Die Schweiz und die Libyen-Krise - Noch regierungsfähig? Von Ulrich Schlüer

Angesichts der gefährlichen Unberechenbarkeit der Gegenseite war die in der Aussenpolitischen Nationalrats-Kommission und offensichtlich auch in der Landesregierung vordergründig übereinstimmend getroffene Abmachung sicher angebracht,

wonach sich zu dem von Bundesrat Merz im Alleingang vereinbarten Libyen-Vertrag niemand öffentlich äussern würde, solange die beiden Schweizer Geiseln Libyen nicht verlassen können hätten. Dann allerdings trat Jean Ziegler in Aktion - im «Club» des Schweizer Fernsehens am 25. August 2009. Just zu dem Augenblick, als die Frage der Freilassung der Geiseln auf Messers Schneide stand.
 
Jean Ziegler
Zwar kann eingewendet werden, Ziegler sei weder Parlamentarier noch Regierungsmitglied. Das stimmt. Aber der verantwortungslose Vielschnorrer ist Berater. Nicht nur «selbsternannter Ratgeber». Jean Ziegler, der seine nachparlamentarische Karriere in allerlei UNO-Funktionen einzig und allein wiederholtem hartnäckigem Lobbyieren von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey verdankt, gehört seit Jahren zum engsten Beraterkreis «unserer» so bedingungslos geltungssüchtigen Aussenministerin. Ihn und sie trifft die Hauptschuld am nunmehr bereits über einjährigen kapitalen Versagen des Schweizer Aussenministeriums in der Frage der in Libyen festgehaltenen Schweizer Geiseln. Ein Versagen, welches ausschlaggebend dafür war, dass Bundespräsident Merz seinen Libyen-Alleingang überhaupt startete.
 
Eisenbahnunglück-Erfinder
Und «Berater» Jean Ziegler hat gegenüber der Schweiz bereits einiges auf dem Kerbholz. Er war es, der. mit dem alleinigen Ziel, die Schweiz vor aller Welt anzuschwärzen, vor gut zehn Jahren die Geschichte vom «Eisenbahnunglück in Thun» präsentierte: Während des Zweiten Weltkriegs sei in Thun ein Güterzug entgleist, wobei mehrere Ladungen vom Güterwagen auf die Geleise geschleudert worden seien. Und diese Ladungen hätten aus Kanonen bestanden: Kriegsmaterial der Achsenmächte Deutschland und Italien, dessen Transit durch die Schweiz der Bundesrat unter Verrat der Neutralität in schnöde eingefädeltem Geheimabkommen mit den Nazis übernommen habe. Zieglers Geschichte erregte Aufsehen, brachte die Schweiz arg in Verruf - bis einwandfrei bewiesen werden konnte, dass Ziegler dieses «Eisenbahnunglück» von A bis Z erstunken und erlogen hatte - allein mit dem Ziel, auf Kosten der beschimpften, in Bedrängnis gebrachten Schweiz über die Grenzen unseres Landes hinaus «berühmt» zu werden. Es war der seinerzeitige Basler Nationalrat Felix Auer, der Jean Ziegler als üblen, das eigene Land mit böswillig erfundener Unterstellung schamlos verunglimpfenden Lügner entlarven konnte.
 
Der Stellvertreter-Rächer
Doch dieser notorische Lügner ist heute einer der einflussreichsten Einflüsterer in Calmy-Reys Kreis der Günstlinge. Sie selbst - Hauptversagerin im libyschen Geiseldrama - hatte sich offensichtlich mit dem gemeinsamen Schweigen bis zur Rückkehr der Geiseln abgefunden. Aber ihr «Berater» in der libyschen Angelegenheit übernahm - kaum ohne Mitwissen seiner Mentorin - die Rolle des öffentlichen Kollegen-Beschimpfers, die er in besagtem «Club» in einer Weise gegen Merz spielte, die jede Verantwortung, jeden Anstand, jede politische Rücksichtnahme vermissen liess. Die Stellvertreter-Stimme der sich übergangen fühlenden Rächerin - das war Zieglers Rolle.
 
