversorgung würde die
Innovation hemmen und letztlich den Service public schwächen. Zudem, drohte
Doris Leuthard, könnte ein Ausbleiben der Dividenden von Swisscom (580
Millionen Franken) und Post (200 Millionen Franken) zu Steuererhöhungen und
Leistungsabbau führen. So oder ähnlich lauten mehr oder weniger die meisten
kritischen Stimmen zur Initiative.
Tatsache ist
Post, SBB und Swisscom sind heute Aktiengesellschaften, die Dividenden an ihre
Aktionäre ausschütten. Die Aktien der Post und der SBB sind ›noch!‹ zu 100 % in der Hand
des Bundes, so Doris Leuthard. Die SBB erzielt keine Gewinne, sondern wird
durch den Bund subventioniert. Die Post bringt mit dem Brief- und
Paket-Transport - trotz hohen
Pakettarifen! – nur wenig Gewinn ein,
mit Ausnahme der PostFinance, die neben der Grundversorgung (Zahlungsverkehr)
heute auch alle Bankgeschäfte in ihrem Portfolio hat. Die Swisscom ist, so
Bundesrätin Leuthard, »ein börsenkotiertes Unternehmen; der Bund hält zwar noch
über 50 %
[der Aktien], aber es gibt etwa 73?.000 andere Aktionäre,
die wären dann ebenfalls betroffen. Mit einer solchen Vorgabe sinkt auch die
Bonität des Unternehmens, das heisst, die Aktie verliert an Wert«.
[Medienkonferenz vom 5. 4. 2016]
Kommentar: Die Liberalisierung der Post
und der SBB, zwei einstigen Verwaltungsabteilungen des Bundes, ist weit
vorangeschritten. Die Swisscom ist an der Börse, das heisst, sie muss möglichst
hohe Gewinne machen, oder anders gesagt, sie steht unter der Fuchtel des globalisierten
›freien‹ Marktes. Das Brief-
und Paketmonopol der Post wurde unter dem Druck von Seiten des liberalisierten
EU-Marktes, aber auch von Schweizer Wirtschaftsvertretern, sukzessive bis zu
einem Restmonopölchen für Briefe bis zu 50 Gramm Gewicht abgebaut, und selbst
dieses wird von économiesuisse heftig angegriffen: »Der Bundesrat«, heisst es,
»will das Restmonopol bei der Briefpost
beibehalten. Damit zementiert er die Übermacht der staatlichen Post und lähmt
die Wettbewerbsdynamik im Schweizer Markt. Die Zeche bezahlen die
Geschäftskunden. économiesuisse kritisiert diese Einschätzung und fordert eine
umgehende Marktöffnung«. [économiesuisse vom
18. 9. 2015]
Siehe
http://www.economiesuisse.ch/de/node/40699 Hier setzt die Volksinitiative »Pro Service public« mit
ihrer ersten Forderung an, dass öffentliche Betriebe das Wohl der Bevölkerung
und nicht möglichst hohe Gewinne für die Bundeskasse zum Zweck haben sollen. Warum
nicht ein Innehalten und ein Überdenken der Entwicklung der letzten Jahrzehnte?
Wollen wir den immer noch relativ guten Schweizer Service public mit rasantem
Tempo weiter in die Liberalisierungsfalle, in Privatisierung und Globalisierung
treiben? Oder sollen wir uns auf die genossenschaftliche, auf das Gemeinwohl
ausgerichtete Grundidee des Service public besinnen? Wir meinen: Manchmal ist
es empfehlenswert, sich auf seine Wurzeln zu besinnen.
Die Post Die Schweizer Post - La Poste Suisse, La Posta Svizzera, La Posta
Svizra - ist beinahe so alt wie der
Schweizerische Bundesstaat. Die eidgenössische Postverwaltung wurde am 1.
Januar 1849 gegründet und ersetzte die bisherigen kantonalen Postverwaltungen.
Damit erhielt der Bund das Monopol zum Transport von Briefen, Paketen, Personen
und Geldsendungen und stellte im Gegenzug eine zuverlässige flächendeckende und
günstige Dienstleistung für die Bevölkerung sicher. Ab 1906 gab es einen
Postcheckdienst, den Vorläufer der heutigen PostFinance. 1920 wurde die Post
mit der Telefonie und Telegrafie zusammengelegt und hiess nun PTT.
Telefontaxen und Zahlungsverkehr finanzierten den
ganzen Postbetrieb In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg
wurde Telefonieren zu einem eigentlichen Volkssport: 1948 zählte die Schweiz
bereits 500 000
Telefonabonnenten, 1959 eine Million. Im gleichen Jahr wurde das Schweizer
Telefonnetz zum ersten vollautomatisierten Netz der Welt. An
dieser Stelle besinnen sich ältere Jahrgänge glücklicherweise darauf
zurück - denn diese Informationen sind im Internet nicht leicht
zu finden! - wie die PTT als
Verwaltungsbetrieb des Bundes funktioniert hat: Mit den enormen Überschüssen
aus den Telefontaxen und dem Zahlungsverkehr konnte die PTT alle ihre übrigen
Bereiche problemlos finanzieren. So blieb das Porto für Briefe und Pakete
günstig, jedes kleine Dorf hatte sein eigenes Postamt, und die Postautos fuhren
auch in abgelegene Bergdörfer. Ein hervorragender Service public für alle
konnte damit gewährleistet werden. Heute würde man sagen: Die notwendigen Investitionen
und Innovationen wurden innerhalb der PTT durch die Überschüsse einzelner
Bereiche quersubventioniert. Dann kam der Geist der Liberalisierung über die
Schweizer Politiker: Der bestens rentierende Telefonie-Bereich wurde 1998 vom
Rest der Post abgetrennt; die Aktiengesellschaft Swisscom wurde gegründet und
schrittweise teilprivatisiert. Die Eidgenossenschaft hält zurzeit noch gut 50 % der Aktien. An der Börse kann dieser
Anteil aber schnell einmal unter die Hälfte sinken, wenn das Parlament das
will. Die Post ist seit dem 1. Januar 2013 ebenfalls eine
Aktiengesellschaft. Die Aktien der Schweizerischen Post AG sind ›bis jetzt!‹ zu 100 % beim Bund.
Aber die Wahl der Rechtsform einer Aktiengesellschaft weist auf Pläne für eine
sukzessive Privatisierung hin. Obwohl die Post satte Gewinne in die Bundeskasse
einbringt, werden die Dienstleistungen emsig abgebaut: »In den letzten 15
Jahren schlossen 1800 Poststellen: Mehr als die Hälfte aller Filialen«.
Viele Dörfer tragen schwer daran, dass sie keine Post
mehr haben,
denn für die Identität eines Schweizer Dorfes ist die eigene Post wie der
eigene Dorfladen und die eigene Primarschule ein wichtiger Baustein. Die Behauptung
von Bundesrätin Leuthard an der Medienkonferenz, die Postämter würden
geschlossen, weil die Leute e-Mails statt Briefe schreiben, ist schlicht
falsch: Die Post beförderte im Jahr 2015 2,172 Milliarden adressierte Briefe
und über 115 Millionen Pakete. Jeder langjährige Briefträger, der darauf
angesprochen wird, antwortet, er habe nichts von weniger Briefverkehr gemerkt
….. Der rentable Zahlungsverkehr wurde 2013 in die PostFinance AG
ausgegliedert, eine Tochtergesellschaft der Schweizerischen Post AG. Niemand
garantiert uns, dass die Postfinance AG nicht wie die Swisscom eines Tages an
der Börse landet und mindestens teilweise dem freien Markt überlassen wird ..…
Die SBB Am 20. Februar 1898 stimmten die Schweizer
Stimmberechtigten mit 386 634 Ja gegen 182 718 Nein dem Erwerb privater Eisenbahnen durch den Bund und der Gründung
der Schweizerischen Bundesbahnen zu. Die SBB wurde im Jahr 1902 gegründet.