Fernseh-Direktor Ueli Haldimann
Eine weitere üble Erinnerung wurde mit dem unsäglichen Beschimpfungsauftritt Jean Zieglers am Schweizer Fernsehen wach: Die Erinnerung an die Rolle, die der heutige Fernseh-Direktor Ueli Haldimann während der sogenannten Holocoust-Krise in den Neunzigerjahren spielte, zu der Jean Ziegler die erwähnte Lüge vom Eisenbahnunglück beigesteuert hatte. War es nicht Ueli Haldimann, der damals - noch als Redaktor der «SonntagsZeitung» - den vertraulichen Alarmbrief Botschafter Carlo Jagmettis aus Washington zur Aufrüttelung des Bundesrats angesichts der sich anbahnenden Krise in böswillig manipulierter Form an die Öffentlichkeit brachte - womit Jagmettis Position unhaltbar wurde und die Schweiz gegenüber Washington und dem hinter den damaligen Angriffen stehenden Jüdischen Weltkongress unkorrigierbar in Rücklage geriet? Und der gleiche Haldimann ist heute Direktor jener Institution, die Calmy-Rey-Intimus Jean Ziegler die Plattform bot, die Rolle des Rache-Engels seiner Gönnerin zu übernehmen und mitten in der heikelsten Phase der Geiselaffäre masslos über Bundespräsident Merz herzufallen. Es ist wahrlich äusserst schwierig, dabei bloss an «eine Kette unvorhersehbarer Zufälle» zu glauben.
 
Das Kernproblem
Ein Satz von Hans-Rudolf Merz muss, wenn die «Causa Libyen» dann aufgearbeitet wird, ganz im Mittelpunkt stehen. Nämlich die ihm von der Zeitung «Sonntag» am 23. August in den Mund gelegte Behauptung, er habe sein Vorhaben in Libyen deshalb dem Gesamtbundesrat nicht mitteilen können, weil sonst sofort «jemand» zu den Medien gerannt wäre und die geplante Aktion im voraus zum Platzen gebracht hätte. Wenn diese Aussage stimmt: Wer war dieser zwingend der Landesregierung angehörende «Jemand», auf den diese Bemerkung gezielt war? Diesem oder dieser von Merz namentlich nicht genannten «Jemand» käme nämlich die Verantwortung zu, dass der Bundesrat offensichtlich unfähig geworden ist, gemeinsam eine im Interesse unseres Landes liegende Aussenpolitik zu führen. Damit müsste unserer Landesregierung «Regierungs-Unfähigkeit» attestiert werden. Und das müsste ihr Ende sein - zumindest in ihrer heutigen Zusammensetzung.
 
Anmerkung politonline d.a. Was die Ausreisesperre für den ABB-Länderchef betrifft, so sei vermerkt, dass die Geschäftstätigkeit des Unternehmens in Libyen dadurch zu keinem Zeitpunkt unterbrochen war. Wie vermeldet, war Muammar Ghadhafi soeben bei Chopard in Genf auf Einkaufstour. Für den 40. Jahrestag seiner Machtergreifung hat er Uhren im Wert von 8 Millionen Franken eingekauft. Die Bestellung soll mindestens 250 Preziosen umfassen, die Ghadhafi beim Festakt am 1. September ausgewählten Gästen überreichen will. Die Begleichung des Kaufs dürfte keinerlei Schwierigkeiten bereiten, erliess Bulgarien den Libyern doch alte Schulden in Höhe von 56,6 Millionen $ - wobei das Loch in der bulgarischen Staatskasse mit grosser Wahrscheinlichkeit durch spendable Gaben aus Brüssel wieder aufgefüllt werden dürfte - und Italien zahlt Libyen für seine 3 Jahrzehnte dauernde Kolonialherrschaft eine Entschädigung von 3,4 Milliarden €. Daneben erfreut sich das Land, wie die NZZ Nr. 293 vom 17. 12. 2002 festhielt, eines Vertrags mit Zentralafrika, der den Libyern für die Hilfe, die libysche Soldaten bei der Niederschlagung eines Aufstands gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Patassé im Mai 2001 gewährten, das Recht einräumt, zentralafrikanische Bodenschätze während 99 Jahren auszubeuten, so etwa Erdöl, Gold und Diamanten. Angesichts der Tatsache, dass die Zentralafrikanische Republik nach wie vor zu den ärmsten Ländern der Welt zählt, kein schlechter Deal. Patassé wurde im März 2003 durch François Bozizé gestürzt, zu einem Zeitpunkt, als sich der Anteil der dortigen Bevölkerung, die sich mit weniger als 1 US-$ pro Tag begnügen muss, noch auf 67 % belief. Ob der lukrative Vertrag inzwischen eine Kündigung erfuhr, war nicht zu eruieren. Jedenfalls erklärt auch dieses Abkommen, wieso Afrikas Bewohner immer gleich arm bleiben.   
 
Quelle: Schweizerzeit Nr. 21 vom 28. August 2009