Seither baute sie sukzessive einen schweizweit
flächendeckenden öffentlichen Verkehr aus, zusammen mit anderen
Eisenbahngesellschaften, der Post, den Schiffahrtsbetrieben und den Bergbahnen.
1999 wurde auch die SBB aus der Bundesverwaltung ausgegliedert und ist seither
eine Aktiengesellschaft.
Noch heute sind in der Schweiz aber auch
zahlreiche Privatbahnen in Betrieb, in der Regel privatrechtliche
Aktiengesellschaften. Viele davon sind Schmalspurbahnen, können also auf dem
Schienennetz der SBB nicht fahren, sind aber in den SBB-Fahrplan voll
integriert. Bei den meisten Privatbahnen haben die Kantone die Aktienmehrheit.
Die Appenzeller Bahn zum Beispiel existiert seit 1875, wurde im Laufe der Zeit
mit anderen Ostschweizer Privatbahnen zusammengelegt und heisst heute
Appenzeller Bahnen, eine AG, an der die Eidgenossenschaft, die Kantone St. Gallen, Appenzell Ausserrhoden und
Appenzell Innerrhoden, die Stadt St. Gallen, verschiedene Gemeinden und auch
private Aktionäre beteiligt sind. Die Rhätische Bahn als zweites Beispiel
ist dagegen keine Privatbahn, sondern wurde nach einer Volksabstimmung von 1897
zur bündnerischen Staatsbahn.
Zum Service der SBB Dass die Bahnbillete und die Generalabos
immer teurer werden, ist bekannt. Ebenso weiss jeder Pendler, dass er in den Städteschnellzügen
in den Stosszeiten stehen muss – falls er sich nicht ein Erstklass-GA für 5970
Franken pro Jahr leisten kann. Und wer nicht weiss, wie man die Billetautomaten
bedient, verpasst vielleicht den Zug, weil keiner mehr da ist, der ihm zur Hand
geht. Auch bei der SBB gäbe es also einigen Handlungsbedarf pro Service public
…..
Fazit: »Pro Service public«
– Denkpause in Zeiten von
Globalisierung und TiSA Die Grundversorgung müsse mit »Trends wie Digitalisierung, Globalisierung […] Schritt
halten können«: Die dazu notwendigen
Innovationen und Investitionen würden durch die Initiative verhindert. »Weitere Liberalisierungsschritte sind angezeigt, nötig ist
mehr Markt und Wettbewerb als heute, nicht weniger.« Dies sagte Regine Sauter, Nationalrätin FDP ZH,
Präsidentin der Zürcher Handelskammer, an der Medienkonferenz vom 5. April
2016.
Was hat unsere Grundversorgung mit der
Globalisierung zu schaffen? Was haben unsere Pöstler und Bähnler im Ausland zu
suchen? An welche Innovationen und Investitionen denken Frau Sauter und andere
Wirtschaftsvertreter? Zum Beispiel an diese? »Rund
7 Milliarden Franken blätterte Swisscom 2007 für die Übernahme der
italienischen Telecomfirma Fastweb hin. Der Kauf wird immer mehr zum grossen
Flop. Vorläufiger Tiefpunkt: Der Milliarden-Abschreiber vom letzten Dezember,
der den Reingewinn von Swisscom um rund 1,2 Milliarden Franken schmälerte«
Siehe http://proservicepublic.ch/index.php?id=15 Schweizer Kunden zahlen für teure Auslandabenteuer
Wie sagte Frau Leuthard an der
Medienkonferenz? Beim Bund und den Kantonen sei man sehr froh über die hohen
Steuern, welche die Swisscom zahle. 2015 habe sie zusammen mit der Post eine
halbe Milliarde Gewinnsteuer abgeliefert. Wenn diese kleiner sei, dann müssten
der Bund und die Kantone Steuern erhöhen oder Ausgaben kürzen ….. So, so – und
was ist mit den 1,2 Milliarden, die im globalen Markt versickert sind?
Die Volksinitiative »Pro Service public« gibt
uns Bürgern dankenswerterweise die Gelegenheit, eine Denkpause einzulegen und
uns auf die direktdemokratischen und genossenschaftlichen Grundsätze
zurückzubesinnen; mit diesen sind wir in unserem Staatswesen immer gut
gefahren.
Ein schweizerisches Service-public-Unternehmen hat mit
dem ihm von den Steuerzahlern anvertrauten Kapital keine Spekulationsgeschäfte
und keine Expansion ins Ausland zu veranstalten.
Noch ein Wort zu den Salären: Ein SBB-
oder Postchef sollte seine Stelle nicht nur wegen des hohen Lohns antreten.
Wenn die vielen Gemeinderäte und Schulpfleger ihre Mandate nur wegen der
Bezahlung annähmen, könnten wir zusammenpacken. Denn die meisten von ihnen
beziehen in ihrem Hauptberuf einen weit höheren Stundenlohn als in ihrem
Teilzeitamt. Und wer ein Vollzeitamt ausübt, wie die meisten kantonalen
Regierungsräte, würde mit seiner Ausbildung und seiner beruflichen Erfahrung in
der Privatwirtschaft wohl einiges mehr verdienen. Die direkte Demokratie
besteht eben nicht nur aus Rechten, sondern auch aus Pflichten, aus dem
Mittragen der Verantwortung für das Ganze.
Zum Schluss ein ganz zentrales Argument,
das bisher kaum in die Waagschale gelegt wurde: Wenn die Initiative »Pro Service public« vom
Schweizer Volk angenommen wird, bedeutet das einen klaren Stopp für das vom
Bundesrat geplante Andocken der Schweiz an TiSA: Die Gefahr, dass
sämtliche Dienstleistungsbereiche inklusive der Grundversorgung - deren Ausklammerung bisher nicht glaubhaft
belegt wurde - in den unersättlichen
Rachen der globalen Grosskonzerne geworfen würden, könnte einstweilen
abgewendet werden. Langsam neigt sich die Waage auf die andere Seite. [1]
Wie aus dem diesbezüglich mit Prof. Dr.
Rainer Schweizer, ehem. Ordinarius für Öffentliches Recht einschliesslich
Europa- und Völkerrecht, Universität St. Gallen, geführten Interview
hervorgeht, kann
Die Initiative kann so umgesetzt werden, dass
sinnvolle Investititionen gefördert werden
Den von Marianne Wüthrich an Prof.
Schweizer gestellten Fragen gehen Zitate aus den Erläuterungen des Bundesrates
im Abstimmungsbüchlein voraus:
Abstimmungsbüchlein
auf Seite 10: »Die Annahme der Initiative würde zu einer
Einschränkung der unternehmerischen Freiheit und der Wettbewerbsfähigkeit
führen. Die bundesnahen Unternehmen dürften bei der Grundversorgung nicht nach Gewinn
streben, was die Innovation und die Entwicklung hemmt. Das würde den Service
public schwächen.«
Frage: Stimmt es, dass die Innovation
und die Entwicklung von SBB, Post und Swisscom bei einem Ja zur Initiative
eingeschränkt wären? Oder anders formuliert: Müssten sie ihre gesamten Erträge
ausschliesslich für bessere Dienstleistungen, also für billigere Zugbillets und
Päckli, mehr bediente Bahnschalter und die Wiedereröffnung der geschlossenen
Postämter verwenden?
Prof.
Schweizer: Es gibt verschiedene private und
öffentliche Unternehmen, welche nach Gewinnen streben, aber aus bestimmten
Gründen die Gewinne nicht ausschütten. Der Gesetzgeber, der den Verfassungstext
umsetzt, kann sehr wohl festlegen, wie die Gewinne zu verwenden sind, nämlich
zum einen zur Senkung der Preise für die Leistungen des Service public für die
Landesbewohner, zum anderen aber notwendigerweise auch für die inhaltlichen,
technischen und betrieblichen Innovationen und Entwicklungen. Dass zum Beispiel
von der SBB vielfältige Angebote jetzt über Internet und iPhone nutzbar sind,
ist im Sinne und konform mit dem Initiativtext. Dasselbe gilt für die grossen
Investitionen, welche die Swisscom in den Netzausbau steckt. Die Initiative
kann so umgesetzt werden, dass solche Bestrebungen nicht behindert, sondern
durch die Konzentration der Mittel gefördert werden.
Abstimmungsbüchlein
auf Seite 7:
Die Initiative fordert, »im
Bereich der Grundversorgung keine fiskalischen Interessen zu verfolgen«. Damit soll sichergestellt werden, »dass
Gewinne der bundesnahen Unternehmen aus der Grundversorgung nicht in Form von Dividenden
an den Bund ausgeschüttet werden.«
Frage:
Müssten also bei einem Ja zur Initiative die Aktiengesellschaften in andere
Rechtsformen umgewandelt werden?
Prof.
Schweizer: Das ist keineswegs notwendig; es genügen
gewisse Anpassungen in den Bundesgesetzen und Verordnungen.
Abstimmungsbüchlein
auf Seiten 6/7: »Gemäss
dem Initiativtext wäre die Quersubventionierung anderer Bereiche * untersagt. Ob die Quersubventionierung
innerhalb des Bundes, innerhalb der bundesnahen Unternehmen oder von den
Unternehmen zum Bund gemeint ist, geht aus dem Initiativtext nicht hervor.«
*
Im Initiativtext steht ›anderer
Verwaltungsbereiche‹,
was im Abstimmungsbüchlein eine Verfälschung des Initiativtextes darstellt.
Frage:
Welche Quersubventionierungen will die Initiative verbieten?
Prof.
Schweizer: Unzulässig sollen ›Quersubventionierungen in andere
Verwaltungsbereiche‹
mit anderen Zwecken sein, also zum Beispiel von der Post in Logistikbetriebe
der Armee.
Abstimmungsbüchlein
auf Seite 6: »Beim Service public sind
Quersubventionierungen üblich. Indem weniger rentable Dienstleistungen über
Erträge aus rentablen Dienstleistungen finanziert werden, erhalten alle die
gleichen Leistungen zum gleichen Preis und in gleicher Qualität: So kostet ein
A-Post-Brief an jeden Ort in der Schweiz gleich viel.«
Frage:
Also hat der Bundesrat doch verstanden, welche Quersubventionierungen die
Initiative erlauben will?
Prof.
Schweizer: Der Bundesrat gibt mit dieser
Erläuterung ein zutreffendes Beispiel für die erlaubte ›Quersubventionierung‹ innerhalb der ganzen Palette von
Postleistungen. Das Postgesetz schreibt im übrigen schon heute in Art. 19 vor,
dass die Erträge, welche die Post aus den reservierten Dienstleistungen
erwirtschaftet, nicht für Quersubventionierungen für Leistungen ausserhalb der
Grundversorgung verwendet werden dürfen.
Abstimmungsbüchlein
auf Seite 10:
»Die bundesnahen Unternehmen hätten zudem bei einer Annahme der Initiative
strengere Rechnungslegungspflichten einzuhalten. Sie müssten in ihrer
Buchhaltung die Grundversorgungsleistungen von den übrigen Leistungen
abgrenzen.«
Frage:
Wäre eine solche Abgrenzung im Sinne der Transparenz nicht ohnehin wünschenswert?
Prof.
Schweizer: Solche Angaben in den Rechnungen wären
sehr sinnvoll. So haben die Poststellen heute einen Gemischtwarenverkauf,
dessen Rentabilität zu kennen lohnend wäre.
[2]
Quelle: Zeit-Fragen -
Ausgabe Nr. 9/10 vom 26. April 2016 [1]
http://www.zeit-fragen.ch/de/ausgaben/2016/nr-910-26-april-2016/in-welche-richtung-soll-es-mit-dem-service-public-in-der-schweiz-gehen.html
[2]
http://www.zeit-fragen.ch/de/ausgaben/2016/nr-910-26-april-2016/die-initiative-kann-so-umgesetzt-werden-dass-sinnvolle-investititionen-gefoerdert-werden.html
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